Die brutale staatliche Repression kambodschanischer Textilarbeiter legt die anwachsende Sehnsucht des globalisierten Kapitals nach ungehemmter frühkapitalistischer Ausbeutung offen. Von Thomas Konicz.
Die Berichte,
die in den vergangenen Tagen aus Kambodscha durchsickerten, scheinen jedes antikapitalistische
Klischee zu bestätigen. Am vergangenen Freitag hat die kambodschanische
Militärpolizei das Feuer auf streikende Textilarbeiter eröffnet, um den seit
Wochen andauernden Streiks und Protesten das Genick zu brechen. Nach
Polizeiangaben sollen dabei mindestens vier Arbeiter erschossen worden sein.
Duzende Demonstranten wurden verletzt. Die "Spezialkräfte" des Militärs seien
mit "Eisenstangen, Messern, AK-47-Sturmgewehren, Zwillen und Knüppeln" gegen die
streikenden Arbeiter in einem Vorort südlich der Hauptstadt Phnom Penh
vorgegangen, berichtete
etwa die New York Times.
Nicht nur das mörderische Vorgehen der "Sicherheitskräfte" gegen die streikenden Arbeiter in Kambodscha weckt Erinnerungen an die staatlichen "Befriedungsaktionen", die im 18. und 19. Jahrhundert gegen rebellische Arbeiter in Europa oder Amerika üblich waren – als jeglicher radikaler Widerstand gegen die Zumutungen kapitalistischer Lohnarbeit einfach zusammengeschossen wurde.
Auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der kambodschanischen Textilarbeiterinnen erinnern an das verarmte Europa des 18. und 19. Jahrhunderts; an mörderisch lange Arbeitszeiten, an existenzbedrohende Hungerlöhne und massenhafte Kinderarbeit. Mit der massiven Streikwelle sollte von den Gewerkschaften eine Verdopplung des Mindestlohnes in Kambodscha erreicht werden, der derzeit bei umgerechnet 80 US-Dollar pro Monat liegt. Die kambodschanische Regierung hat hingegen eine Anhebung der Mindestvergütung auf 100 US-Dollar angeboten.
Die seit Wochen andauernde Streikwelle im kambodschanischen Textilsektor, die mit einer zunehmenden Oppositionsbewegung gegen die langjährige autoritäre Herrschaft von Ministerpräsident Hun Sen zusammenfällt, hat inzwischen eine ungeheure Dynamik entwickelt. Seit dem Jahreswechsel befinden sich rund 400.000 Arbeiterinnen im Ausstand – dies sind rund zwei Drittel aller Beschäftigten in der Textilindustrie des verarmten südostasiatischen Landes. Mit dem rabiaten Vorgehen will Hun Sen, der Kambodscha seit 1985 regiert, offensichtlich die gesamte Oppositionsbewegung treffen.
Billiglohnparadies für Lifestyle-Marken
Insgesamt haben sich rund 800 Textil- und Schuhfabriken in Kambodscha seit dem 90er Jahren des 20. Jahrhunderts niedergelassen, die unter brutalen Arbeitsbedingungen für den Weltmarkt - zumeist für westliche Auftraggeber in Europa und den USA – produzieren. Das Lohnniveau in Kambodscha ist sogar niedriger als in China oder Thailand. Trendige Lifestyle-Markten wie GAP, Nike, Adidas, H&M und Puma haben folglich das kambodschanische Billiglohnparadies für sich entdeckt. Der arbeitsintensive Industriesektor hat sich inzwischen zu der wichtigsten Exportbranche Kambodschas entwickelt, deren Einnahmen sich 2013 auf rund fünf Milliarden US-Dollar summierten. Zugleich nehmen die Streikaktivitäten in dieser Branche rasch zu: Allein in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres wurden Landesweit rund 130 Arbeitskämpfe gezählt. Bereits im vergangenen Mai sind einige Arbeiter bei Streikaktionen getötet worden.
