Wien: 400 an Spontandemo gegen rechte Gewalt in Favoriten

EKH Wien

Nach dem Neonazi-Überfall aufs EKH am Vortag (27.10.2013), bei dem 40 Neonazis des Austria-Fanclubs "Unsterblich" einen kommunistischen Gewerkschafter (KOMIntern) verletzten, bevor sie in die Flucht getrieben wurden und der Polizei neun Festnahmen gelangen, wurde für diesen Montag von mehreren Seiten zur antifaschistischen Kundgebung am Viktor-Adler-Platz mobilisiert.

 

Zwischen 17 und 18 Uhr waren ca. 300 bis 400 AntifaschistInnen, sowohl aus dem Umfeld des türkischen Kulturvereins ATIGF, vor dessen Räumlichkeiten im EKH die Übergriffe geschahen (Interview mit dem Verletzten), als auch von anderen im EKH beheimateten Gruppen sowie solidarischen AntifaschistInnen, am Viktor-Adler-Platz versammelt. Am etwas leisen Megaphon hielten u.a. SLP-AktivistInnen und die Grün-Politikerin Alev Korun nur allzu bekannte (aber notwendige) Redebeiträge darüber, was allen spätestens seit Sonntag klar ist: Der rechten Gewalt muss Einhalt geboten werden! Doch den Worten sollen nach deren Ansicht keine Taten folgen. Die Polizei zeigte zwar neun Personen auf freiem Fuß an, doch der Täter, der den Gewerkschafter niederschlug, konnte noch nicht ausgeforscht werden.

 

Breite Solidarität abseits politischer Funktionäre


Als sich kurz vor 18:30 Uhr  ein Teil der Kundgebung zur Spontandemo formiert und antifaschistische Parolen skandierend in die Quellenstraße zog, zögerten viele KundgebungsteilnehmerInnen zunächst, sich anzuschließen. Insbesondere kommunistische und sozialistische Funktionäre (bzw. jene mit den roten Fahnen und dem Megaphon), forderten die Menge auf, hier zu bleiben und sich keiner unangemeldeten Demonstration anzuschließen.

 

Wenige Minuten später hatten sich alle, bis auf die rote Farben tragende Fraktion, der Demonstration - die nun zur vorderen Hälfte komplett schwarz, zur anderen Hälfte "bunt" war - angeschlossen. Darunter sehr wohl auch zahlreiche KommunistInnen, jedoch nicht jene mit den roten Fahnen sowie (ältere) Funktionäre.

 

Etwa 300 Leute zogen, angeführt von einem immer vermummter werdenden schwarzen Block, wütend in die Quellenstraße, wo italienische, englische und türkische Antifa-Parolen lautstark durch die Straßen hallten: "Siamo tutti antifascisti", "No Border - No Nation - Stop Deportation", "alerta antifascista", "faşizme çarşı omuz omuzar" ("Schulter an Schulter gegen Faschismus"). Nicht zuletzt aufgrund des letzten Slogans, der in Wien durch die zahlreichen Solidaritäts-Demonstrationen für die Istanbuler Gezi-Park-BesetzerInnen bekannt wurde, bekundeten einige Geschäftsbesitzer und HausbewohnerInnen an der Quellenstraße ihre Solidarität (einer schrie freilich auch einfach nur "schleichts eich es orschlecha"). Je länger die Demo die Quellenstraße entlangzog - lange Zeit ohne Polizeibegleitung - umso mehr Jugendliche und teilweise auch "Kiddies" flankierten die Demo-Spitze.

 

Ein Hauch von Vorstadtaufstand


Rasch flogen erste Böller. Nachdem einer an einer Auslagenscheibe einer Konzernfiliale detonierte, dominierte ein schriller Alarmanlagenton die Stimmung auf der Demonstrationsroute. Kurz darauf der erste Zwischenfall: Am Quellenplatz soll ein Rechter vom Würstelstand aus auf DemonstrantInnen geschimpft haben, worauf sich mehrere Personen auf diesen stürzten und mitsamt Stehtisch zu Boden brachten. Ein Pressefotograf stürtze sich auf das Motiv: ein umgeworfener Stehtisch! (ob er morgen die Titelseite der Krone ziert?). Der attackierten Person dürfte hingegen die Flucht ins angrenzende Lokal geglückt sein. Eine Minute später trifft der erste Polizeibeamte ein, den ich bisher an der Demo gesehen habe. Er funkt "geh bitte, es hod kann sinn mehr..." und fordert Verstärkung an.

