Nichtwähler_innen abermals größte Gruppe bei den EU-Wahlen, in Österreich sank die Wahlbeteiligung gegenüber 2009 nochmals um 6% auf knappe 40%.
GROBE ÜBERSICHT EU-WAHL
In den letzten Tagen gab es in den 28 Mitgliedstaaten EU-Wahlen.
Zusammenfassend kann man über die Entwicklung bei der EU-Parlaments-Sitzverteilung über die beiden größten Parteien - den EU-Christdemokrat_innen und den EU-Sozialdemokrat_innen sagen, dass die Christdemokrat_innen ordentlich verloren haben - fette 7%, und die Sozialdemokrat_innen ein Bisserl gewonnen haben.
Die größten Ausreisser waren Wahlerfolge für die linksradikale Syriza in Griechenland, für die rechtsradikale Front National in Frankreich und die Einbußen für den Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden. In Großbritannien verpassten die Wähler_innen den etablierten Parteien einen rechten Denkzettel. Die Ukip - United Kingdom Independence Party - gewann die Wahlen mit 27,5% und bekam 11 Mandate dazu. In Irland holten von den großen Parteien unabhängigen 27% der Stimmen. Klare Zugewinne gab es wie erwartet für die linke Sinn-Fein-Partei, geführt vom Ex-IRA Mitglied Gerry Adams.
FPÖ UND IHRE MÖGLICHE RECHTE ALLIANZ
De facto schaut es für das angestrebte Bündnis der FPÖ, die über 27% der Stimmen in Österreich bekam, mit der rechten Ukip und der faschistoiden Leg Nord schlecht aus. Die rechtspopulistische Slowakische Nationalpartei SNS hat den Einzug ins EU-Parlament verpasst, so verschlechtern sich die Möglichkeiten für die faschistoide Fraktion EFD - Europa der Freiheit und Demokratie.
NICHTWÄHLER_INNEN ABERMALS GRÖSSTE MEHRHEIT
Bei den Zahlen bezüglich der Wahlbeteiligung ist die Anzahl der Personen schon abgezogen, die Aufgrund des Alters oder des Reisepasses nicht wählen dürfen; Fast 30% der Menschen die in der EU leben, sind nicht Wahlberechtigt. Dunkelziffer wahrscheinlich höher.
Ein Sprecher des EU-Parlaments meinte bezüglich der Wahlbeteiligung von 43 Prozent das es ein "historischer Moment" war, weil der Abwärtstrend gegenüber den vorigen Wahlen gestoppt wurde. Allerdings ist die Wahlbeteiligung weiter auf einem Tiefstand, sie war genau gleich wie 2009, wo auch nur 43% der Wahlberechtigten gewählt haben. Die Wahlbeteiligung an den EU-Wahlen ist seit dem ersten Urnengang 1979 kontinuierlich gesunken: von damals 61,99 Prozent bis auf 43 Prozent 2009.
WAHLBOYKOTT VOR ALLEM IN "ÄRMEREN" STAATEN
Auffällig ist, das die Wahlbeteiligung in den Ländern die am offensichtlich am meisten von der Mitgliedschaft der EU profitieren, am höchsten ist.
Die höchste Wahlbeteiligung gibt es in Luxemburg mit 90% und Deutschland mit fast 48%.
Die Wahlbeteiligung in der Slowakei hat mit 13% ihren historischen Tiefstand erreicht.
Auch die Wahlbeteiligung in Polen ist gerade noch bei 22,7%, und die in Ungarn ist die Wahlbeteiligung von 36% auf 29% gesunken.
Einzig wirklichen merkbaren Anstieg der Wahlbeteiligung von den krisengeschüttelteren EU-Staaten, die unter stärkere Kontrolle der EU gehen mussten, ist in Griechenland zu verzeichnen. In Griechenland gingen 2009 knapp 52% der Wahlberechtigten zur Wahl. Am vergangenen Sonntag waren es jedoch wesentlich mehr. In Griechenland gingen bei der EU-Wahlparlaments-Wahl 2014 über 58% an die Urne, um ihre Stimme vor allem der links-radikalen Partei Syriza zu geben.
