1983 gab die alternative Stadtzeitung „Der Klüngelskerl“ und die „Geschichtswerkstatt Dortmund“ ein Faltblatt zur Dortmunder Nordstadt und den Nazis von der Borussenfront heraus. Der Titel lautete: „Wir sind aus Dortmund`s Norden ...“ oder: Wie kommen die Nazis zum Borsigplatz?“ Geschrieben hatte den Text der damals 55jährige Kurt Piehl, der zur Zeit des Nationalsozialismus in der Nordstadt wohnte und als Edelweisspirat die Hitlerjugend und die Nazis bekämpfte. (https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Piehl)
Hier das Faltblatt von 1983 als Text und PDF.
Geschichtswerkstatt Dortmund e.V.
"WIR SIND AUS DORTMUND'S NORDEN
DAS SIEHT MAN UNS NICHT AN
MAN NENNT UNS WILDE HORDEN..."
Weihnachten 1943
Weihnachten 1943. 5. Kriegswinter. Fest des Friedens in totalen Krieg. Das Jahr der großen Wende war fast vorüber. Die große Wende, das war die Kehrtwendung des Kriegsglücks. Gab es überhaupt so etwas wie Kriegsglück? Glück im Krieg? Wenn überhaupt, dann nur selten und in kleinen Rationen - wie die Sonderzuteilungen zu Weihnachts- und Bombenzeiten.
Inzwischen war es 11 Monate nach Stalingrad, 8 Monate nach der Vernichtung des deutschen Afrikakorps und 7 Monate nach den Dortmunder Bombennächten im Wonnemonat Mai. Seit der Niederlage von Orel und der Kapitulation Italiens war auch fast ein halbes Jahr vergangen. Die Verhaftungen von Paule Wilms und Jimmy Bahlo waren erst im Oktober gewesen - unsere erste und leidvolle Bekanntschaft mit der Gestapo auch. Aber immerhin waren wir jetzt anerkannte Edelweißpiraten - von Gestapo-Buschmann anerkannt und aktenkundig gemacht.
Am Abend des 2. Weihnachtstages bummelten wir die Bornstraße entlang. Wir, das waren die 3 Edelweißpiraten Rammy, Kiki und Curry. Mein Spitzname hatte übrigens nichts mit dem pikanten indischen Gewürz zu tun und wurde auch nicht so ausgesprochen. Wir Epis redeten uns fast immer mit unseren Spitznamen an. Das war so herrlich konspirativ. Zwar kannten sich die meisten Freunde auch unter ihren richtigen Namen, aber das störte weiter nicht. Die Spitznamen gehörten einfach dazu.
Werner (Name geändert) war auch dabei. Er war kein Epi und kam nur selten zu unserem Treffpunkt im Brüggemann-Park (Danziger Freiheit). Mit fast 18 Jahren war er nicht nur der älteste von uns, sondern auch der Stärkste. Außerdem war er vorsichtig, ängstlich uns großmäulig. Manche nannten ihn Feigling und Angeber. Wir nicht. Wir waren mit ihm befreundet.
Bei Cafe "Ratte" (heute: Möbelhaus Kortmann, gegenüber dem Fritz-Henßler-Haus) ging es laut und lustig zu. Die Musik war bis auf die Straße zu hören. Wir blieben stehen und sahen uns an. "Woll'n wa?" fragte Rammy. "Wir könnten ja 'ne Suppe (Dünnbier) trinken", meinte Kiki, "aber für zum alt wer'n hab ich hier keine Lust." Er war der Jüngste von uns, Jahrgang 28, genau wie ich. Im September war er fünfzehn geworden. Ich wurde schon bald sechzehn, gleich Anfang Januar. Rammy war Jahrgang 27 und ein Jahr jünger als Werner.
Im Lokal blieben wir in Türnähe stehen und blinzelten. Der Wechsel von totaler Verdunkelung zur hell erleuchteten Gaststätte blendete ums. Der Geschäftsführer kam mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Er wollte uns aber nicht begrüßen, sondern hinaus drängen. Anscheinend gefielen wir ihm nicht. Mit unseren geöffneten Mänteln, wehenden Schals und unzeitgemäß langen Haaren machten wir nicht den Eindruck von ordentlichen deutschen Jungen. Offensichtlich wirkten wir fremdländisch oder gar exotisch. "Messieurs, messieurs!" rief der gute Mann aufgeregt. "Hier nix francais. Hier nur allemands, nur Deutsche. Compris?" - Der hielt uns wohl für Franzosen.
