Was Feminist_innen erkämpft haben, stellen christliche Fundamentalist_innen seit jeher in Frage: das Selbstbestimmungsrecht von Frauen*1. Weltweit befinden sich radikale Abtreibungsgegner_innen im Aufwind. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch massiv eingeschränkt werden soll, aktuell beispielsweise in Spanien. In Deutschland versammeln sich fundamentalistische Gegner_innen von Schwangerschaftsabbrüchen seit einigen Jahren zu so genannten „Märschen für das Leben“, die in Münster, Berlin und Annaberg-Buchholz stattfinden. Während die Aufmärsche in Münster und Berlin nicht ohne Proteste von Feminist_innen ablaufen konnten, blieb der Annaberg-Buchholzer Schweigemarsch in den vier Jahren seines Bestehens unwidersprochen. Aber uns ist kein Weg zu weit, wir kommen auch nach Annaberg-Buchholz!
Annaberg-Buchholz liegt im Erzgebirge im Südwesten Sachsens, wo sich selbst in der atheistischen DDR eine starke christliche Prägung erhalten hat. Diese war offenbar beste Voraussetzung für das Erstarken streng konservativer Christ_innen, sogenannter Evangelikaler, die durch eine wortgenaue Bibelauslegung, den Glauben an den strafenden Gott, aggressive Missionsarbeit, ihre Klagen über die Zerstörung der traditionellen Familie und ihre Äußerungen gegen Homosexualität von sich reden machen.2
Das Kreuz mit dem Kreuz
Über die starke Einflussnahme kirchlicher Einrichtungen im
Erzgebirge hinaus bestehen auch Verbindungen in die Politik.
Die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) Organisator_innen
des Schweigemarsches, verfügen in Sachsen bereits seit 1990 über
einen eigenen Landesverband innerhalb der CDU. Steffen Flath –
CDU-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag und
prominenter Unterstützer des Schweigemarsches – beteiligt
sich seit Jahren mit Redebeiträgen, in denen er das Verbot von
Schwangerschaftsabbrüchen fordert. Erklärtes Ziel der CDL ist
es, ihren Einfluss in der CDU zu nutzen, um
Schwangerschaftsabbrüche nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit zu kriminalisieren. Die Versuche der christlichen
Fundamentalist_innen, auf politische Entscheidungen
einzuwirken, haben sich z.B. 2006 im Vorstoß der
Gesundheitsminister_innen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen niedergeschlagen, die Kostenübernahme von
Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen
einzuschränken. Mit diesem Anliegen scheiterten sie damals
zwar, aber mit weiteren Angriffen auf die Möglichkeiten eines
Schwangerschaftsabbruches muss gerechnet werden. Auch in
anderen Ländern gibt es Versuche
christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner_innen,
das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Zuge der
Durchkapitalisierung der Gesundheitssysteme und unter dem
Stichwort “Kostensenkung” auszuhöhlen. In der Schweiz fand z.B.
Anfang Februar 2014 ein Volksentscheid zur Frage
„Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ statt, in dem über
die Abschaffung der Zahlungspflicht der Krankenkassen
abgestimmt wurde. Diese fand zum Glück keine Mehrheit.3
Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
In Deutschland sind die Missstände größer als viele denken.
Feminist_innen kämpfen seit jeher gegen den heute immer noch
bestehenden §218 des Strafgesetzbuchs, welcher seit 1871
Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter Strafe stellt.
In der DDR wurde 1972 erstmals der Schwangerschaftsabbruch in
den ersten 12 Wochen entkriminalisiert. Zu dieser Zeit war es
das forschrittlichste Abtreibungsgesetz der Welt, im Gegensatz
zur BRD, wo erst 1995 die heute gültige Fristenregelung in Kraft
trat.
Das bis heute geltende Gesetz sieht einen Schwangerschaftsabbruch
weiterhin als Straftat, die nur unter folgenden Umständen nicht
strafrechtlich verfolgt wird: Ein Abbruch kann innerhalb der
ersten 12 Wochen durchgeführt werden, wenn die schwangere Person
zuvor eine staatlich anerkannte Beratung in Anspruch genommen
hat. In vielen, vor allem ländlichen, Gebieten wird die
erzwungene Beratung nur durch kirchliche Einrichtungen
angeboten und die schwangere Person zusätzlich unter Druck
gesetzt, sich für die Fortführung der Schwangerschaft zu
entscheiden. Hinzu kommt eine dreitägige Wartefrist, die Kosten
für diesen medizinischen Eingriff werden nicht durch die
Krankenkassen übernommen. Lediglich Geringverdienende
können eine finanzielle Unterstützung beantragen. Eine
Abtreibung nach den 12 Wochen ist nur bei „hoher Gefahr für die
physische oder psychische Gesundheit“ der schwangeren Person
legal.
Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weltweit
Auch in den meisten anderen Ländern gibt es restriktive
Gesetze, welche die Rechte von Schwangeren massiv einschränken.
Einige der wenigen Ausnahmen sind die USA, die Niederlande und
Frankreich.
Dieses Jahr hat innerhalb Europas insbesondere Spanien mit
einer deutlichen Verschärfung der Rechtslage von sich reden
gemacht.
Seit den Neuwahlen 2011 wurden durch die mit absoluter Mehrheit
regierende konservative Volkspartei viele gesetzliche
Veränderungen veranlasst. Diese bringen nicht nur
Sparmaßnahmen mit sich, welche angeblich eine Stablilisierung
der Wirtschaft bewirken sollen, sondern auch die Aufhebung des
Rechts auf Schwangerschaftsabbruch.
Rechte, die in Spanien erst 2010 erkämpft wurden und endlich
zu einer Verbesserung geführt hatten, laufen nun Gefahr, wieder
abgeschafft zu werden. Konsequenz dessen: ein
Schwangerschaftsabbruch gilt wieder zu jeder Zeit der
Schwangerschaft als illegal. Die einzige Ausnahme besteht in
Fällen, in denen eine Vergewaltigung oder eine massive
physische oder psychische Gesundheitsgefährdung der
schwangeren Personen vorliegt. Dies muss jedoch durch zwei
unabhängige Gutachten bestätigt werden. Für den Abbruch selbst
muss dann eine dritte medizinische Einrichtung aufgesucht
werden. Hinzu kommt, dass allen Mediziner_innen das „Recht auf
Gewissensfreiheit“ eingeräumt wird. In dem katholisch
geprägten Land wird damit häufig die Weigerung begründet,
Schwangere zu beraten oder einen genehmigten Abbruch
durchzuführen.
Mediziner_innen, die einen Abbruch ohne das Bestehen der
gesetzlich notwendigen Gutachten durchführen, müssen mit
Haftstrafen bis zu zehn Jahren rechnen. Immerhin konnte erreicht
werden, dass den Schwangeren selbst keine Anzeige mehr droht.
Die tödlichen Folgen der Kriminalisierung
Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt dazu,
dass Schwangere illegale Abbrüche vornehmen (lassen). Dies
geschieht oft fernab der grundsätzlich vorhandenen
hygienischen und medizinischen Möglichkeiten. Nur wenige
können sich die Reise in Länder mit fortschrittlicheren
Regelungen leisten, um dann dort unter sicheren Bedingungen den
Eingriff vornehmen zu lassen. Durch die mangelhafte
hygienische und medizinische Betreuung kommt es immer wieder
zu Komplikationen, welche bis zum Tod der Betroffenen führen.
Infolge dessen sterben nach Erhebungen der
Weltgesundheitsorganisation jährlich 47.000 Menschen.4
Noch schlimmer steht es um die (Be-)Handlungsmöglichkeiten von
geflüchteten und illegalisierten schwangeren Personen.
Bereits gemeldete Personen müssen sich jede ärztliche
Behandlung im Vorfeld von den jeweiligen staatlichen
Bearbeiter_innen genehmigen lassen. Illegalisierte
Geflüchtete haben nicht das Recht, Ärzt_innen aufzusuchen, und
diese sind angehalten, illegalisierte Personen zu melden.
Einzige Ausnahme sind direkt lebenserhaltene Maßnahmen, über
deren Notwendigkeit allerdings allein die Ärzt_innen
entscheiden. Für nicht gemeldete Personen kann jeder
Ärzt_innenbesuch in letzter Konsequenz bedeuten, abgeschoben
zu werden.
Warum wir im Kapitalismus von „Selbstbestimmung“ und nicht von Selbstbestimmung sprechen
Wenn wir vom Selbstbestimmungsrecht von Frauen* sprechen, so muss
noch etwas zu dieser „Selbstbestimmung“ gesagt werden. Die
Entscheidung für oder gegen ein Kind ist heute keine Privatsache,
sondern hochgradig beeinflusst durch diverse
gesellschaftliche Bedingungen. Diese sind sowohl ökonomischer
als auch ideologischer Natur. Als Verknüpfung von beidem schafft
staatliche Bevölkerungspolitik hierbei finanzielle
Anreize bzw. Hemmnisse durch Einkommensregulierung
(z.B.Elterngeld) oder auch (Nicht-)Bereitstellung von
Betreuungs- oder Pflege-Angeboten. Auf ideologischer Ebene
wird das Thema „(keine) Kinder“ mit der Frage nach dem Fortbestand
der Nation, der Absicherung des gesellschaftlichen Wohlstands
und der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens verknüpft und
damit zu einer ‚Gemeinschaftsaufgabe‘ erklärt, der durch
familien- und sozialpolitische Steuerungsmaßnahmen
Rechnung getragen werden soll. Für die Einzelnen jedoch scheint
das Politische privat zu sein. Die Frage „Kinder bekommen oder
nicht?“ wird so zur Frage nach individueller
Selbstverwirklichung. Dadurch können die durch Sozialabbau
sich verschärfenden Probleme individualisiert werden.
