Bei diesem Text handelt es sich um den zweiten Teil einer sechsteiligen ausführlichen Recherche des linken ukrainischen Aktivisten Kyrylo Tkachenko über die Handlungen einzelner Zusammenhänge der deutschen Linken im Kontext des Russland-Ukraine-Krieges. Den ersten Teil findet ihr hier auf Linksunten und den dritten Teil hier.
Über den Autor: Kyrylo Tkachenko war Mitbegründer und Co-Redakteur der ukrainischen Zeitschrift für Soziale Kritik »Spilne«und politischer Aktivist in der Free-Mumia-Bewegung. Während seines Studiums in München war Kyrylo mehrere Jahre lang in deutschen linken Zusammenhängen aktiv. Er publizierte als Autor u.a. im Unrast-Verlag und unterstützte zuletzt in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Arbeiterprojekte in der Ostukraine.
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Wie Teile der deutschen Linken Faschisten in der Ukraine unterstützen
Zweiter Teil: Über die Rote Hilfe, Brigade Prisrak und mehr
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Die Rote Hilfe hat eine unfehlbare Verteidigungsstrategie gewählt. Der Vorwurf, dass die Organisation ihre »ukrainischen« Aktivitäten ausschließlich auf die Zusammenarbeit mit der Querfrontvereinigung Borot'ba beschränkt, wird mit einer unwiderlegbaren Versicherung gekontert. Bei jeder Gelegenheit unterstreicht die RH, dass die Menschen aus der Ukraine, die unterstützt werden, diversen linken Zusammenhängen angehören. Nur dürfen allerdings - angesichts der schweren Verfolgungen, welchen Linke in der Ukraine angeblich ausgesetzt sind - keine Einzelheiten bekannt gegeben werden… Punkt!
Unsere Strategie ist eine zweifache. Obwohl mehrere gute Indizien vorliegen, dass es sich bei den von der RH nicht bekannt gegebenen Hilfsempfängern um ziemlich fragwürdige Personen handelt, gehen wir darauf nicht ein. Erstens kann ein solches Vorgehen schon an sich als ziemlich unsolidarisch empfunden werden und somit viele potentielle Leser*innen abschrecken. Zweitens muss der Autor ganz ehrlich zugeben, dass er über keine festen Beweise verfügt. Die Ergebnisse meiner Nachforschungen könnten schlichtweg bestritten werden. So könnten beispielsweise die ansonsten nicht bekräftigten Zeugenaussagen eines ehemaligen Borot'ba-Mitglieds in Zweifel gezogen werden. Etwas wie Rechnungsbücher der RH, welche die Namen der Hilfsempfänger beinhalten, besitzt der Autor nicht.
Wir bleiben lieber bei den Fakten, die klar und unbestreitbar sind, und konzentrieren uns auf eine einzige Person aus der Ukraine, deren Unterstützung durch die Rote Hilfe öffentlich gemacht wurde. In der Tat geht es sogar um einen Solidaritätsaufruf, der bis zum heutigen Tag von der Seite der RH nicht entfernt und scheinbar auf keine sonstige Weise revidiert wurde.[1] Wie unsere Nachforschungen allerdings zeigen werden, hätte dieser Fall nun wirklich lieber nicht öffentlich gemacht werden sollen. Die verblüffende Mischung aus Unkenntnis, Voreingenommenheit und Lügen, auf welchen die ganze »ukrainische Kampagne« der Roten Hilfe basiert (samt der Folgen derselben) kann schon mit der genaueren Verfolgung dieses unbestreitbaren Einzelfalls konkretisiert und sichtbar gemacht werden. Gedanken darüber, wie dann die nicht öffentlich gemachten Fälle aus der »ukrainischen« Kampagne der Roten Hilfe in Wirklichkeit aussehen können, kann sich dann jede*r selbst aufstellen.
Die Überprüfung dieses Einzelfalles ist auch deswegen beachtenswert, weil sie uns zur Brigade »Prisrak« des verstorbenen Alexej Mosgowoj hinausführt - einer Kampfeinheit der sogenannten Volksrepubliken, die angesichts der in der westlichen Linken immer noch weit verbreiteten Irritationen einer besonderen Aufmerksamkeit verdient. Den Kontext unserer Recherchen werden wir für diesen Zweck möglichst gründlich nutzen. Wenn man die Ukraine-bezogenen Aktivitäten der deutschen Linken genauer nachprüfen wird, so werden vermutlich noch sehr viele von ihnen zu eben dieser Kampfeinheit führen.
Wie erwähnt, ist unsere Strategie eine zweifache. Nachdem wir diesen konkreten Fall behandelt und uns die Brigade Prisrak genauer angeschaut haben, betrachten wir die Aktivitäten der Roten Hilfe von der anderen Seite. Wir gehen in die Ukraine, schauen uns dort unterschiedliche linke Zusammenhänge vor Ort an, reden mit den Menschen und versuchen dabei sowohl von den staatlichen Repressionen und dem Nazi-Stress als auch von den eventuellen Kontaktaufnahmen seitens der Roten Hilfe möglichst viel zu erfahren. Die Suche nach den Spuren der RH-Aktivitäten in der Ukraine muss dabei auch nicht als der Hauptzweck angesehen werden (was an sich schon deswegen langweilig wäre, weil das voraussehbare Ergebnis sich auch mit einem einzigen Satz wiedergeben lässt). Die Vorstellung der linken Zusammenhänge in der Ukraine kann auch ganz unabhängig von Anliegen dieses Artikels so etwas wie ein besonderer Reiseführer dienen – vorausgesetzt, jemand hat wirklich Lust, sich in so ein Scheißland zu begeben.
Doch das wird den Inhalt des vierten Teils des Artikels ausmachen[2] - bis dahin müssen wir uns weniger "spaßigen" Sachen widmen.
Wlad Wojzechowski
Die einzige Person aus der Ukraine, deren Unterstützung durch die Rote Hilfe öffentlich gemacht wurde, ist Wlad Wojzechowski (auch als Vlad Voycechovskiy transkribiert). Wojzechowski ist Borot'bist aus Odessa. Am 2. Mai 2014 war er im Gewerkschaftshaus und wurde durch die Anhänger des Maidan verprügelt. Auf seine Interviews werden wir gleich im Detail eingehen, doch im Voraus soll betont werden, dass laut den Darstellungen von Wojzechowski selbst er mit dem unmittelbar davor stattgefundenen Angriff der Odessitischen Gefolgschaft auf Maidan-Anhänger nichts zu tun zu hatte (obwohl er sich in seinen Interviews mehrmals »verspricht«, versucht er, diesen Angriff grundsätzlich nicht zu erwähnen). In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai flieht er mit den anderen Borot'bisten auf die durch russische Truppen bereits besetzte Halbinsel Krim. Dort verbringt er drei Monate und kehrt am 12. August nach Odessa zurück. Einen Monat nach seiner Rückkehr, am 12. September, wird er wegen Terrorismus-Verdachts vom ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU) verhaftet. Borot'ba startet sofort eine Kampagne für die Freilassung von Wojzechowski,[3] der sich zwei Wochen nach Wojzechowskis Verhaftung auch die Rote Hilfe anschließt.[4]
In diesen zwei Wochen hätte sich die RH zumindest den Solidaritätsaufruf auf der offiziellen Webseite von Borot'ba genauer anschauen können, um dort das Foto von Wojzechowski zu erblicken, auf welchem er die »Anerkennung« der sogenannten Volksrepubliken fordert.[5] Kenntnisse der russischen Sprache vorausgesetzt, hätte auch eine halbstündige Internetrecherche gereicht, um zu erfahren, dass Wojzechowski auch Odessa ein »volksrepublikanisches« Los wünschte.
Mit einer mildernden Unterstellung von »Unkenntnissen« dürfen wir an dieser Stelle langsam aufhören. Im Frühjahr 2014 hätte man und frau die Unterstützung von »Separatisten« oder die Zusammenarbeit mit Borot'ba noch mit einer Abwesenheit genauerer Informationen rechtfertigen können. Im September 2014 war das bereits eine bewusste Position. Die Hartnäckigkeit, mit welcher all das ignoriert wurde, was über Borot'ba und »Volksrepubliken« zu dem Zeitpunkt bekannt war, lässt sich jedenfalls kaum anders erklären.
Nicht untypisch für die Vorkämpfer der »russischen Welt«: Man schafft es nicht einmal ein paar Worte auf Russisch fehlerfrei zu schreiben. Wlad Wojcechowski fordert die Anerkennung von »DVR-LVR«.
(Quelle: Offizielle Internet-Seite von Borot'ba[6])
Diese Schlussfolgerung wird durch den weiteren Verlauf der Geschehnisse nur noch bestätigt. Wojzechowski verbringt weitere dreieinhalb Monate in Haft und wird am 26. Dezember 2014 bei einem Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und den »Volksrepubliken« freigelassen. Was eigentlich sehr merkwürdig ist. Bis zu seiner Freilassung sollte doch Wojzechowski das Territorium der »Volksrepubliken« niemals betreten haben, geschweige denn ein »volksrepublikanischer« Kämpfer gewesen sein. Es sollte sich doch bloß um einen unschuldigen linken Aktivisten handeln, der zum Opfer sicherheitsdienstlicher Machenschaften wurde. Mehr noch: Die »Volksrepubliken« setzen sich nicht für jeden ihrer gefangenen Kämpfer ein, zumindest sehr viele von ihnen landen im ukrainischen Gefängnis, ohne dass sich jemand um sie weiter kümmert.
Wenn die Linie der Roten Hilfe bis dahin nicht klar gewesen sein sollte, könnte man wiederum anmerken, dass die Organisation spätestens am 26. Dezember 2014 eine gute Gelegenheit bekam, um ihre »ukrainischen« Tätigkeiten gründlich zu überdenken. Doch die Linie war längst klar und wurde auch im Weiteren eingehalten. Auf die Anfrage des Autors vom August 2015, wie die Tätigkeiten von Wojzechowski von der Roten Hilfe angesehen werden, wurde unter anderem angemerkt, dass man nicht bereit sei »die Vorwürfe eines übel beleumundeten Inlandsgeheimdienstes als Wahrheit zu akzeptieren«.[7] Was auch einigermaßen nachvollziehbar wäre, gäbe es nicht ein „kleines“ Problem: Wojzechowski hat sie zwischenzeitlich selbst bestätigt.
Ein Interview, auf das wir weiter unten noch im Detail eingehen werden, legt nahe, dass Wojzechowski - höchstwahrscheinlich spätestens seit seiner Rückkehr nach Odessa - mit den »volksrepublikanischen« Einheiten zusammenarbeite – daher auch deren Interesse, Wojzechowski nach seiner Verhaftung zu befreien. Zumindest fertigte Wojzechowski in Odessa tatsächlich Bomben an, legte sie an unterschiedlichen Orten und ließ sie explodieren. So sehr man als ein guter Linker abgeneigt ist, einem »übel beleumundeten« Inlandssicherheitsdienst zu glauben, scheint jeder der von der SBU erhobenen Anklagepunkte ziemlich genau zu stimmen (»gesetzwidriger Umlauf von Sprengstoffen«, »Gründung einer terroristischen Vereinigung«). Wie wir sehen werden, wurde das von Wojzechowski selbst bestätigt und zwar nachdem er entlassen wurde und sich längst auf dem Territorium der sogenannten Volksrepubliken aufhielt.