Für das Folgende war Rammy zuständig. „Was is' mit ihm", fragte er mich. „Hatta Blähungen?"
Ich gab keine Antwort, sondern trat einen Schritt zur Seite. Jetzt hatte Rammy Platz.
Der Mann wollte etwas sagen, aber er kam nicht mehr dazu. Rammys Kinnhaken riss ihn von den Füßen. Er fiel um und rutschte auf dem blanken Linoleumboden etwa 5 bis 6 Meter an den besetzten Tischen entlang - und das ohne anzuecken. Dann richtete er sich auf und blieb benommen auf dem Fußboden sitzen.
"Das war Maßarbeit", sagte jemand anerkennend. Tatsächlich kriegte das keiner so genau hin wie Rammy. Unbeteiligte wurden überhaupt nicht gestört.
„Ich glaub nich', daß es mir hier gefällt", vermutete ich. „Curry hat recht", stimmte Kiki mir zu. „Ich mag das auch nich', wenn so 'ne miese Bedienung is'. Sowas lockt nich'." Wir verließen das Lokal und setzten unseren Bummel fort. Eine halbe Stunde später waren wir am Borsigplatz. Rammy hinkte leicht. Vor ein paar Tagen war er verwundet worden - am rechten Unterschenkel. Er hatte bei Fliegeralarm in der Haustür gestanden und den Feuerzauber der Flak beobachtet. Auf der anderen Straßenseite war ein Flakblindgänger aufgeschlagen und detoniert. Dabei hatte er sich einen Granatsplitter eingehandelt.
Aus der Gaststätte "Herzog" kamen 4 Jungen oder junge Männer. In der Dunkelheit waren sie nur konturenhaft zu sehen. Deutlich erkennbar war nur, dass sie einen "Plätzschenschnitt" hatten - kurzgeschorene Haare, wie sie bei der HJ üblich waren.
Angeregt durch den Vorfall im Cafe "Ratte" wurde Werner aggressiv. In Gesellschaft war er immer sehr mutig. „Hallo Pimpf", sagte er und rempelte einen Jungen an. „Hau ab, sonst gibt' s Dubletten!" drohte der. Rammy versuchte unseren Kumpel zurückzuhalten. Schließlich wollten wir nur einen friedlichen Weihnachtsbummel machen. Jedoch Werner hatte schon zugeschlagen. Sein Gegner taumelte, fiel aber nicht um. Seine Freunde griffen uns an und mischten kräftig mit.
Zu unserem Leidwesen merkten wir schnell, dass die anderen älter, schwerer und stärker waren als wir. Werner und Rammy mochten ihnen ebenbürtig sein; ich war es nicht. Und Kiki war sowieso nur ein Fliegengewicht. Wenn der mal richtig einen gescheuert kriegte, fand der sich bei Karl Hoesch auf dem Werksgelände wieder. Dann musste er einen Besucherausweis beantragen, damit er wieder raus konnte. Zum Glück, dass unsere Gegner gerade aus der hellen Kneipe in die Dunkelheit gekommen waren. So hatten sie noch immer Orientierungsschwierigkeiten. Am hellen Tag hätten sie uns schlicht und ergreifend verdroschen.
Tänzeln, schlagen und Schläge einstecken. Ausweichen und angreifen. Auf diese Weise zog sich die Keilerei über die Oestermärsch hinweg bis vor das Assauerkino. Ich war noch ganz glimpflich davongekommen - bis jetzt. Ein paar erträgliche Körpertreffer und eine Unterlippe, die nach Blut schmeckte. Das war alles. Andererseits hatte ich auch einige Treffer gelandet. Aber sichtbare Wirkungen hatte ich nicht erzielt, unsere Gegner waren noch gut in Form - ohne Ausnahme.
Rechts von mir kämpften Rammy und Werner. Kiki hielt sich links hinter mir. Er preschte aber immer wieder vor und versuchte unsere Gegner durch Fußhakeln zu Fall zu bringen. Erfolg hatte er damit nicht. Allerdings stiftete er Verwirrung und lenkte mindestens einen von mir ab. Endlich hatte Rammy Erfolg - vielleicht war es auch Werner. So genau konnte ich das nicht sehen. Einer von der Gegenseite krümmte sich und presste beide Hände gegen den Magen. Er hockte sich stöhnend auf die Bordsteinkante. Fortan übte er nur noch Beobachterfunktionen aus. Rammy startete sofort einen Entlastungsangriff auf den Jungen, der mich am härtesten bedrängte. Doch ehe er diesen erreichte, stürzte er plötzlich - ganz ohne Feindeinwirkung. Während des Kampfes hatte sich sein Verband gelöst und abgewickelt. Als er mir helfen wollte, trat er mit dem linken Fuß auf das lose Ende der Binde. Er stolperte und fiel. Nachdem er sich mühsam hoch gerappelt hatte, humpelte er ebenfalls an den Fahrbahnrand und setzte sich auf den Bordstein. Dort brachte er seinen Verband seelenruhig und umständlich wieder in Ordnung. Nachdem Rammy ausgefallen war, ergriff Werner, ebenso schnell wie schamlos, die Flucht. Er rannte hinter unserem Rücken zur Borsigstraße hin, bog um die Ecke und wurde vorerst nicht mehr gesehen.
