Gerhard Schäfer: Schulen der Männlichkeit. Studentische Verbindungen gestern und heute.

Schulen der Männlichkeit. Studentische Verbindungen gestern und heute.

Vortrag am 13.11.2015 von Gerhard Schäfer in der KTS Freiburg

In den Burschenschaftlichen Blättern von 1980 war noch zu lesen: "Unser Burschenbrauchtum ist immer auf eine männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet." (Elm, Heither, Schäfer, Hrsg., 1992, S. 232) Dieser Standpunkt des weltanschaulichen Patriarchalismus hat lange Zeit den Gefühls- und Gedankenhaushalt der Korporierten in ihrem verbindungsstudentischen Alltag bestimmt. Im "Männerbund" (H. Schurtz, 1902) hatte dieses Prinzip der "männlichen Herrschaft" bei den Studierenden institutionelle Gestalt angenommen. Es wurde wie ein Naturgesetz als selbstverständliche Grundlage seit über zweihundert Jahren auch in den anderen Verbänden anerkannt und praktiziert (CC, Kösener/Weinheimer SC, CV, KV, ATVen, usw.). Besonders herausgefordert wurde der Männlichkeitscharakter aller wissenschaftlichen Disziplinen - und der Korporationen - durch die Aufnahme von Studentinnen kurz nach der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert (in der Schweiz war Zürich progressiv vorangegangen, in England entstanden zunächst Frauencolleges wie Girton 4 km vom Zentrum in Cambridge entfernt). Die Universitäten im Allgemeinen und die Verbindungen im Besonderen gerieten durch die Teilnahme der Frauen in eine argumentative Defensivposition.

 

Die Zählebigkeit des korporierten Männerbundes ist nicht nur mit der "Insel-Realität" der Verbindungshäuser im Kontext der Universität allein zu erklären, er fügt sich vielmehr in die in den akademischen Institutionen und ihren Feldern praktizierten Diskurse und Handlungsmuster ein. Methodisch werde ich dem historisch-soziologischen Zugang zu diesem Thema folgend die maskulinen Prägungen in der Geschichtswissenschaft und der Soziologie als den bewusstseinsbildenden Disziplinen ("Schlüsselwissenschaften") gelegentlich mit heranziehen (Staatsrechtslehre, Politikwissenschaft, u.a. treten hinzu). Weil die demokratische und feministische Emanzipationsbewegung von 1968 bis heute viel erreicht hat (weitere Fortschritte müssen immer wieder erkämpft werden) und das traditionell dominante Rollenverständnis von Männern insgesamt an Gewissheit verliert (das Anforderungsprofil oszilliert zwischen Erwerbsarbeit und Familie), wirkt das Eingangszitat wie ein Anachronismus. Gleichwohl sind seit 1980 dreieinhalb Jahrzehnte vergangen, und das gezeichnete Bild bedarf der differenzierenden Überprüfung. Mein eigener Standpunkt ist ein notgedrungen kritisch-distanzierter Blick von außen, der sich von der korporierten Selbstwahrnehmung unterscheiden muss: diese Feststellung ist für beide Seiten wichtig. Die Abschottung vieler Verbindungen, wenn es um das "Arcanum" - die Geheimnisse ihrer Herrschaft im Inneren (Mensur, Konvent, etc.) geht, hat zur mangelnden Transparenz gegenüber der akademischen Öffentlichkeit geführt und damit die Gefahr von Fehlurteilen gefördert. Aber daran ließe sich etwas ändern - dort, wo es schon geschieht, ist es gut für demokratische Prozesse - diese Bemerkung gilt auch für die anderen "Hypotheken" der studentischen Korporationen: die Mensur, die Kommerse (in vollem Wichs), der Alkoholkonsum, die Ehrvorstellung, das Elitedenken, das Lebensbundprinzip, die Hierarchien Füxe, Burschen, Alte Herren, u.a.m. . Seit ich mich mit dem Thema beschäftige (WS 1967/68), hat sich an der Überwindung dieser demokratiedefizitären Entwicklung des Korporationswesens kaum mehr als Kosmetisches verändert. Wegen der nicht-demokratischen Auswirkungen dieser elitären Sondergruppe auf Universität, Gesellschaft und Staat geht uns alle das Thema etwas an. Wir befinden uns damit im scharfen Gegensatz zu keinem Geringeren als dem Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt, der diese paretianische Erkenntnis 1953 auf den Begriff gebracht hat: "Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt." (Carl Schmitt, 1995, S.147) Unsere Aufgabe besteht unter anderem darin, die verborgenen Mechanismen der männlichen Macht- und Herrschaftselite (Pierre Bourdieu) aufzudecken und so zu ihrer "Entzauberung" beizutragen.

 

Mit Blick auf den Zusammenhang von Männerbund, Männlichkeit und Demokratiefeindschaft beginne ich mit drei thematischen Komplexen aus der Geschichte des letzten Jahrhunderts:

 

1. Männlichkeit und Wehrhaftigkeit in der Urburschenschaft

 

Es gehört zur Ambivalenz der gerade 200jährigen Urburschenschaftsurkunde und des sich anschließenden Wartburgfestes 1817, dass die knapp 500 Studenten aus den protestantischen Universitäten angesichts der Restauration der Monarchien auf dem Wiener Kongress 1815 einerseits Einheit und Freiheit aufs Panier schrieben, andererseits Juden und Ausländer (vor allem die Welschen und Franzosen) vom Beitritt zur Burschenschaft abgehalten werden sollten. Jenaer Frauen hatten den Burschen zu ihrem Fest die Fahne der Urburschenschaft geschenkt, "ein Banner aus purpurfarbenem und schwarzem Samt, mit einem goldenen Eichenzweig bestickt und von goldenen Fransen eingefaßt" (Kurth, 2004, S. 92: die Hinweise auf die symbolische Bedeutung der Eiche und der neben der Fahne herunterhängenden Eicheln= Härte/Stärke und geschlechtsspezifisch konnotiert). Bürgerliche Elemente ebenso wie höfische Utensilien (z.B. in der Kleidung) verbanden sich zur nationalen Virilität: die völkischen Mentoren Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt, sekundiert von Karl Friedrich Friesen, bestanden schon 1811 darauf, dass es "heiligste Pflicht des deutschen Jünglings (sei), ein deutscher Mann zu werden und dereinst im bürgerlichen Leben für Volk und Vaterland kräftig zu wirken." Männlichkeit wird im Verbund mit Ehre, Freiheit und Vaterland durch die Wehrhaftigkeit konstituiert ("Ehrliche und Wehrliche").

 

Dass in diesem Männlichkeitskonzept, das die Polarisierung der Geschlechter zur Grundlage hat, die Frauen ausgeschlossen bleiben, ist eine zeitbedingte Selbstverständlichkeit, die die aufklärerischen Philosophen wie Kant und Hegel ebenso wie die Literaten der deutschen Klassik von Schiller bis Goethe mit den Burschen teilten. Es gab aber auch schon damals weibliche und männliche Repräsentanten der Gleichheit der Geschlechter (Condorcet, 1789; Olympe de Gouges, 1791; M. Wollstonecraft, 1792; Th. Hippel, 1793), deren Lektüre noch heute inspirierend ist. Eine Minderheitsströmung auf dem Wartburgfest, repräsentiert durch die Heidelberger Burschenschafter F.-W. Carové und R. Rothe, kritisierten die christlich-deutsch begründete Exklusion von Ausländern und Juden (auch Saul Aschers "Germanomanie" wurde auf dem Wartenberg verbrannt) - es änderte allerdings nichts an den bald folgenden, von Burschen getragenen Hepp-Hepp-Krawallen in Würzburg 1819 und anderswo (Benz, 2015). Das Männlichkeitsprinzip blieb von der Kritik "natürlich" ausgespart. Der militaristisch-chauvinistische Vertreter auf der Wartburg, wie der Redner Hans Ferdinand Maßmann, kommentierte das Autodafé ex post u.a. auch als Kampf gegen die "Unmännlichkeit" (Maßmann, 1817).