Mit der Kalaschnikow für Lenin: Wlad Wojzechowskij als Kämpfer der Brigade Prisrak (Quelle: 36on.ru[8]).
Doch lassen wir uns Schritt für Schritt fortfahren.
Es liegen drei ausführliche Interviews mit Wojzechowski vor, die er nach seiner Freilassung gab. Das erste Interview stammt aus dem Frühjahr 2015, das zweite wurde im April und das letzte im September 2015 gegeben.[9] Diese Interviews sind in ihrer Gesamtheit äußerst interessant und verdienen schon an sich eine separate Analyse. Wenn auch nicht alles im Rahmen dieses Artikels unter die Lupe genommen werden kann, so wollen wir zumindest auf einige Details genauer eingehen.
Zunächst gleich zum Werdegang von Wojzechowski nach seiner Freilassung. Nach dem Gefangenenaustausch kam er nach Donezk, wo alle Freigelassenen vom »volksrepublikanischen« Sicherheitsdienst geprüft werden sollten. Doch Wojzechowski blieben diese Formalitäten erspart. Schon am nächsten Tag wurde er von Personen aus der »Kommandantur der LVR« abgeholt, die er mal als »meine Genossen« und mal als »Freunde« bezeichnet. Danach verbringt Wojzechowski circa einen Monat in Lugansk bei einem gewissen »Denis« aus dem LVR-Bataillon Huligany, wobei er nichts tat, sich erholte und einfach die Freiheit genoss. So zumindest die erste Version. Laut der zweiten Version »diente« Wojzechowski gleich nach seiner Ankunft nach Lugansk in der sogenannten Kommandantur der sogenannten LVR. Die beiden Versionen stimmen zumindest darin überein, dass Wojzechowski in Lugansk nur eine Weile verbrachte bevor er nach Altschewsk ging, um der Brigade Prisrak beizutreten.
Was für »Genossen/Freunde« Wojzechowski in der »Kommandantur der LVR« hatte, woher sie von seiner Ankunft wussten und welches Interesse sie überhaupt daran hatten, ihn abzuholen, erklärt Wojzechowski nicht. Genauso sagt er nichts darüber, warum jemand aus dem Bataillon Huligany bzw. die »Kommandantur der LVR« ihn gleich bei sich aufnehmen wollte.
In der Brigade Prisrak wird Wojzechowski zum Mitarbeiter der »politischen Abteilung«.[10] Genau in dieser Abteilung arbeiteten auch die Borot'bisten Wsewolod Petrowski und Jewgenij Wallenberg.[11] Obwohl der Anführer von Prisrak, Alexej Mosgowoj, rechte, zum Teil äußerst rechtsextreme Ansichten hegte und es in der Brigade selbst von russischen Nationalisten sowie wahren Neonazis geradezu wimmelte, trugen die politruki aus Borot'ba wohl am meisten dazu bei, um im Westen das Image der »kommunistischen Brigade Prisrak« zu vermitteln.
In der Mitte: Alexej Mosgowoj, Jewgenij Wallenberg und Wlad Wojyechowskij. Aufschriften auf den T-Shirts: »Ruhm sei Gott dafür, dass wir Kosaken sind«, »Russen geben sich nicht auf«, »Danke dem Opa für den Sieg«.
Darauf werden wir später im Detail eingehen und wollen noch eine Weile bei den Interviews verbleiben. Die Vermutung, dass Wojzechowski mit den »Volksrepublikanern« schon in Odessa zusammenarbeitete, wird dadurch verstärkt, dass bei dem Gefangenenaustausch vom Dezember auch weitere verhaftete Mitglieder seiner Terrorgruppe freigelassen wurden. Zumindest einer von ihnen, ein gewisser »Genosse Popow« landete nach seiner Freilassung ebenfalls bei den »Volksmilizen der LVR«. Obwohl Wojzechowski in seinen Interviews viele, zum Teil widersprüchliche Informationen über seine Gruppe liefert, behauptet er an keiner Stelle, dass sie aus Linken bestand. Eigentlich verliert er kein Wort über die politische Zusammensetzung der Gruppe. Dagegen erfahren wir von Wojzechowski, dass Borot'ba in Odessa spätestens ab dem Februar 2014 mit der russisch-nationalistischen »Slawischen Einheit« paktierte. Mehr noch: Wenn Wojzechowski nach politischen Strömungen im Odessitischen Antimaidan gefragt wird, kann er nur zwei nennen, Kommunisten und Monarchisten. Die Mehrheit des Antimaidan war aber seiner Meinung nach »apolitisch«. Wenn es sich davor (Antimaidan) und danach (Prisrak) um eine ähnliche Mischung handelte, ist es ziemlich naheliegend, dass es auch dazwischen (also in der Untergrundgruppe) um das Gleiche ging: »Apolitische«, Monarchisten, Sowjetpatrioten, Mitglieder der »Slawischen Einheit« und vielleicht sogar noch irgendwelche »Linke« neben dem Borot'bisten Wlad Wojcechowski.[12]
Das trifft nicht nur auf Wojzechowski und seine Terrorgruppe zu, sondern auch auf das dem Westen angedrehte Gesamtpaket der »politischen Gefangenen« aus Odessa. Man nehme etwa deren Liste, wie sie von dem von Borot'ba mitbegründeten »Komitee für die Befreiung von Odessa« verbreitet wurde.[13] Ganz oben stehen Wojzechowski und Popow, darunter findet man aber Leute wie Sergej Dolschenkow aus der Slawischen Einheit, der den Trupp der Odessitischen Gefolgschaft beim Überfall auf die Maidan-Anhänger*innen am 2. Mai anführte.[14] Laut dem ukrainischen Sicherheitdienst war Dolschenkow unter anderem für das Verprügeln der Maidan-Aktivist*innen mit Eisenstäben mitverantwortlich.[15] Ich habe keinen Zweifel daran, dass Sicherheitsdienste nicht nur übel beleumunden, sondern auch zu viel schlimmeren Dingen bereit sind, wobei die ukrainische SBU keine Ausnahme ist. Das Problem mit der Slawischen Einheit liegt jedoch darin, dass diese sich sogar heute noch mit den brutalen Übergriffen auf Maidan-Anhänger*innen brüstet. Während diese Zeilen geschrieben werden besteht die letzte Meldung auf der VK-Seite der Odessitischen Slawischen Einheit in der Erinnerung an die Heldentaten des letzten Jahres: In der Nacht vom 10. auf 11. Dezember 2014 wurde in Odessa der Maidan-Aktivist Mark Gordienko zusammengeschlagen und dabei aus einer Pistole für Gummigeschosse beschossen.[16]
Ansonsten entspricht der Internet-Auftritt der Slawischen Einheit dem, was man von einer solchen Quelle erwarten würde: Antisemitismus und Homophobie, lustig servierte Fotos von Leichen ukrainischer Soldaten und ähnliches mehr.[17] Vielleicht ein Drittel der Meldungen sind Reposts von der VK-Seite des »Komitee für die Befreiung von Odessa«. Die letztgenannte Quelle beinhaltet zwar weniger Beispiele für Antisemitismus und Homophobie,[18] aber die Ausrichtung ist eine ähnliche. Einer der letzten Schwerpunkte ist die Verteufelung der Türkei (nach dem verräterischen Abschuss des friedlichen russischen Bombers), davor freute man sich über die Effizienz der russischen Streitkräfte in Syrien, noch früher waren die siegreichen »Antifaschisten von Noworossia« das Hauptthema. Und natürlich überall der Superheld Putin. Eines der wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Internet-Auftritten liegt wohl darin, dass während das »Komitee« gleich mit der Putinverehrung startete, der Slawischen Einheit Wladimir Wladimirowitsch bis zur Besatzung der Krim noch ziemlich suspekt vorkam (und stellenweise sogar als ein Agent des internationalen Judentums entlarvt wurde). Das Motto des »Komitees« gibt die eigentliche Leitidee der Slawischen Einheit wieder: »Für die Freiheit und Einheit der Rus«, die beiden VK-Auftritte haben womöglich identische Moderator*innen.
Das »Komitee für die Befreiung von Odessa«: Alexander Wasiljew, Dmitri Majdannik, Alexej Albu
Jedenfalls kommen diese Gemeinsamkeiten nicht von ungefähr. Das »Komitee für die Befreiung von Odessa« wurde von vier Menschen gegründet: Alexej Albu aus Borot'ba, den beiden Vertretern der in Odessa basierten russisch-nationalistischen Rodina-Partei,[19] Alexander Wasiljew und Wadim Sawenko sowie Dmitri Odinow, welcher in Wirklichkeit anders heißt und gleichzeitig die Slawische Einheit und die Odessitische Gefolgschaft anführte.[20] Der eigentliche Familiennahme von Odinow, Majdannik, passt in der Tat nicht besonders gut zu einem prominenten Vertreter des Anti-Maidan. Der Grund für die Namensänderung geht aber auf die Periode vor den Maidan-Protesten zurück – Majdannik stammt zwar tatsächlich von einem ukrainischen Wort[21] ab, ist aber ein jüdischer Name, der für einen Hitler-Bewunderer anscheinend irgendwann zu unerträglich wurde. Der neue Name sollte darüber hinaus nicht nur auf -ow enden, sondern etwas mit der anderen Begeisterung des jungen Mannes zu tun haben, altgermanischen Göttern, Walhalla, Wikingern. Und so wurde aus Majdannik Odinow, Sohn Odins (Wotans).[22]
Dass auch Wlad Wojzechowski, der ehemalige Mitarbeiter des ehemaligen Abgeordneten des Odessitischen Regionalrats, Alexej Albu, zu den Mitbegründern der offiziellen Internetseite des »Befreiungskomitees« gehört,[23] soll weiß man nicht für wenn verwunderlich sein - noch im Sommer 2014 postete beispielsweise Borot’ba auf ihrer offiziellen Internetseite Artikel des Holocaustleugners Israel Shamir.[24]
Aber auch ganz unabhängig davon, wie man Borot’ba einordnen würde, gehören mindestens drei von vier Mitbegründern des Komitees eindeutig zu den Rechten. »Querfrontkomitee« wäre ungefähr das mildeste Urteil darüber. Erwartungsgemäß war das für nicht gering zu schätzende Teile der westlichen Linken kein Hinderungsgrund, die Liste der »politischen Gefangen aus Odessa« zu übernehmen und das »Befreiungskomitee« auf unterschiedliche Weise zu unterstützen. In den Nachrichtenportalen wie Red Star Over Donbass freut man sich über deren Freilassung,[25] in der Jungen Welt bezieht man sich auf das »Komitee für die Befreiung von Odessa« noch im November 2015 positiv.[26]
Falls jemand im rot-braunen Angebot zwischen den Untertönen unterscheiden möchte, so lässt sich übrigens feststellen, dass das »Befreiungskomitee« in der Zwischenzeit noch brauner geworden ist, indem er sich der russischen Vereinigung Wesen der Zeit annäherte, die – wie wir gleich sehen werden – nicht unbedingt das beste Verhältnis zur ex-ukrainischen Organisation Borot'ba besitzt. Wesen der Zeit ist die Querfront pur, den Gedanken von Identität der UdSSR mit Russland hat sie ad absurdum beziehungsweise zu seiner logischen Konsequenz geführt.