Kiki und ich standen jetzt drei Gegnern gegenüber - überlegenen Gegnern. Der Rechte, mit dem Werner sich beschäftigt hatte, bedurfte jedoch einer kurzen Erholungspause. Der Linke schlug einen Bogen, um uns in die Zange zu nehmen. Der kleine Kiki griff ihn frontal an, wich dann nach links aus uns ließ sein rechtes Bein stehen. Sein gleichzeitig angreifender Gegner fiel mit dem Gesicht nach unten auf das Pflaster. Der Mittlere stürmte auf mich los und holte zum Schlag aus.
Als Linkshänder hatte ich bisher die Rechte als Deckung benutzt und links geschlagen. Jetzt musste ich mir was anderes einfallen lassen, ich empfing den Angreifer mit einem rechten Handkantenschlag. Der war auf die Kehle gezielt und traf seine Nase. Das gefiel ihm aber auch nicht so gut. Jetzt hatte ich endlich Gelegenheit, mit der Linken meinen Haustürschlüssel aus der Tasche zu ziehen, einen einzelnen, soliden, altmodischen Schlüssel an einem ganz gewöhnlichen Ring. Ich nahm ihn zwischen Zeige- und Ringfinger. Das Bartende ragte aus der geschlossenen Faust. Der Ring war in der Hand gegen den Schlüsselschaft geklappt und gab einen griffigen Halt. Damit verfügte ich über eine wirksame, aber nur mäßig gefährliche Schlagwaffe. Mein Gegner merkte das, als ich ihn am Kopf erwischte. Kiki hatte den Gestürzten einige Zeit am Boden gehalten, aber jetzt richtete der sich wieder auf. Ich machte einen Scheinangriff auf den Gegner zu meiner Rechten. Der hatte sich lange genug ausgeruht. Direkt vor ihm sprang ich zur Seite und landete einen Treffer bei Kikis Gegner, der daraufhin prompt wieder umfiel.
Die Angriffslust unserer Kontrahenten ließ fühlbar nach. Unsere eigene war schon längst im Eimer. Wir umkreisten uns gegenseitig, täuschten und schlugen auch manchmal zu. Aber nicht mehr so hart. Wir hatten keine Lust mehr und konnten trotzdem nicht aufhören. Trotz der Kälte waren wir nassgeschwitzt. Wir verfluchten unsere dicken Wintermäntel. Rammy hatte seinen Verband wieder geordnet und stand vor dem Kinoeingang. "Mücke machen!" rief er uns zu. Dann rannte er zur Borsigstraße hin.
Kiki und ich ergriffen so plötzlich die Flucht, dass unsere Gegner völlig überrascht waren. Erheblich angeschlagen blieben sie als Sieger zurück. Wir, die leicht beschädigten Verlierer, flüchteten eilig die Borsigstraße entlang. „Im OKW-Bericht täten se für sowas erfolgreiche Absetzbewegung sag'n", keuchte Rammy laufenderweise. Vor der Eisenbahnbrücke an der Gronaustraße stießen wir auf Werner.
„Ich hab hier auf euch gewartet", berichtete er treuherzig. „Ich konnte euch doch nich' im Stich lassen. Sowas würd ich nie machen". Und gleich darauf: „Habt ihr geseh'n wie ich den ein'n Stenz da flachgelegt hab? Das war'n Schlag, wa'? Dafür muß man schon was aufm Kasten ham". Kiki und ich grinsten uns an. Rammy sagte vernehmlich: „Arschloch". Aber richtig böse sein konnten wir ihm nicht. Schließlich waren wir alte Freunde. -
Einige Tage später saßen wir zusammen bei "Herzog". Wir, das waren Rammy, Kiki und ich, aber ohne Werner. Und unsere vier Gegner vom 2. Weihnachtstag. Sie waren Jungen vom Borsigplatz, Edelweißpiraten wie wir. Außerdem waren sie Soldaten und hatten Einsatzurlaub - ein paar freie Tage vor dem ersten Fronteinsatz. Der verdächtige "Plätzchenschnitt" stammte noch aus der Rekrutenkompanie. Da wurden alle so kurz geschoren. Gemeinsame Freunde hatten den Irrtum aufgeklärt, der zu dem "Kampf aus Versehen" geführt hatte.
