(Griechenland) Über die revolutionäre Praktik der Sabotage im Zusammenhang mit dem „Green Nemesis“ Projekt

You spoke - Coca-Cola listened

Übersetzungsversuch mc, Januar 2014, Lager Lenzburg aus contrainfo

Während die Erklärung der FAI/IRF (Zelle Nicola und Alfredo) zur Sabotage an Coca-Cola und Nestlé-Produkten noch nicht weit verbreitet worden war und obwohl die AktivistInnen ihr Ziel in wenigen Stunden vollständig erreicht hatten als der Multi die vorsorgliche Rücknahme „jeder einzelnen 500ml Petflasche Coca-Cola Light und Nestea (aller Geschmacksrichtungen)“ ankündigte, begann allerseits eine endlose Nörgelei – sogar von Leuten, die behaupten sich dem Kapitalismus entgegenzusetzen und die nicht nur von sich selbst sondern auch von ihren FreundInnen denken möchten, „sie gehören zur Bewegung“ - zur politischen Korrektheit der Aktion, ihre moralische Dimension, ihre Wirksamkeit aus revolutionärer Perspektive und jener der Bewegung usw..

 

Zum Einwand der (konsumierenden) Öffentlichkeit

 

Es scheint, dass jede Person, die ihre Konsumdimension als eine der wichtigeren Dimensionen, nicht imstande ist abzuschütteln, immer mit tausend, vom „kapitalistischen“ Gesichtspunkt gesehen auch vernünftigen Einwänden daherkommt, im Versuch jede Aktion abzulehnen, welche die Grenzen der Legalität überschreitet, in einem System, das man andererseits annimmt zu bekämpfen. Als Ergebnis hat ein Chef von Coca-Cola in Griechenland eine kostenlose neue Kommunikationskampagne: der Kunde generiert und reproduziert die ihm günstigen Argumente und das gratis und franko.

 

Zuerst kam ein Gerede darüber wie gefährlich die Sabotage der beiden Marken für den breiten Konsum sei: „Was wenn ein kleines Kind aus der sabotierten Flasche getrunken hätte? Was wenn jemand von eurer Familie vergiftet worden wäre? Jemand der euch Lieben? Der Pfarrer der Pfarrei? Unschuldige Leute werden wieder einmal drankommen und nichts wird sich verändert haben...“

 

Andere wiederum fokussierten auf die Tatsache, dass Multikolosse wie Coca-Cola und Nestlé den Schlag nicht spüren würden, dass so ein Schaden für die nichts sei. Dass auch, wenn eine Sabotage global wäre „sie es schlussendlich überbieten würden, indem sie sie Verpackung ändern würden (z.B.) so dass man sie nicht mehr kontaminieren könne und sie die Kosten wieder einmal auf den Konsumenten abwälzen würden“, oder „der Konsument könnte leicht für einige Tage eine andere Marke Coca- Cola oder Eistee kaufen und dem System selbst entstünde keinerlei Schaden“.

 

Natürlich kam jeglicher entrüstete Bewegungsmensch zu dem Schluss, dass diese spezifische Aktion „der Bewegung nur Schaden und sie verleumden kann und diese AktivistInnen nichts als ein Haufen IdiotInnen sind, die spaltend handeln,“ usw.

 

Sie machten sich nicht einmal auf der logischen Ebene der Überlegung die Mühe, die Gegenargumente in Betracht zu ziehen.

 

a) Diese spezifische Aktion brachte nie irgend wessen geschütztes Rechtsgut in Gefahr, ausser den breiteren wirtschaftlichen Interessen der beiden Multis, stellte keine reale Gefahr für irgendwelche belanglosen BürgerInnen, irgendwelche Kinder oder unwichtige und ahnungslose KonsumentInnen dar. Die Warnung war prompt, wirksam und nachvollziehbar (beide mitsamt der Erklärung, dem Video und der Gesamtstrategie), während eine viertägige Frist in ähnlichen Umständen nie zuvor gegeben wurde (ähnliche Beispiele gab es mindestens in Griechenland noch nie). Es war mehr als sicher, dass die gleichen Produkte sofort vom Markt genommen bzw. der Aufforderung ohne weiteres stattgegeben würde, nicht etwa aus humanitären Gründen sondern weil beiden Multis ihren kommerziellen Ruf nicht aufs Spiel gesetzt und einen enormen wirtschaftlichen Schaden riskiert hätten. Wenn jemand im Schachspiel den König bedroht, so manövriert der Gegenspieler den König einfach ins Abseits wenn er es sich erlauben kann, und in diesem Fall konnten sie es sich leisten. Der heilige Profit würde ja nie gefährdet werden. Sie würden lieber einige (oder etliche) tausend als alles verlieren. Die AktivistInnen und ihre Gegner waren sich dessen sehr wohl bewusst. Jemand wird dem nun entgegenhalten: „Und wenn die Erklärung nie geöffnet worden wäre?“ In diesem Falle wären die Multis, die angeschriebenen JournalistInnen, die Polizei usw. die einzigen Verantwortlichen für das, was geschehen wäre. Sie alle hätten entschieden, eine potentiell vergiftete Ware im Verkauf zu belassen, bloss um einen oder zwei Multis vor einem kurzzeitigen Schaden zu schützen.