Ein Reich, Zwei Paletten: Die von Wesen der Zeit verwendete Symbolik
(Quelle: Facebook-Seite der Banda Bassotti[27])
Als vier Borot'bisten im Dezember 2014 nach Donezk kamen, um dort unter anderem die Ankunft Wojzechowskis abzuwarten, über dessen anstehende Freilassung sie vorab informiert worden waren, wurden sie von einer Einheit der Wesen der Zeit verhaftet.[28] In der Haft verbrachten sie circa zwei Wochen und wurden anschließend vom »Ministerium für Staatsicherheit« der sogenannten DVR bis zur russischen Grenze begleitet, wo sie freigelassen wurden, unter dem Verbot, das Territorium der DVR künftig zu betreten. Die Anhänger*innen der Rotbraunen können es sich nun unter sich selbst ausmachen, welche von den beiden Organisationen »wirklich links« ist. Oder… eigentlich brauchen sie es auch nicht zu tun. Die Querfront-Auswahl im Donbass ist groß genug um auch das ausgefallenste Bedürfnis einiger deutscher Feinschmecker*innen zu befriedigen.
In der Ukraine: Die aus Russland angereisten Kämpfer von Wesen der Zeit bedanken sich für Spenden aus Deutschland (Quelle: Investigativ.de[29])
Kleiner Exkurs: Interessanterweise wird auf der VK-Seite des »Komitees für die Befreiung von Odessa« mehrmals auf Sarah Wagenknecht ein durchaus positiver Bezug genommen. Damit wollen wir nicht suggerieren, dass die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei irgendwelche faschistoiden »Antifaschisten« im Donbass finanzierte. Die Moderator*innen der VK-Seite vom Komitee mögen die Reden von Wagenknecht auch einfach so toll finden, ohne sich für irgendwelche erwiesene Dienste verpflichtet zu fühlen. Es mag sein, dass Wagenknecht — wie viele weitere deutsche Linke— ein paar Euro für die vermeintlich gute Sache spendete, es mag sein, dass sie es nicht tat. Darüber weiß der Autor nichts. Es sollte aber hervorgehoben werden, dass einige der schlimmsten Sachen nicht irgendwo tief im Verborgenen, sondern ganz auf der Oberfläche liegen. Etwa wenn in einer offiziellen Pressemitteilung der Linksfraktion das ukrainische Staatswappen als ein »nazistisches Symbol« bezeichnet wird,[30] oder wenn der andere angehende Fraktionsvorsitzende, Dietmar Bartsch, die Öffentlichkeit darüber belügt, dass es in der Ukraine eine Parteischule namens Joseph Göbbels gibt.[31]
Nach wie vor besteht es hier ein großer Auseinandersetzungsbedarf in der Linken. Natürlich darf man und frau nicht nur bei den öffentlichen Aktivitäten prorussischer Friedenstreiber bleiben. Im Zusammenhang mit dem »Befreiungskomitee« dürfen etwa die beiden Mitglieder der nationalistischen Rodina-Partei, Oleg Musyka und Sergei Marchel sowie eine andere Antimaidan-Aktivistin aus Odessa, Galina Zaporoschzewa, erwähnt werden. Vermutlich konnten alle drei nicht ohne eine robuste Unterstützung in Deutschland in die Bundesrepublik auswandern, wo sie anschließend im tiefsten Querfrontmillieu versanken.[32]
Das prorussische Unterstützungsnetzwerk in der BRD ist breit und ausgefaltet, seine Aktivitäten reichen von Finanzierung bis zum Abschicken der Fronturlauber in die Ostukraine.[33] Dass vieles, vielleicht das Meiste davon aus der Linken stammt, ist ein kräftiges Zeugnis deren gesundheitlichen Zustandes. Eigentlich hätte man sich damit schon um seiner selbst willen auseinandersetzen müssen, nicht wegen der Ukraine in der ersten Linie. Die Ukrainer*innen werden auch ohne euch klar kommen — jedenfalls besser ohne eure »Solidarität« als mit ihr.[34]
Die Besonderheiten der linken Solidarität: Im Fall der Ukraine leider weniger harmlos wie auf den Bildern
(Quelle: Great Moments in Leftism[35])
In der Tat sollte es geradezu eine der dringendsten Aufgaben in der Linken sein. Jeder gespendete Euro sollte verfolgt, der Aufenthalt jedes Fronturlaubers sollte aufgeklärt werden. Zugegebenerweise sind die Voraussetzungen dafür nicht die besten. Sich weiter so zu verhalten, als ob nichts passieren würde, wird aber nichts bringen. Ein massives selbstverschuldetes Problem löst sich nicht von selbst. Was für eine Zukunft eine Linke haben kann, die so etwas wie »Unterstützung der Antifaschist*innen in der Ostukraine« teilweise massiv betreibt, teilweise ungestörter Weise toleriert, ist jedenfalls sehr fragwürdig.
Es handelt sich hierbei um einen ganzen Komplex von Problemen. Zum Beispiel: Viele der Kämpfer aus Deutschland (nicht alle) ließen sich in der Tat antifaschistisch motivieren und verstehen sich als links. Viele von ihnen sind sogenannte Russlanddeutsche, aber ein noch genau zu klärender Teil gehört zu den »germanischen Germanen«. Dass Menschen aus Deutschland zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ziel in die Ukraine gegangen sind, um dort Menschen zu morden, ist schon an sich spektakulär. Dass viele von ihnen in einer aufgeklärten Aufarbeitungskultur erzogen wurden und sich auf ihre Kriegsreise sogar explizit im Namen des Antifaschismus begaben, kann einem geradezu das Gehirn verdrehen. Sind die antifaschistische Bewegung im Besonderen und die dem Anschein nach so fortschrittliche und moralisch erhobene Linke im Allgemeinen nun wirklich bereit sich damit auseinanderzusetzen?
Um ehrlich zu sein, bin ich da sehr skeptisch. Zum einen muss man einsehen, dass die Ukraine bzw. die Leben der Ukrainer*innen — der ganzen heuchlerischen Aufregung zum Trotz — für einen nicht gering zu schätzende Teil der deutschen Linken viel weniger wert sind als Eintracht und Gemütlichkeit im eigenen Milieu. Wen sollen da schon irgendwelche ukrainische Leichen im Schrank der Genossen stören, die ansonsten so toll sind?
Zum anderen kehren wir hier zum Wurzel der so vielen Probleme in der Linken, zur Identitätsangelegenheiten. Lassen wir uns eine Situation modellieren. Unter den Deutschen, die für die sogenannten Separatisten kämpfen, gibt es eindeutige Rechtsextremisten. Ich mag zwar die linke Szene in Deutschland immer noch ziemlich unterschätzen, aber vermutlich werden sich nicht viele für jemanden wie Peggy Seidler aus Wittenberg engagieren.[36]
Aber nehmen wir mal an, es wird ein aus der Linken stammender Fronturlauber verhaftet. Es drohen ihm mehrere Jahre Haft oder gar eine Abschiebung in die Ukraine, direkt in die Krallen der blutdurstigen Junta. Was wird dann passieren? Die unmittelbare Reaktion darauf wird höchstwahrscheinlich in Solidaritätsaufrufen, Kundgebungen und Spendenkampagnen bestehen. Auch wenn es bekannt werden soll, dass die betreffende Person in einer Abteilung kämpfte, die zu einem nicht geringen Teil aus Rechtsextremen bestand und Verbrechen gegen Zivilbevölkerung ausübte, werden solche »übel beleumundenden« Informationen eine Solidaritätsausrichtung nicht unbedingt sehr beeinflussen können. Die »Szene« ist ja geschlossen genug, um sich gegen die störenden Meldungen aus der Außenwelt zu immunisieren. Um sich auf der Linie zu halten, wird auch ein Foto der betreffenden Person reichen, auf dem sie eine Sowjetfahne schwenkt, oder ein Video in dem sie sich als Antifaschist bezeichnet. Identitäre Merkmale haben in der Linken so ihre Zauberkraft.
Wer glaubt, so etwas sei unvorstellbar, soll sich einige nicht vorgestellte sondern tatsächliche Umstände aus dem Bereich der identitätsstiftenden Tradition in Betracht ziehen. Die Geschichte des linken Terrorismus im Nachkriegsdeutschland begann 1969 und endete 1991 mit antisemitisch motivierten Attentaten.[37] Vieles was dazwischen lag, insbesondere die Mitarbeit mit den palästinensischen Terroristen ist bis heute nicht aufgeklärt. Mehr noch: Eines der schrecklichsten antisemitischen Verbrechen wurde im Nachkriegsdeutschland nicht etwa von Nazis, Banderas Nachkommen oder Palästinensern, sondern von deutschen Linken höchstpersönlich begangen.
Es geschah in München am 13. Februar 1970. Das Altersheim der jüdischen Kultusgemeinde in der Reichenbachstrasse 27. wurde mutwillig in den Brand gesetzt. Sieben Menschen kamen dadurch ums Leben, 15 weitere Menschen wurden verletzt. Alle Todesopfer waren Holocaustüberlebende, zwei von ihnen hatten Vernichtungslager überlebt. Der Täter stammte aus dem linksradikalen Milieu, das gerade aufs Engste mit palästinensischen Bombenlegern kooperierte.[38]
Es mag kein Zufall sein, dass die Brandphantasien die Vorstellungskraft der Täterkinder dermaßen prägten. Man denke etwa an die Bekennerschrift vom 1969, die mit »Schalom + Napalm« betitelt war,[39] oder an die Ulrike Meinhofs Auschwitz-Interpretation von 1972.[40]
Ich erinnere mich an München. Mein Gedächtnis tendiert schon jetzt dazu, die beiden Demonstrationen aus dem Anfang 2010er zusammenzuschmelzen, aber ich weiß noch genau, dass es zwei verschiedene Demos waren. Eine Demonstration war dem Gedenken an die Opfer des Rechtsterrorismus in München gewidmet. Wir starteten dort, wo am 26. September 1980 durch die Explosion einer Bombe 13 Menschen getötet wurden, was als schwerster Terroranschlag deutscher Nachkriegsgeschichte gilt. Wir waren in der Straße, in der am 7. Januar 1984 die Disko »Liverpool« angezündet wurde, wobei sechs Besucher*innen verletzt und eine von ihnen Wochen später starb. Wir gingen noch zu den weiteren Stätten. Insofern alles in Ordnung, nur dass uns ausschließlich die Gedächtnisorte interessierten, bei denen ein rechtsextremistischer Hintergrund feststellbar war. Dass wir es nicht zur Olympia schafften, mag nicht nur an der Strecke liegen, sondern an einigen Hindernissen identitärer Natur, die das Attentat vom September 1972 eben nicht als etwas rechts motiviertes einstufen lassen. Man erinnere sich etwa daran, dass die RAF dieses Attentat als »gleichzeitig antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch« bejubelte, den Attentätern wurde sogar »Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge« zugeschrieben.[41]
Wie dem auch sei, aber warum schafften wir es nicht bis zur Reichenbachstraße, die in der Innenstadt liegt? Weil bei der Ermordung von Juden dafür, weil sie Juden waren, doch kein rechtes Motiv zu erkennen ist? Weil so viele jünge Frauen und Männer immer noch auf der traditionstreuen Differenz zwischen dem rechten und dem »linken« Antisemitismus beharren wollen? Oder geht es wiederum um die identitätstiftende Solidaritätskonstrukte, wobei man den angeblichen Genossen von früher nicht in den Rücken fallen will? Was außer der »eigenen« zum Teil wirklich bescheuerten Tradition soll die Leute immer noch daran hindern, die Opfer aus der Reichenbachstraße als Opfer des Rechtsterrorismus zu gedenken?