Backlash my ass oder Fight the backlash!
Chauvinistische, rückschrittliche Tendenzen sind eine
Reaktion auf den neoliberalen Umbau der Gesellschaft und die
damit verknüpften individuellen Verunsicherungen. Das
bürgerliche Ideal der Hetero-Kleinfamilie als „Keimzelle der
Gesellschaft“ (oder wahlweise: des Volkes, des Staates), das mit
dem Aufkommen des Kapitalismus entstand, ist einem
historischen Wandel unterworfen. Heute bröckelt dieses Ideal
erheblich, was erst recht zu einem Festklammern an ihm führt. Nach
kapitalistischer Logik werden überkommene, ineffizient
gewordene Formen des Zusammenlebens über Bord geworfen, was
auch emanzipatorische Effekte haben kann. Jedoch werden
gegensätzliche ideologische Denkformen als Reaktion immer
‚mitproduziert‘: ein krampfhaftes Festhalten dessen, was im
Grunde schon verloren ist.
Dasselbe trifft auf die restriktive Zweigeschlechtlichkeit und daran geknüpfte Geschlechterrollen zu.
Dort, wo kapitalistische Verwertung Gleichstellung und
Antidiskriminierung betreibt oder
Emanzipationsbestrebungen zulässt, sorgen Religion bzw.
Ideologie – selbst eng verwoben mit Verwertungsprozessen – für
den entsprechenden Backlash.
Dieser zeigt sich heute in Form von sexistischer Diskriminierung
und sexualisierter Gewalt, Homo- und Trans*phobie, des Rückfalls
in klare Geschlechterrollen im Privaten, des gewalttätigen
Festhaltens der Zweigeschlechterordnung bis hin zur
Verstümmelung intergeschlechtlicher Menschen – und eben auch an
dem Auftrieb für Abtreibungsgegner*innen wie denen in Annaberg
Buchholz. All dem gilt es entschlossen entgegenzutreten.
Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen und §218 abschaffen!
Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Straftat, sondern Menschenrecht!
- Wer einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen will, soll dies unter den besten Bedingungen tun können!
- Wer nicht will, soll nicht dazu gedrängt oder gezwungen werden!
Wer sich für ein Kind entscheidet, muss bestmöglich unterstützt
werden.
- Die Bedingungen, die dazu führen, sich für oder gegen ein Kind zu
entscheiden müssen Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein.
- Für eine sinnvolle Aufklärung zu Sexualität und Verhütung!
Für die rezeptfreie, kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln
sowie der Pille-danach!
- Für einen guten Zugang zu parteilicher, ideologiefreier,
qualifizierter Beratung und medizinischer Betreuung – für
alle!
Mein Bauch gehört mir! Aborto Libre! Alerta Feminista!
Pro Choice Dresden
Abfahrt nach Annaberg – Buchholz: 26.05.14
14.15h Bahnhof Neustadt; Schlesischer Platz
-> wahlweise mit dem Auto oder Zug
Mehr Infos bekommen oder Fragen loswerden könnt ihr am 24.05.2014 zwischen 18 – 21h im kosmotique.
Zum Weiterlesen:
Märsche mit besten Grüßen
Gottes Bastion im sächsischen Erzgebirge
http://evibes.blogsport.de/2014/04/30/mein-koerper-gehoert-weder-kirche-...
- * Obwohl wir Geschlechterkategorien als Konstruktion erkennen, ist die Zweigeschlechtlichkeit mitsamt ihren „natürlichen“ Zuschreibungen eine gesellschaftliche Realität, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Aus diesem Grund verwenden wir zwar die Bezeichnung „Frauen“, markieren diese aber mit einem Stern. Insbesondere wollen wir in dem Zusammenhang mit Schwangerschaft darauf aufmerksam machen, dass es verschiedene Menschen gibt, die schwanger werden können. Dies kann nicht nur Frauen betreffen, sondern z.B. auch Trans*Männer, intergeschlechtliche Personen oder Menschen, die sich nicht in Geschlechtskategorien einordnen (lassen) möchten. [zurück]
- vgl. Jennifer Stange http://www.weiterdenken.de/downloads/Evangelikale_Download_2014-01-13.pdf [zurück]
- vgl. http://www.svss-uspda.ch/abtreibungsfinanzierung.htm [zurück]
- vgl. whqlibdoc.who.int/publications/2011/9789241501118_eng.pdf S.28 [zurück]
anreise leipzig
in leipzig kann sich 16uhr (!) am rsl fanladen getroffen werden.