SEXISTISCHE DISKRIMINIERUNG BEI EU-WAHLEN UND IM EU-PARLAMENT
Eine der weiteren Diskriminierungen neben Alter und juristische Herkunft die im EU-Parlament in den Himmel stinkt, ist die Anzahl der Frauen die nach Brüssel geschickt werden.
Waren Frauen* 1979 nur zu schockierende 16% im EU-Parlament vertreten, so waren es 2009 bereits 35%. Doch im Detail ist es offensichtlich das selbst Antisexismus im EU-Parlament keine besondere Rolle spielt. Haben Luxemburg und Estland als antisexistisch progressivste Sendung als Spitze noch 50% Frauen, sendeten Malta und Zypern überhaupt keine (!) Frau* ins EU-Parlament. Aus Österreich waren es 2009 auch nicht einmal ein Drittel (28%).
EU-WAHL ERGEBNISSE IN ÖSTERREICH
In Österreich hat nicht überraschend die FPÖ mit fast 8% den größten Zuwachs zu verbuchen. Etwas überraschend ist allerdings schon, dass auch die Grünen 4 Prozentpunkte gegenüber den EU-Wahlen 2009 dazugewonnen haben. Die ÖVP und die SPÖ sind zwar immer noch die stimmstärksten Parteien mit 27 und 24% - die österreichische Volkspartei hat aber fast 3% Verluste eingefahren. Ob das allein an der neoliberalen Partei der NEO`s gelegen ist, die fast 8% erreicht hat, bleibt unklar.
Klar ist jedoch das auch in Österreich die stärkste Kraft jene der Nicht-Wähler_innen war.
WAHLBETEILIGUNG IN ÖSTERREICH UM 6% GESUNKEN
Die Wahlbeteiligung in den österreichischen Städten schwankt von 48,5% in Eisenstadt bis knapp 33% in Salzburg. Durchschnittlich gaben in Österreich 6% weniger Menschen ihre Stimme ab - die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen lag bei ungefähr 40%.
In Tirol gingen am wenigsten Wählen. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung lag in Tirol vor fünf Jahren schon 10% unter dem österreichischen Durchschnitt. Heuer lag die Wahlbeteiligung in Tirol bei einem Bisserl mehr als 31 %.
Die Gemeinde mit der geringsten Wahlbeteiligung war ein kleiner Ort in Tirol - Hippach im Zillertal. Die Gemeinde hat 1400 Einwohner_innen. Die Wahlbeteiligung lag bei ganzen 13,6%.
ABWÄRTSTREND SEIT JAHREN
Nun stellt sich die Frage was Schuld ist an der geringen Wahlbeteiligung. Politikverdrossenheit, Faulheit, Protesthaltung?
Pragmatischere Sachverhalte wie das alle Nichtwähler_innen in Österreich den ganzen Tag noch versoffen und verkatert waren können nicht bestätigt werden. Ganz im Gegenteil, dem lässt sich mit einigen historischen Fakten begegnen.
Bis 1979 galt ein Alkoholverbot vor Wahlen bzw. am Wahltag. So wirklich änderte sich aber an der Wahlbeteiligung dadurch nichts. Bei den Nationalratswahlen 1979 war die Wahlbeteiligung 91,18%. Vier Jahre danach, Bei den Nationalratswahlen 1983 ist die Wahlbeteiligung dann sogar noch auf 91,29 gestiegen. Erst seitdem ist die Wahlbeteiligung kontinuierlich gesunken. Bei den Wahlen nach der Schwarz-Blau-Regierung im Jahr 2002 war der Abwärtstrend kurz gestoppt, 84 Prozent gingen wählen. Seitdem geht es sukzessive bergab mit der Wahlbeteiligung in Österreich; oder anders gesagt - die "Nichtwähler_innen" werden immer stärker. 2008 waren die Nichtwähler_innen mit über 1,3 Millionen Personen bereits die zweitgrößte Gruppe. Bei den Nationalratswahlen 2013 wurden die Nichtwähler_innen in Österreich zur stärksten Fraktion. Fünf Jahre später - bei den Nationalratswahlen 2013 waren die "Nichtwähler_innen" mit 1,6 Millionen die stärkste Gruppe. Die Wahlverweigerung lag bei 25,1%.