„Mann, oh Mann", sagte der eine zu mir. „Für so'n ausgehungerten Schmachtlappen haste'n ganz schön'n Bums inne Lamäng (la main - die Hand). Ich dachte schon, mich hätt'n Elefantenei getroffen".
„Du weißt doch, wie das bei sowas zugeht", erklärte ich bescheiden. „Bei so 'ne Holzerei is' auch'n ganzen Haufen Massel (Glück) bei. Und ihr wart ja auch nich' so ohne. Ihr habt uns ganz schön inne Mache gehabt". Meinen Haustürschlüssel erwähnte ich nicht. Mein neuer Freund sagte andächtig: „Is' aber'ne richtig zucker Kloppe gewesen. So'n schönes Weihnachten hab ich lange nich' erlebt. Das hat richtig Laune gemacht".
Weihnachten 1983
Weihnachten 1983. Weltwirtschaftskrise. In den großen Industriestaaten haben die Menschen gelernt, ihre Bedürfnisse mit geringerem Arbeitsaufwand zu befriedigen. Dadurch sind sie weitgehend überflüssig geworden - die Menschen 1983 gab es in der Bundesrepublik bis zu 2,35 Millionen Arbeitslose. Der Jahresdurchschnitt betrug etwa 2,2 Millionen - ohne die Dunkelziffer der nicht gemeldeten. Die Jugendarbeitslosigkeit war besonders hoch - auch besonders problematisch.
Das abgelaufene Jahr hatte den Bundesbürgern die 2. Regierung Kohl, die Kohlokratie mit Wende rückwärts, beschert. Eine schöne Bescherung. Es gab Arbeitsplatzvernichtungen und Lohnkürzungen; dazu die Kanzlerlüge von der Ausbildungsgarantie und den Versuch eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Letzterer endete mit sozialer Bandscheibenverrenkung. Es gab und gibt die Demontage sozialer und rechtsstaatlicher Prinzipien. Und: Wir haben endlich den unbezahlbaren Raketenbeschluss des Bundestages. In dieser windigen Wendezeit versuchen viele Mitbürger die Flucht aus der Realität. Die jüngeren dieser Realitätsflüchtlinge landen häufig in sogenannten Fan-Clubs. Hier werden selbstgebastelte Leitbilder - leider auch Feindbilder - künstlich hochstilisiert und zum Maßstab von Handlungen gemacht, die manchmal recht unerfreulich und menschenfeindlich ausfallen. Ein Beispiel dafür ist die Dortmunder Borussenfront. Das ist einer von vielen Fan-Clubs des Ballvereins Borussia 09, auch BVB genannt. Die Borussenfront wird den Neonazis zugerechnet - andere bundesdeutsche Fan-Clubs auch.
Ihre Gründung war am Karfreitag 1982. Sie sind siebzehn bis 45 Jahre alt. Ihr Vereinslokal heißt "Grobschmied" und liegt in der Stahlwerkstraße. Das ist im Borsigplatzviertel. Sie lieben Alkohol, Schlägereien und Schnurrbarts-Adolf (Hitler). Fußball mögen sie auch. Außerdem haben sie (mindestens) eine Nazifahne. Sie schmücken sich mit SS-Runen und singen Nazi-Lieder. Ihr Gruß ist "Heil Hitler", ihr Schlachtruf "Sieg Heil". Alles wie gehabt.
Sie sind Freunde und teilweise auch Mitglieder der NPD. Im Bundestagswahlkampf betätigen sie sich als NPD-Helfer. Anderen rechtsradikalen Fan-Clubs, der Wiking-Jugend, der Wehrsportgruppe Hoffmann und ähnlichen Vereinen fühlen sie sich verbunden oder verbündet. Auch Oberneonazi Kühnen soll sie schon im "Grobschmied" besucht haben. Allerdings gibt es dafür keine Bestätigung.
