Am Montag, den 9. März wurde im zerstörten palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared im Nordlibanon der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Bei der von der libanesischen Regierung und der UNRWA inszenierten Zeremonie fehlten allerdings die Hauptpersonen: die betroffenen, obdachlosen Flüchtlinge.
Seitdem das Flüchtlingslager vor eineinhalb Jahren in einem mehr als dreimonatigen Krieg zwischen der libanesischen Armee und der islamistischen Gruppe Fatah al-Islam völlig zerstört wurde, leben viele der ehemaligen EinwohnerInnen Nahr al-Bareds in provisorischen Unterkünften, in Containern, bei Verwandten, in Garagen oder ihren zerstörten Häusern. Der Kern des alten Flüchtlingslagers wurde in den letzten Monaten teilweise vom Schutt befreit, bleibt aber für die Flüchtlinge nach wie vor unzugänglich. Immer wieder wurde die Räumung der Ruinen und der Start des Wiederaufbaus hinausgeschoben - zum Ärger vieler Flüchtlinge, deren Hoffnung, je wieder in das Flüchtlingslager zurückzukehren, von Tag zu Tag schwand. Am 9. März nun wollte man jegliche Zweifel am Wiederaufbau aus dem Weg räumen.
Am Montagmorgen fand im für die Bevölkerung unzugänglichen „alten Camp„ die Grundsteinlegung statt, an welcher beschützt von libanesischer Armee und dem Geheimdienst vor allem libanesische und palästinensische PolitikerInnen und VIPs teilnahmen. Khalil Makkawi, der dem „Libanesisch-Palästinensischen Dialog-Komitee“ (LPDC) vorsteht, lobte die PalästinenserInnen für ihre „Geduld“ und betonte, es sei „ihr Glaube und ihre Solidarität“ gewesen, welche sie über die „schmerzliche Situation„ hinweggehoben hätte. In dieselbe Kerbe schlug auch Abbas Zaki, seines Zeichens Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde im Libanon.
Bis zu den Flüchtlingen gelangte dieser zynische Dank leider nicht. Zur Zeremonie eingeladen wurden nämlich bloss verschiedene NGO-VertreterInnen, unkritische JournalistInnen, DiplomatInnen und ein paar palästinensische Eliten. Die ehemaligen BewohnerInnen des Camps blieben aussen vor, hinter Stacheldraht und streng bewacht von libanesischen Soldaten. Sie durften entlang der Hauptstrasse Spalier stehen, als die Limousinen der wichtigen Leute zur Zeremonie eintrafen. Einige Flüchtlinge liessen sich aber nicht disziplinieren und hoben Plakate in die Luft, auf denen sie gegen den geplanten Bau einer Armee- und Marinebasis mitten im Camp und die Abschottung Nahr al-Bareds protestierten. Selbst Slogans wurden gerufen - u.a. gegen den Präsidenten der palästinensischen „Autonomiebehörde“, Mahmoud Abbas. Manche versuchten, in den abgesperrten Bereich vorzudringen - sie wurden von Soldaten geschlagen und schliesslich von Schützenpanzern zurückgedrängt.
Die Reden Makkawis, Zakis sowie des libanesischen Informationsministers Tarek Mitri und der Generalkommissarin der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees), Karen Abu Zayd, enthielten nichts Substantielles. Einmal mehr wurde behauptet, dass das einzige Problem hinsichtlich des Wiederaufbaus die mangelnde Spendenfreudigkeit der Geberländer sei.
Nach wie vor können jedoch nicht alle BewohnerInnen Nahr al-Bareds die Checkpoints passieren und ins „neue Camp“ ziehen. Die Abriegelung des Camps durch die libanesische Armee verhindert einen grossen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten der Flüchtlinge. Vorfreude auf dieses neue Modell „palästinensisch-libanesischer Zusammenarbeit“ ist unter den Flüchtlingen noch nicht ausgebrochen.
Auch die politische Dimension des Wiederaufbaus wurde nur in Nebensätzen erwähnt. Die libanesische Regierung hat nämlich mittlerweile das Land, auf dem zu Beginn der 1950er-Jahre das Flüchtlingslager gebaut wurde, von den einstigen privaten libanesischen BesitzerInnen übernommen. Nahr al-Bared wird - sollte es wirklich je wieder aufgebaut werden - unter ausschliesslicher libanesischer Kontrolle stehen und, wie seit dem Krieg von Seite der libanesischen Regierung immer wieder erwähnt wurde, als Vorbild für die anderen Camps im Libanon dienen.
Hintergrundberichte aus Nahr al-Bared:
Januar 2009
Mai 2008
November 2007
Doppelter Geschmacklosigkeit
Die Geschmacklosigkeit, den Aufbau eines Flüchtlingslagers ohne die Flüchtlinge zu feiern - geschenkt. Viel geschmackloser finde ich es, das Flüchtlichslager überhaupt wieder aufzubauen, anstatt Menschen, die seit Generationen im Libanon in Flüchtlingslagern verharren, endlich eine Perspektive außerhalb der Lager zu geben.