Analyse der War-Starts-Here-Camps in der Altmark
Erfolgreich und sehr lebendig hat auch dieses Jahr das War Starts Here Camp in der Altmark gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) stattgefunden. Vom 21. bis 29. Juli campierten bis zu 300 Aktivist_inen nahe des GÜZ, um über Militarisierung und Krieg zu diskutieren, sich zu vernetzen und antimilitaristischen Widerstand praktisch werden zu lassen.
Wir sind ein paar Leute, die an der Vorbereitung der War-Starts-Here-Camps am GÜZ (GefechtsÜbungsZentrum) beteiligt waren und versuchen uns mit diesem Text einer möglichen Analyse der zwei vergangenen Camps im Kontext der laufenden antimilitaristischen Debatte zu nähern. Es ist uns nicht nur klar, dass dies nur eine Sichtweise von vielen sein kann, sondern auch, dass es nötig ist, möglichst viele weitere Standpunkte auszutauschen und einen Diskussionsprozess ins Laufen zu bringen oder am Laufen zu halten. Ein Hintergedanke soll hierbei die Perspektive antimilitaristischen Widerstands am GÜZ sein. Dabei wollen wir uns der Frage nähern, inwiefern es hier um einen umfassenden antimilitaristischen Widerstand geht, der das GÜZ-Camp als Ort des Zusammenkommens für verschiedene Spektren und Strömungen bietet, als auch um den Ausbau eines linksradikalen Widerstandes in der Region gegen das GÜZ. Wie haben sich die Intervention aus einem autonomen Spektrum in der Region ausgewirkt? In diesem Zusammenhang gehen wir auch auf die Mainstream-Presse und stattgefundene Repression ein.
Wir blicken nicht viel näher auf den allgemeinen Ablauf und die Geschehnisse des zweiten War-Starts-Here-Camps im Juli diesen Jahres, da wir finden, dass es schon einige Berichte und einen allgemeinen Rückblick darauf gibt und die wir auch gut finden. Viele Fußnoten im Text verweisen auf verschiedene Quellen, in denen Hintergründe nachgelesen werden können.
zu den Diskussionen...
Zuerst stellt sich für uns die Frage, wie sich die inhaltliche Debatte des (militanten) Antimilitarismus eigentlich gestaltet. Welche Verknüpfungspunkte zu anderen Widerstandsfeldern und Ansätzen gibt es? Was für Standpunkte existieren und wie werden diese ausgetauscht?
Von Anfang an war es die Idee, ein Camp mit verschiedenen Antimilitarist_innen zu initiieren, um sich im weiten Feld von antimilitaristischen und friedenspolitischen Ansätzen über den Stand der jeweiligen Diskussionen, Analysen und Praxen auszutauschen und (mehr) gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.
Ein zentraler Gedanke für die Diskussionen auf dem Camp in diesem Jahr war es, einen Schritt zurückzugehen. Also die Konzentration darauf zu lenken, was für Fragen wir uns und sich für uns überhaupt stellen. Wie hängen unterschiedliche Fragen und Kämpfe vielleicht miteinander zusammen? Was für verschiedene Ansätze gibt es eigentlich? Wo gibt es Widersprüche, wo Gemeinsamkeiten? Es war nicht der Anspruch, mit einer kompletten Analyse der Dinge wieder auseinanderzugehen, sondern Widersprüche zu benennen, eine weitere Diskussion anzuregen und Antimilitarismus als Ganzes zu denken und dabei nicht so zu tun, als würden wir das Rad neu erfinden.
Es wurde im Vorfeld dazu aufgerufen, sich in Zusammenhängen vorher schon mal Gedanken für die Diskussionen zu machen und die Veranstaltungen lebhaft mitzugestalten. Vielleicht Verwirrung zu stiften und hinterher wieder etwas Klarheit bekommen. Also einen Schritt zurück, was die Diskussionsstrategie betrifft. Es wäre schön, darüber, ob es funktioniert hat, ein umfangreicheres Bild zu bekommen. Jedoch hatten wir persönlich oft den Eindruck, dass es neben einigen spannenden und kontroversen Diskussionen, in der Realität eher inhaltlich einen Schritt zurückging. Das war eigentlich nicht die Intention des Aufrufs gewesen.
Die Frage danach, ob es überhaupt eine lebendige antimilitaristische Diskussion gibt, die sich auch in einen historischen Kontext setzt oder auf eine Weiterentwicklung abzielt, ist nicht einfach. Sicherlich gibt es Beispiele für gelungene kontinuierliche thematische Diskussionen in der letzten Zeit, zum Beispiel was Drohnen angeht. Dieses Thema wird schon seit längerem und an verschiedenen Orten diskutiert, wobei mit einer Kampagne ein Bezugsrahmen geschaffen wurde.
Auch Aufstandsbekämpfung, städtische Konflikte und soziale Kämpfe sind aktuelle Themen, die vielfach im Kontext des GÜZ und der Aufstandsbekämpfungsstadt „Schnöggersburg“ thematisiert wurden.
Auf dem ersten Camp entstand die Idee einen steten Briefwechsel zu starten. Hierbei wurden in den folgenden Monaten unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht, hauptsächlich eine Analyse über Aufstandsbekämpfung betreffend. Jedoch wurden nur einige wenige Offene Briefe verfasst und dies ohne sonderlich Bezug aufeinander zu nehmen. Dieses Jahr wurde hieran auf dem Camp nicht spürbar angeknüpft.
Wie oben erwähnt waren insgesamt etwa 300 Menschen auf dem diesjährigen Camp, wir hätten uns gut noch ein paar mehr vorstellen können. Zudem gab es leider nur eine sehr geringe internationale Beteiligung. Dies hat sich natürlich auch in den Diskussionen bemerkbar gemacht. Auf dem Camp 2012 gab es durch verschiedene Beiträge von Aktivist_innen aus anderen Ländern einen gewissen internationalen Austausch, den wir uns wieder wünschen würden.