 

Wir finden also am Anfang des 19. Jahrhunderts in der Konstitutionsperiode der damals tonangebenden Deutschen Burschenschaft (DB) eine Konstellation vor, die einen antifeministischen Männlichkeitsentwurf bereitstellt, der an die Wehrhaftigkeit, den Freiheitsmythos, die Ehre und das deutsche Volkstum geknüpft ist. Alle darin beschlossenen Elemente wirken nicht nur in den Burschenschaften fort und machen die sozialisatorische und politische Hypothek dieses Verbindungstyps bis heute aus. Je nachdem, welche Strömung in der DB die Oberhand gewann, spätestens nach 1870/71 war die nationalistisch-militaristische Linie dominierend, wird der "Prozess der Zivilisation" (N. Elias) aufgehalten oder rückgängig gemacht, nur selten befördert. Damit sind wir bei unserem zweiten Punkt angelangt, den Norbert Elias als "satisfaktionsfähige Gesellschaft" beschrieben hat.

 

2. Die satisfaktionsfähige Gesellschaft als korporierter Männerbund

 

Elias hat am Beispiel der korporierten Szene etwa der Marburger Universität im deutschen Kaiserreich die Quelle der Studentenromane (z.B. Walter Bloem, Der krasse Fuchs) genutzt, um die Herausbildung der "satisfaktionsfähigen Gesellschaft" zu beschreiben und zu erklären. In Preußen-Deutschland ging die Stellung des Adels (genauer: der ostelbischen Rittergutsbesitzerklasse) mit einer sozialen Distanzierung der bürgerlichen Mittelklassen einher. Anders als in Frankreich oder England wurden die bürgerlichen Mittelklassen von den fürstlichen Höfen ausgeschlossen, politische Partizipation verweigert und von der Leitung der öffentlichen Ämter/Institutionen ferngehalten. Das ritterliche Kriegerideal im Dienste des Zentralherrn findet seine Fortsetzung im von Adligen beherrschten Offizierskorps der preußischen Armee, deren männlich-martialischer Ehrenkodex mentalitätsbildend war für das, was Elias die satisfaktionsfähige Gesellschaft im akademischen Milieu der studentischen Verbindungen nennt. In diesem Milieu, mit einem Korporatisierungsgrad an Großstadtuniversitäten wie Berlin von ca. 1/4 aller Studierenden, an kleineren Universitäten wie Bonn, Marburg oder Tübingen von annähernd 60% (Möller, 2001,S.109), gedieh "die formalisierte Gewalttat des Duells"(Elias, 1989, S.98) und der "Habitus ohne menschliches Mitleid" (Elias, 1989, S.144) zunächst innerhalb des akademischen und politisch-staatlichen Establishments, von wo aus sich dieser autoritär-militärische Verhaltenstypus und Empfindenskanon ausbreitete: "Die Härte der menschlichen Beziehungen, die im Gebrauch physischer Gewalt, in der Verwundung und gegebenenfalls der Tötung von Menschen durch andere Menschen ihren Ausdruck findet, breitet sich wie durch eine Infektion auch auf Beziehungsbereiche aus, in denen überhaupt nicht körperlich gekämpft wird." (Elias, 1989, S.145) Zentrale Kategorien wie "Ehre" und "Disziplin" stammten zwar aus dem militärischen Sektor, ließen sich aber auch auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital (durch Übertragung des militärischen Ethos auf das Arbeitsethos der Industriearbeiter/innen) und das Verhältnis der Geschlechter (Hierarchie) übertragen.

 

Härte und Unerbittlichkeit gehören zu dieser "eisernen Haltung", die es verlangt, alles Schwache zu verleugnen und zu verachten. Das Bürgertum in der Epoche des Kaiserreiches beginnt zwar wirtschaftlich zu erstarken, ist aber militärisch, gesellschaftlich und politisch schwach: diese Feststellung gilt für Friedens- und besonders Kriegszeiten. Deshalb ist es naheliegend, wenn sich Nationalliberale und Freisinnige mit den außenpolitischen Zielen Bismarcks in den Einigungskriegen (1864, 1866, 1870/71) identifizieren, um diese Schwächen zu kompensieren: "Wo 'eiserner Wille' vorherrscht, 'Schneid' und 'zackiges Verhalten' gefordert werden, da ist 'falsche Sentimentalität' nicht am rechten Platze. Auch 'Moral' ist verdächtig. Einwände, die auf ihr beruhen, werden entkräftet durch Ausdrücke wie 'Moralpredigt' und 'Moralinsäure'. (Elias, 1989, S.273) Alle diese Sozialisationsmuster werden beim wilhelminischen Korporationsstudententum eingeübt - auf Konventen, auf Kommersen und durch die Mensur.

 

Christian Graf von Krockow hat das männerbündische Element auf die Traditionen der preußisch-deutschen Geschichte seit dem "Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) zurückgeführt und gezeigt, wie der Einfluss des "Weibisch-Weiblichen" durch den heroisch-soldatischen Männlichkeitskult gebrochen wurde (siehe das Gerede über das "schwache Geschlecht" und die Verfolgung der Homosexualität). Im "Tabakkollegium" des "Soldatenkönigs" wie in der "Tafelrunde" von Friedrich II. in Sanssouci waren Frauen ausgeschlossen, ganz im Gegensatz zu den französischen Salons, so dass sich in Preußen "jener Vorrang der Uniform vor dem Bürgerrock, des Gehorsams vor dem Mitgefühl, eben des Militärischen vor dem Zivilen" (Krockow, 1990, S.161f.) durchsetzen konnte. Niemand hat diese historischen und sozialen Prozesse im Obrigkeitsstaat literarisch anschaulicher gestaltet als Heinrich Mann in seinem Roman "Der Untertan" (1918) - am Beispiel des Chemiestudenten und Neuteutonen Diederich Heßling.

 

Die militärähnlichen Sozialisationsprozesse in den Verbindungen tragen mit zur Ausbildung eines nationalen Habitus bei, der nach Elias die Deutschen von ihren westeuropäischen Nachbarn (den Franzosen, den Niederländern, z.B.) unterscheidet. Sowohl die Praxis des parlamentarischen Mehrparteiensystems als auch die Verhandlungstaktik von Händlern und Kaufleuten (z.B. aus Amsterdam oder Utrecht) verlangen die Bereitschaft zu Konzessionen von beiden Seiten, also zu Kompromissen. Elias erläutert, warum der militärische Verhaltens- und Empfindenskanon (die "Einjährig-Freiwilligen" und der "Reserveoffizier") sich so über die Gesellschaft ausbreiten und in ihr einnisten konnte: "In bezug auf seine Ehre, die Ehre seines Landes, seines Kaisers, seines Führers kann der Offizier keine Kompromisse schließen. Auf die Kaufleute, die miteinander verhandeln, die sich dieses oder jenes von ihrer festen Position abhandeln lassen, blickt er mit Verachtung herab." (Elias, 1989, S.389) Der Korporationsstudent, häufig auch "Reserveoffizier", kann auch keine Kompromisse schließen, wenn er zur Wiederherstellung seiner Ehre Satisfaktion verlangt - entweder im interkorporativen Wettstreit über die Mensur oder im Duell in der außeruniversitären Öffentlichkeit (Frevert, 1990).

 

Die politisch-ideologische Begleitmusik lieferten prominente Sozialwissenschaftler wie Werner Sombart im 1.Weltkrieg mit dem Gegensatzpaar von "Händler und Helden" (1915) oder Juristen wie Carl Schmitt, der den Parlamentarismus als "Verfassungsideal der Feinde" (1934) brandmarkte, immer auch mit antisemitischem Akzent. Sombarts Sohn Nicolaus, mit Carl Schmitt in den 30er Jahren auf langen Spaziergängen im Grunewald mit dessen Denkstil vertraut, hat eine der besten Darstellungen des Männerbündischen geliefert (Sombart, 1990).

