Manifest gegen die Arbeit

Moderne Zeiten

Ein nicht mehr ganz neuer (1999), sehr guter und wie ich finde sehr wichtiger Text der Gruppe "Krisis", an dem meines Wissens der im letzten Jahr verstorbene Robert Kurz maßgeblich mitgearbeitet hat. Vorweg und zum Thema passend ein Zitat von Hans-Jürgen Krahl.

 

Die Frage: warum lassen sich die Lohnarbeiter ausbeuten, wäre also präziser zu fassen: Warum lehnen sich die Lohnarbeiter nicht gegen das Kapitalverhältnis auf? Denn nur auf dem Sachverhalt, dass sie sich ausbeuten lassen, beruht die Reproduktion des Kapitals - das heißt, ein entscheidender »subjektiver Faktor« ist Träger des kapitalistischen Reproduktionsprozesses oder tendiert nach Maßgabe des Möglichen zu dessen Zerstörung im Sinne des Proletariats: das Bewusstsein des Proletariats. Dieses - wo es eine kollektive Solidarität begründet, die auf der Einsicht in die objektive Stellung der Lohnarbeiter im Produktionsprozess beruht - stellt sich im engeren Sinn als ein Zeitbewusstsein dar, sowohl dort, wo dem Proletariat ein Klassenbewusstsein zukommt, als dort, wo dieses verunmöglicht wird.

 

In der Phase der ursprünglichen Akkumulation kam es durchaus vor, dass Lohnarbeiter zu arbeiten aufhörten, wenn sie ausreichend verdient hatten und den Rest des Tages oder der Woche versoffen, verspielten oder verhurten - was durch die Art der Entlohnung möglich war. Dieses Faktum zählt zu den subjektiven Bedingungen der Notwendigkeit einer terroristischen außerökonomischen Zwangsgewalt, wie sie vom absoluten Staat repräsentiert wird (Hobbes). Das heißt: die ökonomische Gewalt war von den Lohnarbeitern noch nicht derart verinnerlicht worden, dass ihnen das Kapitalverhältnis als eine unabänderliche Naturgegebenheit erschien. Durch einen blutigen Expropriationsprozess wurden die Massen in sie hineingezwungen. Verinnerlichung ökonomischer Gewalt heißt vor allem: die Internalisierung der Arbeitsnormen ins Zeitbewusstsein,das Bewusstsein der Lohnarbeiter über ihre objektive Stellung im Produktionsprozess und damit die Erinnerung an Ausbeutung auszulöschen,die Bildung von Klassenbewusstsein zu verhindern. Die Vernichtung des wie auch immer religiös kanalisierten emanzipatorischen Zeitbewusstseins lässt die Lebenszeit zur Arbeitszeit werden. Darauf beruht also das zentrale Naturgesetz der kapitalistischen Entwicklung.

 

Arbeitszeit ist verdinglichte Zeit, auf ihr Gegenteil, den Raum, rein quantitative Ausdehnung reduziert. Die emanzipatorische Lebenszeit wäre aber mit der kapitalistischen Produktionsweise nicht nur religiös kanalisiert, sondern als geschichtlich qualifizierte Zeit der Freiheit - Konstituens der Individualität - möglich. Arbeitszeit ist deren Gegenteil - entzeitlichte und ontologisierte Zeit. Es liegt im Interesse des Kapitals, dass die Herabsetzung der Arbeitszeit und die darin implizierte Möglichkeit einer Befreiung von gesellschaftlich überflüssiger Arbeit den Arbeitern als unmöglich sich darstellt. Zeit - das Medium des Lebens und der Geschichte - wird zu ihrem Gegenteil, einem blinden Naturgesetz. Nicht erfüllen die Menschen ihr Wesen in der Zeit, sondern die Zeit subsumiert sich schicksalhaft naturwüchsig die Menschen - so wie die Kantische Natur, der Hegelsche Weltgeist, das Selbstbewusstsein. Zeit - das was nicht dinglich ist - erscheint als verdinglicht, im Geld; Zeit - das was nicht natürlich ist (dreidimensional) - erscheint als naturwüchsig; Zeit, der Inbegriff qualitativer Veränderungen erscheint als unveränderliche - bloß auszufüllende - Form. Die Vernichtung emanzipatorischen Zeitbewusstseins durch außerökonomische Zwangsgewalt, die Verdinglichung der Lebenszeit zur rein quantitativen Arbeitszeit ist eine  Bedingung der Möglichkeit des allgemeinen Wertgesetzes, des sich verwertenden Werts - dessen Qualität die reine Quantität der Arbeitszeit, reine Größe ist.

 

Hans-Jürgen Krahl (Transzendentalität und Kapital - zur Konstitution der Arbeitszeit als des verhängnisvollen Naturgesetzes der kapitalistischen Entwicklung)

Nicht mehr der alttestamentarische Fluch “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen” lastet auf den Herausgefallenen, sondern ein neues, erst recht unerbittliches Verdammungsurteil “Du sollst nicht essen, denn dein Schweiß ist überflüssig und unverkäuflich”.

 

Manifest gegen die Arbeit

 

http://www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit

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Lohnarbeit sollte in der radikalen Linken mehr Beachtung bekommen, finde ich und mehr Protest(-formen) dagegen entwickelt werden, weil das ein Feld ist, was ganz und gar nicht vom Kapitalismus integriert werden kann und schon im Kampf gegen die Arbeit das Neue, das Andere hervorscheint.

das gibts dank dem FSK Hamburg auch zum anhören

https://www.youtube.com/watch?v=Bppi2jyLUt0