Erfreulich war hingegen die große Beteiligung von jungen Leuten und dass nicht nur das „typische antimilitaristische Spektrum“ da war.
Dadurch wurden ganz unterschiedliche Themenfelder in den Workshops oder in den großen Diskussionsrunden, zu denen fast alle Camper_innen abends interessiert zusammen kamen, diskutiert. Einige der Anknüpfungspunkte, die hergestellt wurden, waren beispielsweise die Verknüpfung von Antimilitarismus mit einer antikapitalistischen Sichtweise (was unserer Meinung nach unerlässlich ist) oder das Einbringen von feministischen Standpunkten. Von FLT*-Zusammenhängen wurde mit einem eigenen Aufruf zum letztjährigen Camp mobilisiert, am Aktionstag fanden explizit feministische Aktionen statt und in diesem Jahr gab es die Tour der „Pinken Barkasse“. Zudem gab es antifaschistische Veranstaltungen auf dem Camp und einen Ausflug, der sich mit den Todesmärschen beschäftigt hat. Wir finden es wichtig auch weiterhin eine Verbindung zwischen Krieg, Militär und Faschismus zu ziehen.
Allerdings, auch wenn es scheinbar ein großes Interesse an den zum Teil differenzierten, interessanten und umfangreich vorbereiteten Workshops gab, war unser Eindruck, dass oft keine weiterführende Diskussion bezüglich antimilitaristischen Analysen und Perspektiven folgte. Es herrschte einige Ratlosigkeit, als wir uns der Frage „Was tun?“ genähert haben. Wir fragen uns, ob das Camp nicht geeignet gewesen wäre um eine Diskussion am Laufen zu halten.
Wir fragen uns: Was fehlt einer antimilitaristischen Bewegung, die sich zwar an vielen Punkten Bahn bricht, als Ganzes aber nicht vorhanden ist?
Wir möchten mit diesem Text auch dazu aufrufen, sich Gedanken über diese Frage zu machen und eine kontinuierliche Diskussion ins Laufen zu bringen. Nach wie vor sind wir der Meinung, dass die Auseinandersetzungen um das GÜZ, die tendenziell eher an ihrer Intensität zunehmen, dazu geeignet wären, um hier einen temporären Kristallisationspunkt zu schaffen. Der Beginn der Bauarbeiten an der Geisterstadt „Schnöggersburg“ und die planmäßige Eröffnung in vier Jahren laden dazu ein, sich Zwischenziele zu stecken, die einen Anreiz schaffen, kontinuierlich Zusammenzutreffen, um Diskussion und Aktion miteinander zu verknüpfen und weiterzuentwickeln. Die Idee, das Projekt „Schnöggersburg“ bis zu seiner Eröffnung an einen Punkt zu bringen, an dem es bereits gesellschaftlich kritisch hinterfragt wird, indem man es beispielsweise zu verhindern versucht, kann zu hoch gegriffen oder anspruchsvoll scheinen, ist aber durchaus reizvoll. Uns ist klar, dass solche Interventionen am GÜZ nur ein Zwischenziel sein können und dass es um mehr geht, als nur diesen einen Ort der Kriegsvorbereitung als Punkt unseres politischen Handelns zu wählen. Sondern um eine Welt ohne Krieg, ohne Militär, ohne Unterdrückung und ohne das System, welches dies alles auskotzt. Andrerseits sehen wir in dem Kampf gegen das GÜZ auch die Möglichkeit, dass dieser zu einem Teil einer „zugfähige Strategie“ für den antimilitaristischen Bewegungs“aufbau“ werden kann – eben als einen möglichen Kristallisationspunkt.
Eine antimilitaristische Debatte ist die Grundlage dafür, sich wieder mehr Handlungsspielraum zu schaffen, anstatt einfach nur ohnmächtig zuzusehen.
Wir denken, es gab in der letzten Zeit eine Entwicklung, in deren Folge es vermehrt zu direkten Aktionen und Reaktionen seitens verschiedenster Antimilitarist_innen in Form von Demonstrationen und Aktionen auf Kriegseinsätze, Rüstungsgeschäfte oder an Orten der zivil-militärischen Zusammenarbeit kam - vielleicht hängt dies mit einer wachsenden Auseinandersetzung mit immer stärker fortschreitender Militarisierung zusammen?
ohne Praxis keine Theorie und andersherum
Vielleicht erstmal vorweg: Es gab in den letzten Jahren/gibt einige, zum Teil erfolgreiche antimilitaristische Kampagnen (Bombodrom, Mittenwald, War Starts Here, DHL, Krauss-Maffei Wegman, Aktion-Aufschrei....) und es finden vielfältige Aktionen und Sabotage, die sich in den Kontext der War-Starts-Here-Kampagne stellen, statt. Von insgesamt über 90 registrierten Sachbeschädigungen gegen die Bundeswehr seit 2010 fallen so einige und zunehmend immer mehr Aktionen unter die Kampagne. Antimilitarismus scheint erfreulicher Weise mehr und mehr zu einem wichtigen Feld radikaler linker Politik zu wachsen. Auch das Camp hat sich immer als ein Teil (von vielen) dieser Kampagne verstanden, entwickelte sich jedoch auch zu einem eigenen Bezugsrahmen. Die meisten Leute sprechen eben auch nicht vom WarStartsHere-Camp, sondern vom GÜZ-Camp. Ein Ziel des Camps war es das GÜZ und seine zentrale Bedeutung für zukünftige Kriege, Bundeswehr und NATO zu markieren und damit bekannter zu machen. Dies scheint uns ein großes Stück weit erreicht worden zu sein.
Für eine Analyse der Praxis lohnt es sich ein Blick darauf zu werfen, wozu an den Aktionstagen eigentlich aufgerufen wurde.