Ein anderer möglicher Grund für die geringe Wahlbeteiligung an den EU-Wahlen könnte das Wetter sein. Wenn man sich da das Wahlverhalten in Österreich anschaut, ist es jedoch so, dass weder ausgesprochen warmes Wetter - noch für die Jahreszeit üblich kühles Wetter, für die Wahlmoral sehr förderlich ist. Bei den EU-Wahlen in Österreich 2004 und 2009 war das Wetter relativ kühl. Heuer war dass Wetter bei den Wahlen relativ warm, ein richtiges Badewetter. Die Wahlbeteiligung sank trotzdem um 6 Prozentpunkte auf knapp 40%. Einzige Abhilfe könnte die Schließung der Schwimmbäder an Wahltagen schaffen. Doch wie vorher erwähnt hat auch das Alkoholverbot vor und an Wahltagen in Österreich, das bis 1979 galt, keinen großen Einfluss auf das Wahlverhalten.
GRÜNDE FÜR WAHLBOYKOTT
Dabei sollte klargestellt werden das das Vorurteil gegenüber Nichtwähler_innen - Desinteresse an Politik und Faulheit - so nicht ganz stimmt.
Nach den Nationalratswahlen 2008 wurde eine Umfrage unter 1000 Nichtwähler_innen durchgeführt.
Bei der Umfrage gaben 77% der Befragten an, dass die glauben mit Wahlen nichts verändern zu können.
69% wollten zeigen das Sie von der Politik enttäuscht sind.
Nur die Hälfte sind einfach nicht an Politik interessiert, zu Faul sind nur ein Drittel.
AUSWIRKUNG DES WAHLBOYKOTTS
Aber welche faktischen Auswirkungen hat eine geringere Wahlbeteiligung auf das Wahlergebnis? Oft kommt das Argument das den konservativeren Kräften in den Parlamenten in die Hände gespielt wird. Doch auch das stimmt so nicht ganz. Folgt man der Logik des Wahlverhaltens auf EU-Ebene weiter auf Regionaler Ebene, werden auch hier Tendenzen deutlich. Die Wahlbeteiligung auf EU-Ebene lag vor allem in jenen Staate um die 20 Prozent, die wirtschaftliche offensichtlich weniger von der EU-Mitgliedschaft profitierten als die reicheren und mächtigeren Staaten.
WAHLBOYKOTT VOR ALLEM IN "ÄRMEREN" GEBIETEN
Folgt man dieser Logik innerhalb von Österreich, konkret: schaut man sich das Wahlverhalten in den 23. Wiener Gemeindebezirken an, tritt dort ein ähnliches Verhalten zu Tage. Die Wahlbeteiligung war in den nobleren und - unter Anführungszeichen - reicheren Bezirken höher.
Die höchste Wahlbeteiligung, über 40% hat es im 7./8. und 18./19. Bezirk gegeben. Dort gab es vor allem Mehrheiten und Zugewinne für die Grünen.
Die geringste Wahlbeteiligung gab es im 10./11. Dort profitierten die Grünen, aber vor allem die FPÖ.
Im 15. Bezirk. war die Wahlbeteiligung mit knapp 30% ebenfalls nicht hoch - dort profitierten aber augenscheinlich die Grünen - Sie kamen dort auf 27,2% - einen Zuwachs von über 5%. Die FPÖ gewann gleichzeitig nicht einmal 2% in Rudolfshaus Fünfhaus dazu - während sie in Ganz Österreich fast 8% dazugewonnen hat.
Abschließend lässt sich sagen, dass die EU-Wahlen wie alle anderen Wahlen eine riesengroße Verarsche sind. Die Leute sind aber nicht auf den Kopf gefallen und der parlamentarischen Politikverdrossenheit lässt sich aus einer anarchistischen Perspektive etwas Positives abgewinnen. Vor allem jene die von der herrschenden (EU-)Politik nicht sonderlich profitieren, lassen sich nicht mehr so einfach wie vor 30 Jahren an die Urne abführen.
WEDER EU, NOCH ÖSTERREICH!
FEUER & FLAMME FÜR JEDEN STAAT!