 

Nach dem 1.Weltkrieg hatten die virilen Habitusformen und Erziehungsnormen (Härte, Drill und Disziplin) in den verschiedenen Strömungen der deutschen Jugendbewegung, wenn sie nicht in reformpädagogisch orientierten Familien und Schulen abgemildert wurden, einen übermächtigen Einfluss, der in den Formationen des NS-Herrschaftssystems von der HJ bis zur SS gipfelte. Einer der Chefideologen der Nazis, der Berliner Philosoph Alfred Baeumler hat das "akademische Männerhaus" - anders als der einflussreiche Hans Blüher in der vorausgehenden Phase - von jeder Homoerotik frei halten wollen: der völkische Student sollte in Feldlagern soldatisch erzogen und im "Bund von Männern" zu Wissenschaftlern ausgebildet werden, für die alle bürgerlichen Vereinigungen und studentischen Korporationen überflüssig werden und die Demokratie als Staatsform überwunden werden müsse, weil die "Weiber" in Deutschland niemals über die Männer herrschen dürften. Wissenschaft müsse nach dem Führer- und Gefolgschaftsprinzip im Kampf- und Kameradschaftsgeist der in Freundschaft verbundenen Männer strukturiert werden: homophil ja, nicht aber homosexuell - soweit seine Theorie (Baeumler, 1934).

 

Der Männerbund in den Verbindungen dieser Phase bis in die 30er/40er Jahre des 20.Jahrhunderts zeichnet sich durch folgende Elemente aus: Der starke Abschluss der einzelnen Korporation nach außen (das Leben auf dem Haus ist zentral, viele Studierende verbringen in den ersten vier Semestern viel Zeit auf dem Haus, die Universität ist zweitrangig) schafft den Freiraum für die Verwirklichung der eigenen Regeln nach innen. Der Begriff des Lebensbundes gewinnt hier seinen Sinn, er wird mit verbindungsgemeinschaftlichem Inhalt gefüllt. Die Aufnahmerituale (von der "Fuxentaufe" bis zur "Mensur"), die Mechanismen der Integration und der Identitätsbildung (Fux - Bursch- Alter Herr) ähneln der Tradition des Männerbundes (J.J.Bachofen, Mutterrecht, 1864 und H. Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, 1902) und werden über Konvente, Kneipen und Kommerse internalisiert. Das Brauchtum (z.B. das Liedgut und die Mensur) spielt eine nicht unbedeutende Rolle, wie jüngere Untersuchungen immer wieder betonen (Heither, 2000; Kurth, 2004; Peters, 2004).

 

Die Wirkungen des Lieder Schmetterns waren nicht nur auf die männlich-homogene Verbindungsschar bezogen, sondern auch auf die Gasthörerinnen, die die Zustimmung des Rektors benötigten. Eine von ihnen, Clara Immerwahr, die sich zunächst noch vom scharfen Klingen der Säbel und dem Gejohle aus dem Fechtsaal der Studentenverbindungen am Universitätsplatz der Breslauer Leopoldina abschrecken ließ, erwarb das erste Doktorat dieser Universität im Jahr 1900 im Fach Chemie - nur mit Sondergenehmigung des preußischen Kultusministers. Während ihres Rigorosums in der Aula der Leopoldina drang ein Studentenlied aus dem benachbarten Fenster des Fechthauses: "O alte Backfischherrlichkeit/ wohin bist Du entschwunden/ Nie kehrst Du wieder, goldne Zeit/ wo man noch Lieb empfunden./ Vergebens spähe ich umher, es naht sich kein Verehrer mehr./ O jerum jerum jerum, /o quae mutatio rerum." Aber Clara hatte die erste Etappe in der Auseinandersetzung mit dem Männerbund Universität/Wissenschaft und Korporation (und ihren patriarchalischen Demütigungen) bestanden. Sie hatte die korporierte Männerwelt mit wissenschaftlicher Kompetenz herausgefordert. (v. Leitner, 1994, S.66)

 

3. Tiefe Risse im Männerbund von Corps, Burschenschaften, u.a. seit 1968

 

Das Kapitel "Verbindungen im NS" brauchen wir hier nicht extra zu behandeln. Vor 1933 waren die meisten Verbände und besonders ihre Aktiven "Brüder" der NS-Bewegung (z.T. auf gemeinsamen Listen); im Frühjahr 1933 veröffentlichten viele extrem identifikatorische Erklärungen zugunsten des Führers und der NSDAP - viele erwarben das Parteiabzeichen der NSDAP; danach beginnt die Phase der Durchsetzung des Machtanspruchs des NSDStB in den zahllosen Lagern, der Wehrerziehung und der politischen Bildung: hier beginnen die ersten Auseinandersetzungen um die Führung (auch in den Kameradschaftshäusern) - allerdings wird die Gleichschaltung der Verbände auch mit Unterstützung der Führungsfiguren in DB, Corps und Landsmannschaften durchgeführt (meist zugleich korporiert und NSDStB). Die Doppelstruktur (NSDStB - DSt) wird Ende 1936 abgeschafft und in der Reichsstudentenführung zusammengefasst - unter dem VDSter Gustav A.Scheel, Mediziner, Heidelberger Studentenführer vor 1933, SS, Gauleiter Salzburg 1941, 1944 auch Reichsdozentenschaftsleiter, im Testament Hitlers designierter Kultusminister. Seine "10 Gebote" - die "Gesetze des deutschen Studenten" von 1937, verkünden unter II: "Oberstes Gesetz und höchste Würde ist dem deutschen Mann die Ehre. Verletzte Ehre kann nur mit Blut gesühnt werden. Deine Ehre ist die Treue zu Deinem Volk und zu Dir selbst." (Hochschulführer der Universität Heidelberg WS 1937/38, 1937, S. 14f.). Die Position der schlagenden Verbände war durchaus gewahrt - aber organisatorisch entmachtet.

 

Nach 1945 wurde die extreme Ideologisierung des Männerbundes offiziell zurückgenommen - dies bedeutete aber nicht, dass männerbündische Denk- und Verhaltensformen in der sich neu gründenden Bundesrepublik verschwunden waren. In einer von Hans Anger (Frankfurt) durchgeführten soziologischen Untersuchung - einer Erhebung unter Professoren und Studenten (Anger, 1960) - war u.a. ein Ergebnis, dass keiner von den Befragten mit Korporationszugehörigkeit das Frauenstudium begrüßte. Das heroisch-martialische Männlichkeitsbild vor allem der schlagenden Verbindungen war zwar zunächst die Kontinuitätsgarantie, verlor aber seit etwa Mitte der 60er Jahre immer mehr an Überzeugungskraft - im Zusammenhang mit den Modernisierungsprozessen, die in den Studierenden- und Neuen Frauenbewegungen kulminierte und Impulse in die Gesamtgesellschaft aussendete, bis heute.

 

Die konservativen Repräsentanten in den Geisteswissenschaften - neben C. Schmitt seien Arnold Gehlen und Helmut Schelsky stellvertretend genannt - hielten an einem "traditionalistischen Patriarchalismus" fest, der die "Ethik des Männerbundes" , allerdings ohne direkte Nennung, voraussetzt und an der Polarität der Geschlechter festhält. Nach Gehlen 1933 konnte sich der Mann gleichsam unbegrenzt der "wesentlichen Triebgegenstände" bedienen: "Besitz, Nahrung und Frau". 1969 formuliert er in "Moral und Hypermoral": "Der Pazifismus, der Hang zur Sicherheit und zum Komfort, das unmittelbare Interesse am mitfühlbaren menschlichen Detail, die Staatswurstigkeit, die Bereitschaft zur Hinnahme und acceptance der Dinge und Menschen, wie es so kommt - das sind doch Qualitäten, die ihren ursprünglichen und legitimen Ort im Schoße der Familie haben, und in denen folglich der Feminismus seine starke Farbe dazutut, denn die Frau trägt instinktiv in alle Wertungen die Interessen der Kinder hinein, die Sorge für Nestwärme, für verringertes Risiko und Wohlstand. Hier liegen die Vorbedingungen zu einer endlosen Erweiterung des Humanitarismus und Eudaimonismus, wenn die Gegengewichte, die im Staatsethos liegen, kompromittiert oder verfault sind." (Gehlen, 1969, S.149) Schelsky, der noch 1953 in seinem Familienbuch die These vertreten hatte, die Emanzipation der Frau sei " nur noch in der Familie zu erreichen" (Schelsky, 1953/1967, S.344), ging 1969 auf Distanz zu seinem Lehrer und riskierte schließlich den Bruch. - Ganz andere Akzente setzten die von D. Heither so genannten "kritischen Patriarchen" - René König oder Theodor W. Adorno. Klaus Theweleit (Freiburg) hat in seinem Buch über "Das Land, das Ausland heißt" (1995) die klare und notwendige Antwort geliefert, die weit über den korporierten Männerbund hinauszielt: "Auflösung der Männerbundstrukturen geht nicht im Männerbund oder im Männerclub. Sie geht nur mit und durch Frauen und durch die Verbindung von Männern mit Kindern. Die Männer müßten, als Väter ihrer meist nur auf dem Papier existierenden Familien, selbst hinunter auf die Ebene des Materials des Prozesses, wo alle Material sind: Material der Veränderung und nicht des Krieges. Herstellung von Gleicheitsebenen." (Theweleit, 1995, S.69)