Zum ersten Aktionstag wurde angekündigt, das „GÜZ [zu] entern, lahm[zu]legen und um[zu]gestalten“. In den Tagen vor dem Camp 2012 sank aufgrund der massiven Kontroll- und Repressionsmaßnahmen bei nicht wenigen Leuten der Glaube daran, das Gelände am Aktionstag überhaupt erreichen zu können. Dass dann doch so Viele das militärischen Sperrgebiet nicht nur erfolgreich enterten, sondern auch markierten und sabotierten, war ein wirklicher Erfolg und ein tolles Gefühl der kollektiven Widerständigkeit.
Am Aktionstag 2012 konnte leider nicht erreicht werden, dass der Übungsbetrieb für einen Tag zum Erliegen kommt. Die Leitung des GÜZ drückte, trotz der Ankündigungen, das Gelände mit möglichst vielen Aktivist_innen zu betreten, die Kriegsübungen (auch mit dem Einsatz von Panzern) für diesen Tag durch. So kam es dann z.B. auch zu einer antimilitaristischen Störung eines Manövers. Diese und alle die anderen Aktionen auf und am GÜZ verhinderten jedoch einen reibungslosen Übungsbetrieb an diesem Tag. Und darum geht es auch. Es wäre wunderbar gewesen, wenn die Parole „Jeder Tag, an dem nicht geübt wird, ist ein guter Tag“ am Aktionstag entsprechend umgesetzt geworden wäre, keine Frage. Aber wir sehen auch schon in einer Unterbrechung, einem kleinen Moment der Irritation der kriegerischen Normalität, einen bedeutenden Schritt, um den Krieg dort aufzuhalten, wo er beginnt.
„Es ist möglich, mit vielfältigen Aktionsformen die kriegerische Normalität zu stören“,
hieß es im diesjährigen Aktionstagsaufruf. Es ging also nicht darum den Übungsbetrieb für einen Tag unterbrechen zu wollen, sondern den gesamten militärischen Normalbetrieb überall auf dem „GÜZ und in der Region“ zu „markieren, blockieren und sabotieren“. Für uns bedeutet das, neben dem GÜZ verstärkt auch Orte, wo vom Militär profitiert wird oder wo zivile und militärische Bereiche verschwimmen, in den Fokus zu nehmen.
In diesem Jahr verteilten sich viele Aktionen über den gesamten Zeitraum des Camps oder darüber hinaus. Bereits einige Wochen vor dem Camp fanden verschiedenen antimilitaristische Interventionen unter dem Motto „War Starts Here“ und mit Bezugnahme auf das Camp statt. Sie bildeten ein wirksame und powervolle Mobilisierung für dieses und läuteten den Aktionstag schwungvoll ein; die Ausstellung „Störmanöver an der Heimatfront“, die Intervention bei MAN in Barleben, der Farbangriff auf das „Landeskommando Sachsen-Anhalt“ in Magdeburg, die Transpi- und Farbaktion gegen einen BVG-Bus mit Bundeswehrwerbung in Berlin, die feministische Tour der Pinken Barkasse mit zahlreichen Kundgebungen auf dem Wasserweg in Richtung GÜZ, die symbolische Einweihung der „Metro Schnöggersburg“ im ZAD sowie zahlreiche Sabotageaktionen auf dem GÜZ-Gelände....
Der Aktionstag gipfelte dann am 27. Juli als ein Tag der Konzentration vielfältiger Aktivitäten. Wir möchten an dieser Stelle für einen Überblick zu stattgefundene Aktionen auf den Newsticker zum Camp verweisen sowie auf den Text „Echt heißes Camp!“ im Autonomen Blättchen Nr.14. Die Dokumentation der Aktionen klappte dieses Jahr erfreulicher Weise besser. Es erschienen viele Berichte zu den jeweiligen Aktionen zeitnah im Netz und auch entsprechendes Fotomaterial wurde veröffentlicht. Nachdem es 2012 kaum Fotos von den antimilitaristischen Spuren gegeben hat – aus nachvollziehbaren Gründen (Repression) – und vor dem Hintergrund, dass Bundeswehr, Bullen und Mainstreampresse ein Jahr zuvor das Entern, Markieren und Sabotieren zu leugnen versuchten, war deutlich geworden, wie wichtig eigene Bilder und Berichte sind .
Nur kurz möchten wir noch zu einem etwas reflektierteren Umgang beim Hinterlassenen von Symbolen bei Aktionen anregen. Wie könnten „Hammer und Sichel“ in einer Gegend mit einer Vergangenheit, in der die Rote Armee jahrelang ein militärisches Sperrgebiet betrieb, bei der Bevölkerung wirken?
Und natürlich hat sich die Nachricht der abgefackelten Bundeswehrfahrzeuge aus Havelberg positiv auf den Aktionstag und die Stimmung vieler Leute ausgewirkt. Wir denken, neben allen Spekulationen in der Mainstreampresse, lassen sich einfach mal ganz hübsch und ausreichend die wirklichen Tatsachen feststellen: In der Nacht zum Aktionstag, am 27. Juli, wurden in der Kaserne der Bundeswehr in Havelberg mehrere Fahrzeuge, darunter auch ein Spähpanzer „Fuchs“, von Unbekannten in Brand gesetzt, wobei ein Sachschaden von mehreren Millionen Euro entstand...... Natürlich gab es auch kritische Stimmen gegenüber dem Zeitpunkt und der Aktionsform dieser antimilitaristischen Abrüstung, möchten aber diese Tatsache an dieser Stelle nicht weiter diskutieren.
Uns hat nicht nur die Vielzahl und das frühzeitige Anlaufen der Aktionen gefreut. Die Vielfältigkeit und geografische Reichweite der Aktionen verdeutlicht das Potenzial eines wachsenden Widerstandes gegen Krieg und Militarisierung, der sich nicht auf bestimmte Aktionsformen oder einzelne inhaltliche Positionen begrenzen lässt. Wir sehen in dem Ineinandergreifen verschiedener politischer Praxen, ob nun gewaltfrei oder militant – ob in Form von Kundgebungen, Spaziergängen, Info- und Diskussionsveranstaltungen, militanten Interventionen, direkte Abrüstung oder progressiver Medienarbeit – ein wirksames Gemisch.
