2014 - Here we are now!

Recht auf Stadt / Marburg

Wir begreifen diesen Text dabei als Aufschreiben, Beschreiben, Reflektieren und Vermitteln eigener Aktivitäten und Strategien, aber auch und gerade als Aufforderung und Anstoß an Andere dies auch zu tun und sich zu Wort zu melden, um in Interaktion und Vernetzung zu treten. Außerdem schlagen wir den BUKO am letzten Mai-Wochenende in Leipzig als gemeinsamen Ort einer Bewegung in den Kinderschuhen vor6.

 

Wir jedenfalls wollen Teil einer neuen Hausbesetzungsbewegung sein!“

Mit diesen als Warnung zu verstehenden Worten endet eine im Februar erschienene Erklärung der Initiative communal<<west, in der sie die vergangenen Aktivitäten zur Durchsetzung selbstverwalteter Räume in der neoliberalen Stadt Frankfurt reflektieren1.

Und das diese Warnung in Frankfurt ernst gemeint ist, haben wir erst vor Kurzem gesehen2.

Mit Bewegung verbinden wir3 Kommunikation, Austausch, Vernetzung und auch mal das lesen eines 5-seitigen-Textes.

Hier also eine durchaus als Aufforderung zur Kommunikation zwischen Städten, Initiativen und Einzelpersonen zu verstehende Antwort aus Marburg. Eine Antwort aus dem 80.000 Einwohner*innen-Dorf gen vermeintliche Metropole. Eine Botschaft aus dem Einfallstor ins hessische Hinterland, nach Innen, nach Außen und an die Vielen dazwischen.

In Marburg ackern wir seit Mitte 2012 an der Verschiebung von Kräfteverhältnissen zum Thema Wohnraum, sowie an der Schaffung eines Sozialen Zentrum als Ort spektrenübergreifender Begegnung und Politisierung. Wir sind der Meinung, dass in Marburg ein Ort fehlt, den diverse linke Strömungen als ihren kollektiven Raum begreifen, auch als Synergien erzeugende Schnittstelle zwischen anpolitisierten sog. Bauchlinken, älteren Genoss*innen, Teilen der Stadtgesellschaft, linksradikalen Aktivist*innen und vielen anderen Menschen; als kollektiver Ort in Zeiten neoliberaler Vereinzelung.

Vor gut einem Jahr öffneten wir dafür im Februar 2013 die Türen der alten Fronhofschule. Das villenartige, ehemalige Schulgebäude, wurde wenige Monate zuvor von städtischem in privates Eigentum an den Meistbietenden überführt. Für die Villa „Aller die nicht einverstanden sind“ kamen wir also zu spät. Die Besetzung war deshalb nicht auf Dauer geplant, sondern vielmehr als Schrei im rumorenden Diskurs um unbezahlbaren Wohnraum an diesem eindrücklichen Exemplar laufender Stadtentwicklung. Drei Tage und zwei Nächte nahmen wir uns Raum für Diskussionen, Lesungen, Kennenlernen, Vernetzung, zu wenig Schlaf und eintrittsfreier Feierei.

Neben der Schwierigkeit dem Verlangen nach selbstverwalteten Räumen aufgrund des medialen Abgehens auf das Thema Wohnraum Gehör zu verschaffen, gelang es uns außerdem (noch) nicht die entstandene Welle zu surfen. Gründe dafür waren einerseits die typischen, teils identitären, Auseinandersetzungen innerhalb einer hier sehr engen linksradikalen Szene. Andererseits gelang es uns nicht Strukturen zu schaffen, in denen diverse Ansätze miteinander oder zumindest nebeneinander agieren konnten. Das Restwasser versickerte im Sande der Semesterferien, deren Strände in einer Stadt, in der jede*r fünfte Bewohner*in an der Universität eingeschrieben ist, jedes halbe Jahr aufs Neue eine Herausforderung für kontinuierliche Politik darstellen.

Was blieb war neben der Erfahrung kollektiver Selbstermächtigung und der Schaffung eines Anknüpfungspunktes für weitere Aktivitäten vor allem aber die Erkenntnis an der richtigen Stelle zu wühlen. Dies zeigten nicht nur überregionale Aufmerksamkeit oder der Zuspruch aus der alteingessenen Marburger Linken, sondern vor allem auch die positiven Reaktionen aus der Nachbarschaft und den Menschen, mit denen wir auf der Straße ins Gespräch kamen.