Ich erinnere mich an eine weitere Demo, gegen die NATO-Sicherheitskonferenz. Es fing wie gewohnt an, man schrieb auf der Hand die Nummer des Ermittlerauschusses jener traditionsreichen Organisation, die mit der Verteidigung von Linksterroristen ihr symbolisches Startkapital erwarb. Ich weiß nicht mehr welcher Tag das war, aber es war Februar und unser antiimperialistisch dominierter Haufen zog durch die Reichenbachstrasse. Wir skandierten etliche Parolen und waren insgesamt sehr laut und selbstbewusst.
Nach der Demo ging ich mit einigen Leuten aus der Linkspartei essen. Ich war nie ein großer Fan der Linkspartei und es war eher ein Zufall - es waren Bekannte eines Kumpels von mir, die wir nach der Demo trafen. Alle hatten Hunger und so waren wir bald auf dem Weg in eine Kneipe. An einer Kreuzung wurden wir wegen der Linkspartei-Fahnen von einem Menschen beschimpft. Bei der improvisierten Diskussion stellte sich heraus, dass er aus Afghanistan stammte. Ich weiß es nicht genau, aber womöglich verlor er seine Eltern oder Verwandten während der sowjetischen Besatzung. Auch wenn mein eigener Onkel in Afghanistan vier Jahre lang als sowjetischer Soldat verbrachte und dort bestimmt nichts Gutes anrichtete, hinderte es mich nicht daran, mit den Leuten aus der SED-Nachfolgerpartei abzuhängen. Vielleicht nur deswegen, weil ich selber kein Afghane bin. Wäre ich ein Syrer, dann wäre für mich die Teilnahme an solchen Demozügen anscheinend spätestens ab 2012 schwer möglich. In meinem Fall sollte es noch ein paar Jahre dauern. In einer ähnlichen Situation werde ich mich künftig bestimmt nicht besser aufführen können, wie der Mann an der Kreuzung aus meiner Erinnerung.
Zurück in die Gegenwart. 2016 findet die Siko-Demo in München ausgerechnet am 13. Februar statt.[42] Von den deutschen Linken erwarte ich persönlich nicht mehr viel. Ich hoffe bloß, dass die friedensbewegte Schar mal ausnahmsweise nicht durch die Reichenbachstrasse zieht.[43]
Mit Stalin auf dem Transparent und einer Art subtiler Tierquälerei: Antiimperialistische Aktion bei den Anti-Siko Protesten 2015 (völlig ungestört). Das Hündlein rechts ist in Berkut-Uniform.[44]
Die obigen etwas lang und etwas persönlich gewordene Ausführungen haben uns ein bisschen zu weit vom ursprünglichen Thema geführt. Sie sollen uns aber daran erinnern, dass Wojzechowski weder ein Einzelfall, noch die Rote Hilfe die einzige Organisation ist, die sich ziemlich fragwürdigen Aktivitäten widmete. Es handelt sich des Weiteren nicht bloß um die Spitze des Ukraine-Eisbergs sondern um den Ausdruck von Problemen die viel tiefer liegen und auch beim völligen Ausklammern der Ukraine eine systematische Struktur aufweisen.
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Zurück zu Wojzechowski. Abschließend wollen wir nur noch auf einige Aspekte seiner Interviews eingehen. Zum Beispiel auf seine Einstellung zur Ukraine. Was sind Ukrainer*innen für Wojzechowski? Wortwörtlich übersetzt: »Scheiße, die sich einbildet, eine Nation zu sein«. Wojzechowski hätte des Weiteren zwar nichts dagegen, mal »Slawa Ukrajini« („Ruhm der Ukraine“) zu schreien, doch die Voraussetzungen dafür sind ja beachtenswert: »Ich hätte schon Lust das auf dem Maidan in Kiew auszurufen, so in sechs Jahren, wenn es dort kein Globus (Einkaufszentrum unter der Kuppel auf dem Kyiwer Hauptplatz – K.T.) und keine bescheuerte Statue (der ukrainischen Unabhängigkeit – K.T.) mehr gibt, sondern stattdessen ein ausgebranntes Feld.«
Auf nicht untypischer Weise verbindet sich ein offener Hass auf Ukrainer*innen mit einem vorsorglichen Paternalismus. Nachdem »Noworossija«, beziehungsweise fast die Hälfte der heutigen Ukraine »befreit« wird, soll es nach Wojzechowski weiter so gehen: »Auch dem Nachbarstaat, der leidgeprüften Ukraine müssen wir helfen. Wir sind geradezu verpflichtet die Menschen von der Junta zu befreien. Damit sie ihre Freiheit wiedergewinnen und selbst wählen dürfen, in welchem Land sie zu leben wünschen, damit sie selbst ihre Machtrepräsentanten wählen können. Aber erst müssen wir sie von der Besatzung befreien«.
Ein uneingeschränkter Hass und eine ungezügelte Liebe. Beides kein Widerspruch. Die unstillbare Fürsorge, der Wunsch, dem irrenden kleinen Bruder dringend helfen zu müssen, ist nur das andere Antlitz des russischen Chauvinismus.
Ein weiterer beachtenswerter Aspekt der Interviews ist die wechselnde und an symptomatischen Stellen widersprüchliche Erzählung über die Ereignisse vom 2. Mai. Zum Beispiel betont Wojzechowski immer wieder den massiven Einsatz von Feuerwaffen seitens der Maidan-Anhänger*innen. So behauptet er an einer Stelle im ersten Interview, dass die Menschen vom Antimaidan auf dem Kulikower Feld deswegen in das Gewerkschaftshaus fliehen mussten, weil auf sie gleichzeitig aus mehreren Feuerwaffen vom Kaliber 5,45 geschossen wurde, wobei viele Antimaidan-Anhänger auf der Stelle tot umfielen. Dabei betont Wojzechowski selbst, dass dieses Kaliber nur der Kalaschnikow oder dem Sajga zugeordnet werden kann, einem Gewehr, dessen Unterschied zur Kalaschnikow nur darin besteht, dass es nur Einzelschüsse abgibt. Das Problem mit dieser Darstellung liegt darin, dass sie nicht nur allen bekannten Darstellungen (darunter denjenigen des Antimaidans) und dem vorhandenen Videomaterial widerspricht, sondern sich auch mit den späteren Versionen von Wojzechowski selbst nicht mehr in den Zusammenklang bringen lässt. Die Unstimmigkeit in der Erzählung von Wojzechowski über den Einsatz der Feuerwaffen ist nur ein Beispiel, es gibt noch weitere. Auch in einem späteren Interview behauptet er, dass bis zur Hälfte der menschlichen Opfer auf dem Kulikower Feld auf den Einsatz von Feuerwaffen durch die Maidan-Anhänger*innen zurückzuführen sind. Zu beachten ist, dass diese Schilderung sehr stark von den zwei bis heute vielleicht kompetentesten Quellen über die betreffenden Ereignisse abweicht, nämlich den Berichten der 2. Mai Gruppe und dem Report des International Advisory Panel on Ukraine des Europarats.[45]
Sehr interessant sind manche Ausrutscher Wojzechowskis, die weiteres Licht auf die Rolle von Borot'ba bei den Ereignissen des 2. Mai werfen. Mit dem Angriff der Antimaidan-Anhänger auf den »Marsch der Einheit«, hatte Wojzechowski angeblich nichts zu tun. Aus seiner Schilderung geht jedoch hervor, dass daran mindestens Andrej Braschewski beteiligt war, ein dem Westen als »Märtyrer des Odessa-Massakers« vermitteltes Borot'ba-Mitglied.[46]
Sehr bezeichnend ist auch die für die Vorkämpfer der »russischen Welt« typische Befreier-Frustration, die sich, näher betrachtet, nicht nur auf die »ukrainischen« Ukrainer*innen sondern teilweise auch auf Bewohner*ihnen des von ihnen zu befreienden »Noworossija« verbreitet. Das lässt sich bereits an dem Motiv ablesen, das bei allen Variationen zum 2. Mai bei Wojzechowski unbedingt vorkommen muss. Laut Wojzechowski bestanden an dem Tag die Maidan-Anhänger*innen überwiegend aus Menschen von außerhalb. Wojzechowski kann und will nicht glauben, dass es die Bewohner*innen von Odessa selbst waren. Die Erkenntnis des Gegenteils sollte für jemanden in seiner Position unerträglich sein. Daher rühren die unterschiedlichen Kompromissbildungen, von welchen seine Interviews einfach strotzen:
Einerseits hat Wojzechowski scheinbar keinen Zweifel daran, dass die Bewohner von Odessa sowie von »Noworossija« insgesamt »befreit« werden wollen. Andererseits betont er immer wieder, dass sie es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen können. Laut Wojzechowski kann diese »Befreiung« nur noch von außen kommen, in Gestalt der Streitkräfte von »Neurussland«. Zu dieser nüchternen Erkenntnis gekommen, bemängelt Wojzechowski nichtsdestotrotz die »Passivität« der künftigen Bürger von »Noworossija« sehr leidenschaftlich. Insgesamt ist sein Verhältnis zu den Odessit*innen sehr angespannt. Obwohl das »Scheisse«-Niveau in diesem Fall nicht erreicht wird, sind Wojzechowskis Bemerkungen über seine ehemaligen Miteinwohner ziemlich abwertend. Nicht nur »schämt« er sich für Odessa, sondern versucht den angeblichen »Opportunismus« der Odessa-Bewohner*innen durch ihre besondere »Mentalität« zu erklären: »Wenn ich mich mal grob ausdrücken darf, ist unser Odessa die Stadt der Prostituierten und Schacherer«. Die plausible Erklärung, dass die Mehrheit von Odessa-Bewohner*innen vielleicht einfach keine Lust auf »Volksrepubliken« und russische Panzer hat, wird von Wojzechowski an keiner Stelle in Erwägung gezogen.
Das post-Maidan Odessa wird von Wojzechowski auf folgende Weise beschrieben: »Heute, wenn du auf Deribassowskaja (Hauptstraße von Odessa – K.T.) spazieren gehst, triffst du nur ein paar unglückliche Menschen, die Hälfte von ihnen sammeln Pfandflaschen, die andere Hälfte schmeißen die Flaschen in den Müll«. Jedem, der sich in Odessa 2015 mindestens ein paar Tage aufhielt, wird diese Darstellung ziemlich realitätsfremd vorkommen. Doch da sollte man vor allem auf die Wahrheit in einem psychologischen Sinne achten: Wer sich statt auf der Deribassowskaja mit ihren gemütlichen Cafes längere Zeit in einem dreckigen Schützengraben voller Durchgeknallter aufhält, dem wird es leichter fallen, an alle möglichen schlimmen Dinge zu glauben.