Und auch intern fänden wir es sinnvoll bei der Position zu bleiben, dass dem Camp und dem in diesem Rahmen temporär entstandenen Widerstand gegen das GÜZ kein Aktionskonsens zu Grunde liegt, sondern dass es bei einem - bisher auch so formulierten - Nebeneinander aller Aktionsformen bleiben sollte. Mit „Markieren, Blockieren, Sabotieren“ wurde ein Aktionsrahmen sehr treffend formuliert!
Ein weiterer Aspekt auf den wir kurz eingehen möchten, ist das veränderte Aktionskonzept auf dem Camp. Wurde noch im letzten Jahr versucht, anschlussfähige Gruppen für den Aktionstag zu organisieren, gab es in diesem Jahr kaum solche offenen Konzepte. Hingegen wurde versucht, auf dem Camp möglichst viele Informationen zum GÜZ, der Region und Bedingungen zu vermitteln, hilfreiche Tipps im Umgang mit Karte und Kompass zu verbreiten sowie Prozesse von Bezugsgruppenfindungen ins Rollen zu bringen. Dieses zielte darauf ab, den Raum für eine ausführliche Aktionsvorbereitung im Sinne von DIY zu öffnen. Also ein Schritt weg von „konsumierbarer Aktionsdienstleistung“ hin zu einer Beförderung von Autonomie in der Aktion in einem Gelände, das für viele Neuland ist – einem riesigen Truppenübungsplatz von 15x30km Ausdehnung. Ein Versuch, der scheinbar gut angenommen und erfolgreich umgesetzt wurde – jedenfalls nach dem positiven Feedback zu beurteilen und unseren Einschätzungen nach, dass niemensch allein gelassen wurde. Aktionstagsvorbereitung auf dem Camp, Infotelefon, die Kundgebungen (auch als Anlaufpunkte) rund ums GÜZ, Schuttleservice, Ermittlungsausschuss und Legal-Team und nicht zuletzt auch die VoKü haben am Aktionstag super funktioniert und wurden dankbar aufgenommen. Der Sani-, Out-Of-Action, Awareness- und Gefangenen-Support musste zum Glück nicht häufig oder gar nicht in Anspruch genommen werden.
An den Prozess von Selbstermächtigung möchten wir auch gleich einen weiteren Aspekt des Camps in Bezug auf den Aktionstag ansprechen: Sich kennenlernen, das Gefühl, gemeinsam was reißen zu können, auch wenn es aussichtslos erscheint und den Herrschenden den Mittelfinger zu zeigen.
Diese Komponenten sind super wichtig für uns und für eine Perspektive des ganzen Projektes. Darin sehen wir – neben der Wirkung, die der Aktion selber inneliegt – eine wichtige politische Bedeutung des WarStartsHereCamps und des Aktionstags.
So haben wir uns riesig darüber gefreut, dass auch das Camp 2013 eine super schöne Stimmung hatte, das Miteinander solidarisch ablief und das DIY-Konzept aufgegriffen wurde. Auch wenn eine komplette Umsetzung von DIY auf dem Camp aufgrund verschiedener, vor allem organisatorischer Faktoren, sehr schwierig ist und noch einiges an Reflexion braucht, halten wir es, wie oben erläutert, für einen wichtigen Bestandteil des Camps.
Presse & Repression
Im letzten Jahr kam es während des Camps zu massiven Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen durch die Behörden, auch dieses Mal gab es wieder eine Konzentration von Kontrolle, Überwachung und Repression staatlicherseits. Die Strategie der Bullen hat sich allerdings verändert.
Ein kurzer Rückblick auf 2012: Im Vorfeld zum letzten Camp gab es eine große mediale Hetze und Panik-Mache in den regionalen Zeitungen gegen „Kriegsgegner“, was sich sowohl in der Stimmung der Bevölkerung widergespiegelt hat, als auch den Maßnahmen der zuständigen Behörden und einem groß angelegten gemeinsamen Polizei- und Bundeswehreinsatz. So verhängte das Ordnungsamt Salzwedel eine Allgemeinverfügung, die jegliche Versammlungen und Demonstrationen rund um das GÜZ für den Zeitraum des Camp verbot und darauf abzielte, den Protest zu kriminalisieren und polizeiliches Handeln zu vereinfachen. Mit einer speziellen „Kontrollverfügung“, die in dem Gebiet ums GÜZ verdachtsunabhängige Fahrzeug- und Personenkontrollen ermöglichte sowie der „Allgemeinverfügung“, sollte in einem großangelegten gemeinsamen Einsatz von 1000 Bullen und 500 Feldjäger_innen jeglicher antimilitaristischer Protest verhindert und vor allem das Entern des GÜZ unmöglich gemacht werden. Trotz massenhaft erfolgter Kontrollen (700 Identitätsfeststellungen), wurde dieses Ziel jedoch nicht erreicht. Das lag nicht nur am juristischen Teil-Aushebeln der Allgemeinverfügung. Viele Menschen fanden ihren Weg aufs GÜZ, es kam dort zu zahlreichen Aktionen und der Störung eines Manövers der Bundeswehr.5 Auch wenn es einige Ingewahrsamnahmen und Anzeigen gegeben hat, so hat sich gezeigt, das GÜZ ist in seiner riesigen Ausdehnung trotz zahlreicher Patrouillen und Bewacher_innen unkontrollierbar.
In den regionalen Medien stand dann auch nicht der Widerstand – dieser wurde versucht totzuschweigen - sondern der Großeinsatz von Bullen und Bundeswehr im Vordergrund. Der Einsatz wurde zwar als unverhältnismäßig bezeichnet, die Verantwortung dafür sowie für die daraus entstandenen Kosten wurde jedoch den Camp-teilnehmer_innen in die Schuhe geschoben.
