Mannheim: Angriff auf türkischen Nationalistenverein

KGÖ

In der Nacht zum 19.12.2011 haben Milizen der Kommunistischen Jugendorganisation (KGÖ) einen Angriff auf den türkischen Nationalistenverein "Türk Ocagi e.V." durchgeführt. In Zusammenhang mit der landesweiten tödlichen Operation gegen 20 Gefängnisse am 19.12.2000 und dem Maras-Massaker der faschistischen Militärdiktatur am 19.12.1978 gegen die alevitische und linke Bevölkerung in Maras, wurden die Scheiben des nationalistischen und faschistischen "Türkischen Kulturvereins - Türk Ocagi e.V." im Mannheimer Stadtteil Oststadt/Schwetzingervorstadt entglast und die Parole "Wir vergessen den 19. Dezember nicht! Übergriffe rächen sich! MLKP/KGÖ" an das Vereinsgebäude geschrieben.

 

Was war am 19.12. passiert?

 

19.12.2000 - Operation "Hayata Dönüs" (zu deutsch "Rückkehr ins Leben/Reanimation")

 

Nachdem die revolutionären linken Gefangenen massenweise in vielen türkischen Gefängnissen sich organisierten und gegen ihre Haft widersetzten, verlierten viele Gefängniswärter und -leitungen mit der Zeit die Kontrolle über die Gefangenen. Der Gefängnisalltag war geprägt von Ausschreitungen und Angriffen der zum Teil bewaffneten Gefangenen gegen die Gefängniswärter. Um diesen Widerstand zu zerschlagen führte die türkische Regierung gegen Ende 2000 ein neues Gefängnismodell, den "F-Typ", ein. Bei diesen "F-Typ" Gefängnissen handelt es sich um Hochsichherheitstrakte speziell zur "Terrorismusbekämpfung" eingerichtete Gebäuden, vergleichbar mit der JVA Stuttgart-Stammheim. Zudem wurde dadurch die Isolationshaft zum ersten Mal flächendeckend eingeführt. Die revolutionären Gefangenen sollten nach und nach in diese F-Typ Gefängnisse deportiert werden. Um sich gegen diesen Umzug in die Isolationshaft zu wehren beschlossen am 20.10.2000 die organisierten politischen Gefangenen landesweit sich in einen Hungerstreik zu begeben. Sie wollten dadurch erreichen, dass der türkische Staat einknickt und den Übergang zur Isolationshaft abbricht. Neben dem Protest und Ausschreitungen gegen die Gefängnisse wurden durch unabhängigen Menschenrechtsorganisationen Vermittlungsgespräche zwischen Gefangenen und staatlichen Repräsentanten eingeleitet, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Doch noch während den Verhandlungen leitete der türkische Staat die sogenannte zynische "Hayata Dönüs Operasyonu" (Operation "Rückkehr ins Leben/Reanimation") ein. In einem riesigen Umfang wurden landesweit 20 Gefängnisse von mehr als 10.000 Soldaten und mehreren tausend Polizisten unter Verwendung von Kampfhubschraubern und schwerem Geschoss angegriffen. Gefängnisse wurden mit Gasbomben wie Nervenkampfstoffe beschossen und es wurden Giftgasleitungen in die Gefängniszellen eingeleitet. Bei den Ausschreitungen wurden insgesamt 28 inhaftierte GenossInnen vom Militär ermordet. Weitere 122 GenossInnen starben während den Hungerstreiks und dem am 19.12.2000 begonnen Todesfasten.

 

Der einst für Menschenrechte zuständige Staatsminister und während der Operation amtierende Verteidungsminister Hikmet Sami Türk von der Demokratischen Linken Partei (DSP) begründete die Operation mit folgenden Worten: "[...]Der Staat kann nicht zusehen wie sich Menschen in Gefängnissen öffentlich durch Hungerstreiks und Todesfasten das Leben nehmen. Aus diesem Grund ist ein solcher Eingriff in 20 Gefängnisse des Landes unumgänglich. Das Ziel dieser Operation ist das Leben dieser Menschen zu retten. Deshalb ist dies die Operation zum Retten von Menschenleben".

 

19.12.1978 - Pogrome/Massaker von Kahramanmaras

 

Gegen Ende der 70er Jahre war der Alltag in der Türkei geprägt von Auseinandersetzungen zwischen revolutionären Linken und türkischen Faschisten. In jeder größeren Stadt schlossen sich alevitisch lebende Menschen und Kommunisten zusammen und bildeten somit eine Einheit gegen die Faschisten und Nationalisten. So auch in der nordkurdischen Stadt Kahramanmaras, wo ein hoher Anteil linker und alevitisch denkender Menschen lebten. Dort waren, wie in vielen anderen Regionen auch, die liberalen und humanistischen Sichtweisen des Alevitentums und die "gottlosen" KommunistInnen den streng gläubigen sunnitischen Nationalisten und Faschisten ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund wurde Sabri Özkan, ein alevitisch lebender Mensch, von türkischen Faschisten ermordet. Nach dem Tod von Sabri erstarkten die Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten, so dass am 19.12.1978 bei der Vorführung eines nationalistischen Filmes eine Schockgranate im Kinosaal explodierte. Während des Angriffs wurde niemand verletzt, jedoch war dies ein Zeichen dafür dass die Menschen dem nationalistischen Treiben in ihrer Stadt nicht tatenlos zusehen werden. Von seiten der MHP (Nationalistische Volksbewegungspartei) den Grauen Wölfen und weiteren faschistischen Gruppierungen wurden pauschalisiert alle KommunistInnen und Aleviten für diesen Anschlag verantwortlich gemacht.