Es gelang uns außerdem eine kleine, erste Verschiebung in Richtung der für zukünftige Recht-auf-Stadt-Kämpfe wichtigen Legitimation von Hausbesetzungen, welches auch auf die Offenheit derselbigen zurückzuführen ist. Offen im Sinne von offener Tür, einem offenen Brief an die Stadtgesellschaft, einem permanenten Infostand vorm Haus sowie ein offener Umgang mit der Presse fern vom klassisch-autonomem Habitus. All dies trug seinen Teil zu wohlwollenden Reaktionen und damit verbundenem Gehörtwerden bei.

Vor allem aber ist der eklatante Mangel an bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum gerade in der Innenstadt als zentraler, erfahrbarer und aufgreifbarer Widerspruch im Selbstbild der Hier-ist-die-Welt-noch-in-Ordnung-Unistadt zu beschreiben. Auch in der rot-grünen Öko-Hochburg steigen seit Jahren die Mieten, Sozialbindungen von Mietpreisen laufen kontinuierlich aus und Neubauten folgen in Gestaltung und Preis dem Profitinteresse privater Investitionen. Es verschärft sich die bereits vor dem neoliberalen Turn produzierte klassistische und rassistische Segregation und auch in Marburg werden Menschen zwangsweise aus ihren Wohnungen geschmissen, weil sie die scheiß Miete nicht mehr zahlen können. Das Bahnhofsviertel, die Marburger Nordstadt, ist seit 2004 Sanierungsgebiet mit dem Ziel die Gebäudeerträge sowie das Image der Stadt zu optimieren, was dort zu städtisch eingeleiteten Gentrifizierungsprozessen führt.

Die rot-grüne Stadt-Regierung reagierte auf die sich an diesen Zuständen zunehmend stoßende Kritik aus Teilen der Stadtgesellschaft mit einem Runden Tisch „Preiswerter Wohnraum“, allerdings erst nachdem sie dazu aufgefordert worden war. Dieser ist allerdings als versuchte Integration diverser städtischer Akteur*innen und deren Wissen und Ressourcen in das marktkonforme Flicken der Problemlage zu verstehen. Auch wir gingen nach mündlicher Einladung mal hin, hörten uns das stundenlange Gerede des Oberbürgermeisters an und legten ein paar Monate später auf unsere Art und Weise den Finger erneut in die Wunde.

Exakt in der sukzessive aufgewerteten Marburger Nordstadt besetzten wir Ende Juli 2013 das seit über einem Jahr leerstehende, universitäre Gebäude der Alten Augenklinik mit einer der Form nach vergleichbaren Art und Weise wie die Alte Fronhofschule. Die erneute Erfahrung der praktischen Aneignung und Gestaltung von Raum wurde am vierten Tag gewaltsam durch die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Polizei aus Lich beendet, nachdem die Universitätsleitung trotz vorhandener Kommunikationskanäle überraschend Strafanzeige gestellt hatte. Kurz nach der Räumung verfassten wir eine ausführliche Stellungnahme.4

Mit der Schaffung der (T)Raumklinik betraten wir eine neue Eskalationsstufe, da einige der Besetzer*innen kamen um zu bleiben, sowie eine siebentägige Veranstaltungsreihe zur Frage „Wem gehört die Stadt?“, die vorerst mit ins Gebäude einzog und nach der Räumung größtenteils im öffentlichen Raum stattfand.5

Sicherlich lässt sich retrospektiv darüber streiten, ob es sinnvoll gewesen wäre sich frühzeitig auf einen Trakt des riesigen Gebäudes zu konzentrieren, um die Forderung nach einem Sozialen Zentrum in diesem Gebäude tatsächlich vermitteln und so Druck diesbezüglich aufbauen zu können. Außerdem hatten wir auf mehr Menschen gesetzt, die sich aktiv in die Besetzung einbringen werden. Das es dazu nicht kam, hat neben dem guten Wetter, der Klausurenphase und beginnender Semesterferien, sowie ein mit der Größe des Gebäudes verbundenes Unsicherheitsgefühl, wohl auch seine Gründe in der Uneinigkeit darüber, was genau mit der Besetzung beansprucht wird. Daraus resultierten nicht nur anstrengende, stundenlange Plena, sondern auch das Fehlen eines klaren Konzeptes, entlang dessen Menschen mit weniger Energie, Zeit und Szenezugang, sich möglicherweise leichter hätten einbringen können.

