Repression in Russland: Murmansker Humanist*innen - ausländische Agent*innen?

Aktivist*innen in Russland stehen seit einiger Zeit unter massivem Verfolgungsdruck durch russische Autoritäten. Mit der "Foreign Agent"- und "Extremismus"-Gesetzgebung wurden Instrumente geschaffen, um staatskritische, aber auch sonst die politischen Machthaber*innen störende, Organisationen und Bewegungen zu unterdrücken und auszuschalten. Legale Organisationen werden in diesem Kontext de facto verboten, wenn sie als "Foreign Agent" (ausländische Agenten) eingeordnet werden, denn ihre Weiterarbeit ist unter diesem Umständen so gut wie unmöglich. Mit schwammigen Extremismus-Anklagen werden auch Einzelpersonen, die sich kritisch geäußert haben, mit mehrjährigen Haftstrafen bedroht, und quasi von der Bildfläche entfernt. Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sowie andere fortschrittliche Organisationen sollen als Spione gebrandmarkt und öffentlich diskreditiert werden.

 

In diesem Beitrag geht es um die kürzlich bekanntgewordene "Foreign Agent"-Anklage gegen die Murmansker Menschenrechtsorganisation "Humanistische Jugend-Bewegung" (GDM).

 

Am 1. Mai führte die Bezirksstaatsanwaltschaft nach Aufforderung des FSB in Murmansk eine Prüfung der regionalen Organisation "Humanistische Jugend-Bewegung" (GDM - Гуманистическое движение молодежи) durch. Im Ergebnis wurde Anklage erhoben, um feststellen zu lassen, dass GDM durch Unterlassung gegen geltendes Recht verstoßen habe, was sich dadurch ausdrücke, dass die Organisation sich nicht als "Foreign Agent" registriert hat, und um die Menschrechtsorganisation zu verpflichten dies jetzt nachzuholen.

 

Als wichtigstes Argument dafür, dass die Organisation politischen Aktivitäten nachgeht, wird das Projekt "Jugend für Menschenrechte-Zeitung" genannt. Diese Zeitschrift sei einem sprachwissenschaftlichen Experten zufolge voller versteckter Botschaften und Aufforderungen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, und verletze die Integrität der Russischen Föderation. Die Artikel zu Folter und unmenschlicher Behandlung diffamierten die Polizei und beeinträchtigten deren Ruf. Es ist verwunderlich, dass ein Linguist sich die Freiheit und Expertise herausnimmt festzustellen, "... die 'Humanistische Jugend-Bewegung' ist ein ausländischer Agent."

 

GDM führt vor allem Bildungsarbeit zu verschiedenen Themen, Festivals und eine Sommerakademie zu selbstorganisierter Bildung durch. Die Organisation hat nie öffentliche Aktivitäten wie Demonstrationen oder Mahnwachen organisiert. Die bekanntesten der von GDM initiierten oder unterstützten Projekte sind das Festival "Dialog der Kulturen", "Days of German Cinema" und die Schulausstellung "Anne Frank. Die Lehre der Geschichte".

Die Ziele der Organisation sind:

  • Vermittlung humanistischer moralischer Werte an die Jugend.
  • Förderung der aktiven Bürgerschaft junger Menschen, rechtliche Bildung und Jugendbildung. Stärkung des Bewusstseins für soziale Verantwortung.
  • Stärkung der öffentlichen Rolle und sozialen Bedeutung von Jugend.
  • Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses zwischen jungen Menschen aus verschiedenen Ländern.
  • Aufklärung für Toleranz, Freiheit und die Rechte des Einzelnen, andere Weltsichten und Lebensweisen.

 

GDM hält kritisches Denken und die Verbreitung von Informationen über Menschenrechte, wie sie verletzt werden und wie sie zu schützen sind, für wichtig. Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, waren eines der wichtigsten Angriffsziele der "Foreign Agents"-Gesetzgebung.

 

Das Datum der Verhandlung ist derzeit nicht bekannt. Ein*e Anwält*in wird gesucht.

 

Mehr Infos: Soli-Kampagne für russische Aktivist*innen

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Der erste Verhandlungstag ist für den 16. Juni 2014 um 10.30 Uhr angesetzt.

Hier ist das Titelbild der Menschenrechtszeitung, das in der FSB-Expertise als Beweis dafür herangezogen wurde, dass zur "gewaltsamen Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung aufgerufen und die Integrität der Russischen Föderation geschädigt" werde. Bei dieser Grafik handelte es sich um eine satirische Auseinandersetzung mit Menschenrechten.

 

http://gruenes-blatt.de/images/e/e6/YouthHumanisticMovement.jpg

 

Der Slogan im Vordergrund lautet "Freiheit!!!".

Die weiteren Banner im Bild besagen: "Jeder Roboter ist gleich", "Keine Erhöhung der Maschinenölpreise", "R2D2 + C-3PO = LIEBE. Für die Legalisierung interdroidischer Ehe", "Ich bin ein Roboter, keine Propaganda", "Roboter sind auch Menschen", "Cyborgs sind nicht schlechter als Androiden", "Stoppt Robophobia", "Holt Moonwalker zurück", "Künstliche Intelligenz - natürliche Rechte", "Qualität von Mikrochips garantieren"

Heute fand in Murmansk der erste Prozesstag statt, und war schon nach kurzer Zeit zuende. Grund: das Justizministerium (eigentlich zuständig für die Registration von als "Foreign Agent" gebrandmarkten NGOs) widersprach der Auffassung von FSB und Staatsanwaltschaft, dass es sich bei GDM um einen "Foreign Agent" handelt. Die Staatsanwaltschaft hat sich daraufhin eine Vertagung erbeten, um seine Prozessstrategie zu überarbeiten.
Einem russischen Menschenrechtsbeobachter zufolge ist das der erste Fall, in dem das Justizministerium eine solche Position in einem Prozess zur Erzwingung des Status "Foreign Agent" bezog.
Der nächste Prozesstermin findet am 8. Juli 2014 um 15.30 Uhr im Amtsgericht Murmansk, Leninprospekt 2, statt. Die Verhandlung ist öffentlich.

Es gibt jetzt auch eine Soli-Seite mit Hintergrundinformationen, Fällen betroffener NGOs, Medienspiegel und Möglichkeiten zur Unterstützung: http://russlandantirep.blogsport.de

Heute wurde der Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung im "Foreign Agent"-Verfahren gegen die Humanistische Jugendbewegung (GDM) mitgeteilt. Sie wird am 10. September 2014 am Amtsgericht in Murmansk stattfinden. Bis dahin soll ein neues "psychologisch-linguistisches Gutachten" von Texten aus der von GDM herausgegebenen "Jugend für Menschenrechte Zeitung" erstellt und ins Verfahren eingeführt werden. Das erste, vom "Zentrum gegen Extremismus" beauftragte Gutachten der Anklage war so offensichtlich tendenziös gewesen, dass Richterin Zemtsova eine Verurteilung damit wohl nicht begründen will und es selbst als zweifelhaft bezeichnete. Dass weder die ablehnende Stellungnahme des für das "Foreign Agent"-Register zuständigen Justizministeriums, noch das von der Verteidigung beauftragte wissenschaftliche Gegengutachten von ihr als Grundlage für einen Freispruch genutzt wurden, deutet ein weiteres Verfolgungsinteresse zumindest an.

Die Pausierung des Gerichtsprozesses wurde jetzt bis 25. September verlängert, weil das neue vom Gericht beauftragte psychologisch-linguistische Sprachgutachten nicht in der angesetzten Zeit fertiggestellt werden konnte.