 

Etwa 10 Minuten später trifft die Verstärkung ein. Zwei Kleinbusse der Hundestaffel (!) schlossen sich in der letzten Reihe der Demo an. Also etwa 8 Hunde und 4 Beamte - die kurz darauf auch zum ersten (und einzigen?) Mal eingesetzt worden sein sollen: Jedenfalls schlägt die Demo einen Haken Richtung Süden und erreicht etwas später, nach knapp 30 Minuten, also um etwa 18:50 Uhr auf der Davidgasse (oder eine parallel davon) die Herzgasse. Zwei Straßen weiter oben, auf der Kreuzung Herzgasse/Angeligasse, bilden etwa 20 PolizistInnen, überwiegend WEGA-Kräfte, die Hälfte davon mit Helm, eine  Straßensperre. Die Demo beginnt erstmals zu zögern, nicht allen scheint klar zu sein, welche Richtung zu verfolgen ist. Manche fürchten ein Kesselungsszenario - und erste Zerstreuungstendenzen setzen ein.

 

Doch nach wenigen Minuten ist klar: Außer den 20 Beamten in der Herzgasse, zwei Hundestaffel-Wägen und - mittlerweile - zwei weiteren WEGA-Kleinbusse hat die Polizei nichts aufzubieten. So gelingt es den versprengten Teilen sich bis kurz vor 19:00 Uhr auf der Troststraße weitgehend zu sammeln. Noch einmal ziehen etwa 200 AntifaschistInnen geschlossen durch die Straßen, nun allerdings weitgehend still. Keine Parolen mehr. Kurz nach der Wiedervereinigung passiert die Demo eine Baustelle - ein Teil zerrt Bauzäune auf die Troststraße, um die Verfolger abzuhängen. Doch die drei Kleinbusse der Polizei - zwei davon Hundestaffel, also überwiegend mit Hunden besetzt, einer von der WEGA - reagieren rasch und rasen mit vollem Karacho auf die so eben errichtete Blockade zu, wodurch die Menge via Neilreichgasse zurück Richtung Norden flüchtet - und unterwegs noch einige Plastikcontainer auf die Straße schmeißt.

 

Spätestens jetzt ist die Lage komplett unübersichtlich. Die Menge hat sich binnen weniger Minuten in verschiedene Richtungen zerstreut, vereinzelt wurden weitere Bauzäune und Mülltonnen auf den Straßen hinterlassen. Die Hundestaffel-Einheiten verbringen die nächsten Minuten mit Aufräumen. Versprengte Demo-Teile irren durch die Straßen - dazwischen versprengte Polizei-Einheiten auf der Suche nach versprengten Demo-Teilen ... eine weitere Neu-Formierung fand nicht mehr statt.

 

Bilanz: bisher ist nur von 2 Identitäts-Feststellungen bekannt, die mutmaßlich am Quellenplatz in der Causa Würstelstand vorgenommen wurden. Keine Festnahmen, keine weiteren (bisher) bekannten Vorfälle.

 

Links

- ORF, Wien Heute (Video): "Hunderte bei Demo gegen rechte Gewalt" (28.10.)
...

 

[ für Aktualisierungen siehe Originalversion unter: http://www.liv3.at/article/wien-2810-w%C3%BCtende-antifa-sponti-zieht-du... ]

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

die zusammenfassung oben ist sehr umfangreich, bleibt leider trotzdem etwas oberflächlich und errinert mich in der sprache an die analyse eines fussballmatche. deshalb hier ein paar ergänzungen.