Die Schrecknisse der Junta-faschistischen Herrschaft: Deribassowskaja-Straße, September 2015
(Quelle: VK-Seite des Cafes Basilik[47])
Auch viele weitere Unstimmigkeiten aus Wojzechowskis Interviews sind symptomatisch. Obwohl Wojzechowski den ersten Monat nach der Freilassung eigenen Angaben zufolge im Bataillon Huligany verbrachte, das allem Anschein nach überwiegend aus russischen Staatsbürgern bestand,[48] behauptet er — indem er die Frage nach den Freiwilligen aus Russland beantwortet — noch keinen Russen unter den sogenannten Volksmilizen getroffen zu haben. An dieser Stelle brauchen wir keine Einzelheiten über das Huligany-Bataillon zu klären. Als der Journalist noch mal nachfragt, gesteht Wojzechowski selbst, dass es Freiwillige aus Russland natürlich gibt, aber betont, dass es keine Söldner sind. »Es gibt sogar Menschen, die ihre Unternehmen verkauften, um hierher zu kommen«. Wie wir später zeigen werden, gibt es mindestens drei von einander unabhängig getätigte Aussagen ehemaliger Prisrak-Kämpfer, welche bezeugen, dass die Mitglieder des Prisrak für ihren »Dienst« Gehälter bekamen (auch wenn sie um dieselben öfters betrogen wurden).
Die Interviews Wojzechowskis sind so interessant, dass sie an sich schon einen eigenen Artikel verdienen. Im Kontext unserer Recherche sind sie in erster Linie deswegen beachtenswert, weil sie es erlauben, die Veränderung der von Wojzechowski vertretenen Erzählung über seine Gruppe und seine Verhaftung zu verfolgen.
Als er im ersten Interview gefragt wird, mit welchem Zweck er von der Krim nach Odessa zurückkam, antwortet Wojcechowski: »Ich wollte bloß zurück, das ist alles«. Selbstverständlich habe er Leute vom Antimaidan kontaktiert, aber seine Gruppe war laut der ersten Version noch ganz friedlich. Sie beschäftigten sich bloß damit, in der Nacht Graffitis und Flugblätter an Wände anzubringen. Die Beschreibung seiner Verhaftung laut der ersten Version sei an dieser Stelle komplett angeführt:
»Es war Freitag, 12. September, ein wunderschöner Herbstabend, in Odessa war schon Nachsaison, wenn das Meer noch warm aber die Luft schon kühler wird. Ein ganz normaler Abend, kleine Gesellschaft beisammen, alles ordentlich. Die Tür bei uns war immer offen — wir hatten niemanden zu befürchten. Das ist ja ein für Odessa typischer Innenhof, wo jeder Nachbar bei dir ohne zu klopfen vorbeischauen kann. Und plötzlich stürzen da irgendwelche Leute rein. Anfangs war es nicht klar, wer wer ist. Die Hälfte war im Zivil, diejenigen in der Uniform hatten keinerlei Erkennungszeichen an. Weder ukrainische Fähnchen, noch Litzen. Das erste, was ich sah, war irgendein Arsch mit einer neuen Kalaschnikow. Ein guter gepanzerter Helm, auf dem Helm ein Schädel mit Gebeinen.«
»Bei den zivilen Aktivisten, die gemeinsam mit den regulären Einheiten des Geheimdienstes operierten, handelte es sich mutmaßlich um Nazis«, heißt es dann in der Erklärung der Roten Hilfe. Noch eindeutiger ist in ihrer Erklärung Borot'ba. Außerdem behauptet Borot'ba, dass dabei Beweismittel »gepflanzt« wurden. Was selbstverständlich auch in der Erklärung der RH nicht angezweifelt wird. Merken Sie sich diese Beschreibung gut, es lohnt sich, sie mit der späteren Version zu vergleichen.
Schon das erste Interview enthält jedoch einige Ausrutscher, die mit dieser friedliebenden Darstellung schwer zu vereinbaren sind. So sagt Wojzechowski an einer Stelle, sein Gerichtsprozess sei insofern »lächerlich«, weil man ihm höchstens die nächtliche Betätigung eines »Knallkörpers« vor irgendeinem Fenster vorwerfen konnte. (Tatsächlich erlebte Odessa im September 2014 den bis dahin höchsten Höhepunkt einer Serie von Bombenanschlägen.[49])
Ende April 2014 gibt Wojzechowski das zweite Interview. Dort erklärt er seine Motivation für die Rückkehr nach Odessa ein bisschen anders. Er käme zurück, weil er weiter kämpfen wolle, »jedoch mit anderen Mitteln. Nicht mehr in der Innenstadt mit den Flaggen herumlaufen, wie ein Idiot«.
Wlad Wojzechowski im Bunker (Quelle: 36on.ru[50])
Insgesamt kann man auf Grund seiner Interviews feststellen, dass Wojzechowski sich in der Freiheit zunehmend radikalisierte, genauer gesagt brutalisierte, was in erster Linie durch seine Teilnahme an Kriegshandlungen bedingt zu sein scheint. Zum Zeitpunkt des dritten Interviews sieht er anscheinend keinen Grund mehr, seine Untergrundsaktivitäten zu verschönern (nur ein ganz bisschen vielleicht). So sieht seine letzte und allem Anschein nach der Wahrheit am meisten entsprechende Version aus:
»Wir hatten gleich entschieden, dass wir so vorgehen, um maximale Aufmerksamkeit zu erregen, aber ohne Menschenopfer. Dann kam die Information, dass aus Kiew eine Untersuchungsgruppe ankam, um uns zu verhaften. Wir wurden darum gebeten, für eine Zeit lang unsere Aktivitäten einzustellen. Doch ein Mitglied der Gruppe stachelte mich die ganze Zeit an: „Lass uns machen, lass uns machen“. Am Ende bin ich drauf gefallen, aber wie es sich später herausstellte, war es eben die Person, die uns verriet. Wir hatten eine Nachtaktion gleichzeitig an mehreren Orten geplant. Eines unserer Ziele sollte auch das gepanzerte Auto vom sogenannten Volkswehr sein, das am Pogrom vom 2. Mai beteiligt war. Und so waren wir in einer Mietwohnung, ich wickelte mit der Klebeband ein drei Kilo schweres „Päckchen“ ein und da stürzte die „Alfa“ ein.«
Es werden auch keine »Faschisten« mehr erwähnt. Alfa ist der Name der Antiterror-Spezialeinheit des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes, die seit 1994 existiert[51] und genauso bei der Verhaftung der ukrainischen Rechtsradikalen eingesetzt wird (das letzte Mal in Kyiw, am 9. Dezember 2015[52]). Bemerkenswert ist auch dass diese Beschreibung auch darin mit der »übel beleumundeten« Anschuldigung seitens des SBU übereinstimmt, Wojzechowski habe die Gruppe angeführt.
***
So viel zur Person Wlad Wojzechowski, einem Opfer der blutdurstigen Faschisten-Junta, für dessen Rettung Gelder aus jenem »erstaunlich hohen Spendeaufkommen« verwendet wurden, in welches hunderte oder gar tausende Linken aus der Bundesrepublik investierten. Als Ukrainer möchte man an dieser Stelle beinahe gleich tiefste Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, doch auf die Frage der Verantwortung gehen wir im abschließenden Teil des vorliegenden Artikels ins Detail.
An dieser Stelle will ich bloß überlegen, wie man seitens der Spender*innen mit den obigen Informationen umgehen kann. Ein ganz sicherer Weg: Die Rote Hilfe kann dem gut bewehrten Muster folgen, indem sie die störenden Informationen einfach ignoriert. Ungeachtet des unsolidarischen Verhaltens einiger angeblich Genossen trägt dann die Karawane ihre schwere Last verantwortungsvoll weiter… und solches Zeug. Man kann aber auch aktiv werden, indem man die Person des Autors, oder die verwendeten Quellen in Zweifel zieht, oder einfach vermutet, dass die Übersetzung nicht so ganz korrekt ist. Schließlich kann man ganz tapfer behaupten, dass mit dem »drei Kilo schweren „Päckchen“« etwas anderes als eine Bombe gemeint war. Oder man macht die entsprechenden Berechnungen und sagt dann, dass das Engagement der RH insofern tadellos war, weil die Gelder in dem Zeitraum zur Verwendung kamen als Wojzechowski schon keine Bomben in Odessa mehr legte aber noch nicht bei den »Volksrepublikanern« kämpfte.
Solche Rechtfertigungsstrategien wären offensichtlich halbherzig, ekelhaft und feige. Die neueste Querfront-Wende, die einen nicht unbedeutenden Teil der deutschen Linken in sich hineinzog, brachte mit sich auch eine Riesenwelle der Heuchelei. Zum Beispiel, anstatt zu sagen »Wir unterstützen die Zerstückelung der Ukraine durch Russland« sagt man so etwas wie »Frieden statt NATO«. Anstatt zuzugeben, dass man die Rotbraunen im Donbass eigentlich echt geil findet, empört man sich lauthals über die angebliche faschistische Herrschaft in der Ukraine. Und so weiter und so fort, die Muster sind ja bekannt und inzwischen sogar ein wenig abgedroschen.
Man hätte zumindest Mut aufbringen können, um ehrlich und offen zuzugeben, dass man und frau die Tätigkeiten von Wojzechowskis Gruppe in Odessa sowie die Brigade Prisrak unterstützt, gutheißt und billigt.
Die Brigade Prisrak verdient im Rahmen dieser Recherche ein eigenes Kapitel und wird gleich im nächsten Teil des Artikels behandelt. An dieser Stelle seien nur einige Überlegungen zu Odessa angeführt.
Odessa, 24. August 2015: Nicht jedem gefallen die zum Unabhängigkeitstag der Ukraine aufgehängten Flaggen (Foto des Autors)
Es ist keine Frage, dass ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung von Odessa »prorussisch« gesinnt ist, dass Menschen, die in den Untergrundgruppen wie der von Wojzechowski tätig waren (und immer noch sind) selber mehrheitlich aus Odessa stammen und dies in erster Linie aus Überzeugung machten, zumindest nicht in erster Linie wegen des Geldes, oder weil sie alle langjährige FSB-Agenten sind.
Der Autor war 2014-2015 mehrmals in Odessa - auch am 2. Mai 2015, ein Jahr nach den schrecklichen Ereignissen. Die Gedenkkundgebung auf dem Kulikower Feld vor dem Gewerkschaftshaus war beeindruckend, es waren vielleicht bis zu dreitausend Menschen da, eindeutig mehr als bei der gleichzeitigen »pro-ukrainischen« Veranstaltung in der Innenstadt. Ich bezweifle aber sehr, dass es für die Teilnehmer der Gedenkkundgebung der Wunsch nach Rache und Bürgerkrieg im Vordergrund standen (siehe Foto). Die Versöhnung nach dem 2. Mai ist eine schwierige Aufgabe - viele Menschen aus Odessa, wie die „2. Mai Gruppe“, haben sich dafür engagiert und haben schon jetzt viel erreicht. Wer verdient nun wirklich Solidarität und Unterstützung, diese Menschen, oder die Bombenleger?
