Blockupy-Kundgebung in Dresden - “Grenzenlos ist nur ihr Zynismus”

IABG Fuck you

Vom 15.-17. Mai fanden in 13 Ländern Europas unter der Losung “Solidarity Beyond Borders – Building Democracy From Below!” Aktionstage in Vorbereitung auf die Eröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) im kommenden Herbst statt. Das Ziel verschiedener Gruppen und Bündnisse war es, vor den anstehenden Wahlen zum Europaparlament auf die autoritäre Krisenpolitik der Europäischen Union und ihre sozialen Folgen für weite Teile der Bevölkerung aufmerksam zu machen. Dabei ging es auch um bezahlbaren Wohnraum, gerechte Arbeitsbedingungen und die Forderung nach einer “wirklichen Demokratie”.

 

An den vier zentralen Veranstaltungen beteiligten sich gestern in insgesamt vier deutschen Städten mehrere tausend Menschen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams. Anders als in Düsseldorf und Stuttgart (Fotos), wo die Proteste weitestgehend friedlich verliefen, griffen in Berlin (Fotos 1 | 2) und Hamburg (Film) Polizeieinheiten die Demonstrationen gewaltsam an und nahm zahlreiche Menschen vorläufig in Gewahrsam. Am Vortag waren bei einer Kundgebung gegen das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP im belgischen Brüssel rund 250 Menschen von der Polizei festgenommen worden.

 

Push bag IABGAnlässlich der Blockupy-Aktionstage war im Vorfeld auch im Dresdner Stadtteil Klotzsche zu einer Kundgebung vor der dortigen IABG-Filiale aufgerufen worden. Ein Geschäftsfeld der “Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH” ist die zentrale Analyse- und Testeinrichtung der Luftfahrtindustrie und des Verteidigungsministeriums. Das Unternehmen arbeitet nach eigenem Bekunden als Dienstleister eng mit dem europäischen Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern EADS und der Bundeswehr zusammen. Die etwa 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kritisierten am Donnerstag vor der so genannten “Geodata Factory” von IABG in Dresden unter anderem deren Mitwirken am EU-Projekt LOBOS, welches dazu dienen soll, die europäische Grenzagentur FRONTEX mit immer neuen und miteinander vernetzten ܜberwachungstechnologien auszustatten. Gewonnene Daten werden in das im vergangenen Jahr gestartete EUROSUR-System für Grenzüberwachung einpflegt und sind damit künftig ein wichtiger Bestandteil der automatisierten Flüchtlingsabwehr.

 

Während die EU-Außengrenzen zur Migrationsabwehr aufgerüstet werden, beteiligen sich deutsche Konzerne bereits seit Jahren an der Erforschung und Entwicklung von High-Tech-Anwendungen zur satellitengestützten ܜberwachung von Küstengebieten und zum Auffinden von Schiffen in Hochseegewässern, um in Zukunft Flüchtlinge noch effektiver abwehren zu können. Viele der aus Mitteln der Europäischen Union finanzierten Projekte führen häufig jedoch dazu, dass Flüchtlinge immer größere Risiken eingehen müssen, um europäisches Festland zu erreichen. Da für die meisten von ihnen kaum eine legale Möglichkeit existiert, überhaupt einen Asylantrag in einem der zu Europa gehörenden Länder zu stellen, lassen die mit Geldern der EU finanzierten Programme zur Aufrüstung und Abschottung an den Grenzen aber auch der Umgang mit Asylsuchenden hierzulande erkennen, was unter europäischer Flüchtlingspolitik im 21. Jahrhundert verstanden werden muss. An den europäischen Außengrenzen und in Europa kamen in den letzten 15 Jahren nach Recherchen des Datenbankprojekts “The Migrant’s Files” mehr als 23.000 Migrantinnen und Migranten ums Leben. Allein in den letzten zwei Wochen starben mindestens 50 Menschen auf der gefährlichen Überfahrt zur italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa.

