Homophobia in Russland

Feministisches Symbolbild

Ich bin seit zwei Tagen zurück aus Russland und möchte meine Erfahrungen mit euch teilen. Meine Freundin (girlfriend) und ich waren zehn Tage in St. Petersburg, weil ich unbedingt die Stadt sehen wollte. Im Nachhinein denke ich, es wäre besser gewesen, wenn es ein Wunsch von mir geblieben wäre. Natürlich hatten wir schon von der Homophobie (ich hasse dieses Wort, weil die Leute, die es sind, haben keine Angst - sie hassen uns, das ist alles) in Russland gehört und von den neuen Gesetzen, aber wir dachten auch, dass St. Petersburg offener ist und, naja, TouristInnen eher nicht betroffen. Sehr dumm von uns!

 

Übernachtet haben wir in einer Jugendherberge in einem Zweibettzimmer und dort gab es keine Probleme, das war aber auch der einzige Ort. Wir hatten uns vor der Reise abgesprochen, dass wir uns erstmal nicht in der Öffentlichkeit küssen und die Situation checken. Nachdem wir einen Vormittag lang die Sehenswürdigkeiten am Newski Prospekt, der Hauptstraße St. Petersburg, angesehen hatten und die Lage als "normal" eingestuft hatten, trauten wir uns Händchen zu halten. Die Folge waren zunächst unzählige böse Blicke und mehrere Beschimpfungen, die ich glücklicherweise nicht verstand. Meine Freundin sagte mir allerdings, dass es in der Regel etwas mit "geht sterben" und "ich fick euch gesund" war. Nachdem sie dann auch noch angespuckt wurde und die beiden Männer, die dafür verantwortlich waren, extrem aggressiv auf uns zugegangen sind und sicherlich noch mehr gemacht hätten, wenn sie nicht von einer Gruppe dänischen Studies aufgehalten worden wären, aber wir das Händchenhalten auch aufgegeben. Für die nächsten Tage waren wir zwei Freundinnen, die sich zusammen St. Petersburg ansahen. Die Urlaubsstimmung war deutlich getrübt.

 

In der zweiten Hälfte unserer Reise beschlossen wir, eine Kneipe zu besuchen, von welcher wir in Deutschland über Freunde gehört hatten. Sie soll ein beliebter Treffpunkt für homosexuelle St. PetersburgerInnen sein. Wobei eigentlich "gewesen sein" richtiger wäre, denn als wir dort ankamen, war die Tür  vernagelt, die Fenster eingeworfen und homosexuellenfeindliche Sprüche waren überall an den Wänden des Gebäudes. Obwohl wir noch eine zweite Adresse hatten, haben wir diesen Abend dann in der Jugendherberge verbracht. Mittlerweile war unsere Stimmung so im Keller, dass wir am liebsten sofort nach Hause gefahren wären. Versteht mich nicht falsch: Ich finde auch, dass es in Deutschland noch zu viele Vorurteile gegen Homosexuelle gibt und sicherlich existiert auch der eine oder andere Mensch, der uns am liebsten tot sehen will, aber in St. Petersburg war das die Grundstimmung. Ich meine, wenn uns in Deutschland jemand anspucken würde, könnten wir beispielsweise Anzeige erstatten. In Russland sollten man das nicht tun, wenn man nicht noch mehr Ärger möchte, wie wir am nächsten Abend erfuhren.

 

Denn an dem suchten wir die zweite Adresse, ebenfalls eine kleine Kneipe bzw. erinnerte sie etwas an ein großes Wohnzimmer, auf. Dort war geöffnet und man ließ uns nach einigen Fragen durch eine wirklich solide Eisentür rein. Hier waren übrigens keine Fenster mehr, die waren zugemauert worden. Wir wir später erfuhren, aus Sicherheitsgründen. Ich kann hier leider nicht alle Gespräche genau wiedergeben, aber wir haben an diesem Abend sehr viele, absolut erschreckende Erlebnisse von Menschen erzählt bekommen. Die Dinge, die wir erlebt hatten, Beleidigungen, Bedrohungen und Anspucken, sind für die meisten der Menschen, die wir trafen, offensichtlich nicht mehr erwähnenswert. Die meisten sprachen über Angriffe mit Steinen, Flaschen, Messern, sogar Schusswaffen und Körperverletzungen. Aber auch über sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung. Wenn man sich anschließend an die Polizei gewandt hat, führte das im besten Fall zu nichts und im schlimmsten Fall, von dem ich gehört habe, wurde jemand dort auch noch einmal krankenhausreif geschlagen. Was ich persönlich aber am erschreckensten fand (wohl auch, weil ich noch nicht davon gehört hatte) war, dass es in Russland Gruppen gibt, die gezielt versuchen, homosexuelle Menschen, vor allem Männer, zu fangen. Wenn sie jemanden erwischen, misshandeln sie ihn und filmen alles. Die Polizei und die Politik weiß davon, aber niemand versucht, diese Gruppen festzunehmen, obwohl ihre Mitglieder namendlich bekannt sind.