Nun zu 2013: Der diesjährige Medienauftakt startete sowohl mit einer Ankündigung, einen kleineren Einsatz (600 Bullen, 360 Bundeswehrsoldat_innen) zu fahren, als auch mit einer humanitären Selbstprofilierungs-Kampagne der Bundeswehr in Folge des Hochwasserschutzes. Der Fokus des gemeinsamen Einsatzes sollte auf „Straftätern“ liegen, und nicht gegen „friedlichen Protest“ gerichtet sein.
Es gab zwar auch wieder eine „Allgemeinverfügung“, diese konnte jedoch erneut kurz vor dem Aktionstag juristisch gekippt werden, in diesem Jahr sogar komplett, d. h. sie wurde uneingeschränkt für den gesamten angeordneten Bereich aufgehoben. Eine „Kontrollverfügung“ gab es in diesem Jahr erst am Aktionstag, insgesamt fanden deutlich weniger Personen- und Fahrzeugkontrollen statt (133 Identitätsfeststellungen).
Wir deuten dies auch als eine Folge des Gegenwindes, den die Behörden und Bullen im letzten Jahr von der Lokalpresse und der Bevölkerung aufgrund der massiven Kontrollen erhielten. Zum einen glich die Region was die Belagerung durch Bullen betrifft, dem Wendland zu Castortransporten und zahlreiche Anwohner_innen wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder kontrolliert, zum anderen stieß der Einsatz aufgrund der hohen Kosten auf Kritik. Desweiteren schreiben wir der gut vorbereiteten und deutlich präsenten Legal-Arbeit von Anwält_innen, Legal-Gruppe und Ermittlungsausschuss auf dem Camp eine nicht unerhebliche Rolle zu. Die Anwält_innen taten auf der juristischen Ebene so einiges, um die Behörden und Bullen in ihre „Schranken zu weisen“ und den Camper_innen Wege der Antirepression aufzuzeigen. So wurden Formulare verteilt, mit denen jede_r bei Kontrollen oder Fahrzeugdurchsuchungen die Bullenarbeit dokumentieren und damit ein Stück weit (gegen-)kontrollieren konnte.
Der tatsächliche Wechsel in der Strategie der Ordnungskräfte sah wie folgt aus: Es gab bis zum Aktionstag wirklich kaum direkte Kontrollen und nur eine geringe sichtbare Polizeipräsenz. Jedoch wurden mithilfe vieler ziviler Einsatzkräfte (die auch in den Zahlen nicht auftauchen, was ebenfalls zu einer scheinbaren Abnahme der Quantität an Bullen beitragen konnte) massenhaft an- und abreisende Fahrzeuge so ziemlich komplett überwacht und Nummernschilder notiert. Die Überwachung des Straßenverkehrs hatte das Erstellen von Bewegungsprofilen einzelner Autos zum Ziel. Posten an Kreuzungen und Beschatter_innen, die teils nur schwer abzuschütteln waren, registrierten und verfolgten Autos; hin und wieder wurden Fahrzeugkontrollen durchgeführt.
Als Gegenmaßnahme und für die Bewegungsfreiheit scheint sich erneut das Inkaufnehmen von Um- und Schleichwegen oder die Wahl eines Fahrrads als Fortbewegungsmittel bewährt zu haben.
Nach dem gescheiterten Versuch im letzten Jahr, das GÜZ am Aktionstag weiträumig durch eine massive Bullen- und Bundeswehrpräsenz gegen Entern und Aktionen zu schützen, konzentrierten sich die Sicherheitskräfte diese Mal darauf, bestimmte Orte der Infrastruktur auf und am Gelände zu bewachen.
Da das Betreten des militärischen Sperrgebietes durch das Großaufgebot nicht zu verhindern war und nur Schlagzeilen gemacht hat, die auch der Bundeswehr gar nicht recht waren, schienen sie dieses Jahr kaum Ambitionen zu haben, das Entern zu verhindern.
Der polizei-militärische Einsatz konzentrierten sich dem Anschein nach lieber auf vermeintliche Angriffsziele und zielten darauf ab, bestimmte „Straftäter“ aus dem autonomen Spektrum festzunehmen/zu verfolgen. Hierbei bemächtigte sich die Einsatzleitung offenbar der Karten, die von und für Aktivist_innen im Umlauf waren und auf der wichtige Infos und Infrastruktur des GÜZ verzeichnet ist. Auch wenn anzunehmen ist, dass einige für den Samstag geplante Aktionen dadurch nicht stattfinden konnten, wurde die Taktik von Bullen und Militär ein Stück weit ausgehebelt, da viele Aktionen bereits vor dem Aktionstag stattfanden, als nur wenige Bullen im Einsatz waren. Die Einsatzkräfte schienen darauf nicht vorbereitet zu sein. Das hat uns natürlich überaus erfreut und wieder einmal gezeigt, dass, wenn wir unberechenbar bleiben, so einiges möglich ist.
Versuchte die Bundeswehr im letzten Jahr noch, das Entern und die Aktionen zu leugnen, so äußerten sie sich dieses Jahr vor der Presse nicht direkt zu Camp oder Aktionstag. Ausbleibenden Stellungnahmen zielten wohl darauf ab, den Protest gegen das GÜZ und Militär nicht zu thematisieren und damit erneut vor der Öffentlichkeit zu verschweigen. So nach dem Motto: sollen die Antimilitarist_innen doch auf dem GÜZ spazieren gehen und ein bisschen Farbe verteilen – wenn man nicht drüber spricht, ist auch nichts passiert.
Diese Versandungstatik ging jedoch vor allem nach der erfolgreichen Abrüstaktion in Havelberg nicht auf, da die Medien vor diesem Hintergrund weitreichend über Camp und den Aktionstag berichteten. Pressemitteilungen wurden aufgegriffen, teilweise zitiert, Interviews mit Camper_innen geführt.