Der Aufstieg des kambodschanischen Textilsektors – wie auch der gegenwärtigen Streikbewegung – ist den frühkapitalistisch anmutenden Zuständen in dieser Branche zuzuschreiben. Auch im 21. Jahrhundert wird bei der Herstellung von Textilien gerne auf flinke Kinderhände zurückgegriffen, die in Akkordarbeit zerschlissen werden. Mitunter werden mörderische Wochenarbeitszeiten von 80 Stunden gemeldet, bei denen die Arbeiterinnen binnen weniger Monate buchstäblich verheizt werden – auch in der kambodschanischen Textilindustrie werden selbstverständlich vorwiegend Frauen (90% aller Beschäftigten) eingesetzt. Mädchen von 13 oder 14 Jahren müssen oftmals an Wochentagen Schichten von 13 Stunden durchstehen, um dann noch am Samstag für acht Stunden in die Fabrik getrieben zu werden.
Die International Labour Organisation hat in einem umfassenden Bericht festgestellt, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in Kambodscha bei 47 Wochenstunden liegt. Bei Arbeitsstellen, bei denen Maschinen (wie etwa Nähmaschinen) zu Einsatz kommen, lag die durchschnittliche Arbeitszeit hingegen bei 53 Stunden. Die Untersuchung förderte zutage, dass rund die Hälfte der 7,2 Millionen Beschäftigten Kambodschas 2012 mehr als 48 Stunden wöchentlich arbeiten mussten – für einen durchschnittlichen Lohn von 112 US-Dollar.
Die Arbeiterinnen müssen von ihren mageren Einkünften oftmals die Familien auf dem Land unterstützen, auf dem sich kaum Einkommensmöglichkeiten finden. Wer sich diesem mörderischen Arbeitsregime nicht fügen kann, der wird umstandslos auf den kapitalistischen Menschenmüll geworfen. Sie sei sofort entlassen worden, erzählte eine Arbeiterin dem Guardian, nachdem sie kurz Urlaub genommen habe, um nach ihrer zweijährigen Tochter zu schauen: "Die Fabriken kümmern sich nicht um uns. Sie zahlen uns sehr wenig, sie lassen uns sehr hart arbeiten und sie schmeißen uns weg, wenn wir einen Moment lang nicht arbeiten können."
Dabei bediene die Textilindustrie Kambodschas, die in der globalen Textilbranche eine marginale Rolle spielt, eher das "mittlere Marktsegment", wie eine McKinsey Mitarbeiter gegebener der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausführte ausführte. Wer es wirklich billig haben will, der lasse in Bangladesch fertigen, "weil dort die Produktionskapazitäten um einiges größer und die Preise tendenziell noch niedriger" seien.
In Bangladesch forderten im vergangenen Oktober die Gewerkschaften einen Mindestlohn von 75 Euro, während die Unternehmerverbände für 34 Euro plädierten – bei branchenüblichen durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden. Nach China, das circa 40 Prozent der globalen Textilproduktion auf sich vereinigt, ist das 160 Millionen Einwohner zählende Billiglohnland aufgrund absoluter Hungerlöhne binnen einer Globalisierungsdekade zum zweitgrößten Textilproduzenten aufgestiegen, gefolgt von Indien und Vietnam.
Zustände, in denen Menschen wie auszupressende Wegwerfprodukte behandelt werden, sind somit in der gesamten globalen Textilbranche üblich. Es scheint fast so, als finde die Herstellung unserer Klamotten noch immer - oder schon wieder? - im 18. Jahrhundert statt. Die toten Streikteilnehmerinnen in Kambodscha wecken selbstverständlich Erinnerungen an eine Tragödie, die den Textilsektor in Bangladesch im vergangenen Jahr erschütterte. Mehr als 1.100 Arbeiterinnen sind ende April bei dem Einsturz eines illegal erweiterten Fabrikgebäudes ums Leben gekommen (9/11 für Bangladesch). Dieses profitgetriebene Desaster brachte erstmals die buchstäblich massenmörderischen Arbeitsbedingungen in der Textilbrache, in der sexueller Missbrauch, Gewalt, Lohnraub und unerträgliche Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung sind, in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit.