Sie sind Arbeiter, Handwerker und Arbeitslose. Hassgeladen sind sie auch. Ihr Hass gilt Türken, Linken, Juden und anderen "Kanackern". Ferner hassen sie Polizisten, Schalke 04 und Staatsanwälte. So und nicht anders stand es in "WAZ" und "TAZ", im "Stern" und "Ruhr Nachrichten". Bei den genannten Zeitungen scheinen sie nicht sonderlich beliebt zu sein, die Herrenmenschen vom Borsigplatz. Nur Springers "BamS" findet gute Worte für sie. und das ist sicherlich bezeichnend. Die Bilanz ihrer Taten ist jedoch erschreckend - abscheu- und ekelerregend.
- Am 29.Januar 1983 spielt Borussia Dortmund gegen Hertha BSC. Die Borussenfront singt im Stadion: "Heute gehört uns Deutschland ...". Im gleichen Lied heißt es auch: "Wir werden weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt..". Fotos von diesem Tag zeigen, wie Mitglieder den Hitlergruß skandieren. (RN v.l.9.83)
- Zum Saisonauftakt der Bundesliga fährt die Borussenfront zum Frankfurter Waldstadion. Sie tragen Knobelbecher und schwarze Lederkleidung mit SS-Runen - ein Räuberzivil, das sich an alte Nazi-Uniformen anlehnt. In Frankfurt gibt es Streit mit der ebenfalls rechtsradikalen einheimischen "Adlerfront". (RN v.l.9.83). So ganz nebenbei werden 6 türkische Arbeiter zusammengeschlagen. Die hatten sich unverschämterweise in Stadionnähe herumgetrieben - einfach so, ohne arischherrenmenschliche Genehmigung. Während des Spiels erregt Schiedsrichter Niebergall den Unwillen der Borussen-Fans. Wegen einer vermeintlichen oder wirklichen Fehlentscheidung wird er in Sprechchören als "Jude" beschimpft. (Sternreportage) Ist das Wort "Jude" wieder eine Beleidigung? Auf der Rückfahrt nach Dortmund nehmen die jungen Männer den Bus auseinander. Das reicht ihnen aber nicht. Noch ist ihr Tatendrang ungebrochen. Aufgeheizt durch Alkohol, Fußballspiel und ihrem eigenen Hass, überfallen sie in Dortmund eine türkische Gaststätte. Unter anderem drehen sie den Bierhahn auf und lassen ihn laufen. Ehe sie abziehen, rauben sie einen Teil der Tageskasse. Ihre Aktivitäten müssen ja irgendwie finanziert werden. (RN v.l.9.83)
- Anfang September 1983 wird der Türke Sülo überfallen. Tatort: Eine Pommesbude in der Stahlwerkstraße. Nach Angaben von Sülo schrien die Täter: „Wir sind die deutsche Nazi-Jugend". Dann schlugen sie mit Ketten auf ihn ein. Sülo wurde erheblich verletzt. (WAZ v.24.9.83)
- Nach einem Heimspiel des BVB im Herbst 1983 werden die Besucher eines deutsch-türkischen Kommunikationszentrums überfallen. Später kommt es noch zu einer Schlägerei in der benachbarten Imbissstube. Der Besitzer ist ebenfalls Türke. Noch in der gleichen Nacht wird ein türkischer Mitbürgerin seiner Privatwohnung angegriffen. Das Küchenfenster wird zertrümmert - vermutlich durch Schüsse mit scharfer Munition. Der Wohnungsinhaber wird schwer verletzt. 14 (!!) Täter werden vorübergehend (!!) festgenommen. (TAZ v. Herbst 1983)
- Die wöchentliche Sitzung der Borussenfront findet jeweils im Hinterzimmer des "Grobschmied" statt. Sie beginnt mit einem dreifachen "Sieg Heil". Dann singen sie: "Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. Borussenfront marschiert mit festem Schritt und Tritt". (Sternreportage)
Feigheit, Dummheit und sadistische Grausamkeit waren schon früher die wesentlichen Eigenschaften faschistischer Gruppierungen. Bei der Borussenfront findet man davon mehr als genug - ein halbes Jahrhundert nach 1933. Und was tun unsere Ordnungshüter gegen dieses Treiben? Was tut die Polizei, die das staatliche Gewaltmonopol für sich in Anspruch nimmt? Kann sie den Terror stoppen oder ist sie zu sehr damit beschäftigt, den anständigen Bürgern dieses Staates die Grundrechte unserer Verfassung aus dem Kopf zu schlagen?