 

Zu der Kundgebung unter den Motto: “Grenzenlos ist nur ihr Zynismus” hatten die Dresdner Gruppen Polar und Ausser Kontrolle aufgerufen. Beide Gruppen wollten damit ihre Solidarität mit allen vom europäischen Festungszaun betroffenen Menschen ausdrücken und aufzeigen, was deutsche Austeritätspolitik mit militärisch-ziviler Exportweltmeisterschaft und der Situation von Flüchtlingen zu tun hat. Ihre Kritik richtete sich in Dresden an ein Unternehmen, welches Behörden mit Informationen versorgt, die in der Vergangenheit schon mehrfach Boote mit Flüchtlingen zur Umkehr gezwungen hatten. Im Nachgang bewerteten sie die Aktion als Erfolg. So hatte das Unternehmen in unmittelbarer Nähe zum Dresdner Flughafen schon am Nachmittag sein Pforten geschlossen, nachdem die Firmenleitung ihren Angestellten auf Grund der angekündigten Proteste einen vorzeitigen Feierabend empfohlen hatte.

Twittermeldungen zu den Aktionstagen: #Europe4the99 | #MayOfSolidarity

 

 

 

 

 




Der Redebeitrag:

 

 

"Solidarity, Democracy und Commons" sind die Schlagworte der internationalen Blockupy-Aktionstage, in deren Rahmen wir uns heute hier vor der Dresdner Filiale der IABG zusammengefunden haben. Unter der Forderung: “Grenzenlos solidarisch – Für eine Demokratie von unten!” thematisieren Gruppen und Bündnisse in ganz Europa die Umverteilungsprozesse und die damit einhergehende menschenverachtende Politik. Ökologische Katastrophen, Kriege um begrenzte Ressourcen und Vertreibung sind direkte Folgen grenzenlosen, kapitalistischen Wachstums. Globale Bewegungsfreiheit wie die des Kapitals, gilt für Menschen, die im Zuge kapitalistischer Akkumulation ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden, dagegen nicht. “Grenzenlose Solidarität” meint für uns nicht Kredite und Care-Pakete für die Entrechteten, sondern das grenzüberschreitende aufeinander beziehen und das Ausmachen gemeinsamer Ziele, Kämpfe und Gegner_innen.
 

 

Warum sind wir dann heute hier?


Eine solche gemeinsame Gegnerschaft eint uns gegenüber der Militarisierung der EU-Außengrenzen. Mehrere deutsche Institute und Firmen entwickeln Anwendungen zur kamera-, radar-, drohnen- und satellitengestützten Überwachung von Grenzgebieten. Die Projekte werden von der Europäischen Union – den europäischen Staaten – finanziert und sollen die Abwehr so genannter “irregulärer” Migration unterstützen. Alle Ergebnisse der Aufklärung vom Boden, aus der Luft und dem"Wenn ich ein Turnschuh wäre..." All werden im EU-Grenzüberwachungssystem EUROSUR gesammelt und verarbeitet, der Grenzagentur FRONTEX für sogenannte Risikoanalysen zur Verfügung gestellt und von dort an die nationalen Kontrollzentren der angeschlossenen Mitgliedstaaten weiter gereicht. Die immer neuen Projekte zur Grenzüberwachung spülen deutschen Rüstungskonzernen Milliarden in die Kassen.

Eine dieser Firmen hat ihren Standort in Dresden – die IABG. Die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH wurde 1961 auf Initiative des Bundes als zentrale Analyse- und Testeinrichtung für Luftfahrtindustrie und das Verteidigungsministerium gegründet. Seit 1993 ist die IABG ein privates Unternehmen und führt Tests vor allem im Bereich Luft- und Raumfahrttechnik durch. Die Vertragspartnerin der Bundeswehr, deren “Beschaffungsvorhaben [sie] in besonderer Weise verpflichtet” ist, ist ein gern gesehenes Unternehmen in Sachsen. Das eng mit der EADS verbandelte Unternehmen engagiert sich entsprechend seiner ursprünglichen Gründungsintention auch im “Geschäftsbereich: Sicherheit und Verteidigung”.