Die westlichen Modemarken reagierten diese Tragödie in Bangladesch auf zweierlei Wiese. Zum einen wurde eine Public-Relations-Kampagne gestartet, bei der marginale Zugeständnisse der Modekonzerne zu einem generellen Umdenken in der Branche hochstilisiert wurden. Zum anderen machten sich etliche Modehersteller daran, nach alternativen Produktionsstandorten Ausschau zu halten, wie die New York Times Mitte Mai berichtete. Bangladesch verschaffte den Modeketten nun ein "schlechtes Image", weswegen diese nun sich auf die Suche nach Alternativen in Südvietnam, Indonesien und im Kambodscha aufmachen würden.
"Eettlauf mit den Maschinen"
Ähnliche Absetzbewegungen in der Branche der Lifestyle- und Modekonzerne - die einer globalen Ausbeuterkarawane gleich dem größtmöglichen Elend folgt - sind auch im Fall Kambodschas zu beobachten. Die Modeketten würden sich nun "anderswo" nach neuen Produktionsstandorten umschauen, berichtete die FAZ. Branchensprecher der kambodschanischen Textilindustrie warnten bereits davor, dass "eine signifikante Erhöhung der Löhne einen Wegzug der Betriebe in andere Länder nach sich zöge". Selbst chinesische Textilproduzenten ließen ihre Waren nun in anderen asiatischen Ländern wie Bangladesch, Burma, Vietnam, Indien und Kambodscha fertigen, da das Lohnniveau in den Küstenregionen Chinas zu stark angestiegen sei. Unternehmen wie H&M würden inzwischen erste Produktionsstätten in Afrika eröffnen.
Dabei ist diese konkurrenzvermittelte Flucht der Branche in die barbarische Vergangenheit des Kapitalismus - die für immer mehr Menschen zu einer düsteren Zukunftsdrohung wird - gerade Ausdruck des weiter voranschreitenden technischen Fortschritts im Spätkapitalismus. Die kapitalistische Arbeitsgesellschaft kann nur auf Grundlage der alltäglichen Verwertung von Lohnarbeit funktionieren, doch zugleich verdrängen voranschreitende Rationalisierungs- und Automatisierungstendenzen die Lohnarbeit aus dem Arbeitsprozess. Die Lohnabhängigen werden so in einem absurden "Wettlauf mit den Maschinen" gedrängt, bei dem die Kosten von Automatisierungsmaßnahmen durch Lohnsenkungen unterboten werden müssen. Massenhafte Lohnarbeit kann folglich beim gegenwärtig erreichten, sehr hohen Produktivitätsniveau in immer mehr Branchen nur noch bei Hungerlöhnen und mörderischer Arbeitshetze aufrechterhalten werden. Ansonsten greifen Tendenzen zur Rationalisierung der Produktion – auch im Textilsektor mit Nährobotern.
Die Produktion von Textilien im hyperproduktiven Spätkapitalismus ist somit nur unter frühkapitalistischen Verhältnissen möglich. Darin besteht gerade die ganze Absurdität, auf der die zunehmende Arbeitshetze in der gesamten globalen Warenproduktion gründet: Gerade weil die Potenzen zur Produktion materiellen Reichtums ins Unermessliche ansteigen, vegetieren immer mehr Lohnabhängige in brutaler Ausbeutung und Armut - nicht nur in Bangladesch und Kambodscha, sondern zunehmend auch in den Kernländern des kapitalistischen Weltsystems.
Aufstand
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ein paar Fotos von den Riots in Kambodscha....gefunden auf "World of Riot".