Der folgende Text soll ein Beitrag zu der in letzter Zeit immer wieder aufflammenden Diskussion zu antisexistischer Praxis sein, der mit Sicherheit unvollständig ist. Für eine lebendige Debatte ist es sicher nicht unbedingt nötig, jedes Wort auf die Waage zu legen, bevor es geschrieben wird in sofern freue ich mich auf Kritik und Denkanstöße. Als das will auch der Text selbst verstanden werden. Sowohl diejenigen, die meinen, Sexismus würde sich mit starren Konzepten bekämpfen lassen und sich in ihren selbst erklärten Freiräumen von der Gesellschaft isolieren zu versuchen, von der sie Teil sind, als auch diejenigen, die denken ihr eigenes Verhalten hätte keine Reflexion (mehr) mehr nötig und sie könnten festlegen, was als Grenzüberschreitung, als Übergriff, als triggernd erlebt werden darf, können sich meinetwegen gerne von ihm angegriffen fühlen. Ich habe aber die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass es auch auf einer Plattform, die sich als links, also politisch, bezeichnet einige Individuen gibt, die Feuer und Flamme dafür sind, den sexistischen Normalzustand dieser Gesellschaft gemeinsam mit allen anderen Unterdrückungsmechanismen zu zerstören und das nicht in ein fernes Utopia verschieben, sondern hier und jetzt mit dem Angriff und der Rückeroberung des eigenen Lebens beginnen wollen.
Die innerlinke Auseinandersetzung mit dem Thema Antisexismus scheint mir in letzter Zeit ziemlich festgefahren gewesen zu sein zwischen einem unreflektierten Befürworten bzw. Verdammen des Konzeptes Definitionsmacht. Ich sehe positive Aspekte von Definitionsmacht darin, dass sie ein Versuch ist, Menschen, die Sexismuserfahrungen machen oder gemacht haben, zumindest in einem gewissen Rahmen einen selbstbestimmt(er)en Umgang mit der Situation zu ermöglichen, also den Handlungsspielraum der Betroffenen zu erweitern. An Menschen die Erwartung zu stellen, mit ihrer Sozialisation von heute auf morgen brechen zu können, negative, auf Grund der gesellschaftlichen Kategorisierung (z.B. Mann/Frau) gemachte Erfahrungen einfach abstreifen zu können und das eigene Verhalten völlig losgelöst von diesen frei Schnauze selbst zu gestallten, halte ich für ziemlich daneben, privilegiert und illusorisch.
Wenn Definitionsmacht benutzt wird, um einen Rahmen zu schaffen, in dem es Personen gelingen kann, von den gesellschaftlichen Verhältnissen genommene Stärke wieder zu gewinnen, die dann im Kampf gegen diese Gesellschaft genutzt werden kann, ist sie meiner Meinung nach ein Ansatz, der in den Kampf gegen Sexismus miteinbezogen werden kann und sollte. Allerdings scheint sie allzu oft unhinterfragt angewendet und zum Selbstzweck zu werden. Definitionsmacht bricht nicht mit dem sexistischen Normalzustand sondern ist, wie ich es sehe, lediglich eine Reaktion auf diesen. Wie gesagt hat sie, wie auch z.B. LGBT-Räume, das Potential, Menschen, die durch diesen Zustand ihrer eigenen Entscheidungen entmächtigt wurden, wieder die Kraft zu geben, auch aktiv gegen ihn zu kämpfen. Dann ist es aber wichtig, sie eben nicht in linken Szene- Ghettos ewig zu reproduzieren, nicht zu reflektieren, und als fertiges Konzept zu betrachten, dass immer und in allen Situationen angewendet werden kann. Starre Konzepte werden der Vielfalt der Situationen und Konflikte, die wir erleben und unserer Individualität nicht gerecht. Mein Ziel sind Brüche mit dem (sexistischen) Normalzustand aber feste Verhaltensregeln und Normen, ewig reproduzierbar, sind Teile des Bestehenden und nicht des Lebens, für das ich kämpfe. Dazu kommt dass sich oft damit zufrieden gegeben wird, innerhalb einer Szene „etwas anders zu machen“ ohne dass dabei die gesellschaftlichen Strukturen angegriffen werden. Dann laufen die Bemühungen selbst innerhalb des beschränkten Szenerahmens ins Leere, weil die „Szene“ nie losgelöst von der Gesellschaft existieren und sich deren Mechanismen entziehen wird. Warum nicht versuchen, die Beschränktheit dieser Rahmens zu durchbrechen, raus zu gehen, unsere Stärke nach außen zu tragen und die Strukturen direkt anzugreifen, die den („weiblichen“) Körper und das Verhalten kontrollieren?