Die IABG sorgt für die “Verfügbarkeit verlässlicher und hochgenauer Geodaten [… , die] die Bundeswehr mit ihrem inzwischen stark erweiterten Einsatzraum” vermeintlich benötigt. Für die Aufbereitung der z.B. per Satelliten erhobenen Geodaten wurde eigens die sogenannte Geodata Factory Dresden (vor der wir hier heute stehen) gegründet. Neben der zivilen Nutzung der Daten beteiligt sich die IABG aber auch am EU Projekt LOBOS, welches der konkreten Integration von Satellitenaufklärung in das EU-Grenzüberwachungssystem EUROSUR dient. Diese IABG Filiale zur Geodaten Aufbereitung ist somit direkt an der automatisierten Flüchtlingsabwehr beteiligt! Laut eigenem Bekunden meinen die EUROSUR-Akteure, dass ihre Arbeit unter anderem der “Rettung von Menschen in Seenot” diene. Dazu sagen wir: Grenzenlos ist nur ihr Zynismus!

 

Was haben deutsche Firmen mit der EU Außengrenze zu tun?


"Fuck you Frontex!!!"Doch die IABG ist nicht die einzige Profiteurin der Entwicklung und des Verkaufs ziviler und militärischer Rüstungstechnik. Mehrere europäische und deutsche Rüstungsfirmen, aber auch einzelne Institute der Fraunhofer-Gesellschaft beteiligen sich an der Entwicklung und dem Verkauf von Grenzüberwachungsanlagen. Dabei wird zunächst die Entwicklung im Rahmen nationaler und europäischer Forschungsprojekte finanziert, um anschließend die Abnahme staatlicherseits zu garantieren oder im europäischen Rahmen durchzusetzen.

Im gerade erst verabschiedeten Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es im Kapitel “Wachstum, Innovation und Wohlstand”:

 

“Der Bereich Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus technologie- und sicherheitspolitischer Sicht von nationalem Interesse. Daher werden wir sicherstellen, dass Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben sowie Technologien und Fähigkeiten weiterentwickelt werden”. (S.16)

 

Die aktuelle Bundesregierung wird auch weiterhin private Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen unterstützen. Das ist einerseits dem Interesse geschuldet, Exportweltmeister zu bleiben und Sicherheits- und Verteidigungswaren an Kunden im Ausland zu verkaufen. Andererseits greift sie Kapitaleigner_innen bei der Suche nach Investitionsmöglichkeiten unter die Arme, in dem weitere “Märkte” erschlossen werden, wie z.B. durch die “Bekämpfung irregulärer Migration”. Ideologisch aufbereitet wird dies mit der angeblich notwendigen Drosselung von “Armutszuwanderung”.

Die Europäische Union subventioniert mit einer Vielzahl an milliardenschweren Programmen deutsche Sicherheits- und Rüstungsunternehmen. Länder, die sich Hoffnung auf einen Beitritt in die EU machen, aber auch andere assoziierte “Partnerländer” der EU (wie z.B. Libyen) müssen in die “Sicherung” ihrer Grenzen investieren. Hier kommen deutsche Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen erneut ins Spiel. So wurden durch “partnerschaftliche” Mithilfe des deutschen Innenministeriums z.B. die Grenzanlagen Bulgariens, Kroatiens und Rumäniens für den Schengenbeitritt fit gemacht. Die Abgeordnete des Europäischen Parlaments für Die LINKE Cornelia Ernst bezeichnet all diese Maßnahmen als das, was sie sind: Ein “[...] teures Investitionsprogamm für die Rüstungsindustrie”!

