[Tü] Selbstverbrennung eines Geflüchteten

Am 20. Februar nahm sich Kahve Pouryazdan in Tübingen durch eine Selbstverbrennung das Leben. "Er habe in Deutschland zehn perspektivlose Jahre verbracht, erzählte eine Vertraute, die ihn seit seiner Ankunft kennt. Lange Zeit durfte er wegen seines Status als Asylbewerber den Landkreis Tübingen nicht verlassen. Alle drei Monate musste er zum Amt, um seinen Aufenthalt zu sichern. [...] Am Tag seines Todes schrieb er im Internet auf Facebook, der Tod sei für ihn besser, als so zu leben" (Schwäbisches Tagblatt, 28.2.2014).

 

Zu einer Gedenk- und Trauerfreier erschienen eine Woche nach dem Todestag 100 Menschen. In der lokalen Zeitung erschien ein sehr guter Kommentar, der die deutsche Asylpolitik und die Bedingungen, unter denen die Geflüchteten in Deutschland leben müssen, in den Mittelpunkt der Kritik setzt. 

 

In Trauer und Wut, für den Kampf der Geflüchteten.

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Unendlich traurig, sowas.

In der Hoffnung, dass er nicht vergessen wird und in Erinnerung an all die, deren Leben durch deutsche Asylpolitik zerstört wurden.

Wenn der Tod besser als ein Leben in Deutschland erscheint, muss zu den herrschenden Zuständen mancherorts nichts mehr gesagt werden: dieser und andere Fälle zeigen es besser als jede Erklärung.

Hier ein weiterer Artikel aus der Lokalzeitung "Schwäbisches Tagblatt"

 

Der Menschenrechtsaktivist Kahve Pouryazdani ist tot


Kahve Pouryazdani starb an einem Frühlingstag. Auf eine Art und Weise, die jene, die ihn kannten, sofort an Tunesien erinnern würde und die Art und Weise, wie die arabische Protestbewegung begann. Oder an politisch motivierte Selbstverbrennungen im Iran -  davon handelt sein letzter Facebook-Eintrag. Am Donnerstag hat Kahve sich hinter der Stiftskirche selbst verbrannt. Er wurde 49 Jahre alt.


In Tübingen traf man "Kahve", alle kannten ihn nur unter diesem Namen, meist auf der anderen Seite der Kirche. Bis vor wenigen Jahren baute er dort unermüdlich einen kleinen hölzernen Infostand auf, der so konstruiert war, dass er ihn mit dem Fahrrad befördern konnte. Wenn die Menschen Bescheid wüssten über die Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland Iran, dann, so seine Logik, würde sich etwas ändern. Es war das einzige, was er für sein Land und seine Familie von Tübingen aus tun konnte.
Der grünen Bewegung fühlte er sich eng verbunden. Als das Regime Ahmadinedschads mit Gewalt gegen Demonstranten vorging, litt er aus der Ferne mit. Nächtelang surfte er im Internet, schrieb selbst an Blogs mit, betrieb seine Informationsarbeit auf allen Kanälen. Stundenlang berichtete er Freunden von der Diktatur, die er bis vor etwa zehn Jahren selbst miterlebt hatte und über die er nun übers World Wide Web auf dem Laufenden blieb. Darüber, wie Menschen wegen kleinster Vergehen hingerichtet wurden. Wie in Gefängnissen gefoltert wurde. Wie unmöglich es für Frauen war, gleiche Rechte wie die Männer in Anspruch zu nehmen. Und wie viele Menschen es im Iran gab, die so dachten wie er: Dass sich endlich etwas ändern müsse. Dass Demokratie nötig sei. Dass Kirche und Staat voneinander getrennt werden müssten.
Er persönlich fand eine konstitutionelle Monarchie am besten - aber nur, wenn diese in einer demokratischen Wahl beschlossen würde. Die genaue Form schien ihm nie so wichtig wie dieses: Dass aus dem Iran ein Land werde, in dem die Menschen in Frieden und Würde leben können.
Auch im TAGBLATT ist schon über Kahve berichtet worden. "Schreib' nicht so viel über mich, schreib' lieber über die Menschenrechtsverletzungen im Iran", sagte er beim Interview. Es war ihm unangenehm, so im Mittelpunkt zu stehen. In jüngster Zeit gab es keine Infostände mehr auf dem Holzmarkt. Es waren nie sehr viele Leute stehen geblieben, um sich die furchtbaren Bilder von Folteropfern anzuschauen und um mit Kahve zu reden. Dass er so wenig tun konnte, dass ihm die Hände gebunden waren, dass es auch unter der aktuellen Regierung schlimmste Menschenrechtsverletzungen gibt: Darunter litt Kahve sehr, wissen enge Freunde.
Kahve ist als Asylbewerber nach Deutschland gekommen - aus Angst vor Abschiebung zunächst unter einem falschem Namen, der auch hier weiter verwendet werden soll, um seine Familie zu schützen. "Jetzt bin ich seit zehn Jahren hier", sagte er neulich und schien selbst ein wenig verwundert darüber.

Erst vor Kurzem erteilte das Amt ihm wieder eine Arbeitserlaubnis - nach vielen Jahren, in denen er zum Untätigsein und damit auch zum Grübeln verurteilt war. Aber der Arbeitsmarkt kennt in solchen Fällen kein Pardon. Um die 50, eine lange Pause, Migrationshintergrund, eine Ausbildung als Dreher, die durch die neuesten technischen Entwicklungen überholt ist - die Chancen standen nicht gut. Immer wieder waren Absagen in der Post.

Und erst vor wenigen Monaten erhielt Kahve sogenannten "subsidiären Schutz". "Es kam für ihn zu spät", sagt sein Anwalt Manfred Weidmann. Es ist noch nicht so lange her, da musste Kahve alle drei Monate zum Amt, um seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen. Er, der so öffentlich das iranische Regime anprangerte, der so offensichtlich nicht zurück konnte zu seiner Familie, obwohl er sie vermisste, musste immer wieder zittern, ob nun nicht doch die Aufforderung käme, auszureisen. In sein altes Leben konnte er nicht zurück, ein neues durfte er nicht anfangen. Dieser Schwebezustand zwischen zwei Welten, ohne Perspektive, hat an seinen Nerven gezerrt.

Einmal, vor ein paar Jahren, da hätte es fast geklappt mit dem neuen Leben. Ein Bekannter bot ihm an, einen kleinen Toto-Lotto-Laden in Köln zu übernehmen. Wie gut es zu Kahve gepasst hätte, Kiosk-Betreiber zu sein! Er hätte in aller Ruhe mit den Stammgästen Kaffee getrunken und eine Zigarette geraucht, er hätte mit seelenruhiger Freundlichkeit Süßigkeiten und Tabak, Lottoscheine und Zeitungen verkauft. Er hätte mit den Kindern gescherzt und mit den Erwachsenen gefachsimpelt. Er wollte keine Reichtümer, keine Karriere. Er war ein einfacher Mann, dem Freunde wichtig waren. Und die Gerechtigkeit. Würde. Menschlichkeit. Der wenig Geld hatte, aber viel Bereitschaft, das wenige zu teilen. Der hervorragendes Lammgulasch kochte und abends gern mit Freunden um eine Feuerstelle saß, wo er auf langen metallenen Stangen Hackfleisch röstete.
Aber er durfte kein Kioskbetreiber werden. Als das Angebot kam, durfte er laut Asylgesetz weder arbeiten noch den Landkreis verlassen. Vielleicht ist damals wieder ein bisschen Hoffnung zerbrochen.