 

Dietrich Heither hat die Diskussionen um den Männerbund in der Zeitschrift "Convent", dem interkorporativen Zentralorgan unter Leitung von Herbert Kessler, nachgezeichnet. In einer gemeinsamen Sitzung mit Rotariern, Freimaurern und studentischen Korporationen wurde die Aufgabe des Männerbundes darin gesehen, "Männer zu erziehen, die sich verantwortlich für die Gesellschaft fühlen. Die männliche Wesensart ist aus der Gesellschaft nicht zu entfernen." Mehr denn je müsse aber "die Stellung der Frau herausgestellt werden, dem Manne gleichwertig, aber nicht gleichartig ist. Es werden immer Aufgaben für den Mann verbleiben, die nach ihrer Art von der Frau nicht gelöst werden können." (Schneider, 1971, S. 133, nach: Heither 2000).

 

Die Offensive von 1968, die ja einen ersten schockartigen Angriff auf den Männerbund bedeutete, hatte Auswirkungen auf nahezu alle Verbände: die Akademischen Turnverbindungen (ATVen), der Schwarzburgbund (SB), der Sondershäuser Verband akademischer musikalischer Vereine (SV) u.a. diskutierten unter dem Eindruck schwindenden Nachwuchses und der Auflösung männerbündischer Mentalitäten die Aufnahme von Studentinnen in ihre Verbindungen. Die Alten Herren blieben meistens beinhart, während viele Aktive sich pragmatisch bis aufgeschlossen zeigten, die pragmatische Liberalität bezog sich aber fast ausschließlich auf die nichtschlagenden Verbände. Argumente gegen die Aufnahme von Frauen wurden aber wg. der möglichen "Störung der bundesbrüderlichen Verhältnisse" in den gleichen Verbänden zusammengetragen und offenbarten noch Mitte der 80er Jahre eine gewisse Kontinuität in der Aufrechterhaltung des Männerbündischen, wie ein Seminar des Wingolf zeigt: "1.Veranstaltungen ohne Frauen nicht mehr möglich (Kneipen, Kommerse);2.Denkmuster der Frauen schaffen zusätzliche Probleme;3.Eifersuchtsprobleme;4.Frauen stören bundesbrüderliches Verhältnis;5.Frauen nehmen auch so am Verbindungsleben teil;6.Aus Tradition keine frauen;7.Es existieren auch Frauenverbindungen;8.Zweierbeziehungen können Verbindung spalten;9.Frauen könnten als Hausfrauen mißbraucht werden." (Heither, 2000, S.316)

 

Die nächste Etappe, vor allem seit den 90er Jahren, ist gekennzeichnet durch eine Zunahme von Frauen-Verbindungen. Dass darin u.a. ein in der Massenuniversität von heute nicht immer befriedigtes Sekuritäts- und Gemeinschaftsbedürfnis zum Ausdruck kommt, sei zugestanden. Ob es dazu allerdings einer Kopie der männlichen Organisationsform, z.T. auch des Brauchtums bedarf, ist eine strittige Frage, die an den Universitäten mit den Frauen ausgetragen werden sollte - die gelegentlich auch homophoben Tendenzen in den schlagenden Verbänden werden hoffentlich von den Frauen nicht geteilt. Eine wissenschaftliche Analyse der Frauen-Verbindungen steht allerdings noch aus.

 

Aus unserem historischen Überblick resümiere ich, dass die Verbindungen an den Universitäten - individuelle Unterschiede sind z.T. beträchtlich und sollten immer mitbedacht werden - Schulen der Männlichkeit und des Männerbündischen geblieben sind. Diese Feststellung gilt trotz aller Modernisierungsversuche, die sich im Ergebnis vor allem bei den schlagenden Verbänden mit der Formel "ein Schritt vorwärts, zwei Schritt rückwärts" umschreiben lässt. Der Männerbund ist "die freiwillige, bewusste und in diesem Sinne 'rationale' Organisationsbezeichnung zu dem Zweck, alle dem Männlichkeitsverständnis widersprechenden Einflüsse von 'Weiblichkeit' aus der Sphäre der eigenen Sozialisation wie aus der bürgerlicher Öffentlichkeit fernzuhalten. Träger dieser 'Weiblichkeit' sind auch 'feminine' Männer, die die als maskulin geltenden Geschlechtszuschreibungen bewusst oder unbewusst ablehnen. Merkmale von Männerbünden sind besondere Umgangs- und Verkehrsweisen sowie Formen kanonisierten Brauchtums - von zentraler Bedeutung sind dabei Initiationsrituale, die die 'eigentümliche, geheimnisvolle Aura' begründen und den Zusammenhalt der Mitglieder, der 'verschworenen Gemeinschaft' stiften sollen (Heither, 2013, S. 63)." Die soziale Funktion dieser männerbündischen Rituale (Mensur, Fuxentaufe, Leibfamilien,etc.) besteht in der symbolisch inszenierten Trennung vom Weiblichen, der Stärkung männlicher Stereotypisierung und Selbstvergewisserung und der Ausbildung heroisch-martialischer Männlichkeiten - gegen den als 'weiblich' denunzierten Weg des westlich-demokratischen Zivilisationsprozesses, den "pursuit of happiness", eine Formulierung aus der "Declaration of Independence" (1776), die in keiner deutschen Verfassung so zu finden ist. Zufall? - Wohl kaum.

 

Damit sind wir bei den mit den korporierten Männerbünden aufs Engste verbundenen, eingangs so genannten "Hypotheken" verbindungsstudentischen Lebens: es sind dies die Mensur als dem Bollwerk des Männerbundes, die Selbstwahrnehmung der Korporierten als künftige Elite und der Nationalismus, der in seiner völkischen Variante besonders in der DB (wenn auch in dezimierter Form) geeignet erscheint, die Grenzen zum Rechtsextremismus/Neofaschismus zu überschreiten (was sich u.a. in der Berührung mit Pegida in Dresden zeigt). Alle drei Komplexe verweisen nicht nur auf den Kontext des Männerbündischen, sondern sind von ihren Begründungen her tief in den anti-zivilisatorischen Prozessen des Konservativismus verankert, dessen Schnittmengen - bei allen signifikanten Unterschieden - mit dem Rechtsextremismus/Neofaschismus allerdings evident sind. An meiner Begriffswahl Rechtsextremismus/Neofaschismus sehen Sie eine gewisse Unsicherheit, die in der gemeinsamen Diskussion noch besprochen werden kann. Der Extremismusbegriff scheint mir wg. der Herkunft aus der Totalitarismustheorie kaum geeignet, die Sachverhalte wissenschaftlich adäquat zu erfassen.