- Laut "Ruhr Nachrichten" vom 1.9.83 gibt es im Polizeipräsidium eine Arbeitsgemeinschaft, die aus 2 Schutzbereichen und dem 14.(politischen) Kommissariat besteht. 50 Straftaten der Borussenfront wurden bereits aufgeklärt. 2(!!) Täter wurden sogar schon verurteilt. Weitere Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind anhängig. Da werden sich die Opfer aber freuen. Nach den Erklärungen von Polizei Sprecher Behle steht die Borussenfront vom ersten Tag an unter Beobachtung. Die geschilderten Vorfälle fanden trotzdem statt.
Wird der Terror weitergehen?
Wie kommen die Nazis zum Borsigplatz
Zweimal Dortmunder Borsigplatz ...
Zweimal Dortmunder Borsigplatz - 1943 und 1983. Dazwischen liegen 4 Jahrzehnte. Ein weiter Weg von der Krise aus Mangel zur heutigen Überproduktionskrise. Welche Entwicklung hat es hier gegeben? Und was ist eigentlich so bemerkenswert an diesem Stadtteil?
Der Borsigplatz ist das Zentrum eines Dortmunder Arbeiterviertels. Früher wurde er heimlich (aber nicht sehr heimlich) der "Rote Platz von Dortmund" genannt. Wie in anderen Ruhrgebietsstädten besteht hier die Bevölkerung weitgehend aus "Rucksackwestfalen". Das sind Zuwanderer und deren Nachkommen, die sich im Verlauf von rund 100 Jahren hier angesiedelt haben. Rucksackwestfalen, die aus der Gegend zwischen Paderborn und Ural zugewandert waren, wurden oder werden meistens "Wasserpollacken" genannt. Zeitweilig kamen sie aus Polen, der Tschechoslowakei, Italien und den ostdeutschen Grenzgebieten. Aus den östlichen Provinzen des ehemaligen Deutschen Reiches kamen aber nicht nur "reinrassige Deutsche". In vielen Familien gab es u.a. polnische, litauische und russische Verwandtschaften. Es gab auch Masuren und Kaschuben mit deutscher Staatsangehörigkeit. Und mancher zugewanderte Ostpreuße stammte von französischen Hugenotten ab. Gemeinsam war ihnen nur der Mut und der Wille, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Darum ließen sie sich auch nicht unterbuttern. Sie waren grob und derbe wie die Arbeit bei "Karl Hoesch". Aber sonst waren sie freundlich und hilfsbereit. Nur wenn man ihnen auf die Füße trat, konnten sie verdammt unfreundlich werden. Das waren und sind die "Deutschen" vom Borsigplatz - eigentlich kein Rohstoff aus dem man Nazis basteln kann. Nach dem letzten Krieg kamen die Gastarbeiter - Italiener, Spanier, Griechen; dazu Jugoslawen, Türken und Araber. Es ist nicht einzusehen, warum diese Leute nicht genauso integriert werden können, wie die früheren Zuwanderer. Für die "reinrassigen Arier" der rucksackwestfälischen Borussenfront bilden sie jedoch den Stein des Anstoßes. Aber wie konnte das Borsigplatzviertel überhaupt unter die Terrorherrschaft dieser Neofaschisten geraten? Wird hier etwas nachvollzogen, was den Nazis selbst auf dem Höhepunkt ihrer Macht nicht gelungen war? Die These, dass unsere Gesellschaft zwangsläufig immer neue Faschisten produziert, überzeugt hier nicht - woanders ja, aber nicht hier am Borsigplatz.
1938, als wir Zehnjährigen in das "Deutsche Jungvolk" mussten, gab es in unserer Klasse (Luisenschule) 2 Jungen, die sich mit Erfolg dagegen sträubten. Wir anderen bekamen mittwochs uns samstags keine Hausaufgaben, weil wir "Dienst" hatten. Hutti (Hubert) Kriewald und Atze (Arthur) Kühling mussten dann jeweils vortreten und sich mit umfangreichen, strafarbeitsähnlichen Aufgaben eindecken lassen. Eine ungeheure Belastung für zehnjährige Jungen. Sie waren jedoch zäh und mutig genug, das durchzustehen. Sie wohnten nämlich in der Stahlwerkstraße.
Später, als 14-17jährige Edelweißpiraten lernten wir uns gegen Repressionen zu wehren - mit Gewalt und Provokation. Aber unsere Gewalt hatte sich nie gegen Schwächere gerichtet - im Gegenteil. Unsere Gegner waren gleichwertig und meistens in der Überzahl. Und sie wurden gestützt durch einen übermächtigen Staatsapparat. Mit den ausländischen Zwangsarbeitern, die damals noch rechtloser waren als heute, verband uns nicht nur Solidarität, sondern häufig auch echte Freundschaft. Das galt vor allem für die französischen Hoescharbeiter mit ihrem Anführer Le Victeur. Die verkehrten damals am Borsigplatz in der Gaststätte "Herzog". Aber auch andere Ausländer, die Edelweißpiraten als Arbeitskollegen hatten, brauchten keine Diskriminierung zu fürchten.