 

die spontane demo ist tatsächlich sehr energisch gestartet und ohne langes hin und her machten sich über 200 menschen auf den weg. schon zu beginn flogen böller und zwar in richtung türkischer lokale, fußgänger_innen und vor die füße der "eigenen" leute. viele passant_innen bewegten sich fluchtartig von der demo weg, vielen war wohl nicht klar dass es sich um eine antifaschistische, antirassistische demo handelt. es gab fast keine flyer (v.a. keine türkischen, und dass in Favoriten der größten türkischen community des landes). dieses rumgepose mit böllern ist einfach nur nervig, gefährlich, abschreckend und  sollte mensch sich überlegen leute die böller in die demo bzw. vor migrantische lokale und deren besucher_innen schmeißen ernsthaft mit ihrem verhalten zu konfrontieren.

 

Beim Würstelstand am Quellenplatz wurde die Demo von pöbelnden Rassisten gehörten empfangen. Einer der jüngeren Vollidioten machte seine Jacke auf und zeigte stolz ein T-Shirt (konnte inhalt nicht erkennen, scheint anhand der reaktionen von näher stehenden  was nazistisches bzw. nationalistisches gewesen zu sein) und begann die demo zu filmen. Hier flogen keine Böller! Hier ging der Block vorbei! Einzelne ließen sich die Provokation nicht gefallen und attackierten die Rassisten, v.a. den filmenden Jungspund. Sein Videomaterial ging zusammen mit seinem Handy verloren und wahrscheinlich überlegen sich die Großmäuler ob sie das nächste mal provozieren wollen.

 

Es ging also weiter. Wohin eigentlich. Das Gerücht machte die Runde es solle das Stammlokal der "Unsterblich" Fans angegriffen werden. Eine gruppe hätte sich vorbereitet, würde das jetzt auch durchziehen und wer sie supporten möchte komme mit. Die schon zu diesem zeitpunkt kleiner gewordene Demo tat dies bereitwillig. Die Demoroute ist oben ja hinlänglich beschrieben. Kurz vor dem Lokal stellten sich mehrere Polizisten auf den Weg. Die Demo bestand aus über 150 Menschen. Die mit Fahnen bestückte Spitze machte plötzlich halt, begab sich auf den Gehsteig und der Rest der Demo war ziemlich verwirrt. Da das angepeilte Cafe keine bekannte Landmarke (mir ist bis jetzt der name nicht bekannt und ich kenne nur die ungefäre lage) ist, war auch gar nicht klar ob der Weg der richtige ist oder nicht. Und ab diesem Moment verwandelte sich eine entschlossene, spontane Demo in den für Wien typischen hektisch verwirrten Haufen. Kleingruppe hier, Kleingruppe da. Einige sagen an wo es lang geht, jedoch hört ihnen niemensch zu oder sie widersprechen sich oder oder oder... Nur der Überforderung der Polizei ist es zuzuschreiben, dass die Demo in diesem Moment nicht angegriffen wurde. Es ging dann irgendwie doch weiter, einige begannen mit Barrikaden der Polizei die Verfolgung zu erschweren. Viele gingen nur am Gehsteig und schauten sich die paar Wagemutigen auf der Straße an. Solidarisch ist das nicht, nebenbei gesagt, aber es ging anscheinend für alle Teilnehmer_innen glimpflich aus.

 

"Bilanz"

 

+ viele leute , nicht nur die "üblichen Verdächtigen" auf einer sponti

+motivation es nicht nur bei einer standkundgebung zu lassen, sondern nazis zu zeigen "You are not welcome here!" und sie in ihrem Stammlokal zu besuchen

+filmende nazis nicht einfach machen lassen

+ keine Festnahmen

 

- Böller auf Passant_innen, vor türkische Lokale, in die eigene Demo

- Keine Böller auf pöbelnde Rassisten oder Bullenkette

- Viel zu viel Hektik bei Eintreffen der Polizei. Diese war gestern in allen Belangen unterlegen und bei besonnerem Auftreten wäre einiges mehr möglich gewesen.

- Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation

- Abdrehen im letzten Moment vor erreichen des Lokals der Nazis, ohne ersichtlichen Grund.