Der Exportschlager und Wirtschaftsfaktor Grenzüberwachung bleibt aber nicht auf EU-Mitgliedstaaten beschränkt: Saudi-Arabien kaufte von EADS für 2 Milliarden die teuerste Grenzanlage aller Zeiten. Für die Schulung der dabei verkauften Drohnen wurde das Personal von Bundeswehr und Bundespolizei gleich mitgeliefert.

 

Widerspricht diese Subventionspolitik nicht dem Mantra von Schuldenbremsen?

 

Der Widerspruch zwischen dieser enormen Subventionierung privater Unternehmen auf der einen Seite und Schuldenbremsen auf der anderen, die vor allem die Kommunen und Lohnabhängige trifft, liegt auf der Hand. Die Ideologie des freien Marktes, die “weniger Staat” im Bereich der Ökonomie einfordert, wird hierbei einseitig in Bezug auf soziale Absicherung und fehlende staatliche Fürsorge umgesetzt. Denn vor allem “systemrelevante Unternehmen” profitieren nicht nur von Steuersenkungen. Über Forschungsprogramme und anderen Subventionen werden öffentliche Gelder in die Unternehmen “investiert” mit dem Argument, Arbeitsplätze zu schaffen. Konkret beauftragt z.B. das Bundesministerium für Wirtschaft unter Anderem Firmen wie die IABG damit, eine Studie namens “Handlungsempfehlungen zur Stärkung der nationalen Sicherheitswirtschaft” auszuarbeiten. Dass heißt nichts anderes, als dass die IABG dafür bezahlt wird, den Sicherheitsmarkt zu analysieren, auf dem sie dann verkaufen kann. Andere Unternehmen müssen dies auf eigene Kosten tun… Im Gegensatz dazu werden fehlende Steuereinnahmen in Deutschland, die vor allem die Kommunen treffen, durch steigende Einkommenssteuern, einkommensunabhängige Aufschläge bei Pflege, Alters- und Krankenversicherung oder schlicht die Streichung staatlicher Fürsorge kompensiert. Noch offenkundiger wird der Widerspruch von Sparmaßnahmen und Subventionierung, wenn wir nach Griechenland schauen.

 

Warum hat Griechenland die griechisch-türkische Landgrenze hochgerüstet?

"IABG"Parallel zu den größtenteils von der Troika erzwungenen und teilweise absurdesten Einsparungen wurde die griechische Regierung von der EU-Kommission und europäischen Innenminister_innen dazu gedrängt, ihre Landesgrenze zur Türkei stärker abzuschotten.
Seit es den europäischen Kernländern nicht mehr gestattet ist, über Griechenland in die EU eingereiste Menschen zurück nach Griechenland abzuschieben, wie es das Dubliner Abkommen im Allgemeinen für EU-Erstaufnahmeländer vorsieht, wurde der Druck auf die griechische Regierung verstärkt. Das im Besonderen von Deutschland vorangetriebene Dubliner Übereinkommen ist für Griechenland seit 2011 faktisch außer Kraft gesetzt. Ende 2013 entschied der Europäische Gerichtshof, dass Asylsuchende nicht in EU-Länder abgeschoben werden dürfen, in denen “systemische Mängel” im Asylsystem herrschen. Damit wurde die Rechtsprechung vom Januar 2011 bestätigt, nach der ein EU-weites Abschiebeverbot nach Griechenland gilt, weil es dort zu massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schutzsuchenden kommt. Geflüchtete werden in Griechenland unter unmenschlichen Bedingungen oft über Monate hinweg in Lagern inhaftiert, von Polizist_innen und Neonazis verprügelt, auf die Straße gesetzt und schutzlos Elend und Obdachlosigkeit ausgesetzt. Die solidarischen Kliniken, die nicht versicherte Migrant_innen bis vor kurzem noch medizinisch versorgten, können dem derzeitigen Ansturm nicht mehr gerecht werden, da inzwischen auch nahezu die Hälfte der griechischen Bevölkerung nicht mehr krankenversichert ist. Schon vor der Staatsschuldenkrise war die Lage für Migrant_innen in Griechenland schwierig. Durch die von Deutschland erzwungene Austeritätspolitik ist sie zum Desaster geworden.
Doch welcher Schluss wurde aus dem Urteil des EuGH gezogen? Eine sozialere und menschlichere Verfahrensweise? Die Integration von Flüchtenden in die europäischen Gesellschaften? Die Zurücknahme der Einsparforderungen seitens der Troika gegenüber der griechischen Regierung? Natürlich nicht!