 

b) Die Tatsache, dass der Gegner möglicherweise Wege suchen würde, um gut raus zukommen, ist total vernünftig und zu erwarten, was nicht heisst, dass die Sabotage nicht funktioniert hat. Im Gegenteil funktionierte sie so gut, dass der Gegner gezwungen wurde auf eine für ihn kostenträchtige und mühselige Art und Weise zu reagieren. Was die KonsumentInnen anbelangt: wenn ein Produkt unprofitabel und unverhältnismässig teuer ist dann kaufen sie es einfach nicht... Ist es nicht genau das, was uns die KapitalistInnen mit den Märchen über den freien Markt usw. gerade auftischen wollen? Wieso sollten sie Lust darauf haben, dass ihr Wort zum ersten Mal wahr würde?

Falls in Zukunft die Behörden entscheiden werden, in solchen Fällen nicht einzugreifen, werden sie die einzigen Verantwortlichen für alles sein was geschehen wird. Sie hätten den Profit über jeden anderen Wert gestellt; sie hätten eine Gefahr verschleiert, obwohl sie immer ihre Scheisse über die Informationsfreiheit und Verbreitung erzählen.

 

c) Der Staat wird nie nach Vorwänden suchen müssen, um auch die repressivste Politik gegen jene zu betreiben, die ihm feindlich gesinnt sind. Die Räumung von Squats, die unbeschränkte Gewalt gegen Demos, die Folter in den Polizeikasernen Athens, die provozierenden rassistischen Statements der griechischen Polizeispitzen sollten eigentlich alle überzeugt haben, dass die staatliche Gewalttätigkeit sich nicht rechtfertigen muss, zumindest nicht in dieser Periode. Und, die Wahrheit, es existiert gar keine „Bewegung“. Im Gegenteil, die Herausforderung ist gerade heraus zu finden, wie eine solche Bewegung erst gebildet werden kann.

 

d) Die traditionellen Formen des Antiregierungs- bzw. Antistaatskampfes haben dazu geführt, dass in der wahrnehmbaren Bewegung ein Sättigungspunkt erreicht wurde.

Die Strassenproteste jedes Jahr, sogar wenn massiv, sind nur auf spektakulärer Ebene erfolgreich, ohne irgendein Resultat. Schliesslich ist sogar das aggressivste politische Milieu, das anarchistische nämlich, in einer andauernden Defensive und hat bloss kurze Ausbrüche zu verzeichnen. Es rennt immer der staatlichen Aggression hinterher. Und verbleibt in der selbst hergestellten Falle des einzig andauernden antifaschistischen Kampfes hin gefangen. Revolutionäre Vorstellungskraft ist schon recht wenn auf Mauern, in Blogs und Texten ausgedrückt; aber noch besser, wenn sie gegen die Kapitalisten in die Offensive geht und ihnen auch nur einen Schluck Champagner wegnimmt und der Bewegung zu kleinen oder grossen Siegen verhilft.

 

Was die Aktion in Wirklichkeit erreicht hat

 

Abgesehen vom Schaden selbst gegen die beiden Multis, gibt es neue Elemente, die seltsamerweise von keinem/r Bewegten in Betracht gezogen wurden...

 

- Der sofortige und vollständige Erfolg der Aktion (reales Ergebnis).

 

- Die breite und schnelle Verbreitung der Erklärung; bzw. die politische Botschaft hinter der Aktion erreichte jede Ecke der Gesellschaft, jede Wohnung, jeden Konsumenten.

 

- Die unblutige, absolut gewaltlose Strategie (für jene, die Gewalt verurteilen woher sie auch komme, ausser man betrachte auch den wirtschaftlichen Angriff auf einen Multigiganten als Gewalt, egal ob die Aktion keinerlei Person irgendeinen Schaden zufügte).

 

- Die Tatsache, dass nur die angegriffenen Multis Verluste erlitten und niemand anders, aber auch die Tatsache, dass der Kapitalismus, anstatt gewisse Repräsentanten des Kapitalismus, klar und letztlich unzweideutig als Gegner genannt wurde, als wirtschaftliches - und Wertesystem. Die Aktion personifiziert das Ziel nicht, sondern zielt auf ein System ohne dazu irgendeine besondere Feindperson zu nehmen.