Zusätzlich zu dieser bewussten PR-Masche der Bundeswehr, wurde während des gesamten Campzeitraums eine „übungsfreie Zeit“ auf dem GÜZ verhängt. Während im letzten Jahr eine Kleingruppe ein Manöver störte und einen Panzer bemalte, jedoch das Manöver daraufhin nicht abgebrochen wurde, obwohl es klar war, dass viele Menschen auf dem GÜZ unterwegs waren und eine Gefährdung bestand, fand in diesem Jahr keine Manöverübung während des Camps statt. Wir werten dies als geplante Konfliktvermeidung der Bundeswehr und nicht als Zufall. Eine intensivere öffentliche Auseinandersetzung über die Gefährdung von Aktivist_innen durch ein nicht-abgebrochenes Manöver, die dieses Jahr sicher gefolgt wäre, hätte wohl auch nicht in das vorher aufgebauschte Image der Bundeswehr gepasst.
Auch wenn es den Anschein hatte, als wäre ein Entern des GÜZ in diesem Jahr unproblematischer gewesen, bleibt unklar, was es außerdem noch an zeitgemäßer Überwachungstechnologie im Repertoire hatte. Ohne wilde Spekulationen in den Raum zu stellen, sondern vielmehr um dem entgegenzuwirken, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass Militär oder Bullen oder wer auch immer natürlich auch von ihrer vielfältigen Technik Gebrauch machen und sie mal ausprobieren. Schließlich spielt das GÜZ und die Erprobung der für die Zukunft essenziellen (städtischen) Aufstandsbekämpfung für die NATO und (hochrangige) militärische Funktionäre eine zentrale Rolle.
Durch die Überwachung des Straßenverkehrs wurde letztlich auch eine Verbindung zwischen den Anschlägen in Havelberg und dem Camp konstruiert. Gegen Aktivist_innen, die sich in der Nacht vor dem Aktionstag für eine Mahnwache in Richtung GÜZ aufmachten, wird ermittelt. Ein Auto wurde daraufhin vom Campgelände beschlagnahmt. Die Durchsuchung des Autos hat nun ins Leere geführt und weitere Anhaltspunkte gibt es nicht, wie kleine Randnotizen berichten. Wir sehen das ganze Vorgehen inklusive eines kurzen aber intensiven Medienrummels als weiteren Versuch der Kriminalisierung des gesamten Camps und auch Widerstandes (zumindest vorerst nur) in der Öffentlichkeit. Erfreulicherweise gab es infolge der kriminalisierenden Vorwürfe keine expliziten Distanzierungen, denn diese staatliche Inszenierung ist unserer Meinung nach neben Kriminalisierungs- auch als Spaltungsversuch anzusehen, die erneut in die Kerbe der falschen Frage nach Gewaltfreiheit haut.
Der Verfassungsschutz ist sich durchaus im Klaren über die Gewaltfreiheits-Debatte innerhalb der 'linken Szene' und weiß um das Spaltungspotenzial, das in einer öffentlichen mediale Hetze stecken kann. Im August startete eine Zeitungskampagne über den „Krieg gegen die Bundeswehr im eigenen Land“, wobei sich hauptsächlich verschiedene Blättchen der Springerpresse gegenseitig zitiert haben. Dies ist ein anschauliches Beispiel von einer der Möglichkeiten, die die Presseabteilung der Bundeswehr nutzen kann, um gegen den Widerstand zu agieren.
Auf der anderen Seite bedienten sich die Medien maßgeblich der Information von offizieller Seite, Aktivist_innen werden oft als unseriös angesehen. Dies ist kein Vorschlag, selbst professionellere Pressearbeit zu betreiben.Wir fanden die Pressearbeit des Camps sehr gut, auch wenn wir uns vorstellen könnten, dass es einen offensiveren und offeneren Umgang vieler Menschen geben könnte, um ein Stück weit die Zentralisierung aufzuheben und wir alle sind aufgefordert „unsere eigenen“ Medien mehr zu füllen.
Wir sollten uns nur erneut klar machen, dass es wichtig ist, die Kriminalisierungs- und Spaltungsversuche als solche zu erkennen und sich nicht zum Spielball irgendwelcher Strategen oder Medienspektakel machen zu lassen.
Das mediale Spiel mit der Gewaltfrage, wurde von Teilen der lokalen Bevölkerung am GÜZ aufgegriffen und mündete in einer Demo „Gegen Gewalt der Campteilnehmer“. Es gab auch öffentliche Statements hierzu von Seiten einiger Campteilnehmer_innen und Organisator_innen, wobei jedoch hauptsächlich die Fragestellung kritisiert worden ist: Militanz in Form von Sabotage als Gewalt zu bezeichnen und gleichzusetzen mit staatlicher Gewalt, auch durch z.B. die Bundeswehr, ist unverhältnismäßig und polarisierend. Insofern war es kein Anliegen, der Frage der Gewaltfreiheit öffentlich zu antworten oder sie zu diskutieren, sondern den brodelnden Kessel ein wenig vom Feuer zu nehmen.
Auf einen weiteren Aspekt möchten wir noch eingehen: Zur Zeit wird bei verschiedenen Repressionsfällen im links(-radikalen) Spektrum versucht, Beschuldigten die DNA abzunehmen. Auch im Rahmen von laufenden Ermittlungen gegen sechs Personen, denen antimilitaristische Aktionen im Zusammenhang mit dem GÜZ aus dem letzten Jahr vorgeworfen werden, fordert die Staatsanwaltschaft in einem anhängigen Verfahren die DNA-Abnahme der Beschuldigten. Die Fünf werden als Verdächtige im Verfahren nach §109e (versuchter „Sabotage an Wehrmitteln“) beschuldigt, was die DNA-Abnahme rechtfertigen soll. Der DNA-Sammelwahn trifft nicht nur linke Strukturen, die DNA-Datenbank des BKA wächst stetig und zukünftig soll der Austausch der DNA-Daten der Polizei europaweit vernetzt werden. Vor diesem Hintergrund sind wir alle aufgerufen, uns weitreichend über den Stand der Technologie zur DNA-Analyse und -Sammelwut zu informieren, aber auch über deren juristische und technischen Grenzen. Und natürlich die DNA-Abnahme zu verweigern und solidarisch zueinander zu stehen.