 

I. Hypothek : Die Mensur

 

Um in die historische Bedeutung und die soziale Funktion der Mensur einzuführen, möchte ich zwei Zitate aus dem Bereich der Burschenschaften und der Corps voranstellen:

 

1. Werner Lackner, Wiener Olympe, hatte 1989 aus Anlass des 130. Stiftungsfestes seiner Burschenschaft die politische Funktion der Mensur für den Männerbund herausgearbeitet: "Die Gewißheit, selbst Mensuren schlagen zu müssen, lässt nur jene Aspiranten eintreten, die einem harten Kampfsport zumindest nicht negativ gegenüberstehen. Wichtiger noch scheint mir ihr Wille zum 'heldischen Männerbund' und damit ihr Bekenntnis zur 'männlichen Gesellschaft' zu sein." (Lackner,1989, S. 109) Zehn Jahre zuvor, wir haben es einleitend zitiert, hatte ein anderer Bursch in den BBl. formuliert: "Unser Burschenbrauchtum ist immer auf eine männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet." (BBl., H.5/1980)

 

2. Hermann Rink hat 1998 in der Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Kösener Senioren-Convents-Verbandes (KSCV) eine umfangreiche Begründung für die sozialisatorische und persönlichkeitsbildende Funktion der Mensur geliefert, die sie neben dem Corpsconvent und der Kneipe im Hinblick auf die Herausbildung einer "starken, freien, weltoffenen Persönlichkeit" habe. Ich zitiere eine längere Passage, die freilich alles Wesentliche über die Bestimmungsmensur enthält: "Anders als bei den sportlichen Fechtarten geht es hier nicht mehr um Sieg oder Niederlage, sondern nur noch um die Bewährung vor sich selbst und vor dem Urteil de Corpsbrüder. Trotz aller Maßnahmen zum Schutz vor unliebsamen und ungewollten Verletzungen gehören doch Überwindung und Mut dazu, sich auf Armeslänge dem ausgewählten Kontrahenten mit der blanken Waffe gegenüberzustellen und in gebotener Fairneß nach vorgegebenen Regeln mit Parade und Angriff die vorgeschriebene Zahl von Gängen durchzustehen. Diese Übung, die verbunden ist mit der Überwindung der eigenen Angst, mit dem Einsatz für die Corpsgemeinschaft und der damit verbundenen Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, dient der Erziehung zur Persönlichkeit genauso wie das Einstecken von Treffern, ohne dabei die Haltung zu verlieren, und die Hinnahme der Mensurbeurteilung durch die eigenen Corpsbrüder. Über Wesen und Wert der Mensur ist viel nachgedacht und geschrieben worden, vieles entzieht sich jedoch der einfachen Ratio. So wie es bei der Partie nicht darauf ankommt, den Kontrahenten zu überwinden, sondern nur darauf zu bestehen, wird die ganze Persönlichkeit zu einem moralisch begründeten, ritterlichen Verhalten erzogen. Nebenbei ergibt sich damit auch ein Auslesekriterium eigener Art: Wer sich durch diese bewußt gestellten Anforderungen abschrecken läßt, hat in einem Corps ebensowenig verloren wie der, dem es nur auf das Niederprügeln eines Gegners ankommt." (in:Baum, Hrsg.,1998, S.383f.)


In dem Zitat wird der Zusammenhang von Mut, Standhaftigkeit und Auslese zu einem maskulinen Persönlichkeitsmerkmal zusammengefügt, das zur Mitgliedschaft in einem heroischen Männerbund berechtigt. Die bei der Mensur oftmals herbeigeführte und häufig bewusst gewollte Verletzung, der "Schmiss" ,war der sichtbare Ausdruck des hierarchischen und elitären Denkens und des mit diesem korrespondierenden Ehrbegriffs. Als Zeichen männlicher Initiation sollte der Schmiss - die "Ehrenkerbe" - den Augenblick der Standhaftigkeit für immer bezeugen. (Anm.: Das "Stehen" in kritischen Situationen gehört durchaus über die korporative Erziehung hinaus in bürgerlich-konservativen Kreisen zu den Charakteristika des erwünschten Verhaltenskanons: so z.B. Helmut Kohl gegenüber seinem Sohn Walter: "Junge, Du musst stehen!")

 

Heroische Werte wurden angesichts von Schmerz und Blut nicht nur symbolisch inszeniert, sondern real in den Körper eingeschrieben. In der Form des Schmisses gehen charakterliches Erziehungswerk und soziale Auslesefunktion gleichsam eine symbiotische Beziehung ein. Einerseits soll der Schmiss von der Überwindung der eigenen Ängste und Schwächen zeugen, andererseits ist er Voraussetzung für das Erklimmen gesellschaftlicher Führungspositionen. Bei der Mensur kulminiert der kollektive Wille, tritt dem Einzelnen als Ritual fühlbar entgegen, hier muss individuelle Schwäche der Stärke der Gemeinschaft und der von ihr gestellten Anforderungen untergeordnet werden. Die Begeisterung für diese Unterordnung vergeht, die Erfahrung schreibt sich aber in den Charakter ein, und ihre Spuren werden im Gedächtnis des Körpers gespeichert: also "Körper gewordenes Soziales", wie P. Bourdieu das ausdrückt.

 

Die satisfaktionsfähige Gesellschaft verbindet in ihrer hierarchischen Ordnung adlige und bürgerliche Gruppen, die Vereinheitlichung des Ehrenkampfes und der Zweikampfregeln unter Studenten und Offizieren war ein Symptom dieses Bildungsprozesses. Im Ergebnis, so fasst der korporierte Würzburger Historiker Harm-Hinrich Brandt die hier skizzierten Erscheinungen zusammen, "haben wir eine Sozialisationsform der neudeutschen akademischen Führungsschicht vor uns, die dem staats- und machtorientierten adelig-bürgerlichen Kompromiss des Kaiserreiches entsprach, und in der das Relikt altadeliger libertärer Wehrhaftigkeit modern legitimiert wurde im Sinne von Persönlichkeitsbildung als Voraussetzung sozialer Führungskompetenz." (Brandt, 1993, S.137) Wie wir aber aus der realen Geschichte von Männlichkeit, Mut und Standhaftigkeit per Mensur wissen, ist dieser Sozialisationsmodus eher kompatibel mit autoritären oder gar faschistischen Systemen als mit einer genuin demokratischen Staats- und Lebensform: "Die Würde des Menschen (nicht: der Elite) ist unantastbar" (Art.1,1,GG) und "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Art.3,2,GG) bezeichnen die Gegenposition in aller Klarheit. Damit sind wir auch bei der Exklusivität als Elite beanspruchenden Denkfigur, die von Korporierten fast aller Schattierungen gern benutzt wird.

 

II. Hypothek: Elitarismus

 

Die Anhänger der Theorie des Männerbundes gehen von der These aus, dass Männer nur von Männern in Männerbünden erzogen werden können. Schon von dieser Ausgangslage her ist ein gewisser Exklusivitätsanspruch gegeben, der die Hälfte der Gesellschaft: die Frauen bewusst ausschließt. Um eine elitäre Aura zu kreieren, müssen allerdings noch weitere Exklusionsmechanismen wirksam werden können. Im Unterschied zum französischen Elitesystem der "Grandes Écoles" und den Traditionen Englands mit den altehrwürdigen Colleges von Oxbridge verfügt das deutsche Hochschulsystem über keine entsprechenden Einrichtungen. Den Untersuchungen von Michael Hartmann zufolge liegt im Fehlen der Elite-Institutionen in Deutschland eine wichtige Ursache für die Ausprägung eines klassenspezifischen Habitus in hochbürgerlichen Familien als Voraussetzung für den Aufstieg in Führungspositionen unseres Landes. Nur wer diese Qualifikationen mit der Muttermilch eingesogen und sie inkorporiert hat, hat größte Chancen in die Top-Positionen der deutschen multinationalen Konzerne zu kommen. Wer aus den unteren Klassen kommt und darüber hinaus noch eine Frau ist, dürfte es besonders schwer haben, weil sie oder er das soziale und symbolische Kapital mitsamt all ihren Netzwerken nicht hat, um Zugang zu Elitepositionen zu erhalten.

