Es gibt Arbeit am Brückentag im Rathaus: Oberbürgermeister Dieter Salomon hat die Polizei und Vertreter diverser Ämter der Stadt zum Rapport gebeten. Salomon will des Kriminalitätsproblems Herr werden, das die Stadt zur Zeit hat. Im Detail geht es um die Serie von Überfällen und Diebstählen in verschiedenen Bereichen der Altstadt und im Stühlinger sowie um den verschärften Handel mit harten Drogen am Stühlinger Kirchplatz. Der OB macht das Thema Sicherheit zur Chefsache, verlautetet aus dem Rathaus. Dort sieht man nun an erster Stelle die Polizei in der Pflicht.
Die Straftatenserie und die Schilderung von teils gravierenden Vorfällen am Kirchplatz, die der dortige runde Tisch öffentlich machte, beschäftigen nun auch die Stadtspitze. "Die Probleme haben eine neue Dimension erreicht", räumte Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ein, der für die Stadtverwaltung Stellung nahm. Berichte wie die des runden Tisches seien bislang noch nie in dieser Deutlichkeit an die Verwaltung herangetragen worden. Es geht unter anderem darum, dass auf dem Kirchplatz und in Nähe des Hebelschulhofs offen mit Heroin gedealt wird, so berichteten es jedenfalls mehrere Bürger.
Von Kirchbach sieht in erster Linie die Polizei in der Pflicht. Sie
müsse durch Kontrollen und repressive Maßnahmen "klare Kante zeigen". Es
gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern um einen Schulterschluss
zwischen Polizei und Rathaus: "Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung
wieder herstellen", so von Kirchbach. Er begrüßt das Engagement der
Stühlinger Bürger, die den Platz für den Stadtteil zurückerobern wollen.
Was andere Straftaten anbelangt, die viele Menschen in der Stadt
beunruhigen, spricht der Sozialbürgermeister klare Worte: "Es kann nicht
sein, dass eine kleine Gruppe krimineller Jugendlicher eine Stadt in
Angst und Schrecken versetzt."
Die Polizei bestätigte am Mittwoch BZ-Informationen über einen weiteren
Überfall, der sich bereits Gründonnerstagnacht ereignet hat und der
bislang noch nicht öffentlich gemacht worden war. Ein 15-Jähriger war
gegen 23.15 Uhr an der Stühlinger Brücke von sechs jungen Männern
niedergeschlagen worden. Die alarmierte Polizei war schnell zur Stelle
und konnte die Täter fassen. Der Haupttäter sitzt in Untersuchungshaft.
Die Ermittlungen gegen einen Mittäter laufen.
Die Tatverdächtigen dieses Überfalls gehören laut Polizei zur Gruppe der
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. 15 bis 20 dieser Jugendlichen
sind auch wegen anderer Delikte in den Fokus der Ermittler geraten.
Einige von ihnen gehören zur Clique, die sich regelmäßig auf dem
Kirchplatz trifft. Dort kommen dann weitere Personen hinzu. Es werden
Drogen konsumiert und gedealt. "Es ist ein offensiveres Gebaren als
früher", sagt Polizeisprecher Dirk Klose. Die Zahl der Delikte habe aber
nicht zugenommen. Seit drei Monaten werde auch kein Heroin mehr
gehandelt. Die Polizei sieht keine Bandenstrukturen und verneint, dass
täglich eine weitere Gruppe – möglicherweise mit den Hinterleuten – aus
Frankreich auf den Platz komme.
Die am runden Tisch beschriebenen Vorfälle bei Kirche und Schule kennt
die Polizei nicht: "Wenn die Pfarrgemeinde oder die Schule uns
alarmiert, ist klar, dass wir sofort kommen", so Klose. Die Ermittler
können auch Berichte nicht bestätigen, dass mehr gebrauchte
Heroinspritzen als früher auf dem Schulgelände landen.
Hansjakob-Realschule und Hebelschule haben Schulhöfe zum Park hin.
Realschüler erzählen auf BZ-Nachfrage, dass auf dem Hof öfter Scherben
liegen, Spritzen haben sie noch nie gesehen. Ein Hebel-Werkrealschüler
meint, er hat früher mehr Spritzen gesehen, ein anderer gar keine: "Aber
Leute, die Gras dealen, oben an der Kirche", meint der 15-Jährige.
Diese Leute seien auch schon mal am Rand des Schulhofs gesessen.
Die Hebelschule ist auf der Hut. Spritzen finden sie hin und wieder,
sagt Konrektor Dennis Dietrich. Er betont, dass an Schüler oder auf dem
Hof keine Drogen verkauft wurden. Doch die Schule beobachtet, dass es
mehr Kontakt zwischen Kirchplatzleuten und Schülern gibt. Einzelne
Männer hätten sich schon auf dem Schulgelände aufgehalten, sagt
Dietrich. Es sei nicht auszumachen, ob die zu einer neuen Gruppe im
Milieu gehörten oder zur alten. Die Schule impft den Kindern ein, sich
fernzuhalten.
Die Schule besucht die Runden Tische. Sie ist in engem Kontakt mit
Stadtverwaltung und Polizei, so Dietrich: "Eigentlich immer." Die Schule
rufe auch die Polizei, wenn jemand nicht den Schulhof verlässt, der da
nicht hingehört. "Das ist früher passiert, das passiert auch jetzt." Das
Problem, sagt Dietrich, hat eine neue Qualität. Die aktuelle Situation
entwickle sich anders als sonst um diese Jahreszeit. "Aber das Problem
an sich ist kein neues. Damit leben wir seit Jahren."
Die Serie von kriminellen Handlungen rund um den Stühlinger Kirchplatz
reißt indes nicht ab. Am Mittwochabend kam es innerhalb der
Jugendgruppe, die am Platz seit Wochen für Unruhe sorgt, zu einer
Messerstecherei. Unterhalb der Stadtbahnbrücke begann ein Gerangel, bei
dem ein 18- bis 20-Jähriger, der angeblich Mohamed heißt, einem
17-Jährigen mit einem Messer in den Oberschenkel und dann in den
Unterarm stach. Zuvor hatte der Aggressor von der Brücke aus den
Heranwachsenden, der unten mit seinen Bekannten stand, mit einer Flasche
beworfen.
In den frühen Morgenstunden der Mainacht kam es zu einem weiteren
Zwischenfall. Ein 23-Jähriger feierte bei einer Spontanparty auf dem
Stühlinger Kirchplatz mit. Dort tanzte ihn ein Jugendlicher von hinten
an und zog ihm die Geldbörse aus der Gesäßtasche. Der Geschädigte
bemerkte den Diebstahl und sprach den Jugendlichen an, der in Begleitung
dreier weiterer junger Männer war. Die Gruppe flüchtete daraufhin,
gefolgt von Zeugen. Die Polizei konnte zwei der Täter festnehmen. Sie
sind 15 Jahre alt, stammen aus Algerien und gehören laut Polizei zur
Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge.
Freies Radio gegen BZ Stimmungsmache
Radio Dreyeckland setzt der BZ Hetze etwas entgegen: Interview mit Kriminologe Roland Hefendehl: Delinquenz ist bei Jugendlichen normal:
Wir finden Delinquenz dort, wo wir hinschauen: Der Kriminologe Prof. Roland Hefendehl über die Kriminalisierung von Flüchtlingen und die Konstruktion von "No-Go-Areas"