[B] Zu den Razzien vom 14.08.13

Razzia in der Rigaer 94 - 4

Ein Disskussionsbeitrag zu den Razzien vom 14.08.2013

Derzeit rollt in Berlin eine Repressionswelle über Teile der internationalen Bewegung gegen Gentrifizierung und Kapitalismus. Dieser Text soll alarmieren.

 

Wo die Welle ihren Anfang nahm, liegt wie so oft völlig im Dunkeln und es werden mit der Zeit sicherlich einige, aber nie alle Details ans Licht kommen. Sicher ist nur, dass in der Nacht zum 3. Mai eine Person in Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung an einem Jobcenter in Charlottenburg festgenommen wurde. In der selben Nacht gab es noch sieben weitere Anschläge , auf Jobcenter und Arbeitsämter sowie die Landeszentrale der SPD in Wedding. Die Anschläge gegen den Zwang zur Arbeit durchs Amt und die staatlich geförderte Ausbeutung und Versklavung im Kapitalismus thematisieren öffentlichkeitswirksam die Rolle der Jobcenter an den Zwangsräumungen und damit am Verdrängungsprozess in der Stadt. Sie trafen bei Betroffenen auf Zustimmung und bei der Politik ins Schwarze. Innensenator Henkel, der die Stadtpolitik stets mit Polizeigewalt flankiert, heuchelte: „Gewalt kann niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.“ - um sogleich zu drohen: „Wer versucht, Demokraten einzuschüchtern, der wird auf unseren entschiedenen Widerstand treffen“. Dass dies keine hohlen Phrasen sind, sollte sich noch zeigen.

 

Zunächst kam es am 7. Juni zu einem weiteren Vorfall. Bei einer spontanen Demonstration in Solidarität mit dem Aufstand in der Türkei, gegen die Stadtumstrukturierung in Istanbul und die autoritäre Politik Erdogans, wurden am Kottbusser Tor Bullen attackiert. Als Reaktion darauf wurden an einer anderen Stelle in Kreuzberg zwei polizeibekannte Aktivisten von den Cops festgenommen und mit dem Vorwurf des Versuchten Mordes in Gewarsam genommen. Sie werden vorgeblich verdächtigt, Molotov-Cocktails geworfen zu haben. Am nächsten Morgen krachten die Türen bei den Meldeadressen der Inhaftierten und zwei Wohnungen wurden auf den Kopf gestellt.

In den Wochen danach waren Observationen spürbar und weitere Hausdurchsuchungen zu erwarten. Diese erfolgten am 14.08. in der Rigaer 94 und in sechs Wohnungen, die unterschiedliche, teils entfernte oder gar keine Verbindungen zu den Beschuldigten haben. Insgesamt wurden bei den Maßnahmen bis zum heutigen Tage fünf Menschen zur DNA-Abgabe genötigt, einige andere konnten diese durch schnellen Beistand von Anwält_innen verhindern.

 

Das Muster der Repressionsschläge spricht die Sprache einer Stadt- und Sozialpolitik, die ihr unvermeidliches Scheitern durch Repression ausgleicht, sowie des altbekannten Paragraphen 129. Weit mehr Personen als die heimgesuchten sind in den Fokus der Sokos des Staatsschutzes geraten. Henkels politische Unterstützung sowie der Schnüffelparagraph 129 haben die rechtliche Legitimation für die geheime Durchleuchtung eines riesigen Personenkreises geschaffen. Momentan erhebt sich daher vor unserem Horizont ein riesiger Berg an Ermittlungsakten, der längst noch nicht ausgewachsen sein dürfte. Außer der Gewissheit, dass die Repressionsbehörden vor keinem Mittel zur Ausspähung unserer politischen und privaten Strukturen mehr halt machen, wissen wir konkret, dass allein schon einmaliger Handykontakt zu Beschuldigten eine Hausdurchsuchung bei einer anderen Person auslöste. Wir wissen auch, dass das BKA an den Ermittlungen teilnimmt und dass es wohl unterschiedliche Verfahren sowie 129er-Verfahren geben könnte, die sich sowohl bei den Ermittlern als auch bei den Betroffenen der Ermittlungen überschneiden.

