Ägypten: Islamistischer Terror und Wirtschaftskrise

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Zu den Auseinandersetzungen in einem Vorort von Kairo am Freitag, bei denen vier Angehörige der koptischen Minderheit getötet wurden, sind weitere Einzelheiten bekannt geworden. Wie die Obduktionen ergeben haben, sind Marsouq Atteya, Morkos Kamal, Victor Manqarios und Essam Zakhary alle durch Schüsse aus automatischen Waffen getötet worden. Alle vier wurden von Kugeln im Kopfbereich sowie in der Herzgegend getötet, die von Oben herab abgegeben wurden.

 

Nach Angaben von Anwohnern und einem koptischen Geistlichen aus dem Viertel gingen den Auseinandersetzungen Streitigkeiten zwischen einer christlichen und einer moslemischen Familie voraus, die seit Monaten andauerten. Allerdings habe sich die Situation eigentlich aber wieder beruhigt, bis eine Gruppe von Salafisten eine Frau aus einer christlichen Familie belästigt hätten. Auch hätten Geistliche in den Moscheen des Viertels gegen die koptische Minderheit gehetzt. Bei den Kämpfen im Viertel hätten Maskierte gezielt Geschäfte und eine Kirche der Minderheit, sowie das Haus einer koptischen Familie in Brand gesetzt.

 

Die Bullen seien erst sehr spät eingetroffen und hätten sich dann auch über längere Zeit sehr abwartend verhalten.

 

Bei dem Überfall auf den Gedenkgottesdienst in der der zentralen Kathedrale von Kairo wurden zwei Menschen getötet (siehe unseren Bericht von Gestern). Teilnehmer berichten, dass die Bullen gezielt gegen die Teilnehmer der Trauerfeier vorgegangen wären, die sich gegen die Angriffe verteidigten, es seien sogar Tränengasgranaten ins Innere der Kathedrale gefeuert worden.Präsident Mursi beeilte sich, schon am Sonntagabend öffentlich sein Bedauern über die Angriffe auszusprechen, bisher gibt es trotz der pogromhaften Züge der Angriffe erstaunlich wenig Reaktionen in der westlichen Welt.  Zwar protestierte die EU  heute offiziell, insgesamt scheint man aber die Vorfälle eher nicht breit treten zu wollen, das Interesse an einer Stabilisierung der ägyptischen Regierung, die derzeit dabei ist, die Verhandlungen mit dem IWF über die Bedingungen eines Kredites über 4,8 Milliarden US Dollar abzuschliessen, dürfte Vorang haben. Die Moslembrüder selber liessen übrigens über ihren offiziellen Sprecher verlauten, hinter den Geschehnissen stehe eine (nicht benannte) Verschwörung, die das Ziel habe, Ägypten zu destabilisieren. Bei den Tätern handele es sich um eine Bande von Kriminellen, es gäbe keinen islamistischen Hintergrund.

 

Die ägyptische Regierung sieht sich unterdessen anhaltenden sozialen Protesten ausgesetzt. So blockierten in Damietta Handwerker aus Protest gegen steigende Preise bei den benötigten Materialen eine Durchgangsstrasse mit Barrikaden, während eine andere Gruppe zum örtlichen Büro der Moslembrüder zog und es in Brand setzte. Erstmalig kam es damit während "sozialer Auseinandersetzungen" zu solchen militanten Aktionen gegen die Moslembrüder. Der Streik der ägyptischen Lokführer, der seit zwei Tagen zu zahlreichen Zugausfällen und Verspätungen führt, ist Teil einer neuen Streikwelle, die das Land seit zwei Wochen überzieht. Schon jetzt kommt es immer wieder zu Engpässen und Preisexplosionen bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Wasser und Treibstoff, die zukünftigen Kosteneinsparungen bei den staatlichen Subventionen machen selbst die Vertreter der deutschen Stiftungen in Ägypten nervös.