 

Als Rache für den 19.12.1978 ist am 20.12.1978 eine Bombe in einem alevitischen Café explodiert und am Tag darauf zwei Lehrer aufgrund ihrer linken Sichtweise erschossen worden. In den Moscheen wurden von den Imamen gegen Aleviten und KommunistInnen gehetzt. Am 22.12.1978 fingen die Faschisten die Vorbereitungen für ihren geplanten Pogrom an. Mehrere alevitisch und kommunistisch bewohnte Häuser und Arbeitsplätze wurden mit roter Farbe markiert. Am Tag darauf, dem 23.12.1978, wurden die Pogrome gestartet. Die rot-markierten Häuser wurden von Faschisten gestürmt und zerstört. Die Bewohner wurden aus ihren Häusern gezerrt und auf offener Straße erschossen, gefoltert und vergewaltigt. Laut offiziellen Angaben kamen während dieser Pogrome 111 Menschen ums Leben, 552 Häuser und 289 Arbeitsstätten wurden geplündert.

 

Bozkurt und Graue Wölfe in Deutschland

 

Wir werden diese Übergriffe nicht vergessen und uns jeder faschistischen, reaktionären, rassistischen, nationalistischen und menschenverachtenden Bewegung gezielt und entschlossen entgegensetzen. Die Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ) ist ein Teil der Marxistisch-Leninistisch Kommunistischen Partei (MLKP) und beteiligt sich am revolutionären Kampf in der Türkei und Nordkurdistan. Doch auch in Europa und gerade in Deutschland nimmt der Faschismus und der damit verbundene Rassismus und Nationalismus zu. Während sich Neo-Nazistische Aktivitäten immer verherrender verbreiten nimmt auch der Nationalismus der türkischen Minderheit in Europa massiv zu. Getarnt unter türkischen Kulturvereinsbezeichnungen bildet die MHP in Europa mit der Bozkurt-Bewegung und den Grauen Wölfen in jeder größeren Stadt ihre Basis. In diesen vermeintlichen "Kulturvereinen" wird die faschistische Propaganda an türkische Jugendliche verbreitet und gegen KurdInnen und Linke gehetzt. Indem sie die kurdische Befreiungsbewegung und UnterstützerInnen dieser Bewegung per se als terroristisch und Gefahr für das türkische Volk ansehen, schaffen sie eine rassistische Stimmung unter den MigrantInnen.

 

Deshalb dürfen wir diesem Treiben keine Basis bieten und müssen an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt gegen die faschistischen Bewegungen intervenieren und ihrer Propaganda ein Ende setzen!

 

Kein Vergeben, Kein Vergessen!

Faşizme karşı omuz omuza - Schulter an Schulter gegen den Faschismus!

Bozkurt und Graue Wölfe bekämpfen!

 

Für den Kommunismus!

 

 


 

 MLKP/KGÖ Dezember 2011

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Ein sehr informativer Artikel, gerade von den Ereignissen 1978 war mir vorher nichts bekannt. Lediglich etwas ausführlicher hätte ich es mir gewünscht.

die 70er Jahren waren in der Türkei sehr "turbulent". Einerseits waren die Regierungen sehr instabil und wechselten oft hintereinander ab. Ecevit und Demirel koalierten abwechselnd mit dem rechten Rand der Türkei, bestehend aus MHP (türkische Faschisten, die Grauen Wölfe sind die Jugendorganisation) und MSP (Islamisten). Andererseits war die sozioökonomische Lage sehr schlimm, da verschiedene Krisen ineinander übergingen (Überakkumulationskrise, Krise der Industrieländer, d.h. der Absatzmärkte für türkische Produkte, Ölkrise, Dollarkrise und Hypterinflation (ca. 700%)). Das Militär war allzeit putschwillig und im Innern wurde ein Parallelstaat (sog. tiefer Staat) aus Geheimdienst, Polizei, Militär und faschistischen und islamistischen Milizen gebildet. Der Staat, gleich ob Konservative oder Sozialdemokraten, setzt immer zur Flucht nach vorne in Richtung Nationalismus (z.B. 1974, Zypernkrieg)

Damit es besser zur nationalistischen Fassade passt, hat man vor allem die Faschisten auf die Linken losgelassen: Der Angriff auf den 1. Mai 1977 auf dem Taksimplatz, die Angriffe gegen Minderheiten (Christen = Griechen und Armenier, Kurden, Aleviten) forciert wie das Maras-Massaker. Ab 1980 schritt das Militär öffentlich ein und zerstörte die selbstverwalteten Kommunen entlang der Schwarzmeerküste (u.a. Fatsa). Schließlich putschten sie endgültig im September 1980. Mehrere zehntausend wurden inhaftiert, viele hunderttausend flohen.