 

Die Ermittlungen zielen wie immer nur in zweiter Linie auf die Aufklärung konkreter Straftaten. In erster Linie geht es darum, die Dynamik der lange existierenden Bewegung gegen die kapitalistische Stadt durch psychischen Terror zu schwächen. Genau in dem Jahr, in dem die oft diffusen Proteste zu konkreteren Formen gefunden haben – wie beispielsweise die Camps am Kotti und am O-Platz, die Proteste gegen die Zwangsräumungen sowie die militante Kampagne der „Berliner Liste“ – versucht der Staat die Unterscheidung von herrschaftsstabilisierenden gegenüber staatsgefährdenden Tendenzen. Der Wahlkampf zeigt nicht nur auf Bildern seine hässlichsten Fratzen, sondern widert uns einerseits mit Anbiederungen im Stile von „Stadt für alle“ oder „Für gute Mieten“ an, bringt uns andererseits nach viel Prügel auf der Straße und gewaltsamen Räumungen mit den jüngsten Verfahren den vorläufigen Höhepunkt der Unterdrückung. Während Bestrebungen, die sich in vorauseilendem Gehorsam in das bürgerlich-rechtliche Korsett zwängen, hofiert werden, werden die Bullen auf die gehetzt, die die Lügen nicht mehr glauben und die Dinge selbst in die Hand nehmen. Sicherlich ist das kein Wunder: nicht nur Spekulanten schmecken beim Wort Berlin mittlerweile einen rauchigen Beigeschmack. Für das ganze Establishment ist das Mietenthema zur ernsthaften Bedrohung geworden. Auch wenn es längst nicht soweit ist, die Macht dieses Staates ins wanken zu bringen, zeigen doch die zahlreichen Aktionen gegen die Obrigkeit, sowie das anschließende Jubeln so Vieler, dass es ein Potential in dieser Stadt gibt, an den Verhältnisse zu rütteln.

Die Herrschenden und Profiteure der kapitalistischen Stadt schätzen dieses Potential anscheinend ähnlich ein. Jedenfalls reicht die Bedrohungslage dazu, den Paragraphen 129 erneut in Stellung zu bringen.

 

Bereits bei den „Dresden Nazifrei“ Protesten, bei der antimilitaristischen Bewegung und zuletzt bei den Ermittlungen gegen die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) gab es Beschuldigungen der Bildung von kriminellen Vereinigungen nach § 129 – wie schon seit RAF-Zeiten.

Dieser Paragraph 129 ist dazu geschaffen, das bloße Existieren von Beziehungen und Strukturen von Menschen, die zu Staatsfeinden erklärt wurden, zu kriminalisieren. Kommt es zu einer „Straftat“ wie die spontane Demonstration am Kottbuser Tor, reicht es einen Menschen schwer zu Beschuldigen und ihm vorzuwerfen mit einer Organisation agiert zu haben. Die Ermittlungsbefugnisse weiten sich mit dem Vorwurf der Bildung oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schlagartig aus. Die feigen Richter unterschreiben ab diesem Zeitpunkt jeden Überwachungsbeschluss und billigen jede Hausdurchsuchung.

Bevorzugt bedient sich dann der polizeiliche Staatsschutz – so auch in den aktuellen Fällen – der Mittel der TKÜ (Abhören und Aufzeichnen von Telefon- und Internetverkehr) und der Observation beispielsweise durch Zivilpolizisten. Der Kontakt der anvisierten Person zu anderen Personen führt dann zur Aufnahme von immer mehr, pauschal der Mitgliedschaft Verdächtigten, in die Akte. Nach belieben können dann eigene Verfahren gegen immer mehr Personen eingeleitet werden, deren Umfeld dann wieder ausspioniert wird. Am Ende eines richtigen 129-Verfahrens steht dann das umfassende und computergestützte Wissen über die Art der Vernetzung eines riesigen Personenkreises.