Odessa, 2 Mai 2015: Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus auf dem Kulikower Feld (Foto des Autors)
Laut einer Umfrage vom August 2015 betrug in der Südukraine der Anteil derjenigen, die die sogenannten Volksrepubliken im Donbass für »Vertreter der Bevölkerung der entsprechenden Territorien« hielten 28,8 Prozent.[53] Das kann zwar Unterschiedliches bedeuten, aber so oder anders ist es ein gutes Indiz dafür, dass viele Menschen in der Südukraine zumindest ein gewisses Verständnis für die Umsetzung des »volksrepublikanischen« Projektes in der Ostukraine haben, oder gar mit ihnen sympathisieren. Dabei ist allerdings zweifaches zu beachten: Zum einen bedeutet es nicht automatisch, dass all diese Menschen sich eine »Volksrepublik« zu Hause wünschen oder sich auf Terroranschläge bei sich in der Nähe freuen. Der Anteil von 28,8 Prozent ist zum anderen zwar richtig viel, aber es bleiben noch die 71,2 Prozent übrig. Und tatsächlich sieht die Mehrheit von diesen die Dinge ein bisschen anders. Laut derselben Umfrage betrug in der Südukraine der Anteil derjenigen, die die sogenannten Volksrepubliken für »terroristische Vereinigungen, die kein Recht haben, die Bevölkerung der entsprechenden Territorien zu repräsentieren« 45,1 Prozent.
Es gibt vermutlich sofort einen Einwand. Eine insbesondere in der Linken verbreitete Vorstellung besagt, dass eine Minderheit das Recht hat, etwas Progressives auch gegen den Willen der Mehrheit durchzusetzen. Notfalls auch mit Hilfe der Waffen - so stellen sich zumindest nicht wenige die Revolution vor. Das Problem in unserem Fall ist jedoch, dass an der Umsetzung des »volksrepublikanischen« Projektes nun wirklich nichts Emanzipatorisches zu erkennen gibt. Auch mit all seinen Problemen ist der heutige ukrainische Staat um Einiges progressiver als die braunen Marionettenrepubliken in der Ostukraine.
Um die eigentliche Frage an einem Beispiel konkreter werden zu lassen: In der Nacht am 27. September 2015 explodierte in Odessa eine Bombe vor dem SBU-Gebäude. Die geschätzte Stärke betrug zwischen 8 und 10 Kilos von Trotyl. Zum Glück ist niemand ums Leben gekommen, aber dabei sind Fenster im Radius bis zu hundert Meter kaputt gegangen.[54] Was hunderte von Betroffenen bedeutet. Es kann sein, dass einige oder gar viele von ihnen »prorussische« Ansichten hatten. Soll es auch heißen, dass all diese Menschen sich auf die Explosion freuten und sich davon mehr wünschen?
Um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie die Menschen aus Odessa dazu stehen, darf sich jeder Kommentare unter den entsprechenden Artikeln in den lokalen Internet-Zeitschriften anschauen. Dasselbe betrifft auch Persönlichkeiten wie Odinow, Albu oder Wojzechowski – an ihrer Stelle wäre es nun wirklich ratsam auf keinen Fall nach Odessa zurückzukehren.
Eine proukrainische Demonstration in Odessa am 2. März 2014 (Quelle: Blog von Oleksii Goncharenko[55])
Man denke an eine andere Umfrage, die im April 2014 durchgeführt wurde. Auf die Frage, wie man sich verhalten würde, falls die russischen Truppen die Südostukraine einnehmen würden, sagten 4,9 Prozent der Befragten im Odessa-Region, dass sie die russischen Truppen begrüßen werden, 2 Prozent meinten sogar, sie würden sich den russischen Truppen anschließen. Die Umfrage fand zwei Wochen vor dem 2. Mai statt. Die Krim-Annexion sah wie ein leichtes Spiel aus, niemand ahnte, dass es im Donbass zu heftigen Kämpfen kommen würde. Jede der obigen Zahlen bedeutet sehr viel. Auch wenn nur jeder fünfte aus der ersten Gruppe auf die Strasse gegangen wäre, hieße das, dass in Region Odessa im April 2014 circa 50.000 Menschen russische Panzer herzlich empfangen hätten. Auch nur wenn jeder zweite Mensch, der die zweite Frage bejahte, sich den Besatzern tatsächlich eingeschlossen hätte, hätte man aus den einheimischen Freiwilligen gleich eine Truppe von 25.000 Soldaten aufbauen können.[56]
Das Problem ist nur, dass laut derselben Umfrage 24,9 Prozent der Befragten aus der Region Odessa die folgende Option wählten: »Dem Besatzer bewaffneten Widerstand leisten«. Was im Fall von tausenden sich freiwillig gemeldeten Männern aus der Region Odessa auch nicht folgenlos blieb. Viele von ihnen haben bereits ihr Leben geopfert.[57] Wie sehr sie von ihrer Umgebung dabei unterstützt werden, kann man und frau an zwei Fragen aus der vorherigen Umfrage ablesen: Im August 2015 gaben 6,1 Prozent der befragten Personen aus der Südukraine an, an den Initiativen für die Versorgung und Unterstützung der ukrainischen Armee beteiligt gewesen zu sein, 53 Prozent der Befragten gaben an für die ukrainische Armee gespendet zu haben.[58] Die prorussischen Stimmungen nahmen dagegen stark ab. Der Anteil derjenigen, die wünschten, dass ihre Stadt künftig zu Russland gehört, betrug im Januar 2015 in Odessa 0,0 Prozent. Null Komma Null – das ist das Niveau des »nationalistischen« Galizien, deutlich geringer als im nationalen Durchschnitt (3,1 Prozent).[59] Was im Fall von Odessa auch teilweise durch die Ereignisse vom 2. Mai 2014 bedingt werden kann.
Nicht dass kein Einwohner von Odessa auf der Seite der sogenannten Separatisten kämpfen würde. Wlad Wojzechowski ist einer von ihnen. Der bereits erwähnte Wadim Sawenko aus der nationalistischen Rodina-Partei ist ein weiteres, viel berühmteres Beispiel. Sawenko ist ein ehemaliger Berufsoffizier, der zwar in der schwachen ukrainischen Armee, aber dafür in einer ihrer besten Einheiten diente. Seine Interviews sind nicht weniger interessant, als diejenige von Wojzechowski.[60] Bezeichnend ist seine berühmteste Heldentat, als er einen ukrainischen Militärkutter am Asowschen Meer mithilfe einer zielgerichteten Rakete versenkte.[61] Dabei kamen zwei ukrainische Soldaten ums Leben, der eine stammte aus Odessa, der andere aus Mariupol. Dagegen bestand das separatistische Bataillon Odessa laut den Angaben seines Anführers zu 90 Prozent aus Russen.[62] Bei solchen Konstellationen eröffnet sich die ganze Tiefe des sogenannten »Bürgerkriegs« in der Ukraine auf eine eindrucksvolle Weise.
Die obigen Ausführungen sollen nicht heißen, dass die ukrainischen Soldaten aus Odessa oder sonst wo tadellose Opfer sind, die sich keiner Verbrechen gegen Zivilbevölkerung schuldig gemacht hätten und nun von den Bewohnern des Donbass ausnahmslos als Befreier angesehen werden. Nicht nur um eine eventuelle Aufregung wegen der angeblichen Billigung des Militarismus seitens des Autors zu stillen, lohnt es sich an dieser Stelle auf einige Umstände aufmerksam zu machen. Der linke Antimilitarismus ist nun wirklich sehr selektiv: Mit Rojava hört er zum Beispiel komplett auf, da hat man auch mit den US-amerikanischen Kriegstreibern plötzlich kein Problem mehr, deren Unterstützung für Rojava von Luftangriffen gegen ISIS bis zu Waffenlieferungen reichte. (Damit sei hier nicht die Situation in der Ukraine mit der in Rojava gleichgesetzt, sondern nur auf die Besonderheiten der linken Wahrnehmung hingewiesen.) Es ist auch nicht klar bis wohin sich die ukrainische Armee hätte zurückziehen müssen, damit alles »friedlich« geblieben wäre. Nachdem die Ukraine die Halbinsel Krim kampflos aufgab wurden die Appetite auf der russischen Seite nur noch stärker. Wenn die Ukraine auch den Donbass kampflos aufgegeben hätte, hätte es eher nicht den Frieden, sondern den Versuch einer kompletten »Befreiung von Neurussland«, also Kriegshandlungen von Odessa bis Charkiw zur Folge gehabt. Das Sonderbare am für die Ukraine konzipierten Antimilitarismus seitens so vieler Linker aus der BRD lag auch darin, dass der Aufruf zur Fahnenflucht sich ausschließlich an die ukrainische Seite richtete, nicht aber an die »Volksrepublikaner« oder deren Waffenbrüder aus den regulären russischen Einheiten.
Sehr selektiv ist auch die linke Trauer. Das Gewerkschaftshaus auf dem Maidan in Kyiw diente während der Proteste 2013-2014 unter anderem auch als Lazarett. In der Nacht auf den 19. Februar 2014 wurde es durch die Regierungskräfte in den Brand gesetzt. Man erinnert sich auch an etliche weitere Verbrechen, die das Regime von Janukowitsch kurz vor seinem Sturz verübte. Man kann sich aber schwer an Trauer oder Solidaritätsbekundungen seitens der deutschen Linken erinnern. Bis heute trägt das Gewerkschaftshaus in Kyiw Spuren des Brandes von 2014 und dient somit auch als ein Denkmal der Gleichgültigkeit von so vielen angeblich progressiven Menschen in Westeuropa.
Kyiw, Dezember 2015: Das Gewerkschaftshaus auf dem Platz der Unabhängigkeit (Foto des Autors)
Und abschließend die wichtigste Frage: Macht es das Leben von Odessa- bzw. Donbass-Bewohnern tatsächlich besser, wenn man von Deutschland aus die dortigen Bombenleger oder faschistisch-antifaschistischen Milizen unterstützt? Um die Einwohner von Odessa oder sonstige Menschen aus der Ukraine geht es natürlich nicht. Diese ganze Unterstützungsgeschichte hat nämlich etwas sehr ekliges an sich. Viele der deutschen Unterstützer mögen sich zwar auf die Erfolge der »Streitkräfte von Noworossija« irgendwo bei Debalzewo freuen oder den »Widerstand« in einer Hafenstadt am Schwarzen Meer toll finden. Nur wenige von ihnen würden sich aber auf Anschläge in der eigenen Nachbarsstraße freuen oder die Gründung der Volksrepublik Sachsen tatkräftig unterstützen. Und zwar nicht deswegen, weil Russland angeblich viel weniger Recht auf das Territorium der ehemaligen DDR als auf das der Ukraine hat, sondern schon deswegen, weil diese Menschen unglaubliche Heuchler und Feiglinge sind.
Weiter zum dritten Teil, über den Genossen Mosgowoj und sein »kommunistisches« Gespenst
Die Teile 4 bis 6 folgen in Kürze
Hier geht es zum ersten Teil: Die »ukrainische« Kampagne der Roten Hilfe im Kontext
Fußnoten
[1] http://www.rote-hilfe.de/presse/bundesvorstand/594-pressemitteilung-freiheit-fuer-vlad-voycechovskiy
[2] Der Artikel besteht inzwischen aus fünf, nicht (wie ursprünglich angekündigt) aus drei Teilen.