SCHEISS auf die WAHLEN!
unvollständige Linkliste (Kommerzmedien rausgelöscht):
- zum Alkoholverbot vor/bei Wahlen bis 1979 in Österreich
http://www.parlament.gv.at/PERK/HIS/WAHL/REGEL/index.shtml
- Gute Statistik-Seite in Österreich
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/europawahl/2014/Gesamtergebnis.aspx
- Gute Übersicht Grafik/Zahlen
http://euwahl2014.bmi.gv.at
- Sexismus im EU-Parlament
http://www.results-elections2014.eu/en/gender-balance.html
http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/en/00622bc71a/Distribution-of-men-and-women.html
- Statistiken zum "Sozialen Ausschluss", Armutsgrenzen Vergleich Rumänien und Luxemburg
"The amount varies between countries from about EUR 105.8 in Romania to about EUR 1639 in Luxembourg." außerdem können laut Statistik 40,2% der Menschen in der EU unerwartete Ausgaben nicht stemmen.
http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/People_at_risk_of_poverty_or_social_exclusion
- Statistiken Wahlbeteiligung Eu-Weit
http://www.idea.int/vt/countryview.cfm?CountryCode=PL
- internationale Übersicht mit Wahlbeteiligung
http://europedecides.eu/results/lv/
Ausbesserung - bitte Kommentar danach entfernen
Bitte ausbessern: "rechtsradikale Front National" in "rechtsextreme Front National"
und selbstverständlich muß es heißen "De facto schaut es für das angestrebte Bündnis der FPÖ, die über 27% der Stimmen in Österreich bekam,"
"die knapp 20% der Stimmen"
thx!
SUPER!
Und wen interessierts? Ein paar Anarchos? Die Machthabenden sicher wenig, die freuen sich über jeden Nichtwähler. Währenddessen legen rchtspopulistische, rechtskonservative und Faschisten an Parlamentssitzen zu. Ich kanns ja total verstehen dass man den Parlamentarismus komplett ablehnt, aber die derzeitigen Quellen der Macht kampflos den Rechten zu überlassen ist wohl hoffentlich nicht die Lösung. Erzählt es mal einem Flüchtling der dank Frontex am Ersaufen ist dass es angeblich keinen Unterschied macht ob man eine relativ linke oder eine reaktionäre Partei ins EU-Parlament wählt, der wird sich bedanken!
Meine bescheidene Meinung: Begnügt euch nicht mit eurem pseudodemokratischen Wahlrecht, aber nutzt es dennoch!
öh
Die Machthabenden freuen sich über jeden Nichtwähler?
Wie kommst du denn auf den Quatsch?
Bekommst du nicht mit, wieviel Schiss sie davor haben, dass niemand mehr wählen geht?
Für diese popelige Europawahl haben sie Millionen und Abermillionen liegen lassen, um die Leute auf jede denkbare Art zur Wahl zu bringen, und haben es gerade einmal geschafft, dass der Anteil der Nichtwähler gleich geblieben ist.
Zum Artikel selbst noch: Die Wahlbeteiligung in Luxemburg und Belgien ist auch nur so hoch, weil die Menschen dort zum Wählen gezwungen werden.
In Griechenland war parallel Stichwahlen
und zwar Kommunal- und Regionalwahlen, wobei im ersten Wahlgang um die 60% beteiligt wurde.
Daß die Regierungspartei 4% mehr als in Umfragen bekam, lag vielleicht an diesen Schüssen:
http://www.heute.at/eu-wahl/art61667,1021273
Linkswende in Greece
Attiki, also die Provinz in der fast die Hälfte aller Griechen leben, hat nach der Kommunalwahl einen Syriza-Gouverneur. Das ist absolut historisch und wird in den deutschen Medien komplett totgeschwiegen. Auch sonst schnitten die Linken besser denn je ab. In GR gibt es seit Jahren einen starken Linkstrend. Wenn man sich die Wahlergebnisse von vor 10 Jahren anschaut, so gab es damals außer der KKE keine Partei links von der Mitte. Heute gibt es dagegen meherere mit derzeit zusammegenommen weit über 30%. Das hat nicht nur etwas mit Protestwählen zu tun sondern ist ganz klar auf einen Bewusstseinsbildungs- und Politisierungsprozess der letzten Jahre zurück zu führen. Es wurde sehr viel protestiert, gekämpft, informiert & diksutiert und man kann sehr gut behaupten, dass der Griechische Bürger heute zu den politisch Aufgeklärteren in Europa zählt.