Stattdessen beklagten der damalige deutsche Innenminister Friedrich und seine österreichische Amtskollegin Mikl-Leitner einen “signifikanten” Anstieg von Asylbewerbern in IHREN Ländern. Die Ursache dieser “illegalen Migrationsströme” liege an der griechisch-türkischen Grenze”, so Mikl-Leitner. Diese Grenze sei “offen wie ein Scheunentor.” Der Ausbau der griechisch-türkischen Grenze mit einem 200 km langen Zaun und zusätzlicher Überwachungstechnik war die unmittelbare Folge. Grenzenlos ist ihr Zynismus…

Bis zur Fertigstellung des Grenzzaunes ist ein großer Teil der Asylsuchenden v.a. aus Kriegsgebieten wie Afghanistan, dem Irak und Syrien über die Türkei nach Griechenland bzw. die EU eingereist. Seit Dezember 2012 müssen die Geflüchteten die griechisch-türkische Grenze wieder durch den Fluss Evros passieren oder versuchen Griechenland über das Ägäische Meer zu erreichen. Dort gehen nun griechische Grenzpolizei und Küstenwache immer häufiger mit so genannten Push-back Operationen gegen Geflüchtete vor. Die Flüchtlingsboote werden zurück in türkisches Gewässer gedrängt. Schutzsuchende berichteten auch davon, an Land gebracht, misshandelt und anschließend wieder auf hoher See in ihren inzwischen seeuntüchtig gemachten Booten ausgesetzt worden zu sein. Im Dezember 2013 haben sich die Europäische Union und die Türkei auf die Unterzeichnung eines Abkommens zur Rücknahme von Flüchtlingen geeinigt. Mit diesem so genannten Rücknahmeabkommen verpflichtet sich die Türkei, diejenigen so genannten illegalen Einwanderer wieder aufzunehmen, die über türkisches Territorium in die EU gekommen sind. Bis zur Ratifizierung des Abkommens wird weiter an der Seegrenze aufgerüstet: Nach Spanien und Italien will nun auch die griechische Regierung im Mittelmeer mit unbemannten Luftfahrzeugen – also Drohnen – patrouillieren, und zwar an der Seegrenze zur Türkei.

 

Kann die Grenzüberwachung nicht helfen, Menschen zu retten?


Den Recherchen des Datenbankprojekts “The Migrant’s Files” zufolge sind in den letzten 15 Jahren insgesamt mindestens 23.000 Migrant_innen auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommen. Allein in den letzten zwei Wochen kamen mindestens 50 hinzu.
Nach der großen BootsBlutige Grenzpolitikkatastrophe am 3. Oktober 2013, als vor der italienischen Insel Lampedusa mehr als 360 Leute starben, hat die Europäische Kommission ein Umdenken in der europäischen Flüchtlingspolitik gefordert. Nur wenige Tage später starben am 11. Oktober 2013 weitere 260 Flüchtlinge aus Syrien, darunter mehr als 100 Kinder. Sie alle hätten gerettet werden können, wenn die Grenzschutz-Behörden auf die Notrufe der Flüchtlinge reagiert und rechtzeitig Hilfe geschickt hätten.
“Left to die”, das Sterbenlassen auf See, gehört zur Abschreckungspolitik der EU gegenüber Asylsuchenden!
Das Europäische Parlament hat im April dieses Jahres neue Regelungen für die Grenzagentur Frontex an den Seeaußengrenzen angenommen. Mit der Verordnung werden Zurückweisungen von Bootsflüchtenden – sogenannte push backs – auf eine vermeintlich legale Grundlage gestellt.

