Unter dem Motto „solidarity beyond borders – building democracy from below“ fand am Samstag 17. Mai 2014 in mehreren europäischen Städten ein dezentraler Blockupy-Aktionstag statt. Bundesweit demonstrierten mehr als 10.000 Menschen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart. In Stuttgart wurde die Demonstration zusammen mit der „Macht.Europa.Anders“-Demonstration des Stuttgarter Krisenbündnisses durchgeführt. 3000 Menschen beteiligten sich an der Demo durch die Stuttgarter Innenstadt. Mit dabei ein großer bunter Block von Blockupistas.
Nach dem Ende der Demonstration gabe es noch trotz großer Polizeipräsenz kreative und ungehorsame Aktionen in der Stuttgarter Innenstadt. Diese richteteten sich nicht gegen Beschäftigte oder Konsument_innen, sondern gegen die globalen Produktionsverhältnisse und die daraus erwachsenden Konsequenzen: Hungerlöhne und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen im globalen Süden; hier-archische und ausbeuterische Geschlechterverhältnisse, Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne und der Abbau von Rechten auch bei uns im globalen Norden.
Besonders deutlich wird die Ausweitung von Niedriglohn und
unsicheren, stark „flexibilisierten“ Arbeitsverhältnissen im
Einzelhandel der Textilindustrie. Gleichzeitig findet die
Produktion fast aller Bekleidungsunternehmen unter schrecklichen
Arbeitsverhältnissen statt. Am 24. April jährte sich der
verheerende Unfall in Dhaka/Bangladesh mit mehr als 1100
Todesopfern und 2000 Verletzten. Aber auch die Kämp¬fe von
Textilarbeiter_innen nehmen zu, nicht nur in Bangladesh. In
Kambodscha streikten in den letzten Monaten bis zu 600.000
Arbeiter_innen, größtenteils Frauen, für bessere
Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Wir wollten unsere
Solidar¬ität mit den Kämpfen der Beschäftigten demonstrieren.
Etwa 50 bis 70 Personen blockierten exemplarisch den Eingang des
Bekleidungsgeschäfts H&M in der Königsstraße, um auf die
miserablen Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern aufmerksam
zu machen. Vor dem Eingang gab es Transparente mit den
Aufschriften Made in Hell, Textilindustrie geht über Leichen oder
"Made in Billiglohnländer - 100% Ausbeutung". Die Protestierenden
forderten von den europäischen Bekleidungsunternehmen, die den Tod
der ArbeiterInnen mit zu verantworten haben, eine sofortige
Entschädigung der Familienangehörigen der Opfer.
An anderen Stellen der Innenstadt gabe es die Aktion "Pflege am
Boden", mit der Beschäftigte im Gesundheitswesen bereits seit
geraumer Zeit auf die desolate Situation in der Pflege aufmerksam
machen wollen. 60 Pflegekräfte und UnterstützerInnen legten sich
für 10 Minuten auf den Boden, um zu zeigen, dass sich die
Beschäftigten mit der akuten Personalnot und der Überlastung in
Krankenhäusern und Altenheimen nicht abfinden werden.
MitarbeiterInnen aus verschiedenen Krankenhäusern schilderten ihre
dramatische Situation vor Ort.
Eine weitere Aktion wies auf die Situation in der Pflege- und
Sorgearbeit (Care-Arbeit) hin. Diese Tätigkeiten, wie die Pflege
von Kindern, Kranken und Älteren, werden äußerst schlecht entlohnt
oder finden im Privaten statt, wo sie unbezahlt und meist von
Frauen gleistet werden. Mit Tischdecken, Wäscheleinen und Windeln,
sollte das Unsichtbare sichtbar gemacht werden.
Die Krise der Reproduktion spitzt sich zu. Die Probleme sind
längst internationalisiert. Pflege- und Sorgearbeit, also
Care-Arbeit die für das Überleben eine notwendige Voraussetzung
ist, wird schlecht bezahlt oder ins scheinbar Private der Familie
abgedrängt. Ob im Haushalt, in der Erziehung, in der Pflege oder
im Gesundheitswesen, wird diese Arbeit überwiegend von Frauen
verrichtet. Diese Arbeitsteilung ist immer noch eine wichtige
materielle Grundlage des heutigen Patriarchats. Ohne Sorgearbeit
kann eine Gesellschaft aber nicht überleben. Deshalb müssen wir
die Organisation der Pflege- und Sorgearbeit als eine kollektive
Aufgabe begreifen. Auch damit wir alle genügend Zeit für die Sorge
um uns selbst haben, müssen wir uns den patriarchalen und
kapitalistischen Verhältnissen entgegenstellen. Damit endlich die
Befriedigung der Bedürfnisse im Mittelpunkt der Gesellschaft
steht, brauchen wir eine Care-Revolution!