 

Herbert Kessler, langjähriger Vordenker der korporierten Szenerie, formulierte den Anspruch des Elitären vor allem für die Corps, aber auch für andere Verbände: "Zum Natur- oder zum Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler, zum Mediziner oder zum Techniker wird man an der Hochschule ausgebildet, zum Akademiker aber bildet man sich im Lebensbund heran." (Kessler, 1998, S.15) Wer nur an den Universitäten studiert, erwirbt eine gewisse Fachkompetenz, aber das ist zur Qualifikation für weiterführende Leitungsaufgaben nicht genug. Der Corpsstudent kann zum Beispiel neben seinem Status als Studierender als Mitglied eines korporierten Lebensbundes zum Akademiker herangebildet werden. Die Persönlichkeitsformung in einer korporierten Gemeinschaft und die Einverleibung der "guten Manieren" führen zu dem gesellschaftlich exklusiven Titel des "Akademikers", der bereits etwas Besonderes, Herausgehobenes bezeichnen soll. Das "Auftreten" in der Öffentlichkeit, die stramme Haltung (häufig durch Wehrdienst und Offizierslaufbahn untermauert), die Einübung in rhetorische Fähigkeiten sowie das Leitungs- und Verhandlungsgeschick auf Conventen oder anderen Versammlungsorten gehören zu diesem Verhaltenskanon.

 

Die Integration von Frauen in diesen männlichen Kosmos konnte sich deshalb nur an der Peripherie der schlagenden Verbände, etwa bei den musischen oder den Sportverbindungen (ATB), nicht aber bei den Burschenschaften und den Corps vollziehen. In deren Nachwuchshandbuch für Corpsstudenten (Auflage August 2002) wird im Kapitel "Frauen im Corps" (1.4.8) eine hierarchische Geschlechterordnung in zwei Teilen entworfen: "Der erste Kreis umfaßt die Convente, Kommerse, Kneipen und Mensurveranstaltungen als Männerangelegenheit. Der zweite Kreis umfaßt mehr den gesellschaftlichen Teil, und da legen wir großen Wert auf Damen." (Nachwuchshandbuch, 2002, S.13, nach: Peters, 2004)) Zum verbindungsstudentischen Spezifikum dieser auf Bällen und Stiftungsfesten realisierten "Integration" von zur "Peripherie" gehörigen Frauen gehören u.a. die Damenreden. "Der Männerbund", so der Ex-Korporierte Stephan Peters, "legitimiert sich vor seinen zur Peripherie gehörigen Frauen und nutzt den Anlaß zur Verdeutlichung seines sexistischen Frauenbildes - auch zur Wahrung einer Distanz, die für die Zeit des Balles (oder eines anderen Anlasses mit Frauen) schließlich aufgehoben ist." (Peters, 2004, S.184)


Zur Veranschaulichung hier nur eine Damenreden-Passage aus dem Jahr 1975, die aber auch heute noch ähnlich gehalten werden könnte:

"Mit Damen tanzen alle Männer gerne: / Auf dem Parkett, durchs Leben, durch die Zeit. / Sie locken so wie Sonne, Mond und Sterne. / Jedoch sie strahlen nicht in weiter Ferne. / Sie sind gewissermaßen griffbereit. / ... Sie haben - das ist gar nicht übertrieben - / Die Gleichberechtigung längst wahrgemacht; / Darüber wird und wurde viel geschrieben, / Soll man sie deshalb etwa wen'ger lieben? / Genau das Gegenteil ist angebracht!" (Peters, 2004,S.185f.)


Der Deklassierung und Degradierung des Weiblichen im corpsstudentischen Männerbund entspricht die Überhöhung seiner geistigen Potentiale zum Zwecke des männlich definierten Höheren - vor allem im Rahmen von Vaterland und Nation. Dieses Höhere ist als eine Strategie der "domination masculine" (Bourdieu) zu bewerten und dient somit der Benachteiligung und faktischen Unterdrückung von Frauen in allen Segmenten der Gesellschaft. Die Selbststilisierung zur akademisch verbrämten Elite ist Teil dieser männerbündischen Ideologie und ist - unabhängig von der sozialen Realität/Irrealität - mit demokratischen Ansprüchen in Universität und Gesellschaft nicht kompatibel. Die Mensur schlagende Elite in Politik und Wirtschaft ist wg. des Standhaltens durchaus in hohem Maße funktional für die Sicherung patriarchalischer und kapitalistischer Verhältnisse : siehe die Verkündung der Entlassung von 5000 Mitarbeitern bei Siemens, aber auch die Rolle der nicht wirklich demokratisch kontrollierten Berliner "K-Gruppe" (Diepgen - Reg.Bürgerm.,/Landowski - Fraktionsvors./Kittelmann stv. Parteivorsitzender: CDU und Berliner Burschenschaft Saravia), die am Bsp. der Berliner Bank dabei geholfen hatten, etliche Mrd. Euro in den Sand gesetzt zu haben - mit fatalen Folgen für die Stadt (dass auch die mitregierenden Sozialdemokraten und ihre Finanzministerin Fugmann-Heesing politische Verantwortung tragen, gehört zum Sachverhalt).

 

III. Hypothek: Völkischer Nationalismus

 

Träger des völkischen Nationalismus in den Burschenschaften ist die Gruppe der ca. 40 in der "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" (BG) organisierten Burschenschaften: sie bildet das politisch-ideologische Zentrum. Gegründet wurde dieses burschenschaftliche Kartell nach einem ersten gescheiterten Anlauf auf dem Nürnberger Burschentag 1961 (nämlich der Ablehnung der Fusion von DB und ÖB) schließlich auf dem Haus der Münchner Danubia mit dem Ziel, den volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff in den eigenen Reihen durchzusetzen. Ein Jahrzehnt später wurde dieser zentrale Begriff in den "historischen Kompromiss" der DB eingeführt. Die "liberaleren"(?) Bünde konnten im Gegenzug die Abschaffung der Pflichtmensur zugunsten der fakultativen Mensur durchsetzen. Sie nahmen aber zugleich, wie Bernhard Weidinger ausführlich belegt, mit dem völkischen Standpunkt - nicht nur der Österreicher - den politischen Rechtsschub des Gesamtverbandes in Kauf (Weidinger, 2014, S. 287 f.).

 

Es wurden zunehmend Referenten aus dem ultrarechten bis neofaschistischen Spektrum eingeladen (C. v. Schrenck-Notzing, F. Schönhuber, B. Willms, u.a.), schrieben in der von Burschenschaftern gegründeten Zeitschrift "Der Student", beteiligten sich an der Arbeit des "Ring Freiheitlicher Studenten" (RFS) und schrieben nach dem Umbruch 1989/90 für die einflussreiche Zeitung des Brückenspektrums "Junge Freiheit" (JF).Ein Grußadresse des Pressereferenten der JF von 2005 liest sich wie folgt: "Aus vielen Gesprächen und eigenem Erleben weiß ich, dass viele meiner Verbandsbrüder die Junge Freiheit lesen und sie für ein konstruktiv-kritisches Meinungsbild in der Bundesrepublik für unabdingbar halten." - Und die "Junge Freiheit" ihrerseits wirbt mit mehrseitigen Anzeigen in den Burschenschaftlichen Blättern (BBl.). Mitglieder der Danubia München stellten den Vorstand des kurzweiligen Republikanischen Hochschulverbandes (RHV), Rolf Schlierer - ehemaliger DB-Funktionär - wurde Bundesvorsitzender der sog. "Republikaner". Das waren die ersten organisatorischen Früchte der burschenschaftlichen Vernetzung im Brückenspektrum und dem Milieu der extremen Rechten.

 

Die Österreicher dominieren seit 1990 (dem Jahr des Vorsitzes der Wiener Olympia) die DB. Mit der "kleinen Wieder(?)vereinigung" von 1990 sah die Deutsche Burschenschaft ihre Ansprüche nicht befriedigt: "das ganze Deutschland soll es seyn" (E.M.Arndt). Das völkische Axiom wurde höher bewertet als das staatlich-politische: über die in den staatlichen Grenzen lebenden Deutschen hinaus waren also auch alle Deutsch sprechenden "Sprachinseln" weit über die Bundesrepublik hinaus gemeint. Österreich, Teile von Polen (Pommern, Schlesien), die Region Kaliningrad, Bereiche der CSR (Sudetenland, etc.), Gebiete in Ungarn und in Rumänien (Banatschwaben). Dieser Hinweis ist nicht nur theoretischer Natur, sondern charakterisiert die "volkstumspolitische Arbeit" der DB von heute vor Ort in den genannten Regionen, z.T. in Verbindung mit einzelnen Vertriebenenverbänden. Im Art.9 der "Grundsätze in der Verfassung der Deutschen Burschenschaft" ist das völkische Axiom noch einmal festgelegt (s.Internet).

