Dresden: Auch fast drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU kann nach Ansicht von Sachsens oberstem Verfassungsschützer nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine über Ländergrenzen hinweg im Untergrund agierende Neonazigruppe länger unentdeckt bleibt. „Aber ich sehe, dass die Chance wesentlich geringer ist“, sagt Gordian Meyer-Plath. Nach Pannen bei der Fahndung nach den Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) sollte das Landesamt unter seiner Führung neu strukturiert und transparenter werden. Seit einem Jahr ist er offiziell Verfassungsschutzpräsident.
Bei ihrem Amtsantritt haben sie angekündigt, die Arbeit des 
Landesamtes für Verfassungsschutz transparenter machen zu wollen. Geht 
das überhaupt bei einem Geheimdienst? 
Gordian Meyer-Plath: 
Ich sehe uns nicht als Geheimdienst, sondern als Nachrichtendienst. Das 
heißt, wir gewinnen mit den Mitteln, die uns der Gesetzgeber zur 
Verfügung stellt, Nachrichten. Und dazu gehört es auch, diese 
weiterzugeben. Natürlich gibt es eine Grenze der Transparenz, weil wir 
sonst gar nicht handlungsfähig wären. Und eine Grenze ist der exakte 
Einsatz unserer nachrichtendienstlichen Mittel: Wie heißt der V-Mann in 
der Region X, wann genau erfolgte die Observationsmaßnahme in der Region
 Y und welche Telefonanschlüsse werden überwacht? Würden wir 
beispielsweise diese Mittel preisgeben, wären sie stumpf und nutzlos. 
Transparenz heißt, darüber zu reden, dass es diese Mittel gibt und wie 
sie gesetzlich geregelt sind und wo die Risiken und Chancen dieser 
Mittel liegen. 
Und was ist da konkret in den letzten Monaten passiert? 
Gordian
 Meyer-Plath: Wir sind proaktiv auf die Akteure der 
Extremismusprävention zugegangen und haben Gespräche angeboten. Wir sind
 mit den Menschen, gerade in der Fläche des Landes ins Gespräch 
gekommen. Wir haben mit Bürgermeistern, mit zivilgesellschaftlichen 
Gruppen vor Ort gesprochen und haben eigene Veranstaltungen organisiert.
 Diese nutzen wir dann, um zu sagen, wer sind wir eigentlich, was kann 
ein Präsident oder ein anderer Vertreter der Behörde eigentlich erzählen
 und auf welcher Grundlage macht er das? Woher weiß er die Dinge, über 
die er berichtet? Und das haben wir im letzten Jahr sehr stark 
gesteigert. Auch die Zahl der Personen, die wir damit erreicht haben. 
Nun
 hatte die nach den NSU-Pannen eingesetzte Expertenkommission ja auch 
Änderungen bei der operativen Arbeit empfohlen. Beim Einsatz von 
V-Personen beispielsweise, wo die Werbung der Informanten, deren Führung
 und die Analyse der gewonnenen Informationen klar getrennt werden 
sollen. Was hat sich hier getan? 
Gordian Meyer-Plath: Das 
sind Dinge, die nunmehr organisatorisch implementiert sind, bei denen 
wir aber natürlich noch eine Weile brauchen, um mit dieser neuen 
Arbeitsorganisation Erfahrungen zu sammeln. Die Trennung ist aus meiner 
Sicht aus vielerlei Hinsicht wichtig: Einerseits, weil es 
unterschiedliche Typen von Mitarbeitern dafür braucht. Ich möchte eher 
den Spezialisten haben, weil es etwas anderes ist, ob es mir gelingt, 
mit einem Menschen, der das eigentlich erst einmal gar nicht will, ein 
Gespräch zu führen, oder ob ich mit jemanden über Jahre eine 
Informationsbeziehung eingehe. Und noch wichtiger : Die klare Trennung 
zwischen Kollegen, die eine solche Informationsbeziehung mit den 
V-Personen eingehen, und denen, die die Ergebnisse auswerten. Das war 
vorher hier im Amt nicht so klar getrennt. Da bestand die Gefahr, den 
absolut notwendigen kritischen Blick der Analysten auf das, was da auf 
den Tisch kommt, zu verlieren. 