Filz und Widerstand
Wie schon an einigen Stellen angesprochen, liegt das GÜZ in einer Region, in der es wenig alternative oder linksradikale Strukturen gibt und wo von der Bevölkerung kaum Widerstand gegen das Militär ausgeht. Die Camps fanden also in einer Gegend statt, in der es nur wenige politische Anknüpfungspunkte gibt. Doch neben der Idee, mit einem einwöchigem Camp einen zentralen Ort des Zusammenkommens, Austausches sowie der Intervention für Antimilitarist_innen zu schaffen, war ein Aufbau einer längerfristigen politischen Perspektive mit eigenen (linksradikalen) Ansätzen in der Region ein zentrales Anliegen.
Wir wollten nicht, dass wir mir dem Camp wie ein Ufo landen und am Ende verbrannte Erde hinterlassen, sondern mit einer radikal linken Position in der Region intervenieren und ein Teil der Auseinandersetzungen ums GÜZ werden und bleiben.
Einen Anknüpfungspunkt bot die BI OFFENe HEIDe, die in der Region seit Ende der 90er Jahre friedenspolitisch aktiv ist und hartnäckig gewaltfreien Widerstand gegen das GÜZ leistet. Wir freuten uns über die wirkliche Offenheit, die uns von Beginn an von vielen ihrer Aktivist_innen entgegengebracht wurde.
Nach der ersten Ankündigung vom Camp im Frühjahr 2012, die zum „Markieren, Blockieren, Sabotieren“ aufrief10, wurden dann jedoch abrupt unterschiedliche Positionen deutlich. Es entbrannte eine kontroverse Diskussion um Militanz und Gewaltfreiheit zwischen uns. Auch wenn wir mit der BI diesbezüglich nicht zu einer gemeinsamen Position kamen und die BI sich entschied, den Aufruf nicht zu unterzeichnen, war eine Zusammenarbeit mit einigen ihrer Aktivist_innen möglich.
Trotz der unterschiedlichen Ansätze und Kontroversen wurde ein ernsthaftes Interesse aneinander spürbar; das Jahr über besuchten einige von uns die monatlich stattfindenden Friedenswege der BI am GÜZ oder kamen zu anderen Anlässen in der Region zusammen. Die BI war bei den Camps anwesend, es gab in jedem Jahr auf dem Camp einen famosen Beitrag zum GÜZ und der Region von einer Person der BI. Sie empfingen die Pinke Barkasse und auch an den Aktionstagen war sie mit eigenen Beiträgen und Kundgebungen dabei.
Wir finden es sehr positiv, dass die vielfältigen Aktionen, die rund um Camp und Aktionstag stattfanden, nebeneinander stehen konnten, ohne dass es zu irgendeiner Form der Abgrenzung voneinander kam. Dies ist sicherlich ein Aspekt, der bei vielen Projekten eine zentrale Rolle spielt und wir wollen ihn auch nicht sich selbst überlassen und so tun, als gäbe es keine Reibungspunkte oder werde in Zukunft keine geben. Die Auseinandersetzungen sind schon jetzt vielschichtig, aber das ist auch begrüßenswert. Durch über die Zeit und das gemeinsame Widerständig-Sein entstandenes Vertrauen und Freundschaften wurde eine Basis geschaffen, die solche Auseinandersetzungen auf einer solidarischen Art und Weise ermöglicht. Eine Basis für einen antimilitaristischen Widerstand, der verschiedene (emanzipatorische) Ansätze nebeneinander und miteinander in der Region ausbauen lässt.
Bei unseren Einschätzungen, ob und inwiefern sich ein Prozess in der Region entwickelt hat, bei dem es Aussichten auf eine längerfristige Perspektive von antmilitaristischen Widerstand geben kann oder schon einzelne Ansätzen dafür geschaffen wurden, spielt natürlich auch die Menschen in der Region selbst eine zentrale Rolle. Da sowohl gegenüber dem GÜZ, als auch gegenüber antimilitaristischem Widerstand ganz unterschiedliche Haltungen existieren, möchten wir im Folgenden versuchen, einen differenzierten Blick darauf zu werfen.