 

- Die Sicherheit der Aktion für die AktivistInnen selbst. Selbstverständlich gab es nach dem Rückzug der betroffenen Produkte für irgendwen einen Grund die Gefahr einzugehen, das vergiftete Produkt dort abzulegen, wo keine entsprechende Marke mehr vorhanden war (eben wegen des Rückrufs der Produkte)... Das vergiftete Produkt würde nie in irgendwelche Regale kommen, denn die Absicht der Aktion wurde vollständig erfüllt. Alles andere wäre völlig unlogisch.

 

- Die Tatsache, dass die Mittel des Gegners eingesetzt wurden. Das ganze Spiel lief über die Gefährdung des Ansehens und der Kundschaft beider Multis. Was auf dem Spiel stand (wie die SpitzenjournalistInnen berichtete) war tatsächlich der Profit und wie die betroffenen Multis die Lage einschätzen würden, welche Reaktion ihnen der kleinste Schaden einbringen könnte. Hier haben wir neue Strategien für die, die der Demos und Zusammenstösse mit total ausgerüsteten Bullen müde sind, für jene, die den bewaffneten Kampf ablehnen, für jene, die auf Appelle an die Gesellschaft wert legen. Es ist eine grosse Herausforderung das Mark der gegnerischen “Zivilisation” auszunutzen um sie umzustürzen. Es war ein Schlag (symbolisch und real) ins Herz des Kapitalismus, den einzigen “Wert” den sie wirklich hochhalten: Profit. Profit koste es was es wolle, gegen den Menschen, die Natur und die Vernunft.

 

- Die/der revolutionäre/antikonsumistische (nach all dem oben genannten) Unterweisung/Weckruf (innerhalb und ausserhalb einer Börsenquotierung) für jene, die sachlich die spezifische Sabotage in Betracht ziehen können; und davon gibt es noch etliche. Wahrlich, wie viele sind wohl traurig, dass unsere liebsten Soft-Drinkmultis auch nur den kleinsten Schaden erlitten haben? Wie viele identifizieren sich selbst wohl mit deren Wirtschaftsinteressen und schliesslich, was für Bewegungsleute sind denn die, die sich effektiv damit identifizieren?

 

Über den Aktivismus und “moralische Bedenken”

 

Abgesehen davon, welche Vorstellungen jemand von den Mitteln zur Erreichung der Revolution haben kann, die Subversion dieser Welt, die Rebellion (nenne es wie du willst), die Diskussion über diese Mittel ist unausweichlich. Leider werden die Eliten ihre Privilegien und ihre Macht, die sie direkt und indirekt ausüben, nicht einfach mir nichts dir nichts aufgeben.

 

Die Position aller, die den Bruch nicht wünschen, ist akzeptabel. Sie wollen ihn vielleicht nicht weil sie Angst haben, weil sie nicht wissen Wie usw., das alles ist akzeptabel. Wenn sie aber über das hier diskutieren, haben sie notwendigerweise das Wie in Betracht zu ziehen; falls sie etwas Selbstachtung haben.

 

Und wenn sie mit einer Sabotage wie dieser hier nicht einverstanden sind (ein akzeptabler Gesichtspunkt), müssten sie ihr eigenes “was tun” vorschlagen; nicht diesen oder jenen Leuten, sondern sich selbst. Sie benötigen ein Neuüberdenken der Wirksamkeit aller hier vorher genannten anderen Methoden, oder nicht, die sich in der Geschichte bewährt haben und sollten sich selbst ehrlich sagen, was sie am Kampfmittel Sabotage denn genau dermassen stört. Sie sollten den Punkt sehen, den sie erreichen wollen, bevor sie andere verurteilen, die auf spezifische Art und Weise handeln. Und vielleicht alle Einwände vermeiden, die in der Vergangenheit erhoben wurden.

 

Kritik ist einfach. Kämpfen schwierig. Prinzipiell ist nicht kämpfen nicht tadelswert und auch nicht die Tatsache, dass immer wieder Fehler im Kampf gemacht werden. Tadelswert ist, aus der perspektive der KämpferIn jene zu kritisieren die kämpfen (mit ihren Fehlern und Vorzügen), wenn man sich mehr als normal um jeden Kampfakt kümmert ohne selbst zu kämpfen. Die Revolution sollte und muss Moral beinhalten, aber wenn die (stellvertretende) moralische Hemmung sie nicht entfalten lässt, so sind es jene mit den Hemmungen, die ein Problem haben, nicht die Revolution.

 

Dual group