Wenn die Kraft dafür von dir oder mir nur in Räumen gesammelt werden kann, in denen gerade keine Menschen, die innerhalb des Bestehenden mit mehr Privilegien ausgestattet sind als du oder ich, sind ist es ein sinnvoller Teil des Kampfes, sich diese Räume zu nehmen. Mehr zumindest für mich aber eben nicht, weil mir ein auf einen bestimmten Raum begrenzter Freiraum nie reichen wird und auch nie ein wirklich freier Raum sein kann.
Aktuell hat sich die ganze innerlinke Sexismus Debatte an einem nackten Oberkörper in einem AJZ aufgehängt und bei einigen Kommentaren dazu wird einem_r ziemlich schnell schlecht, ich hoffe dass keine Leute, die anderen Menschen absprechen ihre Grenzen selbst zu definieren es schaffen, meine Worte als Bestätigung umzuinterpretieren. Ich war nicht da in Bielefeld und ich frage mich auch, in wiefern es überhaupt sinnvoll ist, in diesem Text noch darauf einzugehen, aber ein paar Sätze will ich doch noch dazu schreiben, um Utopien nicht zu vergessen. Wenn eine Person sich durch die Handlung einer anderen Person persönlich getriggert, unterdrückt, benachteiligt oder sonst wie in eine beschissene Situation gebracht fühlt sollte das auf keinen Fall als Schwäche aufgefasst sondern es sollte ehrlich über die Bedürfnisse der Beteiligten kommuniziert werden können. Ich halte den Umgang in der Linken, in der die Klärung von Problemen oft an „zuständige“ Gruppen delegiert wird statt zwischen den Betroffenen stattzufinden für ziemlich schwierig. An sich halte ich die direkte Kommunikation zwischen den Beteiligten für einen Weg, der der Idee eines freien Lebens mit lebendigen Beziehungen ohne Delegation näher kommt. Aber wir leben nun mal in der bestehenden sexistischen Scheißgesellschaft und wenn eine Person sich auf Grund ihrer in dieser Gesellschaft gemachten Erfahrungen in einer Situation nicht in der Lage fühlt, selbst die Konfrontation zu suchen ist das weder ein Zeichen von Schwäche noch von Machtbesessenheit sondern eine Entscheidung, die respektiert werden sollte. Wenn dann ein Schlagzeuger mit nacktem Oberkörper von Leuten vom AZ drauf aufmerksam gemacht wird, dass was nicht klar geht seh ich das völlig ein. Über die Art und Weise kann mensch jetzt streiten aber da hab ich wenig Interesse dran. Wenn so was allerdings durchgesetzt wird, weil es Plenumsbeschluss, politisch korrekt, oder sonst was ist, sind wir eben wieder bei den starren Konzepten, die überhaupt nichts mit den Bedürfnissen der Anwesenden zu tun haben müssen. Ich träume nicht von einer Gesellschaft, in der Menschen, die in der augenblicklichen Gesellschaft in bestimmten Bereichen privilegiert sind, weniger Möglichkeiten haben, sondern in der alle Menschen alle Möglichkeiten haben! Ich will keine beengenden Kategorien. Ich will keine Räume, in denen niemand nackt sein darf, sondern in denen alle sich wohl fühlen können, wenn sie ihr T-Shirt ausziehen. Ohne blöde Blicke, ohne Anmachen. Klar ist das schwerer umsetzbar. Ich habe nicht resigniert, ich bin bereit es zu versuchen.
Ohne starre Konzepte, in einem andauernden Prozess in dem Fehler passieren werden, zu dem jede Idee beitragen kann. Ohne sich zu verschanzen, weil das Spielräume raubt, statt welche zu eröffnen.
