[Wien, Wiener Neustadt] Statement zur gestrigen Urteilsverkündung im "Schlepperei"-Prozess

Zeichnung zum "Schlepperei"-Prozess // §114FPG

Gestern, in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 2014, wurde nach einem 9-monatigen Prozess ein Urteil im so genannten "Schlepperei"-Prozess in Wiener Neustadt gefällt. Das ist ein Statement der Unterstützer_innengruppe.

„Rechtspolitische Kritik“ sei nicht an sie, die Staatsanwältin, sondern an den Gesetzgeber zu richten, sagt sie und beharrt in großen Teilen auf eine zwanzig Seiten lange Ansammlung schwammiger Formulierungen die sich Anklageschrift nennt. Sie hat Recht, sie ist Rechtsanwenderin, was ihr angezeigt wird, ordnet sie einem der unzähligen juristischen Tatbestände der österreichischen Gesetzbücher unter. Dass Bestimmungen wie der §114FPG ihrer Funktion nach schlichtweg Migration kriminalisieren und auf einer rassistischen Trennung zwischen Menschen anhand ihrer Papiere aufbauen, egal wie viele Gesetzesreformen noch kommen sollten, ist dann nicht der Rede wert. Das Urteil, das sie von der Richterin fordert und am Ende des Tages auch bekommt, kriminalisiert einerseits eine Protestbewegung, andererseits hält es wie viele andere Entscheidungen, die das Justizsystem täglich wie am Fließband produziert, bestehende Ungleichheiten aufrecht: Wer kein Geld hat, dessen Straftaten sind gewerbsmäßig und insofern höher zu bestrafen – eine Formel die zwar juristisch nicht haltbar ist, so aber sinngemäß angewandt wurde. Es ist anscheinend auch nicht vorstellbar, dass Personen wie die Angeklagten solidarisch mit anderen sind, ohne Geld zu fordern. Gibt es keine Beweise für die vorschnell vorgeworfenen Grausamkeiten, dann werden unverständliche Redewendungen über „Lämmer“ und „Küken“ am Telefon schnell zu bedrohlichen Aussagen über ein straff durchorganisiertes Business.

 

Alles in allem seien die Angeklagten „kleine Rädchen“ eines größeren Netzwerkes, die eigentlichen Bosse irgendwo in Ungarn oder Griechenland, ungreifbar für die österreichische Justiz und gerade deshalb so gefährlich. Der Rückgriff auf den großen Boss, der nach einer Verhaftung in Wien wieder laufen gelassen wurde, ist Teil einer Argumentation, der sich auch die Anwält_innen immer wieder bedienen. Zwar zeigt sie die Brüche in der Logik der Sonderkommissionen, nichts desto trotz beruht das „Wissen“ über diese Personen auf dem selben Aktenchaos wie die haltlosen Vorwürfe gegen die Angeklagten. Sich darauf zu berufen stützt insofern trotzdem die Argumentation der Behörden.


Prozesse wie diese sind teuer für die Justiz, Kosten für Dolmetscher_innen, Untersuchungshaft und Räumlichkeiten sowie in diesem Fall zumindest ein gewisses Maß an (kritischer) Öffentlichkeit ließen Freisprüche für alle schon vor dem 4.Dezember unrealistisch wirken. Spätestens als bekannt wurde, dass aus „feuertechnischen Gründen“ die Anzahl der bei der Urteilsverkündung Anwesendenen am Eingang kontrolliert würde, Polizisten alle eintretenden Prozessbeobachter_innen abfilmten, sogar leere Plastikflaschen abgegeben werden mussten und der Schwurgerichtssaal von Cops umkreist war, ja, sogar ein Zivilpolizist mit den Angeklagten auf der Anklagebank saß, war wohl allen klar, dass es Urteile regnen würde.

 

Schlussendlich blieb tatsächlich alles beim Alten. „Eine nicht mehr exakt feststellbare Anzahl“ von Personen seien in „unbekannte Länder der Europäischen Union“ gebracht worden, für unbekannte Summen Geld, zusammen mit unbekannten Hintermännern. Sieben von acht Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen 7 und 28 Monaten verurteilt, deren unbedingter Teil konsequent so angesetzt ist, dass er bereits in der Untersuchungshaft „abgebüßt“ ist, wie die Richterin es nennt. Keiner der acht Angeklagten muss also ins Gefängnis zurück, was nicht heißt, dass die Chancen auf Bleiberecht in Österreich für die Betroffenen dadurch nicht massiv verschlechtert werden. Wie sooft, verkündete Petra Harbich das Urteil zunächst auf Deutsch. Eine halbe Stunde warf sie mit juristischen Fachbegriffen um sich, die letzten, die wussten was los war, waren wieder einmal die Angeklagten, daran änderten auch Zwischenrufe aus dem Publikum nichts.


Medien berichteten, die Richterin wäre bei der Urteilsverkündung trotz Tumulten „cool“ geblieben. Es ist wahr, unbeirrt von Tränen, Zwischenrufen und Gefühlsausbrüchen der Angeklagten und der Zuschauer_innen verlas sie ein Urteil, dass schlicht und einfach ein weiterer gewalttätiger Akt ist wie er vom bürgerlichen Rechtsstaat notwendigerweise tag-täglich ausgeht. Am Schluss bleibt die Frage, wer hier wirklich die „kleinen Rädchen“ einer größeren bedrohlichen Struktur sind.

 

Mehr Infos unter solidarityagainstrepression.noblogs.org

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Starker Text, danke dafür.

Giustizia assassini!

Gibt es ein Link zum konkreten Urteil?

Urteil auch nachzulesen auf http://prozess.report/#2705 und den nachfolgenden Posts.

abartig fand ich auch, dass die richterin beschimpfungen und zwischenrufe von den weißen zuschauer*innen komplett ignorierte; einen angeklagten hingegen anschrie und zwei nicht-weiße zuschauer*innen als sie auf einen übersetzungsfehler des dolmetschers aufmerksam machten ebenfalls aggressiv anschnauzte...

- audiobericht vom urteil: http://cba.fro.at/275333
 
- artikel in der wiener zeitung: hxxp://www.wienerzeitung.at/nachrichten/top_news/?em_cnt=721162
 
 
- kritik von albert steinhauser (ist von den grünen, aber trotzdem): hxxp://albertsteinhauser.at/2014/12/05/fluchthilfe-prozess-kritik-am-urteil/

 

- liveticker auf derstandard.at: hxxps://derstandard.at/Jetzt/Livebericht/2000008960564/Prozess-in-Wiener-Neustadt-Nie-ein-Schlepperverfahren-sondern-ein-politisches-Verfahren