Auf der belebten Königstraße versammelten sich ca. 30-40 Personen
zu einem Flashmob gegen die Zeitarbeitsfirmen "Randstadt" und
"Diss". Mit Parolen, Flyern und einer kurzen Rede wurden die
Passanten über die besonders krasse Ausbeutung in
Zeitarbeitsfirmen aufgeklärt. Um die Firmen etwas dauerhafter als
Krisenprofiteur zu markieren, wurde der Eingangsbereich mit bunten
Flyern gegen Kapitalismus und prekäre Beschäftigung verschönert,
Ausbeutung beginnt hier!
Die Aktionen waren von großem Polizeiaufgebot begleitet. Bereits
bei der Anreise wurden bei bis zu Hundert Personen völlig
rechtswidrig ohne jeglichen Anlass die Personalien festgestellt.
Big brother lässt grüßen. Im Umfeld der Demonstration und Aktionen
kam es immer wieder zu grundlosen Platzverweisen,
Identitätsfeststellungen und Gewahrsamnahmen. Doch die
Protestierenden ließen sich davon nicht aufhalten. Nach Angaben
des Pressesprechers des Blockupy-Bündnis zeitgten viele Passanten
Interesse an den Aktionen, es gab viel Zuspruch, dass dieser
Protest notwendig ist.
In Redebeiträgen war ein inhaltlicher Schwerpunkt u.A. auch die
geplanten Freihandelsabkommen „TTIP“ und "CETA" zwischen EU und
USA sowie EU und Kanada. Diese reihen sich nahtlos in das System
der internationalen Ausbeutung ein. Sie sind nichts anderes als
ein erneuter Versuch die Bedingungen zur Gewinnmaximierung der
großen Konzerne noch weiter zu verbessern, stellen einen erneuten
Angriff auf Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialsysteme dar.
Diese Freihandelsabkommen müssen verhindert werden, nicht zuletzt
um uns Spielräume für grundlegende politische emanzipatorische
Veränderungen, die wir dringend brauchen, überhaupt offen zu
halten. Vor 15 Jahren ist es einer breiten Bewegung gelungen, das
fast identische Investitionsabkommen MAI zu verhindern.
Wie ernst die Herrschenden diesen Protest nehmen zeigte sich
bereits beim Blockupy Auftakt am 15.5. in Brüssel:
Bei Protesten gegen das TTIP am Donnerstag in Brüssel ging die
Polizei massiv u.a. mit Wasserwerfern gegen die Protestierenden
vor, mehr als 200 AktivistInnen wurden verhaftet. Die Regierenden
in der EU wollen offensichtlich jeden Widerstand im Ansatz
ersticken. Wir werden auch diesmal wieder alles daran setzen, ihre
Pläne zu verhindern.
Im internationalistischen Redebeitrag der Interventionistischen
Linken wurde an vielen Beispielen aufgezeigt, dass das herrschende
System der Ausbeutung ist nicht reformierbar ist, sondern
abgeschafft werden muss.
Dies wurde auch erneut durch die Katastrophe in Soma in der Türkei
mit bisher mehr als 300 Toten deutlich. Die betroffenen Menschen
sprechen nicht von einem „Grubenunglück“, sondern von Mord. Die
Toten sind der einkalkulierte Kollateralschaden durch
Privatisierung, Gewinnsucht und Sparmaßnahmen auf Kosten der
Arbeitssicherheit. Seit Tagen finden Proteste in der ganzen Türkei
statt, an denen sich Zehntausende trotz massiver
Polizeirepression beteiligen. Die Erdogan-Regierung und die
Grubenbetreiber sind die Hauptverantwortlichen, aber auch die EU
und die Bundesregierung haben ihren Anteil. Im Hinblick auf einen
EU-Beitritt wird von der Türkei eine Politik der Deregulierung,
Privatisierung und Wirtschaftsliberalisierung zwingend verlangt.
Die beste Solidarität ist, die Verhältnisse auch hier zum Tanzen
zu bringen!
