Die Demonstration in Hamburg wird ein gewaltiges Manifest dafür, wie richtig es ist, den Mord im Mittelmeer in den Mittelpunkt zu stellen. Selbst die scheinheiligen Reaktionen aus den kalten politischen Apparaturen, die ja für die nassen Massaker verantwortlich sind, spiegeln die Besorgnis vor dem Unmut der Menschen wider.
Die Bilder der Auslieferung von Kindern, Frauen, Männern in zerbrechlichen Booten an Wind und Wellen und den Tod sind (noch) zu stark. Die einkalkulierte Gewöhnung zerbricht immer wieder an der barbarischen Gelassenheit, mit der ein in FRONTEX hochgerüstetes Europa Menschen ersaufen lässt, dabei zusieht und Zivilisten am Retten hindert.
Über Solidarität hinaus eine Gemeinschaft mit ihnen herzustellen –die Fischer und Familien in Lampedusa, die in die trauernden Gesichter von Müttern, Vätern Geschwister, wir angesichts unserer migrantischen Freund_innen-, ist das Gebot der Stunde. Nehmen wir das hin, sind sie verlassen und wir verloren. Wir sind verloren, wenn wir die Demo und das was wir an Handeln damit verbinden, nicht zu einem Angelpunkt machen, an dem wir das ganze Netz der Menschenentwertung, der Lebensentwertung begreifen und angreifen. Sonst wird der Impuls der Demo ersticken. Ebenso, wie alle Einpunktauseinandersetzungen in ihrem Nest ersticken, wenn sie den Zusammenhang nicht herstellen, in den die Herr_innen die gesamte soziale Offensive organisieren. Kopf und Handeln. Zusammen gegen das Ganze.
Wir wollen das aus der Perspektive unseres kleinen Nests beleuchten. Aus den frischen Erfahrungen der sozialen „Kampfbaustelle“ Köln. Zahltag-Aktivist_innen hat sie am ersten Oktoberwochenende in Zelten auf einer Wiese eröffnet. Sie wollte zusammen mit Freund_innen von kein-mensch-ist-illegal, Recht-auf-Stadt, Antifa-Zusammenhängen etc. den Binnenmigrant_innen aus Bulgarien und Rumänien begegnen. Wie auch woanders sind das Leute, die zum Teil mit Familien unter Wuchermieten in heruntergewirtschafteten Elendsquartieren hausen müssen, in Autos, in Zelten, auf der Suche nach Arbeit, zu Niedrigstlöhnen, als Tagelöhner. Binnenmigranten im europäischen Grossraum. Linke sind gekommen. Aber vor allem Bulgar_innen. Wir waren überrascht, wie schnell sich zwischen uns was herstellte. Es ging um praktische Dinge aus dem Arsenal der Menschenentwertung: Wohnung, Gefahren des Jugendamts, verweigerte Anmeldung, verweigerte Annahme von Hartz-IV-Anträgen, alltäglicher Rassismus.
Ein Go-in ins Rathaus wurde spontan organisiert. Wir waren vierzig Leute, viele Bulgar_innen. Parolen, Transpi, Gesänge. Der OB ließ sich verleugnen. Schließlich wurde die Sozialdezernentin ins Feuer geschickt, die alles ja so gut verstand und einen Besprechungstermin am übernächsten Tag vereinbarte. Auf dem Rückweg ins Camp veranstalteten die Burgar_innen selbst die Demo mit Kundgebung vor dem Dom. Der Termin am übernächsten Tag: Knallhärte auf ganzer Front. Die lautete: soweit wir Euch nehmen, nur zu unseren Bedingungen: Elend, Überausbeutung über den Existenzrand hinaus, Leben unter Wert, wer im kalten Herbst und Winter stirbt - bitte sehr. Bloß keine Ermutigung für Nachzügler_innen.