Trotzdem gelang mit der Besetzung die erneute Thematisierung und Politisierung der Wohnraumfrage über die Stadtgrenzen hinaus, sowie die Generierung eines Momentes des Aufbegehrens, der kollektiven Tat und ein daraus entstehendes Selbstbewusstsein, welches es bei einer derart direkten Aktion als wichtiges Element zu unterstreichen gilt, auch weil es Energien für mehr freisetzen kann.

Die Lokalzeitung widmete sich auch dank des Sommerlochs und eines festen Presseteams unsererseits mehrere Tage auf deren Titelseite der Besetzung, wobei die Wohnraumfrage erneut der Forderung nach einem Sozialen Zentrum im Diskurs außerhalb der eigenen Szene keinen Platz ließ. Selbige Szene zog allerdings nach der Räumung unüblich geschlossen und lautstark durch die Marburger Innenstadt: Kein Tag Ohne! Ein wichtiges und kämpferisches Erlebnis des Für-Einander-Da-Sein. Thanks Again!

Das erneut an der richtigen Stelle gewühlt wurde, zeigte sich auch in der breiten Solidaritätsbekundung mit den von Strafanzeigen betroffenen Besetzer*innen weit über das eigene Spektrum hinaus, welche sich unter anderem in über 500 Unterschriften unter die letztlich erfolgreiche Forderung nach Rücknahme der Strafanzeigen äußerte. Selbst das Stadtparlament rang sich beinahe einen Zuspruch zur Aktion ab und zeigte dabei auf, das ein Ignorieren, Wegreden oder Delegitimieren, auch seitens der städtischen Politik, sich nicht im Rahmen des politisch Vertretbaren bewegte.

All dies zeigt, dass es durchaus möglich ist, in Marburg (und möglicherweise auch anderswo) Hausbesetzungen angesichts der aktuellen Wohnraumfrage und den damit verbundenen Diskurs über Wohnungsnot, als legitimes Mittel der Auseinandersetzung,, in relativ breite Kreise des sozialdemokratischen und sozialliberalen Lager zu vermitteln. Es scheint vielmehr eine Frage der Form statt des konkreten Inhalts (Nutzung von nicht-genutzten Eigentum) zu sein. Hier plädieren wir für Bunt und Offen, auch wenn wir uns darüber bewusst sind, dass dies in einer hessischen Kleinstadt mit weniger Risiken verbunden ist, als beispielsweise in der Polizeistadt Frankfurt.

Nach einer fetten Nacht-Tanz-Demo zum Semesterstart arrangierten wir, anknüpfend an den mit der Besetzung der Alten Augenklinik verbundenen Schrei und Riss im städtischen Hausfrieden und das daraufhin entstandene Gehör, zusammen mit Teilen der kritischen Stadtgesellschaft ein paar Monate später eine überraschend gut besuchte Podiumsdiskussion zur Frage „Wem gehört die Stadt? Eine soziale Frage“. Knapp 100 Menschen drängten sich im Saal, wobei die Brisanz nicht nur darin lag, dass der Fraktionsvorsitzende der regierenden SPD es für nötig hielt, sich zu Wort zu melden und dabei scheiterte, die eigene Politik zu verteidigen; brisant nicht nur weil diverse Perspektiven auf Stadt – bspw. von Erwerbslosen, Rentner*innen und Menschen mit Behinderungen - miteinander ins Gespräch kamen und wir zaghaft radikale Positionen und Perspektiven einwerfen konnten; brisant war vor allem die Einigkeit darüber, dass es organisierte außerparlamentarische Aktivitäten bedarf, um tatsächlich etwas verändern zu können.

Daran anknüpfend organisierten wir für den 1. März in bewusster Abgrenzung zum Runden Tisch der Stadt das Forum: „Eine Stadt für Alle – Ein Alternativer Runder Tisch“ mit der Intention, unterschiedliche Betroffenheiten und Perspektiven erneut zusammenzuführen, Probleme zusammenzutragen und gemeinsames Handeln auszuloten. Letztlich gelang uns dabei erneut der Sprung aus der eigenen Studi-Blase.