Wird ein Schiff auf hoher See aufgegriffen, ist nun folgendes legalisiert: Nach dem Aufgriff und der Durchsuchung des Schiffs können die Bootsflüchtenden zurück verfrachtet werden. Zwar dürfen Schutzsuchende nicht in Drittstaaten überstellt werden, in denen den Betroffenen unmenschliche Behandlung oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Bewusst vage sind jedoch die Bestimmungen gefasst, wie diese “Flüchtlingsfeststellungsverfahren” von den Grenzschützer_innen auf einem Frontex-Schiff durchgeführt werden können. Statt einer Liberalisierung der Flüchtlingspolitik setzt die EU also auf eine verstärkte Abwehr, den Ausbau von der Grenzüberwachung und weiterhin intransparente Rechtsstrukturen. Eine Bereitschaft, Flüchtenden den legalen Zugang nach Europa zu gewähren und sie aus dem tödlichen Transit aufzunehmen, um den Schutzsuchenden aus Syrien, Eritrea, Somalia und anderswo den gefährlichen Weg übers Mittelmeer zu ersparen, ist nicht in Sicht.

Diese Grenzsicherung hilft nicht Menschenleben zu retten! Nicht ausgeschlossen, dass in Seenot geratene Boote jetzt schneller entdeckt werden. Aber das eigentliche Ziel ist es, die “Reise” schon am Start zu vereiteln. Keines der Boote soll die Chance haben überhaupt abzulegen. Die oftmals tödlichen Ursachen für die Flucht, wie Krieg und Hunger, bleiben für die an der Flucht Gehinderten bestehen. Ihr Sterben soll nur in weniger medienwirksame Regionen, jenseits europäischer Küsten verlagert werden.

 

Und was haben Flucht und Migration mit Kapitalismus zu tun?

 

Der Kapitalismus ist ein hocheffizientes Sy"Shame on you!"stem, dem es bisher gelang, alle widersprechenden Bewegungen auf eine spezifische Art und Weise zu integrieren – oder schärfer ausgedrückt: zu absorbieren. Der Übergang feudaler Gesellschaften in kapitalistische in Europa und der damals “neuen Welt” war die Grundlage für die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem Wohlstand und ihren Rechten.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem produziert grenzenlosen Reichtum, aber leider nur für einige Wenige. Der heutige Wohlstand und das Lebensmodell des ausschließlichen Konsums des globalen Nordens sind nach wie vor nur durch eine fast ungebrochene Geschichte von Ausbeutung und Zerstörung des globalen Südens möglich. Diese Geschichte führt von den Anfängen des Kolonialismus gegen Ende des 15. Jahrhunderts bis zu den heutigen postkolonialen Strukturen mit all seinen bekannten und weniger bekannten Gewaltakteuren, die von regulären Truppen z.B. der Bundeswehr bis hin zu privaten militärischen Dienstleistern reichen. Kriege und in zunehmenden Maße “Kriege geringer Intensität” sind notwendig, um den reibungslosen Rohstofftransport von z.B. Öl, Gold, Coltan, Uran und Wasser in die Zentren der Akkumulation d.h. der Kapitalanhäufung zu garantieren, aber auch um die Wissensausbeutung in Form von Biopiraterie und Gentechnik zu organisieren.