Die gemeinsamen Akivitäten gehen jedoch weiter. Denn die Gemeinsamkeiten, die uns sehr berührt haben, weil sie das „wir-sie-Verhältnis“ ein Stück weit aufgehoben haben (das leider immer ein bisschen im Solidaritätsgedanken steckt) gehen weiter.
Die Gemeinsamkeiten gehen weiter als ein bloßes Bündnis. Über Zahltag und die „Kölner Erwerbslosen in Aktion“ ist man über die Erwerbslosen hinaus schnell bei Niedriglohn, bei Miet- und Vertreibungsterror, und damit ganz schnell beim Kampf gegen Stadt-Exklusion oder Recht auf Stadt, bei den wohnungslosen Studis, schnell bei Kotti, schnell in Barcelona, deren Krisenvertriebene Kontakt zu Berliner Vertreibungsopfern geknüpft haben. Und über die bulgarischen Binnenmigranten? Ähnlich.
Schon diese Gemeinsamkeiten haben uns wieder einmal gezeigt, dass wir nur zusammen eine Chance haben. Aber das ist erst der Anfang. Dazu gehört jenseits des Mordmeers der Grund für die Flucht: die enorme soziale Zerstörung und Entwertung, die nach Jahrzehnten aus den Metropolen gefütterten Kriegen nichts mehr von den alten halbwegs schützenden Sozialzusammenhängen übrig gelassen hatten. Diesseits des Mordmeers gehören dazu die sozialen Zerstörungen und Entwertungen, die durch den sogenannten „neoliberalen“ Angriff vor und jetzt weiter durch die Troikastrategien in der Krise forciert werden. Sie werden strategisch als Einheit betrieben.
Und die Kämpfe dagegen gehören zusammen. Oder besser: die Menschen gehören zusammen. Im Kopf und im Handeln. Wir müssen die thematischen Einschnürungen unserer Einpunkt-Nester verlassen. Denn wenn sie nicht zusammen kommen, müssen sie erlöschen, weil sie zusammen gehören. Die Hindernisse liegen nicht nur in unseren Köpfen. Sie liegen auch in den Bäuchen. Wir wissen alle, wo unser Brot gebuttert ist. Die Nestpositionen, die uns daran hindern, die Kämpfe zusammenzuführen, sind nicht nur bequem. Die Neststruktur sichert unsere materiellen Interessen. Reicht dagegen ein Appell? Mal sehn.
Wir möchten gern, diese Zusammengehörigkeit auf der Demo in den Mittelpunkt stellen. Und vielleicht kommen ja auch wir allmählich zusammen. Wir: die Migranten, die Leute aus Barcelona und Berlin, die Leute, die gegen die gewaltsam aufgeherrschten europäischen Infrastrukturprojekte im Val di Susa kämpfen, die in Griechenland gegen die Zerstörung der Lebensformen, den zerstörerischen Goldbergbau und den neuen Faschismus kämpfen, die Bulgar_innen und Rumän_innen, die Wohnungslosen, die unter die minimalen Existenzbedingungen gedrückten in unseren Städten. Und vor allem: die schon jetzt der schleichenden Vernichtung preisgegebenen und bestenfalls zum Reservoir künftiger Nutzung deklassierten Menschen in den drei Kontinenten, von denen uns nur wenige erreichen.
Solidarität genügt nicht, sie respektiert die Trennung. Zusammenkommen ist mehr als eine Utopie. Es ist eine „Kampfbaustelle“, eine permanente, weit in die Zukunft reichende.
Sorgen wir zusammen für eine gewaltige Manifestation, eine Vorahnung dessen in Hamburg !
einige von der sozialen Kampfbaustelle Köln
jup
heute ersma 18:00 frankfurter tor f-hain!
Frage ....
Gibt es zu diesem Text auch eine Übersetzung? Ins Englische, ins Französische, meinetwegen auch ins Deutsche.
Plattdeutsch würde auch noch gehen. Das kann ich lesen.
Aber die Worte da oben, ergeben recht wenig Sinn.