Wäre es denn heute noch 
möglich, dass eine über die Ländergrenzen hinweg im Untergrund 
operierende Neonazigruppe so lange unentdeckt bleibt wie der NSU? 
Gordian
 Meyer-Plath: Es wäre vermessen, das auszuschließen. Aber ich sehe, dass
 die Chance wesentlich geringer ist. Einfach durch die Art der 
Zusammenarbeit, wie sie seit 9/11 im Bereich des Islamismus schon völlig
 selbstverständlich war. Das heißt, die tagesaktuelle 
Nebeneinanderlegung der polizeilichen und Verfassungsschutz-Lagen von 
Bund und Ländern, die jetzt erst durch den NSU auch auf die Bereiche 
Rechts- und Linksextremismus übertragen wurde. Das erhöht die Chance - 
insbesondere wenn es Anhaltspunkte gibt, dass da schon einmal etwas war 
-, dass es nicht wieder verloren geht. Aber eine Gruppe, die vorher 
keiner auf dem Schirm hatte und die die Blaupause „NSU“ nutzen würde, 
die hätte nach wie vor natürlich die Chance, schreckliche Straftaten zu 
begehen. Da kann sich niemand hinstellen und sagen, jetzt haben wir hier
 eine Architektur, die absolute Sicherheit schafft. 
Im 
jüngst vorgelegten Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des
 Landtags sprechen sich Linke und Grüne in einem Minderheitenvotum für 
die Auflösung des Landesamtes aus. Braucht es denn überhaupt noch einen 
Verfassungsschutz? 
Gordian Meyer-Plath: Zu sagen, 
Demokratie ist in Deutschland so gefestigt in all seinen Facetten und 
überall, dass wir darauf verzichten können, dass eine auf gesetzlicher 
Grundlage agierende Behörde, deren Erkenntnisse und Arbeitsweisen auch 
gerichtlich überprüfbar sind, sich um die Ortung von Extremisten 
kümmert, finde ich kühn. Klar klingt es sympathisch zu sagen, das kann 
die Zivilgesellschaft alles selbst. Aber wer setzt die Parameter, wenn 
da einer behauptet, „das sind alles Nazis oder das sind alles linke 
chaotische Steinewerfer, Glatzen, Langhaarige und Bärtige“? Dass es eine
 Behörde gibt, die genau das definiert, die beschreibt, was für Gefahren
 für die demokratische Grundordnung wo lauern, und bei der sich all 
diese Dinge, die sie äußert, auch gerichtlich überprüfen lassen, halte 
ich für unverzichtbar, nach wie vor. 
ZUR PERSON: 
Gordian
 Meyer-Plath wurde 1968 in Karlsruhe geboren. Er studierte 
Mittelalterliche und Neuere Geschichte, Amerikanistik und Öffentliches 
Recht in Bonn und Brighton. Von 1994 bis Sommer 2012 war er in 
unterschiedlichen Positionen in der Verfassungsschutzabteilung des 
brandenburgischen Innenministeriums tätig. Nach dem Rückzug von 
Präsident Reinhard Boos, der den sächsischen Verfassungsschutz 2012 
verlassen hatte, übernahm Meyer-Plath die Führung des Landesamtes 
zunächst kommissarisch. Seit dem 1. August 2013 ist der verheiratete 
Vater zweier Kinder sächsischer Verfassungsschutzpräsident.

Und Polizei?
Haha, und was ist mit der Polizei? Auch wenn das jetzt vielleicht blöd klingt, aber die hat sich im NSU-Komplex nicht ganz so dumm angestellt wie der VS.
Meyer-Plath ist übrigens Burschenschafter.