Vor fast vierzig Jahren erschien in Frankfurt a.M. eine Publikation mit dem Titel „Alles unter Verschluß“, über die Erschießung eines Gefängnisdirektors, den Frankfurter Gefangenenrat und Gefangenenproteste in Frankfurt. Herausgeber war der ASTA der Universität Frankfurt a.M. und nicht nur als zeithistorisches Dokument ist der Band sehr lesenswert, sondern auch, z.B. im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in Berlin, was die Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft angeht, von Relevanz.
2. Juni 1976 – ein Knastleiter wird erschossen
Günter Hanisch, er sitzt seit 16 Jahren in Haft und bezeichnet sich als unschuldig, nimmt eine Geisel und möchte ein Interview mit dem Hessischen Rundfunk durchsetzen, um auf seine Lage hinzuweisen. Der Knastleiter meint, er könne die Situation selbst klären und stürmt mit einer Tränengaswaffe den Büroraum, in welchem Hanisch sich verschanzt hat. Bei der dann entstehenden unübersichtlichen Situation schießt Hanisch und der Knastleiter stirbt.
Die Juragruppe des ASTA der Uni Frankfurt nimmt diesen Fall zum Anlass, ausführliche Beiträge über die Hintergründe des Vorfalls, die desolate Situation in den Knästen und die Möglichkeiten, sich gegen diese zu wehren, zusammen zu stellen und zu veröffentlichen. Zitiert werden Stimmen von Gefangenen, aber auch diverse Medienberichte aus taz, FR, BILD und Co., wobei der Schwerpunkt auf der Darstellung aus Gefangenensicht liegt.
So wird u.a. die Hungerstreikerklärung von März 1976 von in Butzbach inhaftierten Männern dargestellt, in der diese eine adäquate ärztliche Versorgung verlangen, mehr Zugang zum Gefängnishof, die Beendigung von Isolationsmaßnahmen. Alles Forderungen, die man auch 2014 noch genau so stellen kann und muss.
Die mediale Hetze, insbesondere der Springer-Presse und befeuert von der Opposition beschränkte sich darauf, die Gefängnisse als hotelartige Einrichtungen darzustellen, in welchen es drunter und drüber gehen würde – was damals schon unzutreffend war und auch heute, 2014!
Mai 1976 – Ulrike Meinhof ist tot und in F.-Preungesheim wird revoltiert
Auch aus Solidarität mit der zu Tode gekommenen Ulrike Meinhof besetzen knapp dreißig Gefangene den Knasthof in der JVA Frankfurt-Preungesheim, fordern die Aufhebung von Isolationsmaßnahmen, Wasser- und Nahrungsentzug und auch mit dem zeitlichen Abstand von fast 40 Jahren spürt man beim lesen die Wut und die Kraft, die von den Texten ausgeht.
Eine Wut, die heute, 2014, in dieser Intensität nicht mehr so oft zu erspüren ist, es ist fast so, als wäre ein Großteil der Inhaftierten heutzutage wie betäubt; hierzu beitragen dürfte sicherlich, dass die AnstaltsärztInnen recht großzügig Psychopharmaka verschreiben, denn ein medikamentös ruhig gestelltes Individuum ist ein leicht zu steuerndes und leicht zu führendes. Aber auch die Ablenkungsmöglichkeiten heute sind umfangreicher als noch 1976 (hier wären die Fernseher und Spielekonsolen zu nennen), denn an der Aktualität der damaligen Forderungen kann es nicht liegen.
Auch heute wird bundesweit in Anstalten die Isolationshaft vollstreckt, d.h. völlige Abschottung von anderen Gefangenen und einzig mit dem Personal haben diese Inhaftierten kurzzeitig Kontakt: Wenn man ihnen das Essen durch die Zellenluke reicht oder sie (gefesselt) von der Zelle zu dem alleine zu absolvierenden Hofgang in den Knasthof führt. Nicht weniger unerfreulich die vielfach praktizierte und seit 1976 immer weiter ausgebaute Kleingruppenisolation. So bemängelte in seinem Besuchsbericht das Anti-Folter-Komitee des Europarates vom 18.03.2014, dass die Sicherungsverwahrten in der JVA Freiburg, entgegen gesetzlicher Bestimmungen, in hermetisch von einander getrennten Abteilungen von einander isoliert würden.
Nicht nur in Preungesheim fanden in den 70'er Jahren Revolten statt, auch in Mannheim, Straubing, Hamburg und vielen anderen Knästen – doch seit den 90'er Jahren ist es ruhig geworden in den Verwahr- und Aussonderungsanstalten dieser Republik.
Zwar gibt es immer mal wieder vereinzelt Hungerstreiks, aber kollektive Proteste, auch unterstützt von Menschen vor den Mauern, bleiben singuläre Ereignisse – dabei ist die aktuelle Situation in den Gefängnissen nicht substantiell „besser“ (wirklich „gut“ kann sie in einem Gefängnis sowieso niemals sein), als damals in den 70'ern.
Insofern kann „Alles unter Verschluß“ einerseits historisches Zeugnis sein, ferner erlaubt es einen authentischen Blick hinter die Gefängnismauern (und nur mit wenigen Abstrichen auch Einblick in die Zustände heute).
Andererseits wäre es gut, wenn sich diese Publikation unter Gefangenen, wie Menschen vor den Mauern verbreitet, als Anregung und Aufforderung, aktiv zu werden!
Titel: „Alles unter Verschluß“
Hrsg: ASTA Frankfurt a. M.
erhältlich: nur noch antiquarisch
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
yep
Danke für den Lesetip, Thomas!