Anzumerken ist dabei aber auch, dass sich in der eigenen, linksradikalen Szene wenig bis keine Begeisterung für das Forum erzeugen ließ.

Wir erkennen dabei an, dass es für Menschen mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen schwieriger ist, die eigenen (Schutz-)Räume zu verlassen. Allerdings erscheint uns viel eher die Vorstellung, dass es keinen Sinn mache, die eigene Perspektive mit Menschen (vermeintlich) außerhalb des linksradikalen Meinungsspektrums zu teilen und mit diversen Ansichten ins Gespräch zu kommen, als bei Vielen relevanteres Hindernis. Dem entgegen schmückt man sich sonst gerne damit, verschiedene Betroffenheiten und nicht-akademische Standpunkte anzuerkennen. Diesen tatsächlich aber mal zu lauschen und Fragen zu stellen, dafür scheint leider oft keine Zeit oder Muse.

Bei der Podiumsdiskussion, ebenso wie beim Forum, vertiefte sich für uns die Erkenntnis, dass es gerade Menschen außerhalb der eigenen Szene sind, die ein enormes Wissen über die konkreten städtischen Verhältnisse und lokale Entwicklungen haben, welche wir in unsere oft abstrakt bleibende Analyse integrieren müssen. Dies müssen wir dabei nicht nur, um radikale Kritiken anschaulicher und anhand erfahrbarer Realitäten vermitteln zu können, anstatt mit Ausführungen über G-W-G’ in die Tür zu fallen bzw. vor dieser liegen zu bleiben. Dies müssen wir auch und gerade, um die eigene Analyse und Perspektive zu vertiefen, auszuweiten, sowie zu differenzieren.

Gerade im Kontext segregierter Städte sowie der Kontrolliertheit und Exklusivität von Räumen, ist die Schaffung von Orten des Austausches von unterschiedlichen Akteur*innen angesichts vielschichtiger Positionen in Stadt und Raum notwendig und ein wichtiges Erkenntnisinstrument, wobei sich gleichzeitig vielfältige Reibungspunkte ergeben.

Ausgehend von dem zu bekämpfenden Diskurs, dass es in Marburg die Studierenden seien, die aufgrund deren Zuzog die Verantwortung für steigende Mieten und Verdrängung tragen, wollen wir an dieser Stelle auch Kampagnen wie „Studis-gegen-Wohnungsnot“ kritisch hinterfragen, da wir der Meinung sind, dass diese die Gefahr beinhalten, bereits Sichtbares nur weiter in den Vordergrund zu stellen, letztlich eigene Privilegien auf Kosten anderer Betroffenheiten zu verteidigen und wenig bis keine Anknüpfungspunkte für andere Erfahrungen zu bieten.

Wichtig ist dabei auch die Feststellung, dass uns in Marburg mit den vergangenen Recht-auf-Stadt-Aktivitäten zunehmend der Sprung aus rein studentischen Kreisen gelingt, der dadurch entstehende Raum jedoch weiterhin ein weiß-und-deutsch dominierter ist, was es in Zukunft zu bearbeiten gilt.

Sollte es zukünftig gelingen, sich geeignete Räume für ein Soziales Zentrum anzueignen, ist es unserer Meinung nach wichtig, darauf zu achten, dass diese auch wirklich von Menschen genutzt werden können, die bisher einen schwierigen Zugang oder einfach kein Interesse an Szeneräumen haben. Wir träumen dabei von Räumen, in denen Menschen aus verschiedenen Kontexten an einem Ort zusammenkommen, sich kennenlernen, voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen, miteinander streiten, sich austoben und organisieren können.

Da in uns die Erkenntnis wächst, dass es für eine bessere Gesellschaft notwendig ist, mit unterschiedlichen Akteur*innen und sozialen Gruppen neue, gemeinsame Räume zu schaffen und zu erfahren, wollen wir dafür das zuhören und zugehen lernen, anstelle Dieselben immer wieder vergeblich in die eigenen, exklusive Räumen einzuladen. Der Versuch, solche Zwischenräume als Gegenbewegung zur hierarchischen Gesellschaft und deren segregierter Stadt im Hier-und-Jetzt immer wieder zu öffnen, ist uns also ein wichtiges Anliegen, dessen Ausdruck bspw. auch das Forum „Eine Stadt für Alle“ war.

