Fliegende Steine, Böller und Wasserwerfer: In Hamburg haben sich Demonstranten und Polizei eine Straßenschlacht geliefert. Mindestens 70 Polizisten werden verletzt. Politiker kritisieren derweil die Taktik der Polizei.
Hamburg – Flaschen, Steine und Böller gegen Polizisten - Wasserwerfer gegen Demonstranten: Kurz nach dem Start eines Demonstrationszuges für den Erhalt des linken Kulturzentrums "Rote Flora" hat es am Samstag in Hamburg heftige Krawalle gegeben. Die Polizei löste die Demonstration daraufhin auf. Doch in Hamburg bleibt die Lage unübersichtlich.
Bis kurz vor 21.00 Uhr zählte die Polizei mehr als 70 verletzte Beamte. Zehn von ihnen mussten nach Angaben einer Sprecherin ihren Einsatz daraufhin beenden. Ein Polizist aus Niedersachsen wurde durch einen Steinwurf so schwer verletzt, dass er bewusstlos ins Krankenhaus gebracht werden musste. Genauere Angaben zur Zahl der verletzten Demonstranten und der Festgenommenen gab es zunächst nicht.
Kurz nach dem Start der Demo war die Lage eskaliert. Nachdem die Polizei den gegen 15 Uhr gestarteten Demonstrationszug stoppte, flogen Steine, Flaschen und Böller aus den Reihen der etwa 7300 Demonstranten auf die Beamten. Nach Einschätzung der Polizei waren unter Demonstranten rund 4500 aus dem linksextremistischen Spektrum - viele davon gewaltbereit.
Wasserwerfer im Einsatz
Die Polizei, die mit einem Großaufgebot von mehr als 2000 Beamten aus mehreren Bundesländern vertreten ist, reagierte direkt: Mit vier Wasserwerfern wurden die Demonstranten zurückgedrängt. Die Stimmung eskalierte darauf weiter. Weiter flogen Gegenstände in Richtung der Polizei.
Gegen15.30 Uhr erklärte die Polizei die Demonstration wegen "Unfriedlichkeit" für beendet. Die Situation eskalierte darauf weiter: Gegenstände flogen, laut Augenzeugenberichten wurden mehrere Demonstranten verletzt und mussten weggetragen werden.
Die Randalierer zogen derweil in Gruppen in Richtung Reeperbahn weiter und lieferten sich ein "Katz-und-Maus"-Spiel mit der Polizei. Auch dort kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzte. Die Reeperbahn wurde gesperrt. Unter anderem wurden bei einem SPD-Büro die Scheiben eingeworfen, Müll wurde angezündet.
Lage bleibt unübersichtlich
Bis zum Abend blieb die Lage unübersichtlich. In mehreren Hamburger Vierteln haben sich zwar kleinere Gruppen von Demonstranten versammelt. Müllcontainer oder Barrikaden brennen an verschiedenen Orten im Stadtgebiet.
Über den Kurznachrichtendienst Twitter berichten mehrere Augenzeugen und Anwohner von Polizeikesseln in verschiedenen Straßenzügen. Ob die Lage wieder eskaliert, ist derzeit nicht absehbar. Mehrere Demonstranten sind auch in der Innenstadt unterwegs. Jenen Bereich hatte die Polizei bereits am Freitag zur Gefahrenzone erklärt.
Unklar ist, warum die Polizei den Demonstrationszug stoppte. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet, dass die Polizei reagierte, nachdem Beamte mit Böllern und Rauchbomben beworfen worden waren. Gegenüber der FR stellte ein Polizeisprecher die Situation anders dar. Demnach habe die Polizei den Zug gestoppt, weil die Demo zu früh gestartet sei.
Bahnverkehr beeinträchtigt
Durch die Krawalle war auch der Nah- und Fernverkehr in Hamburg beeinträchtigt. Weil Demonstranten im Bereich des Schanzenviertels immer wieder auf die Gleise liefen, wurde eine S-Bahn-Strecke teilweise gesperrt. Fernzüge aus Hannover, Berlin, Bremen und Rostock endeten im Hamburger Hauptbahnhof und könnten nicht nach Altona weiterfahren. Fernzüge aus dem Norden würden umgeleitet und endeten dafür in Harburg, erklärte die Bahn.
Kritik an Polizei-Taktik
Christiane Schneider von der Bürgerschaftsfraktion der Linken warf der Polizei eine eskalierende Taktik vor. Sie sprach von einer heftigen Auseinandersetzung, bei der auch Demonstranten heftig zur Sache gegangen seien. Es habe aber auch eskalierende Polizeieinsätze mit ziemlich brutalen Festnahmen und Schlagstockeinsätzen gegeben.
Zuvor hatten sich die rund 7300 überwiegend aus dem linken politischen Spektrum stammenden Teilnehmer vor der «Roten Flora» im Schanzenviertel versammelt. Redner forderten ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge, die Abschaffung aller Flüchtlingsunterkünfte und «Wohnungen für alle». "Alles, was sich nicht der ökonomischen Verwertbarkeit fügen will, muss weichen", sagte einer der Redner.
Protest gegen Räumung der Roten Flora
Der Protest richtete sich gegen eine Räumung des seit mehr als 20 Jahren besetzten Kulturzentrums «Rote Flora», wie sie der Eigentümer Klausmartin Kretschmer angedroht hat. Außerdem ging es um das Bleiberecht für Flüchtlinge und die «Esso-Häuser» an der Reeperbahn. Die Häuser waren in der Nacht zum Sonntag wegen Einsturzgefahr evakuiert worden. Alle Bürgerschaftsfraktionen hatten in den vergangenen Tagen parteiübergreifend zu einem friedlichen Protest aufgerufen.
Rund 800 Menschen hatten zuvor in Hamburg-St. Georg auf einer Kundgebung friedlich für ein Bleiberecht von afrikanischen Flüchtlingen der sogenannten Lampedusa-Gruppe demonstriert. Vertreter der Flüchtlinge sprachen sich dabei für friedliche Proteste aus. «Wir wollen Kreativität und keine Gewalt», sagte ein Sprecher der Afrikaner. (han/zys mit dpa)
Fotos
Fotos: http://www.fr-online.de/panorama,1472782,25705684.html
Anzahl verletzter Polizisten
Der vorliegende Artikel aus der Frankfurter Rundschau ist bislang der einzige Bericht, in dem von "mindestens 70" verletzten Polizisten gesprochen wird. Überall anders wird deren Zahl mit 22 angegeben. Ob die Hamburger Polizei entsprechende Angaben in den letzten paar Stunden geändert hat oder was sonst dieser Differenz zugrunde liegt, ist nicht bekannt.