Ich erinnere mich auch mit Vergnügen daran, wie wir oft vor der "Borsigwache" die Internationale gesungen haben -natürlich nur die 4 Zeilen, die wir kannten, die aber in pausenloser Wiederholung. Und wenn der "dicke Steeger" (Polizeileutnant) mal einen von uns zwecks Misshandlung auf die Wache schleppte, dann banden wir aus Rache volle Mülltonnen an den dort verkehrenden O-Bus. Die Haltestelle war bei "Herzog" vor der Tür.
Mit den Bewohnern des Viertels befanden wir uns weitgehend in Einklang. Als Beweis mag folgendes Beispiel dienen. Anfang 1944 standen wir, einige Mädchen und Jungen, vor einem Haus in der Oesterholzstraße. Eine alte Frau von weit über 70 wollte mit 2 schweren Taschen ins Haus. Sie forderte mich auf, ihr Gepäck in den 3.Stock zu tragen. Oben erklärte sie, wegen allgemeiner und persönlicher Armut könne sie mir höchstens einen Kuss als Belohnung anbieten. Ich habe das Angebot akzeptiert.
Ist es denkbar, dass ein Neonazi der Borussenfront ein ähnliches Erlebnis haben kann?
Wie schon geschildert, konnte es auch mal zum "Kampf aus Versehen" kommen. Das lag daran, dass wir leicht provozierbar waren. Solche Kämpfe waren genauso rauh und ruppig, wie die mit unseren echten Feinden von der Hitlerjugend. Das wurde aber nicht besonders tragisch genommen. Eine schöne "Kloppe" machte Spaß und gehörte zu den wenigen Dingen, die noch nicht rationiert waren. Und wenn man auch mal "türmen" musste, war das noch lange keine Schande. Im Gegenteil, zur rechten Zeit "die Eisen zeigen", galt als Zeichen von Intelligenz. Nur wer vorzeitig weglief, war ein Feigling.
Und hier am gleichen Tatort gibt jetzt die Borussenfront en Ton an. Jungen vom Borsigplatz überfallen und misshandeln einzelne Personen - nur weil diese Ausländer sind. Dabei scheuen sie sich nicht, auch Frauen und Kinder zu ängstigen.
Wissen sie nicht, dass sie selbst mit einiger Wahrscheinlichkeit von Ausländern abstammen?
Kennen sie nicht mehr den Ehrenkodex aus dem Dortmunder Norden, der den ehrlichen Kampf vorschreibt? Ich kann die Fragen nicht beantworten.
Der Faschismus ist die scheußlichste Spielart des Imperialismus. Danach darf eine rassisch überlegene Elite den Rest der Welt unterdrücken und ggf. ausrotten - in jedem Fall aber ausbeuten. Und das hat wiederum eine ganze Menge mit den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln zu tun.
Wissen das die Leute von der Borussenfront? Es ist wohl nicht anzunehmen, dass sie eigene Produktionsmittel besitzen - einen "Ariernachweis" vermutlich auch nicht. Aber können sie ohne diese Voraussetzungen eigentlich richtige Nazis sein?
Oder sind sie vielleicht nur gelernte Bildzeitungsleser? Vielleicht glauben sie an das Märchen von den bösen Ausländern, die den armen braven Deutschen die Arbeitsplätze stehlen. Einiges mag darauf hindeuten.
Wenn sie aber doch richtige Nazis sein sollten, dann sind sie nach meiner Meinung nur mit jener SA aus der Zeit vor Juni 1934 zu vergleichen. Das war die SA, die nach dem Abkommen der Harzburger Front mit Unternehmergeld gekleidet, gefüttert und besoldet wurde, die Schlägertruppe, die ihren Führer durch Straßenterror in die Nähe der Macht führte. Und als Hitler die Macht vereinnahmt hatte, konnte er über die willigen Institutionen Polizei und Reichswehr verfügen. Da war sie überflüssig geworden, die SA - und unbequem. Beim sogenannten Röhm-Putsch im Juni 1934 wurde nicht nur der Stabschef der SA, der ehemalige Hauptmann Röhm erschossen. Die SA-Männer wurden zu Tausenden von der SS abgeschlachtet - auf Befehl ihres geliebten Führers. Vielleicht können die Leute von der Borussenfront ihre politischen Wahnvorstellungen tatsächlich realisieren. Zur Zeit scheint mir das nicht unmöglich. Sie sollten aber wissen, was sie dann erwartet. Wissen sie es tatsächlich?