[3] Original-Link: http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html. Zur Zeit funktioniert weder die alte (borotba.org.ua), noch die sowjetisierte (mit ».su« am Ende) Internetseite der Querfrontvereinigung. Wie schade. Hier die Seite im Internetarchiv: https://web.archive.org/web/20140917021557/http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html
[4] http://www.rote-hilfe.de/presse/bundesvorstand/594-pressemitteilung-freiheit-fuer-vlad-voycechovskiy
[5] http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html Internetarchiv: https://web.archive.org/web/20140917021557/http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html
[6] http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html
Internetarchiv: https://web.archive.org/web/20140917021557/http://borotba.su/v_odesse_arestovan_aktivist_borotby_vladislav_vojcehovskij.html
[7] Volltext der Antwort auf die Wojzechowski-Frage: »Unseres Wissens hat Vladislav Voycechovskiy die Vorwürfe, die ihm vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU gemacht werden (ein geplanter Anschlag auf ein Krankenhaus etc.) stets zurückgewiesen. In die politische Linie von Borotba würden solche Aktivitäten - nach unserer Einschätzung und ganz gleich was man ansonsten von dieser Organisation halten mag - auch nicht passen. Dass Aktionen wie ein Anschlag auf ein Krankenhaus nicht unter unser Verständnis linker Politik fallen würden, muss nicht eigens betont werden. Wir sind allerdings nicht bereit, die Vorwürfe eines übel beleumundeten Inlandsgeheimdienstes als Wahrheit zu akzeptieren. Der Gefangenenaustausch mit den 'Volksrepubliken', der zu Vladislav Voycechovskiys Freilassung geführt hat, ist übrigens von uns weder politisch gefordert noch begleitet wurden.« (aus der E-Mail des Vorstandes der Roten Hilfe an den Autor vom 14. August 2015).
[8] http://36on.ru/magazine/society/53484-sobytiya-v-odesse-2-maya-2014-goda-ot-pervogo-litsa-kak-vse-bylo-na-samom-dele
[9] Die Interviews werden im Folgenden chronologisch als das erste Interview (http://svpressa.ru/politic/article/117656/), das zweite Interview (http://36on.ru/magazine/society/53484-sobytiya-v-odesse-2-maya-2014-goda-ot-pervogo-litsa-kak-vse-bylo-na-samom-dele) und das dritte Interview bezeichnet (http://regnum.ru/news/1981361.html).
[11] Wsewolod Petrowski starb allerdings kurz vor oder nach dem Wojzechowskis Prisrak-Beitritt, während der »volksrepublikanischen« Debalzewo-Offensive (über Petrowski siehe:http://www.nihilist.li/2015/02/10/put-politruka/).
[12] Mit dem »Genossen Popow« in Wojzechowskis Interviews ist anscheinend Borot'ba-Mitglied Nikolaj Popow, gemeint (http://dumskaya.net/news/terroristy-osvobodili-odesskogo-separatista-albu-042449/).
[18] So etwas wie http://vk.com/druginaodessa?w=wall-65113914_347733%2Fall ist dort aber keine Ausnahme.
[20] http://www.2may.org/deklaratsia-o-sozdanii-komiteta-osvobozhdenia-odessi/ bzw. hier: http://www.borotba.org/v_kryimu_obyavili_o_sozdanii_komiteta_osvobozhdeniya_odessyi.html (letztgenannte Seite in den Internet-Archiven u.a. hier: https://archive.is/GRzZN und https://web.archive.org/web/20140825201016/http://borotba.org/v_kryimu_obyavili_o_sozdanii_komiteta_osvobozhdeniya_odessyi.html)
[21] Es bedeutet »Arbeiter der Harzsiederei« (http://toldot.ru/urava/lnames/lnames_4698.html).
[22] http://sprotyv.info/ru/news/yug/pozornyy-spisok-predateley-ukrainy-kto-oni-odesskie-separatisty
[24] http://borotba.org/israel_shamir._oshibka_polkovnika_strelkova.html (Kopie hier: http://borotba-ua.livejournal.com/24622.html und hier: https://archive.is/yadc5)
[27] m.facebook.com/bandabassottiband/photos/a.10151552577661574.1073741828.35037141573/10152512568006574/?type=1&source=48
[28] Beachten Sie, dass diese Version von Borot'ba mit den Versionen von Wojzechowski nicht übereinstimmt, der angeblich vom Gefangenenaustausch im Voraus nichts wusste (http://dumskaya.net/news/terroristy-osvobodili-odesskogo-separatista-albu-042449/ ).
[30] Diese Pressemitteilung wurde kurz nach der erfolgreichen russischen Offensive im Donbass im August 2014 veröffentlicht. Weder der Urheber noch seine Kollegen haben sich dafür entschuldigt. Dem Stand vom 23.12.2015 ist sie nicht mal abgeändert worden: http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/nato-manoever-nazi-symbolen-sofort-beenden. Siehe auch den Beitrag in der Huffington Post dazu: http://www.huffingtonpost.de/2014/09/18/linke-ukraine-nazi_n_5841120.html.
[31] Seit dieser ziemlich kruden Diffamierung ist schon über ein Jahr vergangen, Dietmar Bartsch hat sich dafür immer noch nicht entschuldigt: https://www.youtube.com/watch?v=2gXkpu4TiBA.
[32] https://linksunten.indymedia.org/en/node/160070; https://linksunten.indymedia.org/en/node/121005.
[33] Es gibt schätzungsweise circa 100 Bundesbürger, die in der Ostukraine für die sogenannten Separatisten kämpften (http://investigativ.welt.de/2015/03/15/deutschen-separatisten-auf-der-spur/).
[36] http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/fakt/videosextern/deutsche-kaempft-fuer-separatisten-100.html
[38] Eine kurze Zusammenfassung findet man schon in einem Wikipedia-Eintrag (https://de.wikipedia.org/wiki/Brandanschlag_auf_das_Altenheim_der_Israelitischen_Kultusgemeinde_in_M%C3%BCnchen). Siehe auch das Interview mit Wolfgang Kraushaar, dem Autor einer ausführlichen Recherche darüber: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=hi&dig=2013%2F03%2F02%2Fa0045&cHash=3976faad9528489fca8bb232a7753600. Das Buch selbst, Wann endlich beginnt euer Kampf gegen die heilige Kuh Israel?, habe ich leider immer noch nicht gelesen. Soweit es sich aber vermuten lässt, sollte dieses Werk zur Pflichtlektüre der Linken in Deutschland gehören.
[40] Ulrike Meinhof, als Zeugin der Verteidigung im Prozess gegen Horst Mahler, am 14.12.1972: » Auschwitz heißt, dass sechs Millionen Juden ermordet und auf die Müllkippe Europas gekarrt wurden als das, als was man sie ausgab - als Geldjuden. Der Antisemitismus war seinem Wesen nach antikapitalistisch. Mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden wurde die Sehnsucht der Deutschen nach Freiheit von Geld und Ausbeutung mit ermordet... Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen - denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging - können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren«.
[41] https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/011.html
[43] So wie noch 2015 dies der Fall war: http://www.nachrichten-muenchen.com/ausblick-auf-die-51-muenchner-sicherheitskonferenz-vom-06-02-2015-bis-08-02-2015/
[44] Berkut ist die ehemalige Spezialeinheit des ukrainischen Innenministeriums, die bei der Bekämpfung der Maidan-Proteste eingesetzt war.
[45] http://2maygroup.blogspot.com/; https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=090000168048851b.
[46] Im ersten Interview behauptet Wojzechowski, dass als er Braschewski am 2. Mai anrief, auf dem Kulikower Feld noch still war (erst nach diesem Anruf entscheidet Wojzechowski auf das Kulikower Feld zu fahren). Zum Zeitpunkt des Telefonats war Braschewski jedoch bereits an den Kämpfen beteiligt. Braschewski gehörte also zur Gruppe der bewaffneten Antimaidan-Anhänger, die den »Marsch der Einheit« angriffen und dabei die ersten Menschenopfer verursachten. Eine andere Interpretation lässt diese Stelle seiner Darstellung jedenfalls kaum zu.
[50] http://36on.ru/magazine/society/53484-sobytiya-v-odesse-2-maya-2014-goda-ot-pervogo-litsa-kak-vse-bylo-na-samom-dele
[51] Bzw., wenn man die sowjetische Vorgeschichte einbeziehen würde, seit 1974 (https://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%90%D0%BB%D1%8C%D1%84%D0%B0_%28%D1%81%D0%BF%D0%B5%D1%86%D0%BF%D0%BE%D0%B4%D1%80%D0%B0%D0%B7%D0%B4%D0%B5%D0%BB%D0%B5%D0%BD%D0%B8%D0%B5_%D0%A1%D0%91%D0%A3%29).
[52] http://www.pravda.com.ua/news/2015/12/10/7091996/; laut den Angaben der SBU war der Leiter dieser Gruppe Oleg »Ljesnik« Muzhtschyl, der bis August 2015 Mitglied des Rechten Sektors war (http://gordonua.com/news/localnews/SBU-podtverdila-likvidaciyu-Muzhchilya-v-hode-specoperacii-110454.html). Die Organisation hat Muzhtschyl deswegen verlassen, weil sie ihm viel zu konformistisch vorkam
[53] Den PDF-Anhang am Ende des Artikels anklicken: http://www.razumkov.org.ua/ukr/news.php?news_id=656. NB: Wir bedienen uns hier absichtlich einer Umfrage, die wohl die besten unter uns bekannten Ergebnisse für die Anhänger*innen der Volksrepubliken liefert. Es gibt auch Umfragen zur ähnlich formulierten Fragen, die ein für die Anhänger*innen der Volksrepubliken eindeutig weniger rosiges Bild liefern. Zum Beispiel hier: http://opros2014.zn.ua/donbass.
[54] http://dumskaya.net/news/moschnejshij-vryv-v-centre-odessy-podorvano-zdan-050790/; http://dumskaya.net/news/vzryv-sbu-postradali-stekla-domov-v-radiuse-kvar-050791/; http://censor.net.ua/photo_news/353697/moschnost_vzryva_v_odesse_sostavila_810_kg_v_trotilovom_ekvivalente_smi_fotoreportaj
[56] Eine Berechnung, die aus methodologischen Gründen sehr vorsichtig zu geniessen ist. Jedenfalls beträgt die Bevölkerung von Odessa-Region 2.5 Millionen Menschen (https://uk.wikipedia.org/wiki/%D0%9E%D0%B4%D0%B5%D1%81%D1%8C%D0%BA%D0%B0_%D0%BE%D0%B1%D0%BB%D0%B0%D1%81%D1%82%D1%8C#.D0.9D.D0.B0.D1.81.D0.B5.D0.BB.D0.B5.D0.BD.D0.BD.D1.8F).