Es kann uns also nicht um die Mitgestaltung am Katzentisch der
Herrschenden gehen oder ein paar Krümel mehr, die in der Bäckerei
auf den Boden gefallen sind. Wir wollen immer noch die ganze
Bäckerei um selbst darüber zu bestimmen wer, wann, was, für wen
und wie produziert. Kritisiert wurde auch die angeblich alternativlose EU. Die EU ist
nicht Europa, sondern ein kapitalistisches Projekt innerhalb der
geographischen Grenzen Europas.
Mit der EU soll grenzenlose (Bewegungs-) Freiheit für
Investitionen, Kapital, Profit und Aufrüstung durchgesetzt werden,
uns geht es um bestmögliche soziale Lebens- und Umweltbedingungen
für die Bevölkerung. Sie wollen eine Festung Europa, wir wollen
globale Bewegungsfreiheit, offene Grenzen und gleiche Rechte und
Lebensbedingungen für alle. Unser internationales Projekt machen
wir nicht an geografischen Grenzen fest, sondern an Interessen,
Ideen und Werten für ein selbstbestimmtes Leben, frei von der
kapitalistischen Verwertungslogik.
Im Klima der kollektiven Angst, das derzeit vorherrschend ist,
werden auch Tendenzen zur Abschottung im Inneren stärker und die
Rufe nach einer Rückkehr zu nationalstaatlichen Lösungen lauter.
Einem autoritären Umbau der Nationalstaaten in der EU und
rechtspopulistischen und faschistischen Tendenzen müssen wir
entschieden Einhalt gebieten.
Verhindern müssen wir auch die Pläne der Bundesregierung, das
Asylrecht weiter zu verschärfen. Insbesondere sollen neue Gründe
zur Inhaftierung von Geflüchteten geschaffen werden. Die in
Politikerreden so gern genannte Willkommenskultur heißt dann für
die meisten Geflüchteten Knast.
Den Widerstand von unten zu stärken und aufzubauen ist unsere
Aufgabe und Herausforderung. Blockupy ist Teil dieses Widerstandes
– mit bunten, kämpferischen Aktionen und Solidarität über Grenzen
hinweg.
Unsere Solidarität darf sich nicht auf Erklärungen beschränken,
sondern muss ein Verständnis von internationalistischer Praxis
entwickeln, die die Ausbeutung und die Kämpfe in den Ländern des
Südens und in den Metropolen zusammen denkt.
Verbinden wir unsere Kämpfe, lernen wir voneinander. Bauen wir
eine Gegenmacht von unten auf. Seien wir realistisch, tun wir das
Unmögliche !
Auch in Karlsruhe gibt es ein Blockupy-Bündnis
Kontakt: Blockupy-Karlsruhe(at)riseup.net
Weitere Infos: blockupy.org, notroika.org
Arbeit ist scheiße
"Diese richteteten sich [...] gegen [...] die Arbeitslosigkeit"
Sehe ich sehr kritisch. Wir sollten nicht gegen Arbeitslosigkeit oder die Arbeitsbedingungen demonstrieren, sondern vielmehr gegen die Arbeit als Herschaftskonstrukt selber. Es sollte ja nicht darum gehen, dass wir alle das riesen Glück haben in einem Arbeitsverhältniss zu sein, sondern dass die Ressourcen der Erde so verteilt sind, dass wir alle ein feines Leben haben und das werden wir mit nichten durch bessere Arbeitsbedingungen oder durch Vollbeschäftigung erreichen. Vielmehr sollten wir uns auf die Eigentumsverhältnisse und den Staat fokussieren und diese herschaftskritisch hinterfragen. Sich an den Symptomen festklammern und versuchen diese zu bekämpfen wird uns niemals wirklich weiterbringen, da das Problem nicht die Symptome sind - diese wirken zwar am angreifbarsten, da sie viel einfacher zu erfassen sind - sondern die Ursache, der Staat. Es ist ja nicht so, dass es die Aufgabe des Staates ist uns das beste Leben wie nur möglich zu sichern, sondern dass wir so gut vermarktet werden können wie nur möglich, uns mit Brot und Spielen zu versorgen und immer schön darauf aufzupassen, dass wir auch nicht aufmüpfig werden, und sollten wir das doch mal sein... kennen wir ja seine hässliche Fratze. Natürlich ist es nicht verkehrt wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, doch sollten wir bedenken, dass es ein Kampf gegen Windmühlen sein wird, da diese in schleichenden Prozessen wieder abgebaut werden, denn wenn die Ursache für die Symptome weiterhin vorhanden ist, werden die Symptome immer wieder auftauchen. Trotzalledem war ich natürlich auf der Demo (in HH) und sie hat mir sehr gut gefallen, wir sollten nur über unsere Ziele nachdenken.