 

Katar, dass die Moslembrüder in mehreren arabischen Staaten massiv unterstützt, hatte im Januar Ministerpräsident Hischam Kandil nach Kairo entsandt, um einen Kredit über 2,5 Milliarden US Dollar zu vereinbaren. Der vereinbarte Kreditrahmen dürfte jedoch nur als Zwischenfinanzierung gedacht gewesen sein, um den kurzfrstigen wirtschaftlichen Kollaps des Landes abzuwenden. Schon unter dem Militärat war über die Hälfte der Devisenreserven aufgebraucht worden, um das schwächelne ägptische Pfund zu stützen. Seit 2010 ist der Devisenvorrat der Zentralbank von 36 Milliarden Euro auf nur 11 Miillarden Euro geschrumpft.

 

Allein am Anfang des Jahres wurden innerhalb weniger Tage fast eine halbe Milliarde Euro gegen den Kursverfall eingesetzt, im Januar reichten die Devisenvorräte nur noch um Benzin- und Lebensmittelimporte für drei Monate zu finanzieren.

 

Die Moslembrüder werden nun also den Drahtseilakt vollziehen müssen, gegenüber dem Westen als verlässliche Machtoptionen dazustehen (und Progrome gegen die christliche Minderheit sind in diesem Zusammenhang mehr als nur ein "Imageproblem") und gleichzeitig die Allianz mit den noch radikaleren Islamisten weiter zu pflegen. Die neue Verfassung war, ebenso wie der Schutz der zahlreichen Büros der Moslembrüder während der jüngsten Unruhen, nur mit der Unterstützung eben jener zu realisieren.

 

Was die genauen Auflagen des IWF für neue Kredite sein werden, bleibt ein (auch in Ägypten) gut gehütetes Geheimnis. Nordafrika hat in der Vergangenheit zahllose "Brotrevolten" erlebt, die Moslembrüder haben Jahrzehnte gebraucht, um die Macht in Ägypten zu erobern, sie könnten diese nun innerhalb weniger Monate wieder verlieren. Was dann bliebe, außer einem allgemeinen Aufstand, wäre eine erneute Rückkehr der Militärs an die Schalthebel. Teile der bürgerlichen Opposition haben im übrigen schon signalisiert, dass sie damit leben könnten. Und obwohl das Militär bei den politischen Aktivisten seit der Herrschaft des SCAF extrem unbeliebt ist (um es vorsichtig auszudrücken), besitzt es in der breiten Masse der Bevölkerung nachwievor ein hohes Ansehen. Als Einheiten der 2. ägyptischen Armee nach dem tagelangen Gemetzel der Riotbullen in Port Said die vollständige Kontrolle über die Stadt übernahmnen, wurden sie von Tausenden bejubelt.

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..überraschenderweise auch Amnesty International: http://www.amnesty.de/journal/2013/april/brot-bedeutet-leben?destination...

"Letztes Wochenende erreichten Bilder der Gewalt in Ägypten wieder einmal die ganze Welt.
In Kairo kam es zu heftigen Gewaltausbrüchen zwischen Christen und Muslimen.
Meistens aber schweigen die westlichen Medien zur herrschenden Alltagsgewalt in Ägypten.
Die ägyptischen Medien berichten zwar darüber, dass es fast täglich zu Ausschreitungen bei Demonstrationen kommt.
Sie – jedoch – berichten meistens nur einseitig – ganz im Sinne des Militärs.
Trotz Machtübernahme durch die Muslimbrüder gilt das Militär nämlich immer noch als stärkste Kraft des Landes.
Gegen die Medienzensur und die Übermacht des Militärs kämpft das Kollektiv „Kazeboon“ [KASEBUN].
Das vor allem aus Frauen bestehende Kollektiv benutzt Video als Waffe.
Michael Spahr hat die Frauen getroffen. ..."

http://freie-radios.net/54663