[60] Z.B. dieses Interview: http://ukraina.ru/interview/20150514/1013074268.html. An einer Stelle gibt Sawenko zu, dass nach einem Kampf seine Einheit keine Gefangenen nahm. In einer anderen von Sawenko erzählten Geschichte wurden vier Soldaten aus der ukrainischen Einheit gefangen genommen wurden, bei der er selbst früher diente. Sawenko konnte zwar sie vor der Erschießung retten, doch niemand von den vier Soldaten dieser in der Südukraine basierten Einheit wollte sich den Separatisten anschließen. An einer anderen Stelle gibt Sawenko zu, dass viele Einheiten der sogenannten Separatisten eigentlich Banden waren, die marodierten und die Bevölkerung terrorisierten. Dabei versucht er zwar, einen Unterschied zwischen den echten und unechten Separatisten zu machen und sagt, dass solche Geschichten nun der Vergangenheit gehören, aber es ist schon an sich bezeichnend, dass solche Sachen von Menschen wie Sawenko bestätigt werden. Das Schlimmste, was er den Leuten aus dem Asow-Bataillon vorzuwerfen hat, ist dass die Männer von Asow angeblich miteinander schlafen, nicht, dass es eine von Neonazis dominierte Einheit ist.
endlich Teil 2
vielen Dank für den ausführlichen (und fast ein wenig zu langen Artikel).
Teil 1 war ja schon spannend. Teil 2 ist es um so mehr.
Wenns ein wenig Kritik sein darf? Auch wenn linksunten.indymedia relativ moderne webtechniken benutzt, ist es schwer so einen langen Text auf einmal zu lesen. Was wäre, wenn man das ganze Vorhaben in etwa doppelt so viele - dafür aber etwas kürzere Texte - teilt?
Okay jetzt wohl schon zu spät, aber trotzdem.
Viele Grüße!
Danke für den Feedback!
Mal schauen, vielleicht ist es wirklich besser die weiteren Teile noch einzuteilen.
Die Teile werden dann kleiner, aber dafür wird es sie mehr geben. Ich meine, der Text wird dadurch nicht kleiner)
Jetzt ist die Katze aus dem Sack...
und es ist: Nichts!
Jetzt habe ich mir ein 50 seitiges Paper von dir gegen die Rote Hilfe durchgelesen, um eine Essenz die eigentlich auch in einem Satz formuliert werden könnte daraus zu ziehen: Die Rote Hilfe hat zur Solidarität mit einem linken Ukrainischen Aktivisten aufgerufen, der sich inzwischen (Monate später) klar auf der Seite der Volksrepubliken positioniert, über die bekannt ist, das teile davon einen rechten und neonazistischen Hintergund haben.
Die Frage ist nur, was genau hat die Rote Hilfe falsch gemacht, als sie im September 2014 erklärte: „Wir verurteilen die staatliche Repression gegen linke Aktivist*innen und Gruppen - unabhängig davon, wie sie sich in den aktuellen Konflikten in der Ukraine positionieren" (...) „Ebenso fordern wir klare Positionierungen gegen staatlich geduldete Übergriffe durch faschistische Strukturen und deren Beteiligung am politischen Machtapparat. Wir verurteilen das Vorgehen der so genannten Anti-Terroroperation in der Ukraine und fordern die sofortige Freilassung von Vlad." Und auch hier ist die Antwort: Nichts!
Es tut mir leid Kyrylo aber du hast das mit der strömungsübergreifenden Solidarität einfach nicht verstanden. Dein persönlicher Rachefeldzug gegen die Rote Hilfe ist leider nur schäbig. Kleiner Tipp für die Zukunft: Anstatt andere linke Strukturen zu zerfleischen mehr Power auf den Aufbau eigener Strukturen legen. Das Problem in der Ukraine ist nicht Borotba oder das irgendwessen Freilassung gefordert wird der sich dann eher politisch Richtung Querfront entwickelt... Das eigentliche Problem ist eine völlig marginalisierte Linke die nicht in der Lage ist fortschrittliche Antworten auf die Krise des Systems greifbar zu machen.
Netter Versuch
Hast du es wirklich gelesen? Es stand doch schon irgendwo am Anfang, dass Wojzechowski sich langer vor seiner Verhaftung sich klar auf der Seite der sogenannten Volksrepubliken positionierte, nicht "Monate später".
Ansonsten ein netter Versuch. Das Angebot an Rechtfertigungstrategien hast du um einiges erweitert.
Zur Antideutschen Debatte
Ähmmm... wie soll ich es besser ausdrücken. Um "antideutsch" zu sein, muss man anscheinend erst mal Deutsch sein. Wie dem auch sei, kann ich nicht alles unterstützen, was aus dem "antideutschen Spektrum" kommt. Einiges finde ich sogar ziemlich kritikwürdig.
Die im "Kleinen Exkurs" angesprochen Probleme macht es aber nicht kleiner.
Wir brauchen auch nicht so zu tun, als ob Atisemitismus (auch in der Linken) nur ein spezifisch deutsches Problem wäre. Ein ukrainisches auch. Und die Sensibilität dafür kommt nicht nur aus dem deutschen Kontext. Nur ein Beispiel: In der Redaktion der ukrainischen Zeitschrift Politytschna Krytyka gabs diesen Sommer einen kleinen Streit. Es kam ein Artikel über Proteste gegen Polizeigewalt in Israel an. Von einem Israeli, dessen erste Muttersprache Russisch ist. Ein echt guter Artikel, nur an einer Stelle wollte er etwas über den "faschistischen Narrativ" schreiben, der die israelische Gesellschaft angeblich vereinigt. "Faschistisch" kam aber nicht durch und musste durch "nationalistisch" ersetzt werden. Eines der Menschen, der mit guten Argumenten nachweisen konnte, dass das Wort "faschistisch" in dem Kontext tatsächlich schlecht passt, wurde eher durch den spezifischen polnischen Kontext für solche Dinge sensibilisiert. Vielleicht weiss er nicht ein mal, dass es in Deutschland "Antideutsche" gibt:)
Zum Thema:
Das die Seperatisten Gefangenenaustausche nicht Seperatisten "freitauschen" ist ein relativ alter Hut, und ist eine taktische Entscheidung.
Man geht auf Seite der DPR/LPR davon aus, das jemand der die "Gastfreundschaft" des SBU genossen hat, und durch seperatistischen Einsatz von dieser befreit wurde, hinterher sicherlich zu einem Seperatisten wird.
Das kein ausführliches "Debriefing" nach der Freilassung angegeben wird kann stimmen, muss aber nicht. Es gibt hier mehrere operative Gründe. Zum einen ist es denkbar, dass die LPR gerade daran interessiert war der Borotba eine besonders schonende Behandlung zu gewähren (ich habe den Eindruck, dass verschiedene Kreise Borotba als "Skimaskenmakeup" sehen, ähnlich wie das Maidanultranationalisten mit gewöhnlichen Maidanleuten taten), und sich hiervon propagandistische Vorteile versprach. Es ist auch denkbar, dass ein Verhör durchaus stattfand, aber aus propagandistischen Gründen nicht erwähnt wurde (LPR/DPR sind bestrebt "freundlich" zu von ihnen freigetauschten Gefangenen zu sein, Berichte über lange Verhöre sind da störend). Es ist auch möglich, hinsichtlich der Gesamtsituation sogar wahrscheinlich, dass er verschiedene frühere Bekannte für ihn bürgten weshalb sich das Verhör erledigt hätte.
Die LPR gillt generell als unorganisierter als die DPR, weshalb mich soetwas (freigekaufte oder freigehandelte Gefangene nicht intensiv auszufragen ist militärisch ziehmlich merkwürdig. Einen Gefangenen nach den genauen Umständen seiner Haft zu fragen kann tatkisch und strategische Vorteile bringen und kostet nichts. Ein ehemaliger Gefanger wird fröhlich kooperieren wenn es darum geht herauszufinden wo und vor allem von wem er drangsaliert wurde) wenig überraschen würde.
Das der Antimaidan eine ziehmlich komplexe Angelegenheit ist ist wiederum ebenfalls ein alter Hut.
Er besteht aus Russischen Ultranationalisten, Kommunisten, Linken, einigen Oligarchischen Handlangern (es gibt durchaus Unterschiede, und man kann als Linker argumentieren, dass Ostukrainische Oligarchen ein kleineres Übel als der Neoliberaismus sind), gewöhnlichen Bürgern die ein Problem mit Bandera als Held sowie mit der Maidan-Umschreibung ukrainischer Geschichte haben und vielen anderen.
In dem Außmaß indem der Antimaidan mit Gewalt attackiert und repressiert wurde setzten sich innerhalb des Antimaidans die Kräfte die in Vordergrund die selbst über Gewaltpotentiale verfügten. Diese sind oligarchisch basierte Gruppierungen, Russische Ultranationalisten und in geringerem Ausmaß Kommunisten.
Um einigermaßen relevant zu bleiben müssen Gruppen innerhalb des Antimaidans die nicht zu massiver Gewaltanwendung befähigt sind (wie z.B. Borotba) entweder zusehen, wie sie diese Fähigkeiten bekommen können oder aber sich mit Gruppierungen verbinden die zu eben dieser Gewaltandwendung in der Lage sind. Tun sie das nicht, so werden sie entweder verschwinden (wortwörtlich. Aus Perespektive Kievs sind zur gewalt nicht befähigte Maidangegner leichte Ziele und werden bevorzugt repressiert) oder verkommen zu "Makeup auf die Skimaske" für Gruppen die gewaltbefähigt sind. Genau das passierte übrigens auch mit moderateren Gruppierungen des Maidans.
Die Teilgruppierungen der Maidankoalition die Ihre Ziele erreicht haben sind die extreme Rechte, das am Maidan beteiligte Oligarchiat, sowie die USA. Der durchaus vorhandene humanistisch-demokratische Anteil des Maidans hat heute keine nennenswerte politische Macht, keine seiner Ziele wurden realisiert, und er wird diese (sowohl Macht als auch Ziele) nicht erreichen bzw. erlangen.
Interessante Texte
Ukraine: either Shevchenko and Vasnetsov, or the inevitable fall into a semi-colonial situation
http://lesmaterialistes.com/english/ukraine-either-shevchenko-and-vasnet...
Verfahren
Nun gut. Ein weiteres Mal wurde dargelegt, dass nicht nur das Maidan- sondern auch das Antimaidanlager (seit wann?) letztlich nur finstersten, gewalttätigen, mörderischen Nationalismus vertreten.
Warum also sich noch mit UA befassen? Dort ist alles verloren (seit wann?). So geht es aus den Text ja hervor. Und ja, vielleicht könnte auch eine Rote Hilfe diese Position einnehmen (seit wann?). Dir bliebe dann noch die Aufgabe, die Böll-Stiftung zu kritisieren. Und einer Linken in D´land die Aufgabe, Leuten aus der Ukraine mit blut an den Händen aus dem Weg zu gehen.
Vorschlag
Ich möchte den Februar 1915 als point of no return vorschlagen, als die linkssozialdemokratische Sozialismus eine "Warlordisierung" der ukrainischen Konfliktparteien feststellte. Seit dem ist es für Linke unmöglich, sich auf eine der Seiten zu stellen oder gar Blut für sie zu vergießen. Als einzig linke Position bleibt das Eintreten für Waffenruhe und Frieden. Und Kriegsdienstverweigerung.
http://www.sozialismus.de/index.php?id=8087&tx_ttnews[tt_news]=15838&tx_ttnews[backPid]=6580