Was aus dem Forum folgt, ist zunächst eine gemeinsame, vierseitige, Abschlusserklärung, in der die diversen identifizierten Probleme in Bezug auf Stadt und Raum benannt werden, sowie die Formierung eines Recht-auf-Stadt-Bündnis. Zum ersten und den folgenden Treffen luden dabei nicht mehr wir, sondern eine im Stadtteil „Richtsberg“ - ein Stadtteil, in dem viele Menschen mit geringerem Einkommen leben - fest verankerte Initiative, in deren Räume ein. Ein Schritt raus aus der eigenen Isolation oder anders herum: Ein Teil derjenigen Akteur*innen, welche in der Vergangenheit vor allem mit der städtischen Politik eng zusammenarbeiteten und teilweise in den Runden Tisch der Stadt integriert sind, schmieden nun, zugespitzt formuliert, mit uns linksradikalen Hausbesetzer*innen ein neues Bündnis „Für ein Recht-auf-Stadt“.

Es ist Ausdruck bereits verschobener Kräfteverhältnisse, wenn wir als Akteur*innen anerkannt, nicht wegzudenken oder gar zu ignorieren sind. Vielmehr wird es - aufgrund der bisher von uns geschaffenen Räume - als möglicher oder gar notwendiger Weg betrachtet, mit uns gemeinsam Nadeln zu setzen, wobei Raum und Gehör für linksradikale Kritiken und Interventionen entsteht.

Ein Beispiel gefälligst? Während des Forums kamen wir über die Forderung nach einem Sozialen Zentrum ins Gespräch und erfuhren dabei, von Neugier und großen Fragezeichen bis hin zum Einbringen von nicht bedachten Ideen, diverse Reaktionen, die letztlich darin mündeten, dass die Forderung eines Sozialen Zentrums ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Abschlusserklärung ist und somit endlich breiter vernommen wird. Auch Hausbesetzungen werden in selbiger Erklärung als Mittel der Auseinandersetzung genannt, ebenso wie die beschissene Situation von refugees zumindest Erwähnung findet. Außerdem fordert die gemeinsame Erklärung auch die Legalisierung des Marburger Wagenplatzes „Gleis X“. Die den laufenden Debatten zugrunde liegende Erkenntnis, dass es außerparlamentarische Aktivitäten sind, die Veränderungen in Gang bringen können, ist dabei ebenfalls nicht zu unterschätzen und nicht von der gelungenen Politisierung der Wohnraumfrage durch die zwei im letzten Jahr geschehenen Hausbesetzungen zu trennen.

Trotz dieser momentan positiven Einschätzung ist es wichtig, sich stets die Gefahren von Vereinnahmung und ein Abdriften in ein in Bezug auf grundsätzliche Veränderungen notwendig erfolgloses Abstrampeln in institutionellen Arrangements vor Augen zu führen und kommende Schritte dahingehend zu überprüfen.

Wir als (T)Raumklinik setzen deshalb mit unseren internen Arbeitsgruppen „Veranstaltungen“, „Soziales Zentrum“, „Kreatives“ und „Stressmelder“ auf eine gewisse Erdung und zwar einerseits in Form von inhaltlich-theoretischer Auseinandersetzung, einer kleinen Militanten Untersuchung zu Raumbedürfnissen, direkten Stadtverschönerungs-Aktionen, sowie andererseits auf konkrete Soli-Arbeit mit Menschen, die Stress mit ihren Vermieter*innen haben. In Bezug auf Letzteres kommen bisher nur zaghaft eher bereits bekannte Menschen auf uns zu. Dabei zeigt sich aber für uns im Austausch mit Betroffenen, dass politisch-solidarische Unterstützung und Beratung und der Mieterrechtsbund zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Auch ist zukünftig geplant zusammen mit betroffenen Mieter*innen offensiv mit deren Problemen an die Öffentlichkeit zu treten, um so den Handlungsspielraum für Vermieter*innen sukzessive zu verringern. Außerdem schätzen wir im Falle von Zwangsräumungen, falls wir von solchen erfahren sollten, die Chance für eine starke „Zwangsräumung Verhindern“ - Kampagne gerade als hoch ein.