Experimentieren wir mit allen Methoden, die uns geeignet erscheinen um diese Gesellschaft und ihre patriarchale, sexistische Logik anzugreifen und schließlich zu zerstören anstatt nach einfachen Lösungen zu suchen, die es nicht gibt und dadurch nur an der Oberfläche zu kratzen. Lassen wir Worten Taten folgen und zeigen der Welt, dass wir mehr sind, als die Rolle, die wir zu spielen haben!
Für die, denen das noch nicht zu viel zu lesen war im Anhang noch eine Broschüre, die finde ich ziemlich gute Denkanstöße bringt, auch wenn ich sicher nicht alle Ideen und Methoden teile.
danke und noch mehr literatur
grossen dank fuer den kurzen artikel, der aber schonmal in eine richtung geht, die ich fuer angebrachter halte.
in den usa sind viele von den debatten, die heute in deutschland und oesterreich laufen schon vor vielen jahren gelaufen, deswegen lohnt sich ein blick nach den heutigen publikationen dort, um mal an dem sich-selbst-in-den-schwanz-beissen vorbeizukommen, um es diplomatisch auszudruecken.
hier ein paar wie ich finde sehr lesenswerte texte, leider bisher vieles nur auf englisch (uebersetzungen waeren super, um die diskussionen hier mal etwas positiver zu beeinflussen)
http://zinelibrary.info/files/dangerous.pdf
der text "dangerous spaces - violent resistance, self-defense and insurrectional struggle against gender" wurde von queeren anarchist_innen geschrieben und bietet einige tiefe kritiken an linken mediationsverfahren, den auffassungen von konzepten wie defintionsmacht und community accountability sowie der illusion von "freiraeumen" und zeigt einige inspirierende beispiele, in denen antisexismus zur praxis wurde und in die offensive ging.
http://www.youtube.com/watch?v=o8sgZ1NNTGI
http://littleblackcart.com/Queer-UltraViolence.html
das buch "queer ultraviolence" hab ich bisher noch nicht gelesen, aber freu mich schon drauf es bald in den haenden halten zu koennen, denn hab bisher sehr viel gutes von gehoert und ich schaetze, es geht in eine aehnliche richtung wie obiges zine.
es gibt auch ein buch mit dem titel "don't believe you have any rights" vom milan women's bookstore collective, welches im original auf italienisch erschienen ist und sich mit dem militanten feminismus im italien der 1970er befasst. leider ist es vergriffen und nur noch sehr schwer zu finden, falls irgendwer eine pdf findet, bitte breitflaechig rumschicken!
ausserdem hier noch der etwas theoriegeladene text "lets spit on hegel" von carla lonzi:
http://zinelibrary.info/lets-spit-hegel-carla-lonzi-rivolta-femminile
http://libcom.org/files/autonomia1_rotated_merged_0.pdf
das buch "autonomia" kenn ich nicht, aber eine freundin neben mir am fruehstueckstisch meint, ich soll das auch weiter verraten. schaut fuer euch selbst.
besonders der artikel "city in the female gender" von lia magale
http://zinelibrary.info/files/City%20in%20the%20Female%20Gender.pdf
viel inspiration beim lesen und lest nicht zuviel sondern geht mehr auf die strasse!
p.s.: in spanien will die regierung gerade die gesetze zur abtreibung verschaerfen. dagegen (und auch dafuer) regt sich starker protest. ich konnte eine demo in madrid mit 1000-2000 teilnehmer_innen vor kurzem miterleben und die dynamik und praesenz der vor allem sehr jungen frauen und queers war sehr inspirierend. haeufige slogans waren "kapitalismus und patriarchat (sind eine) kriminille vereinigung", "wir sind die jugend, die die krichen und das patriarchat niederbrennen werden" sowie "bringt ihr dieses gesetz durch, brennen wir die innenstadt nieder" (als die demo die gran via, eine riesige konsummeile, passierte). maenner, die am rande provozierten und ihre scheiss sprueche abliessen, wurden angegangen udn verjagt, am rande der demo wurde viel geflyert und gesprueht, ganze nachbarschaften waren in lila parolen gehuellt.