 

Ich glaube, dass ich noch nie in meinem Leben so eine Angst hatte, wie als wir an diesem Abend zurück in die Jugendherberge gegangen sind. (Wir haben uns nicht getraut, ein Taxi zurufen!!) Ich bewundere die Menschen, die sich in Russland outen, sehr. Meine Freundin und ich haben viel darüber gesprochen, ob wir es uns unter solchen Umständen getraut hätten. Und obwohl wir beide auch kein einfaches Coming-out hatten, tendierten wir zu nein. Natürlich ist Russland gerade stark in der Kritik wegen der Ukrainekrise, aber meiner Ansicht nach kann sich einE BundeskanzlerIn auch sonst nicht mit einem russischen Präsidenten in Freundschaft zeiegn, der solche Zustände zulässt und fördert!

 

Vielen Dank fürs Lesen meiner Erfahrungen!

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Danke für den Bericht. Aber das ist ja alles nichts neues wenn sogar das auswärtige Amt eine Reisewarnung für Homosexuelle die nach Russland reisen ausspricht. Du kannst ausreisen, die von Repressionen Betroffenen in Russland nicht. Wenn du aus deinem Urlaub auch die Konsequenz ziehen willst dann schau mal hier nach: russlandantirep.blogsport.de/kampagne/

Vielen Dank auch von mir! Als Ergänzung zu deinem Bericht verweise ich auf die sehr sehenswerte Dokumentation "Nackte Angst - Russische Jagd auf Schwule" des WDR vom 26.05.2014:

 

vimeo.com/96634440

 

Achtung: Zum Teil sehr brutale Szenen!

Höchststrafe verhängt

Fünf Jahre Haft für Neonazi-Anführer

 

Derweil hat die Staatsanwaltschaft der Stadt Kamensk-Uralski in dieser Woche bekannt gegeben, dass sie nach langen Ermittlungen Anklage gegen neun Männer der regionalen Gruppe von "Occupy Peadophilia" erheben wird. Offenbar sind einige der Opfer zu einer Aussage vor Gericht bereit.

 

Die Gruppe war mit besonderer Gewalt gegen Schwule vorgegangen. Auf Videos wurden Schläge und Tritte dokumentiert; Opfer wurden mit Farbe übergossen und mussten mit Dildos posieren. Den Männern wird die Bildung einer extremistischen Gruppe vorgeworfen, mehrere Arten von Körperverletzungen, die Androhung von Mord sowie Raub

 

http://www.queer.de/detail.php?article_id=22118

Eine Anklageerhebung ist (in diesem Fall leider) noch keine Verurteilung und ganz besonders nicht in Russland!

Ich hatte nicht den Volltext zitiert.

 

Ein Anführer einer solchen Gruppe wurde den Anklagepunkten entsprechend zur Höchststrafe von 5 Jahren verurteilt. Laut Artikel ist das Urteil aber noch nicht rechtskräftig, weil seitens des Nazis Berufung angekündigt wurde.

 

Die Anklage gegen die Mitglieder einer solchen Gruppe ist ein anderer Fall.

 

Der Erfahrung nach ist übrigens gerade die Anklageerhebung meist gleichbedeutend mit einem Urteil. Ich meine letztens einen Artikel gelesen zu haben, nachdem in Russland fast alle Anklagen auch mit einer Verurteilung enden.

Der verurteilte Anführer ist unter seinem Spitznamen "Tesak" vielleicht manchen von Euch ein Begriff.

 

Ja, üblicherweise wird in Russland auch verurteilt, wer angeklagt wird (Freispruch-Quote 1-2%), die RichterInnen wollen die StaatsanwältInnen nicht dissen. Es kommt allerdings vor, dass einzelne Anklagepunkte fallengelassen, mildere Paragraphen angewendet oder einfach geringere Strafmaße verhängt werden, was dann zu deutlich geringeren Strafen oder sogar Freilassung auf Bewährung führt. Die Neonazis, die das Anti-Atom-Camp in Angarsk 2007 überfallen und dabei einen Teilnehmer erschlagen hatten, wurden wegen "Hooliganismus" verurteilt (bzw. teilweise waren die Prozesse noch am Laufen, aber es bestanden keine schwereren Anklagen mehr als "Hooliganismus") und das fiel unter die Amnestie Ende letzten Jahres, so dass sie alle frei und die verbliebenen Verfahren eingestellt sind.