Dabei sollte nicht erst seit den Enthüllungen des Edward Snowden bekannt sein, dass Handy und unverschlüsselte Internetkommunikation für uns genauso wenig Mittel der Verständigung sein können, wie wir all unsere persönlichen Gedanken und Gefühle in soziale Netzwerke hoch laden können. Diese „Technische Kommunikation“ verschafft dem Staat in Sekunden Erkenntnisse, für die noch vor Jahren ein riesiger Ermittlungsaufwand betrieben werden musste.

Neben den weitreichenden Informationen über den überall vermuteten politischen Feind, der uns in anderen Zeiten oder an anderen Orten den Kopf kosten würde, wirkt die Repression hauptsächlich in die Psyche der von Observationen und Anklagen betroffenen Menschen. Es soll uns mürbe machen und wir sollen erkennen, dass die Herrschaft übermächtig ist: Widerstand ist zwecklos!

Dass dem nicht so ist müssen wir uns selbst Beweisen. Dazu gehört die Einsicht, dass dieser Konflikt von der einen Seite ohne moralische Einschränkungen geführt wird. Und dazu gehört die Einsicht, dass im Falle der Repression nicht nur wir alle gemeint sind, sondern bald auch alle betroffen sind. Wir sind alle 129!

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Nur eine kleine solidarische Ergänzung ;-) :
Das Verfahren nach §129 in/um Dresden dreht sich vor allem um verschiedene Körperverletzungsdelikte gegen Nazis, jenseits von irgendwelchen politischen Großereignissen. Aufgrund der von den Bullen so konstruierten Tathergänge soll es sich bei allen Attacken auf Nazis seit 2009 um dieselbe ("kriminelle") Gruppenstrukur handeln. Der nahe Bezug zu Dresden-Nazifrei ist eher eine Fehlbetrachtung der Presse u.a.

Hier findet ihr mehr verifizierte Infos:

http://129ev.blogsport.eu/

Soligrüße nach Berlin!!!

(A)

"verschiedene Körperverletzungsdelikte gegen Nazis" ... NEIN! Hört endlich auf, euch gegenseitig weh zu tun, das bringt uns nicht weiter und euch nur in den knast!

passend: das Strategiepapier auf https://linksunten.indymedia.org/de/node/86525

und am Samstag auf die Straße mit der Mietenstopp-Demo!

im unterschied zu eurer einschätzung geh ich aber davon aus, daß es sich bei der von euch beschriebenen repression bereits um "phase 2" einer groß angelegten counter-strategie handelt, die mit der großangelegten ausforschung linker strukturen durch bundespolizei anläßlich der fahrzeugbrände begonnen hat (noch mal zu erinnern z.b. an das, was über die überwachung von mobilphone-daten in dem zshg. bekannt wurde). der politische rahmen wurde durch henkel als innensenator und seinen kumpel für justiz hergestellt - man erinnere sich in diesem zusammenhang an seinen wahlkampf mit einem beigeschmack von reichstagsbrand und die vorfälle auf der darauffolgenden berliner 1.mai-demo. der zweck ist vollkommen klar: die widerständischen strukturen, die einem umbau der city politisch im wege stehen, schwächen, möglichst ohne daß allzuviel darüber in die öffentlichkeit kommt.

 

die gesammelten daten und erkenntnisse sind die grundlage des weiteren counterangriffs: zentrale multiplikatoren ausschalten, fragmentieren, infiltrieren, isolieren, exterminieren (das droht militanten), das ganze spektrum, das in den letzten jahren bereits in nrw und zu einzelnen anlässen wie dem gipfeltreffen in rostock gelaufen ist.

 

finde es wichtig, es ihnen nicht zu leicht zu machen und endlich mal ne angemessene antwort darauf zu finden.