Grundsätzlich stellen wir schon fest, dass die Bundeswehr und das GÜZ stark in der Region verfilzt sind und relativ fest im Sattel sitzen. Die Situation, die es Mitte der 90er Jahre gab, als 70.000 Unterschriften gegen eine militärische Nutzung gesammelt wurden, ist leider längst Vergangenheit. Die Gegend ist seit Jahrzehnten durch das Militär geprägt, das GÜZ verspricht Vorteile (auch durch die Baustelle Schnöggersburg), die Bundeswehr agiert vielfältig in zivilen sowie politischen Bereichen und gibt sich als bevölkerungsnah. Eine ablehnende Haltung gegenüber Antimilitarist_innen ist insofern oft der Fall und es gibt eine hohe Anzahl von Bundeswehrangehörigen und -befürworter_innen. Beispielsweise gab es dieses Jahr zeitgleich zum Aktionstag in Letzlingen die bereits erwähnte bürgerliche Demo „Gegen die Gewalt der Camper“. Es wurde nach anfänglichen Befürchtungen jedoch schnell deutlich, dass sich nur eine geringe Anzahl von Bundeswehrbefürworter_innen aktiv an der Kundgebung beteiligte. Neben diesen Militarist_innen spricht sich ein wohl weitaus größerer Teil (wie groß ist unklar) aufgrund „wirtschaftlicher Gründe“ für das GÜZ aus. Sie haben dort einen Arbeitsplatz (entgegen der Propaganda der Bundeswehr ist das GÜZ aber keineswegs der größte Arbeitgeber in der Region) oder profitieren durch Dienstleistungen vom Truppenübungsplatz. Die große Mehrheit der Leute scheint aber eher eine passive Haltung gegenüber dem GÜZ zu haben. Jedenfalls sind nicht „alle“ in der Bevölkerung für den Truppenübungsplatz“, so wie es auch von örtlichen Medien und Politikern propagiert wurde. Dies stellten wir bereits bei unseren ersten Veranstaltungen und in vielen Gesprächen mit Leuten in der Region fest. Und bekamen auch mit, dass es schon einige Leute gibt, die etwas gegen das GÜZ haben. Die Gründe sind natürlich vielfältig, scheinen aber oftmals in persönlichen Interessen oder Einschränkungen durch z.B. Lärmbelästigung oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch das Sperrgebiet zu liegen. Sie richten sich also nicht aus einer antimilitaristischen oder pazifistischen Position heraus gegen die Bundeswehr oder die Militarisierung der Region.
Dennoch gab es in den letzten zwei Jahren immer wieder auch andere Erfahrungen, die gezeigt haben, dass es Leute vor Ort gibt, die sich für das Camp und unsere Ideen interessieren. Viele Gespräche oder einzelne Gesten der Solidarität ließen dies deutlich werden. Es scheint, als gäbe es (trotz der bleibenden Angst davor, dies öffentlich kund zu tun) eine steigende Akzeptanz und Unterstützung der Menschen vor Ort für das Camp und antimilitaristischen Protest.
Vor dem Hintergrund - die Mehrheit spricht sich nicht gegen das GÜZ aus und nur bei sehr wenigen Leuten basiert die Kritik auf einer politischen, geschweige denn antimilitaristischen Argumentation - wird deutlich, dass es trotz der genannten Anknüpfungspunkte nicht leicht sein wird, einen progressiven antimilitaristischen Widerstand gegen das GÜZ in der Region künftig weiter auszubauen. Dass dies vielen Leuten wichtig ist, wurde in den vergangenen zwei Jahren deutlich. Es lohnt sich also ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir mehr Menschen vor Ort erreichen ohne dabei linksradikale Positionen aufzugeben.
Wir denken, das Camp zusammen mit kontinuierlicher antimilitaristischen Widerständigkeit in der Region bietet eine Chance. Dabei sehen wir eine Notwendigkeit, verschiedene Themenfelder und Widersprüche jenseits von Antimilitarismus zusammen zu bringen und somit Raum und Anreize für alle möglichen Leute zu schaffen, am Camp teilzunehmen. Dafür ist von zentraler Bedeutung, vor Ort mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren. Auch könnte mensch sich mit kämpfenden Leuten aus Regionen, wie Val di Susa oder dem Widerstand gegen das Bombodrom austauschen. Auch wenn die Ausgangssituation dort aufgrund der weitverbreiteten Ablehnung des Bombodroms in der Bevölkerung eine ganz andere war, ist es sicher interessant von ihren Erfahrungen zu hören.
In der ganzen Frage um's mehr werden, begreifen wir zudem das Camp an sich als wichtiges Moment. Die Idee, für einige Tage selbstorganisiert, selbstbestimmt, solidarisch und basisdemokratisch miteinander zu leben, kann Leute für neue Wege begeistern.
Dieser Prozess braucht einen langen Atem und auch die Bereitschaft für Neues, für kontroverse Diskussionen und einen respektvollen Umgang miteinander.
wie weiter?
Wir selbst haben verschiedene Motivationen, die unterschiedlichen Lebensrealitäten, Standpunkten und politischen Ansätzen geschuldet sind, doch ist es bisher gelungen ihnen in diesem Kampf einen gemeinsamen Nenner zu geben. Und wir haben Lust weiter daran zu feilen und mehr inhaltliche Klarheit zu bekommen....
Wir denken, dass es Sinn macht, weiterhin in der Region ums und auf dem GÜZ politisch aktiv zu sein. In diesem Prozess das Camp-Projekt noch weiter zu öffnen ist schon lange unsere Absicht; auch auf dem Abschlussplenum des Camps 2013 wurde vielfach der Wunsch nach breiteren Beteiligungsmöglichkeiten in der Vorbereitung eines möglichen neuen Camps geäußert.
Daher gab es den Entschluss, einen „Ratschlag“ zu veranstalten, zu dem „vor allem Leute, die an einem der letzten Camps teilgenommen haben, herzlich eingeladen sind. Dieses Treffen soll dazu dienen, einer breiteren Basis für die Organisation des Camps Raum zu geben.“
Diese erste Analyse begreifen wir als einen anstoßenden Diskussionsbeitrag zur Entwicklung und Bedeutung der War-Starts-Here-Camps. Wir haben versucht ein umfassendes Bild der bisherigen neueren Ereignisse am GÜZ zu zeichnen, haben uns dabei aber an vielen Stellen sehr allgemein gefasst und viele Fragen gestellt, aber nicht alle beantwortet. Deshalb rufen wir nochmal dazu auf, eigene Analysen oder Erfahrungsberichte zu schreiben, die vielleicht an einigen Stellen mehr ins Detail gehen, bestimmte Fragen aufzugreifen oder was auch immer euch am Herzen liegt. Dafür ließe sich weiterhin die Form der Offenen Briefe nutzen.
Wir sehen uns - ob auf den Friedenswegen der BI, beim Ratschlag oder auf dem nächsten Camp...
Gegen das GÜZ, Schnöggersburg und die NATO
Für eine starke und vielfältige antimilitaristische Bewegung
Nie wieder Krieg