Die kürzlich erschienene Broschüre “Das verflixte Wort mit D” versammelt vier Beiträge zu Demokratie aus linksradikaler Perspektive. Sie schließt damit an die Auseinandersetzung um Demokratie an, die im Zuge der Krisenproteste, Occupy, Blockupy und M31 entstand. Die Broschüre ist keineswegs als Abschluss dieser Auseinandersetzung gedacht, vielmehr als eine ihrer Fortsetzungen. Wir freuen uns über Kritik, eigene Texte oder Veranstaltungen zu dem Thema.
Ihr findet die Broschüre unten, könnt sie von aze.blogsport.eu downloaden oder mit etwas Glück im lokalen Infoladen/Szenetreff finden. Eine Liste der bundesweiten Orte, die die Broschüre führen, steht in Kürze auf unserer Homepage. Auf Anfrage schicken wir sie Euch auch zu.
In den Krisenprotesten der letzten Jahre um 15M, Occupy und Blockupy sowie auch in den Kämpfen des Arabischen Frühlings war die Frage nach Demokratie und Formen der Politik äußerst wichtig. Diese Bewegungen zeichne(te)n sich einerseits dadurch aus, dass sie auf keinen klassischen linken Theoriegebäuden fußten, andererseits entwickelten sie eine aufeinander Bezug nehmende Praxis, die sich größtenteils antagonistisch zu den herrschenden politischen Verfahrensweisen positionierte. Die in allen Kämpfen immer wieder aufscheinende Frage nach der politischen Organisierung bzw. der Organisierung der Politik war für uns Anlass, eine inhaltliche Auseinandersetzung über die Sphäre des Politischen, mithin des Demokratischen bzw. der Demokratie, anzuregen.
Der erste Text ist von der Gruppe *andere zustände ermöglichen, welche die Broschüre initiiert hat. Auch wenn Demokratie zumeist mit einer Herrschaftsform des Staates gleichgesetzt wird und zur Selbstlegitimation des Kapitalismus genutzt wird, meint *aze, dass schon in der jetzigen Verwendung des Begriffs emanzipatorische Aspekte, welche über die bestehende Herrschaftsstrukturierung hinaus weisen, vorhanden sind. Der Begriff der Demokratie wird dem Verständnis einer festen Form oder der Identität mit einer Herrschaftskacke wie der BRD entführt und als Beschreibung für revolutionäre Situationen, in denen mehr Gleichheit in der Strukturierung der Gesellschaft erreicht werden kann, verwendet.
Die Möglichkeit einer positiven Bezugnahme auf den Demokratiebegriff wird auch von Hanno aus der Interventionistischen Linken (IL) in seiner konkreten Analyse der Proteste der Empörten in Spanien, geteilt. In Spanien ist der Slogan »Echte Demokratie« zentraler Bestandteil der Bewegung. Seine Analyse, Negri/Hardt rezipierend, gründet er auf dem Gegensatzpaars des Konstituierten und dem Konstituierenden. Das Konstituierte ist dabei der Staat, das Festgefügte und Institutionalisierte. Das Konstituierende wird als eine Politik von unten durch die Multitude verstanden. Durch die konkrete Analyse der Bewegung der Empörten ist es möglich wichtige Aspekte eines konstituierenden Prozess von unten auszuloten.
Detlef Georgia vom NAO-Prozess ist deutlich skeptischer, was die Potentiale des Demokratiebegriffs angeht und argumentiert aus einer rätekommunistischen Perspektive. Demokratie ist für sie zunächst ein leerer, idealistischer Begriff. Eine »echte Demokratie« kann es nicht geben, weil es keinen Kern des Demokratiebegriffs gibt, auf den sich wieder besonnen werden könnte. Demokratie ist demnach zunächst die juristische Rahmenbedingung für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Aus dieser Einsicht wird für den Begriff »Rätedemokratie« plädiert, weil er die Unterschiede zum hegemonialen Demokratieverständnis deutlich macht und betont, dass die Frage nach der politischen Organisierung der kommunistischen Gesellschaft virulent ist.
Im letzten Text diskutiert die Gruppe ...never going home (ngh) über Demokratie. Sie analysieren Demokratie als integrative Herrschaftstechnik im Kapitalismus, schließen einen utopischen Überschuss von Demokratie aber nicht aus, der den Begriff auch gegen die bestehenden Zustände anführen lassen könnte. Abschließend wird die Problematik auf geworfen, wie die radikale Linke zur Einbindung aller steht, wie Abgrenzungen in der Organisierung legitimiert werden und warum sie notwendig sein können.
Dass Demokratie, wie auch immer beurteilt, von einem Gleichheitsversprechen lebt, ist dabei klar. Diesem Inhalt steht die Form der Broschüre teilweise entgegen, ein akademischer Slang und die Beschränktheit der Autor_innen auf einen bestimmten linksradikalen Szenebereich sind uns bewusst. Es kann also keineswegs Anspruch sein, den Diskussionsstand »der Szene« zu Demokratie wieder zu geben. Vielmehr soll diese Broschüre zu eben jener Diskussion und weiteren inhaltlichen Beschäftigungen und Auseinandersetzungen anregen.
Wenn ihr es nur nicht als linksradikal bezeichnen würdet...
Ich habe jetzt nur euren Text gelesen und mache mal einen Vorschlag zur Güte: Ihr streicht das radikal bei linksradikal, dann passt es.
Was ihr euch vom taktischen Gebrauch des Demokratiebegriffs erhofft, sind durchweg rein reformistische Ziele. Macht, Herrschaftsverhältnisse oder Diskriminierung sind Begriffe, die ihr aus dem liberalen Gedankengut des Poststrukturalismus entlehnt. Eure demokratischen Momente zielen auch nur auf Veränderungen, wie sie sich auch die Diversity-Managerin von Mercedes oder die Gleichstellungsbeauftragte an der Uni erwünschen. Alle sollen, unabhängig von antiquierten Differenzen wie Geschlecht oder Herkunft als Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Denn je mehr Arbeitskräfte, desto geringere Löhne.
Es ist ja nichts gegen Antidiskriminierungs-Politik zu sagen, aber dies unter linksradikal zu verbuchen, ist eine irrige Annahme. Ihr sorgt damit sicher dafür, dass ein paar Menschen ein etwas netteres Leben im Kapitalismus haben, aber das war es dann auch schon.
Deshalb postuliert so viel "Demokratie" wie ihr wollt, aber tut bitte nicht so, als wäre daran irgendetwas linksradikal, außer eurer subkulturellen Selbstverortung.