 

Vor diesem Hintergrund konnten vor allem Persönlichkeiten aus dem rechtsextremen Spektrum Schriftleiter der BBl. werden: Herwig Nachtmann(2005-2008), Brixia Innsbruck, Funktionär der später verbotenen Nationaldemokratischen Partei Österreichs, aktiv im "Südtirol-Terrorismus" (als "Freiheitskampf" in der Burschensprache tituliert), Geschäftsführer des Aula-Verlages, gerichtskundig wg. des Verstoßes gegen das NS-Wiederbetätigungsgesetz wg. eines den Holocaust leugnenden Artikels zu Geld- und einer Haftstrafe verurteilt. Auf ihn folgte Norbert Weidner, einst NRW-Geschäftsführer der 1995 verbotenen FAP, ehemaliges Mitglied der "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige", aktiv bei der einschlägig bekannten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn.

 

Einschlägig deshalb, weil die Alte Burschenschaft der Raczeks zu Bonn auf dem Eisenacher Burschentag 2011 über den Antrag abstimmen ließ, die Burschenschaft Hansea Mannheim (i.e. die Burschenschaft des BND-Präsidenten G. Spindler) aus der DB auszuschließen. Sie hatte, so die Bonner Raczeks, einen in Mannheim Geborenen, in der Bundeswehr gedient und die nötigen Fechtmensuren geleistet Habenden sowie sich zum deutschen Vaterland bekennenden Studenten aufgenommen, dessen einziger "Makel" darin bestand, chinesische Eltern und damit das "falsche Blut" zu haben. Mit einigen juristischen Tricks und einem Gutachten des DB-Rechtsausschusses wurde das in Art.9 der bereits erwähnten DB-Verfassung fixierte Prinzip des "gleichen gemeinsamen Schicksals" in spezifischer Weise mit dem Abstammungskriterium verknüpft. Es sei, so die Autoren, "besonders in Zeiten der Überfremdung (...) nicht hinnehmbar, dass Menschen, welche nicht von deutschem Stamme sind, in die Deutsche Burschenschaft aufgenommen werden." In der weiteren Begründung wurde unverhohlen rassistisch argumentiert: "Beispielsweise weist eine nichteuropäische Gesichts- und Körpermorphologie auf die Zugehörigkeit zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung und damit auf eine nicht deutsche Abstammung hin." Im Klartext: "So jemand" kann weder dem deutschen Volk noch der DB angehören. An diesem Beispiel ist die rote Linie überschritten: die Position der Raczeks ist in diesem Punkte völkisch-rassistisch mit faschistischer Begründung. Die Kritik in der Öffentlichkeit an dieser Variante des "Ariernachweises" führte dazu, dass der Antrag zurückgenommen wurde. Es sollte auch der Auftakt zu einer innerverbandlichen Zerreißprobe und zu einer beispiellosen Dezimierung der Mitgliedsbünde mit "Abstieg in die Irrelevanz" (Matthias Stickler, 2013) werden.

 

Dem beschriebenen Rechtsruck korrespondiert der Loslösungsprozess von der CDU/CSU, der spätestens Mitte der 80er Jahre begonnen hatte. Besonders in den Diskursen um die Geschichtspolitik, von der Kontroverse um Richard von Weizsäckers Rede am 8.5.1985 über die Hohmann-Affäre des damaligen Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordneten bis zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Münchner Danubia (Krass, 2015), wird die Distanz zur CDU deutlich, deren letzte Kohl-Regierung noch dafür Sorge getragen hatte, dass einzelne Burschenschaften in den Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern auftauchten (von der Hamburger Germania bis zur Münchner Danubia). Mitte der 90er erlebte dieser Prozess einen ersten Höhepunkt, als die ersten Burschenschaften die DB wegen "rechtsextremer Tendenzen" verließen und eine eigene Organisation, die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB) im Januar 1996 begründeten. Entsprechend jubilierte Jürgen Schwab in den schon nicht mehr zum Brückenspektrum zu zählenden "Staatsbriefen" 1996: Nach dem Auszug des "linksextremistischen Flügels" habe die DB mit der Wiener Burschenschaft Olympia "eine würdige Vorsitzende für das laufende Geschäftsjahr bekommen" und repräsentiere nun eine von "liberalen Geschwülsten weitestgehend gesundgeschrumpfte DB" (Heither, 2013). Seit 2011 hat die Austrittswelle von Burschenschaften aus der DB wegen der immer wiederkehrenden Problematik des völkischen Dogmas existenzbedrohende Ausmaße angenommen - einige Burschenschaften existieren nur noch als Altherrenverbände (so E. Diepgens Berliner Saravia), selbst die Münchener Danubia klagt über Nachwuchs- und Existenzsorgen. Ob sie allerdings dadurch gelöst werden, dass Alte Herren, wie der Danube Fred Duswald, in der Aula, dem Organ der Freiheitlichen Akademikerverbände "mit der für das völkische Verbindungsstudententum in Österreich charakteristischen politisch-ideologischen Ausrichtung" (Weidinger, 2014, S.612), die Befreiten des KZ Mauthausen als Massenmörder bezeichnet (Krass, 2015), muss bezweifelt werden. Ein anderer Alter Herr der Danubia ist stv. Schriftführer des AFD-Verbands Oberbayern (der sog. "Bananen-Nolte"). Gordon Engler von der Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia, immerhin Sprecher der DB im Geschäftsjahr 2014, ist stv. Fraktionsvorsitzender der AFD im Stadtrat von Dresden und wettert gegen sogenannte "Parallelgesellschaften". Er schreckte in einem Denunziations-Brief an den stv. Leiter der Lz f. pol. Bildung Thüringen und einem Flugblatt 2014 nicht davor zurück, Lügen über den Verfasser dieser Zeilen zu verbreiten (s. dazu meine Gegendarstellung an den Schriftleiter der BBl. v. 15.2.1997 und meine Mail an den "Presseverantwortlichen" der DB, Walter Tributsch, v. 14.6.2014). Hätte sich Herr Engler sachkundig gemacht, wären ihm die Tatsachen bekannt. Auch dieses Verhalten zur Herabsetzung von Kritikern (alle Kolleginnen und Kollegen haben dies erfahren) gehört seit langem zur Strategie der extremen Rechten in der Auseinandersetzung mit der Linken.

 

4. Fazit: Korporierter Männerbund - am Ende eines verhängnisvollen Weges

 

Die mit der Mensur in engem Zusammenhang stehenden Formen studentischen Brauchtums, die Ex-klusivität des elitären Gehabes und das völkische Axiom bilden eine Trias, die dem anti-egalitären, anti-emanzipatorischen und anti-demokratischen "Virilitätshabitus" (Blattmann,1999) eine so dauerhafte Stabilität zu verleihen scheinen. Im Zentrum der männerbündisch-burschenherrlichen Subkultur, das haben wir herausgearbeitet, steht von Beginn an ein harter Virilismus, eine Vorstellung heldenhafter und wehrhafter Männlichkeit und Kameradschaft (daher das starke Engagement gegen KDV und die Hamburger Wehrmachtsausstellung in den 90ern). Im Männerbund wird das Prinzip der Hierarchie und der sozialen Ungleichheit gepredigt und gelebt (Fux - Bursche- Alter Herr), die Affinitäten zum militärischen Vergesellschaftungsmodell liegen auf der Hand. Männliche Stereotypen wie Heroismus und gleichzeitig Kollektiv-Sentimentalität im Männerkreise, die Trinkrituale und das Liedgut stärken die individualpsychologische Disposition der autoritären Persönlichkeit bei den Burschen und anderen Korporierten und befördern die kollektive Praxis des Antidemokratischen und des dazugehörigen Kults der Gewalt im Übergangsfeld vom konservativen zum neofaschistischen Spektrum. Insofern sind die neofaschistischen Auffälligkeiten in bestimmten Verbindungen der BG in der DB keineswegs zufällig.