Man sollte es ihnen sagen.
Was ist die Geschichtswerkstatt?
Die Geschichte einer Straße, eines Quartiers besteht aus vielen Erlebnissen, die die Bewohner im Gedächtnis haben und untereinander erzählt werden. Dabei können die Geschichten selbst erlebt, nur gehört oder von den Eltern überliefert sein. Werden hier Häuser abgerissen, Menschen vertrieben entstehen auch "Gedächtnislücken". Seine Möbel kann der Mensch mitnehmen, seine Geschichten brauchen die Menschen, die in Kneipen, im Garten oder im "Tante-Emma-Laden" zuhören. Die kann niemand mitnehmen. Die Alsenstraße gehört seit mehr als 15 Jahren zum "Sanierungsgebiet Nord II". Die städtischen Pläne sind zum Sinnbild für Abriss, Vertreibung und Zerstörung der Kultur im Dortmunder Norden geworden. Zur erlebten Geschichte dieses Bereichs gehört inzwischen aber auch der Widerstand gegen die Zerstörungspolitik. Die "Geschichtswerkstatt Dortmund" wurde im März 1983 von geschichtlich interessierten Dortmunder Bürgern gegründet. Sie ist inzwischen als Verein eingetragen und als gemeinnützig anerkannt.
Sie will Bürgern helfen, ihre eigene Geschichte(n) zu sichern und dafür eintreten, dass gewachsene Beziehungen, die für den Austausch von Geschichte (n) unerlässlich sind, nicht zerstört werden.
Der Personenkreis, mit dem wir zusammenarbeiten wollen, kann aus Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, Gewerkschaftlern, Frauengruppen und Einzelpersonen bestehen. Wir helfen
- bei der Durchführung von Lesungen und Diskussionsveranstaltungen "Vor Ort"
- Nachforschungen in Archiven und Bibliotheken
- Erstellen von Ausstellungen, Dia-Serien, Broschüren und Presseartikeln
Darüber hinaus hat die "Geschichtswerkstatt Dortmund" schon viele Eigentätigkeiten durchgeführt. Die Ergebnisse wurden bereits der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie können Interessierten für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden:
Ausstel1ungen:
Bücherverbrennungen 1933 "Zensiert - Verboten - Verbrannt.
Berufsverbote 1800 - 1950
Lesungen:
Der Räuber Mohr vom Höchsten
Die Edelweißpiraten
Die Antifaschistischen Ausschüsse nach 1945 in Dortmund
Frauen im Faschismus
Die Geschichte des Anarchismus in Dortmund
Militaristen und ihre Straßen in Dortmund
Was ist der Klüngelkerl?
Klüngelkerl - so wird im Dortmunder Dialekt ein Schrotthändler oder Lumpen-Sammler genannt. Die ganze Zeitung, die Du in der Hand hältst, nennt sich ebenfalls so, weil sie die gleiche Funktion hat: Sie sammelt unterbliebene und unterdrückte Meldungen und Berichte, die für die herrschende Presse Schrott bedeuten. Der Klüngelkerl gibt seinen Lesern die Möglichkeit, gleichzeitig Autoren zu sein. Die Redaktion schreibt nur einen Teil der Artikel selbst. Sie ist gleichzeitig Anzeigenabteilung, Buchhaltungsbüro, LayOut- und Vertriebscombo, Handverkaufstruppe und fliegende Reportercrew. Die Arbeit in der Redaktion wird als politische Arbeit verstanden und ist unentgeltlich. Die Zeitung entsteht an Feierabenden und Wochenenden. Sie ist unabhängig von Parteien und Zigarettenfirmen. Das hat seinen Preis: Der Klüngelkerl kann nur existieren, wenn er von der Szene getragen wird. Jede einzelne Ausgabe ist nur so gut oder schlecht, wie das Spiegelbild der Lesergemeinde. Abhängig ist "Der Klüngel" von den Lesern und Leserinnen, die mithelfen, das Blatt zu erstellen und zu vertreiben, die es als ihr eigenes Organ verstehen, also von Dir.
Apropos Steinwache
was ist denn an den Gerüchten dran, in der neuen Ausstellung in der Steinwache würden die Epis nicht mehr vorkommen? Sind der Genosse-der-Bosse-SPD-Stadtführung angeblich zu prollig...