Dies hat dabei neben den beschriebenen lokalen Aktivitäten auch etwas mit dem Schwung zu tun, der aus anderen Städten hier ankommt. Selbiges gegenseitiges Anstoßen trifft dabei auch auf die vergangenen zwei Hausbesetzungen in Marburg zu, die auch von den Besetzungen in Frankfurt motiviert waren.

Dementsprechend inspiriert uns just die sich anbahnende erneute Welle von Besetzungen in Frankfurt, aber vor allem die hier geschaffene gute Ausgangsposition dazu, erneut mit dem Gedanken von Hausbesetzungen zu spielen.

Weitergehend wollen wir die Frage stellen, wie es denn wäre, wenn zukünftig in 2,3,4,5 Städten gleichzeitig, am selben Tag, Hausbesetzungen geschehen, sich aufeinander beziehen und wir uns möglicherweise auf diese Art und Weise tatsächlich Räume aneignen können?

Wir begreifen diesen Text dabei als Aufschreiben, Beschreiben, Reflektieren und Vermitteln eigener Aktivitäten und Strategien, aber auch und gerade als Aufforderung und Anstoß an Andere dies auch zu tun und sich zu Wort zu melden, um in Interaktion und Vernetzung zu treten. Außerdem schlagen wir den BUKO am letzten Mai-Wochenende in Leipzig als gemeinsamen Ort einer Bewegung in den Kinderschuhen vor6.

 

Das Recht auf Stadt begreifen wir dabei als mögliche Klammer für antikapitalistische, feministische, antirassistische und weitere Kämpfe, welche die Perspektive eröffnet, diverse Analysen mittels der Frage nach Raum zusammen zu denken und so die Kämpfe tatsächlich miteinander in Bewegung zu bringen. Wir betrachten es dafür als wichtig, folgende Fragen zu stellen, zusammen zu fügen und zu durchqueren: Wer kann wo und warum unter unter welchen Bedingungen wohnen? Wer kann sich wie, wohin, wie und warum bewegen? Wer fühlt sich wie und warum in welchem Raum und wer kann diesen wie und warum gestalten?

Im Sinne eines Recht auf Stadt, verstanden als Recht auf Zentralität, gilt es auf allen Ebenen Orte und Räume zu schaffen, in denen sich Unterschiede kennen(-lernen), sich anerkennen und erproben, sich ausprobieren, sich bestätigen und aufheben.

Grundsätzliche Veränderungsprozesse entstehen einerseits aus Anstrengungen bezogen auf unseren Alltag, sowie durch direktes Eingreifen in den Normalbetrieb und andererseits durch die Vermittlung und Ausweitung emanzipatorischer Positionen in der Gesellschaft sowie den Aufbau realer Durchsetzungsfähigkeit gegenüber entgegengesetzten Interessen.

Im Kontext von Stadt bedeutet dies für uns den Aufbau und das Leben alternativer Wohnformen und Räume, die Verhinderung von Zwangsräumungen und das Besetzen von Häusern ebenso wie das Sich-Organisieren in Bündnissen über den eigenen Tellerrand hinaus, zur Sichtbarmachung radikaler Positionen, zur Ausweitung konkreter Handlungsfähigkeit und zum Aufbrechen des brüchigen Hausfriedens.

Wir lernen gerade erst das Laufen und vernehmen neben, hinter und vor allem vor uns weitere, viele kleine und große Schritte. Wir fragen: Wer ist da, wohin wollt ihr und können wir nächste Schritte zusammen gehen?


Here we are now – entertain us!7

 

Einige Viele“ aus der Initiative (T)Raumklinik – Für ein Recht auf Stadt / Marburg (Mai 2014)


3 Wir steht im Textverlauf für einen Zusammenschluss von Menschen, die kontinuierlich oder zeitweise in Marburg zum Thema „Recht auf Stadt“ und für die Realisierung eines Sozialen Zentrums arbeiten und sich in dem Wir wiederfinden können und wollen. Somit meint Wir auf viele unterschiedliche Menschen und Perspektiven.

4http://raumklinik.wordpress.com/warum-hausbesetzung/klarstellung-zur-raumung/

5http://raumklinik.files.wordpress.com/2013/07/flyer-veranstaltungsreihe-recht-auf-stadt.pdf

6http://www.buko.info/

7http://www.dailymotion.com/video/x1wcq4_nirvana-smells-like-teen-spirit-1_music