 

Die Reste der in der DB verbliebenen Bünde sind nicht das einzige Problem. Vieles trifft auch für die Abspaltungen in der NDB und der IBZ ("Initiative Burschenschaftliche Zusammenarbeit") zu, es trifft in puncto Mensur und Elitarismus mit völkischen Anwandlungen auch immer Einzelne aus den Corps und Landsmannschaften, während der Rest der Verbindungen sich zum staatstragenden Reservoir der Berliner Republik empfehlen dürfte. Da schadet eine AFD-Mitgliedschaft bislang (noch). Dass dies auch so bleibt, ist die Aufgabe eines klugen, präventiv arbeitenden Antifaschismus, der die zahlreichen Korporationen nicht nur wegen ihres "Habitus ohne menschliches Mitleid" (Elias) kritisiert, sondern auch als Teil des herrschenden Blocks an der Macht, bereit zur Unterdrückung der schwächeren Teile der Gesellschaft. Das ist die Prämie für den "Aufzug in das Establishment" (Elias) - mit schwerwiegenden Folgen für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Helfen wir also mit, dass die Aktivitäten der braunen Burschen nicht unentdeckt bleiben und dass wir die Risse im Männerbund vertiefen. Wie nötig das ist, zeigt der Hinweis auf eine bevorstehende Veranstaltung der schon erwähnten "Burschenschaft Germania Königsberg zu Hamburg", auf der der berüchtigte Pegida - Redner Akif Pirincci am 5.12.2015 aus seinem Buch "Die große Verschwulung" vorlesen will. Seine Publikationen sind gegen die "Verweichlichung der Männer, das Elend der Gleichmacherei und die Ideologen der grausamen Gender-Propaganda" (Osuch, 2015) gerichtet. Der "Migrations-Sarrazin" ist nicht nur zum wiederholten Male bei den Hamburger Germanen in der Sierichstraße zu Gast, sondern folgt Einladungen der AfD, der Partei "Die Freiheit" und des neofaschistischen Witikobunds. Es fehlt eigentlich nur noch die NPD. Der Kampf gegen die "Schulen der Männlichkeit" ist also immer ein Kampf für Frieden und Gewaltlosigkeit, für den Sozialstaat der Subalternen, für Emanzipation und Demokratie - und zwar für a l l e.

 

 

Verwendete Literatur:

 

Anger, Hans, Probleme der deutschen Universität. Bericht über eine Erhebung unter Professoren und Dozenten, Tübingen 1960.

 

Bachofen, Johann Jakob, Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Eine Auswahl hrsg. von Hans-Jürgen Heinrichs, Frankfurt/M. 1975 (Stuttgart 1861).

 

Baeumler, Alfred, Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934.

 

Benz, Wolfgang, Das Wartburgfest. Ursprungsmythen des Nationalismus, Erfurt 2015.

 

Beyer, Anke, u.a., "... und er muss deutsch sein". Geschichte und Gegenwart der studentischen Verbindungen in Hamburg, Hamburg 2000.

 

Blattmann, Lynn, "Formen sind kein leerer Wahn". Schweizerische Studentenverbindungen vor 1914. Rituale, Politik und Männerbund, Konstanz 1999.

 

Bloem, Walter, Der krasse Fuchs, Leipzig 1906.

 

Brandt, Harm-Hinrich, Studentische Korporationen und politisch-sozialer Wandel - Modernisierung und Antimodernismus, in: Hartwig, Wolfgang/Brandt, Harm-Hinrich (Hrsg.), Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur im 19.Jahrhundert, München 1993, S. 122-143.

 

Brandt, Harm-Hinrich/Stickler, Matthias (Hrsg.), "Der Burschen Herrlichkeit". Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens, Würzburg 1998.

 

Condorcet, Jean-Antoine de, Über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht (1789), in: Hannelore Schröder (Hrsg.), Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauenemanzipation. Bd. I, München 1979, S. 55-63.

 

Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt/M. 1976 (Basel 1939)

 

Elias, Norbert, Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt/M. 1989.

 

Elm, Ludwig/Heither, Dietrich/Schäfer, Gerhard (Hrsg.), Füxe, Burschen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute, Köln 1992.

 

Frevert, Ute, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991.

 

Gehlen, Arnold, Theorie der Willensfreiheit (1933), in ders., Philosophische Schriften II (1933-1938), Frankfurt/M. 1980, S.1-179 (=Arnold Gehlen Gesamtausgabe Bd. 2).

 

Gehlen, Arnold, Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, 4.Auflage, Wiesbaden 1981.

 

Gouges, Olympe de, Mensch und Bürgerin. Die Rechte der Frau, Paris 1791 (mit vollständigem Quellentext in französisch/deutsch). Herausgegeben und kommentiert von Hannelore Schröder, Aachen 1995.

 

Heither, Dietrich, Gehler, Michael, Kurth, Alexandra, Schäfer, Gerhard, Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt/M. 1997.

 

Heither, Dietrich, Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft - Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln 2000.

 

Heither, Dietrich, Burschenschaften, Köln 2013.

 

Hippel, Theodor Gottlieb von, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Frankfurt/M. 1977 (zuerst: 1793)

 

Kessler, Herbert, Vielfalt und Einheit der deutschen Korporationsverbände, in: CDA/CDK (Hrsg.), Vielfalt und Einheit der deutschen Korporationsverbände, o.O. 1998, S. 11-42.

 

Krass, Sebastian, Hetze gegen KZ-Überlebende, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 5.10.2015.

 

Krockow, Christian Graf von, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890-1990, Reinbek b. Hamburg 1990.

 

Kurth, Alexandra, Männer - Bünde - Rituale. Studentenverbindungen seit 1800, Frankfurt/M.-New York 2004.

 

Lackner, Werner, Die Mensur. Der rituelle Zweikampf deutscher Studenten, in: Wiener Akademische Burschenschaft Olympia (Hrsg.), Wahr und treu, kühn und frei! 130 Jahre Burschenschaft Olympia, Wien 1989, S. 107-116.

 

Leitner, Gerit von, Der Fall Clara Immerwahr. Leben für eine humane Wissenschaft, München 1994.

 

Maßmann, Hans Ferdinand, Das Wartburgfest am 18. Oktober 1817. Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach, Leipzig 1917 (zuerst 1817).

 

Möller, Silke, Zwischen Wissenschaft und "Burschenherrlichkeit". Studentische Sozialisation im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, Stuttgart 2001.

 

Osuch, Florian, "Germanenabend" mit Pirincci, in: junge welt, 25.11.2015.

 

Peters, Stephan, Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Korporation?, Marburg 2004.

 

Rink, Hermann, Die Mensur, ein wesentliches Merkmal des Verbandes, in: Rolf-Joachim Baum (Hrsg.), "Wir wollen Männer, wir wollen Taten!" Deutsche Corpsstudenten 1848 bis heute, Berlin 1998, S. 383-402.

 

Schelsky, Helmut, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-sozialwissenschaftlichen Tatbestandsaufnahme, 5., unveränderte Auflage, Stuttgart 1967 (Dortmund 1953).

 

Schmitt, Carl, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 2. Auflage, Berlin 1934.

 

Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler. Herausgegeben von Armin Mohler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995.

 

Schurtz, Heinrich, Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft, Berlin 1902.

 

Sombart, Nicolaus, Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München-Wien 1991.

 

Sombart, Werner, Händler und Helden, Patriotische Besinnungen, München 1915.

 

Stickler, Matthias, Studentische Verbindungen. Die Krise der Deutschen Burschenschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 14.2.2014.

 

Theweleit, Klaus, Das Land, das Ausland heißt. Essays, Reden, Interviews zu Politik und Kunst, München 1995.

 

Weidinger, Bernhard, "Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen". Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945, Wien-Köln-Weimar 2015.

 

Wollstonecraft, Mary, Vindication of the Rights of Woman, Harmondsworth 1975 (zuerst: 1792).

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Wie nötig das ist, zeigt der Hinweis auf eine bevorstehende Veranstaltung der schon erwähnten "Burschenschaft Germania Königsberg zu Hamburg", auf der der berüchtigte Pegida - Redner Akif Pirincci am 5.12.2015 aus seinem Buch "Die große Verschwulung" vorlesen will.

 

Germania Königsberg zu Hamburg und Germania Hamburg sind unterschiedliche Verbindungen.