 

Was bleibt? Da ging was, da geht noch viel mehr! Das erwähnte Lokal war wohl den meisten Menschen bis zum gestrigen Tag nicht bekannt und sollte jemensch Namen und genaue Adresse kennen, könnte diese infos doch einfach hier gepostet werden. Durch die räumliche Nähe zum EKH ist es wahrscheinlich dass die angriffe auf die räume des ATIGIF im Ernst Kirchweger Haus in besagtem Lokal ihren Ausgangspunkt nahmen. 7 der 9 vorübergehend festgenommenen Angreifer sind polizeibekannte Schläger. Wie oft Menschen schon in der Umgebung des Lokals angegriffen wurden ist nicht klar. Was klar sein sollte: Ein Lokal indem sich organisierte Neonazis treffen und wahrscheinlcih Angriffe planen, bzw. diese im Suff durchführen hat keinen Platz in Favoriten oder sonstwo in Wien. Eine Kampagne wie sie in Berlin gegen Nazilokale geführt wird/wurde wäre imho erstrebenswert.

 

Und noch einmal: SIAMO TUTTI ANTIFASCISTI

danke für die konstruktive ergänzung und kritik! aus meiner sicht war es nicht möglich, detaillierter auf die umstände der vorkommnisse (böller, gründe für anhalten/zerstreuung etc.) einzugehen - der artikel sollte insbesondere festhalten, dass es so eine (spontan)demo überhaupt gab (da es sonst an keiner stelle, weder in medien noch im internet, hinweise darauf geben würde) - dabei soll kein anspruch auf vollständigkeit oder absolute wahrheit erhoben werden; es wäre schön, würden sich (in wien) mehr menschen  einer analytischen betrachtung von aktionen und demos hingeben und diese auf öffentlich leicht auffindbaren plattformen wie indymedia zur reflexion veröffentlichen. vielleicht ändert sich dann eines tages auch mal was an der "typischkeit" der wiener (spontan)demos! ...

Die Adresse des Kellerlokals der Unsterblich ist in der Herzgasse 72 im 10. Bezirk.

Dort kann man auch hingehen, wenn nicht Bullen im Großaufgebot davor rumstehen as gestern.

Bedenkt! Die Unsterblich-Leute gelten auch in den eigenen Reihen als unberechenbar und wahnsinnig. Teilweise sind sie bewaffnet und damit sind nicht Flaschen oder Stangen gemeint, sondern Schusswaffen usw. Also beachtet das bei euren Aktionen und überlegt euch Rückzugspläne sowie Schutz.

 

Ansonsten ist es lachhaft mit "Ein Hauch von Vorstadtaufstand" zu titeln - ein Aufstand schaut definitiv anders aus und benötigt um ein vielfaches Mehr an Entschlossenheit als diesen verwirrten Haufen gestern. Für Wien war es trotz allem das erste Mal seit langem, dass zumindest die Fühler ausgestreckt wurden in "da könnte doch wieder mal was gehen" - Mistkübel auf die Straße schieben ist trotzdem, steht sie allein für sich, keine revolutionäre Tat.

 

Für rasche Koordination zwischen Bezugsgruppen machen saubere Handys Sinn, ein Infoticker statt Twitter, wo - wie immer - teilweise totaler bullshit/Übertreibungen/Großmäuligkeiten/Unwahrheiten zu lesen waren und vor allem ein Plan A, was wir wollen. Plus ein Ersatzplan B plus Rückzugsplan, wenn Plan A + B scheitern. Mittlerweile fehlt in Wien nämlich schlicht und ergreifend das Know-How-to-Riot.

 

Und das gegenseitige Bashing von anderen Gruppen oder Bezugis macht es im übrigen auch nicht besser.

Also mehr Hirn und weniger dummes Gequatsche, Leute.

gewisse formulierungen waren bewusst polemisch gewählt um den diskurs und die reflexion anzuregen ;) das mit "fußballberichterstattung" nehm ich gern als kritik an; eine tiefgehendere analyse als die auf liv3 veröffentlichte war mir aber zum veröffentlichungszeitpunkt leider nicht (ohne mich auf spekulationen zu stützen) möglich; hierzu ist indymedia sicher auch die geeignetere plattform (unter abstrichen natürlich wg. der sichtbarkeit für repressionsbehörden; aber das sollte sich eh von selbst verstehen)