Hinzu kommt die globalisierte Produktion von Nahrungsmitteln und Agrarprodukten, die im sogenannten “Land Grabbing” gipfelt. Hier kaufen meist private Akteure große Ländereien auf, um unter Anderem sogenannte “Cash Crops” für z.B. die Produktion von Biotreibstoffen anzubauen. Die Folgen des monokulturellen Anbaus sind fatal: Degradierung der Böden durch Strukturverlust, damit einhergehender Nährstoffmangel und schließlich die komplette Erosion des Bodens bis hin zur Wüstenbildung. Für die Menschen in solchen Regionen bedeutet dies Vertreibung, Verarmung und elenden Hunger. Auch die Subventionierung von z.B. europäischen Milchprodukten für den afrikanischen Markt verursacht solches Elend, da lokale Bauern mit den Preisen der meist viel billigeren EU-Importe nicht mithalten können, keinen Absatz für ihre Produkte finden und in Hunger, Armut und Migration getrieben werden.
Der Klimawandel, der eine Folge der Industrialisierung des Kapitalismus ist und damit auf das Konto des globalen Nordens geht, wird viele dieser Probleme noch weiter verschärfen. In dessen Folge wird es zu einem weiteren Anstieg vom extremen Wetterereignissen kommen und Überschwemmungen, Versalzungen und Trinkwassermangel werden noch mehr Menschen zu Flucht zwingen. Die historisch-strukturell benachteiligten Regionen dieser Welt werden davon besonders betroffen sein, da ihnen schlicht dass nötige Kapital fehlt, um diese negativen Auswirkungen abzufedern. All diese Beispiele, also auch der Umgang mit den Folgen des menschengemachten Klimawandels, sind gewaltförmig in Struktur und Praxis. Der Strom von Flüchtenden und schutzsuchenden Menschen wird sich in den nächsten Jahren vervielfachen. Die Schätzungen schwanken zwischen 50 und 200 Millionen sog. Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2050.

Wer also Fluchtursachen bekämpfen will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen! Hinter die Errungenschaften der modernen Gesellschaft wollen wir nicht zurück. Eine neue Form der Ökonomie und mindestens ein Ausgleich für diejenigen, die in diesem System so sehr unterdrückt und ausgebeutet wurden, ist unser Ziel. Entsprechend dem Slogan von Blockupy “Solidarity Beyond Borders” wollen wir ein “globale Gerechtigkeit”. Wir stehen heute hier, weil wir uns mit den Menschen, die an den Toren Europas abgewiesen werden, dort zu Tausenden sterben oder, wenn sie es dennoch in die EU schaffen, ein größtenteils menschenunwürdiges Dasein fristen müssen, solidarisch erklären.

“Democracy From Below” – das bedeutet für uns auch die Demokratisierung des Wirtschaftssystems, der Zugang zu und die gemeinsame Verwaltung von natürlichen Ressourcen, eine basisdemokratische Aufteilung von gesellschaftlicher Arbeit, die getan werden muss, die Abschaffung des Zwangs zur Lohnarbeit und die Entziehung von notwendigen Lebensbereichen wie Bildung, Gesundheit und Erziehung vom Markt.

Der Kapitalismus ist ein System, doch dieses wird von Menschen gemacht… Und deshalb an die Belegschaft der IABG Dresden gewand: Auch Ihr werdet erklären müssen, warum ihr euch durch eure Arbeit daran beteiligt habt! Denn die Menschen, die in die EU drängen, haben jedes Recht hier zu sein, da sie ihren Reichtümern folgen und unser Reichtum auf ihren Rücken errichtet wurde.
Darum fordern wir:

  • Entkriminalisierung der Fluchtwege!
  • Dublin III abschaffen!
  • Globale Bewegungsfreiheit für alle!
  • Keine Legalisierung von “Push Back” Operationen!
  • Keine Kriminalisierung von Helfer_innen, die Bootsflüchtlinge aufnehmen und in den nächsten Hafen bringen!
  • Kein Export von rassistischer Grenzpolitik in Nicht EU Staaten!
  • Kapitalismus überwinden!
Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert