Wir schmeißen mit Grundsteinen... Ich höre immer wieder es ist Krise. Hhm... wessen Krise eigentlich? Eine Krise der Banken? Eine Wirtschaftskrise? Oder doch nur eine Krise des Immobilienmarktes? Ist nicht der Kapitalismus die Krise oder ist er bloß in einer Krise? Wem schadet die Krise und wem nützt sie? Deutschland scheint sie bisher ja zu nützen. Tja, aber was nützt das mir? Und wer ist eigentlich dieser Deutschland? Und warum finden den alle immer geil? Hat er in der Vergangenheit eigentlich irgendetwas Gutes gemacht? Und was hat er mit mir zu tun? Fängt er nicht regelmäßig Kriege mit Anderen an? Bringt er nicht Andere um, nur um seine Interessen durchzusetzen? Und wer sind diese Anderen eigentlich? Was macht sie anders als mich oder dich? Eine Linie auf einer Karte? Eine Mauer in der Landschaft oder in meinem Kopf? Und wer bin ich überhaupt? Bin ich eine Frau, ein Mann, nichts davon oder bin ich auch anders? Und wenn ich auch anders bin, warum will dieser Deutschland dann immer mein Repräsentant sein? Und warum brüllen ständig saufende Männerhorden seinen Namen? Und was machen eigentlich die Frauen währenddessen? Mädelsabend mit Prosecco und Germany's next Topmodel? Und sind sie froh, dass sie nicht mit brüllen müssen oder würden sie gerne, werden aber nicht beachtet oder wird es ihnen gar verweigert? Und wie kommt es eigentlich, dass in dieser ach so emanzipierten Gesellschaft immer noch vorwiegend die Frau für Haushalt und Familie zuständig ist, obwohl es gleichzeitig immer mehr sogenannte Karrierefrauen gibt? Liegt es an ihrer „natürlichen“ Eignung oder an der Gesellschaft? Was ist dran am Bild der Frau? Und wer legt eigentlich fest, wer Mann und wer Frau ist? Und ist das jetzt dieses Patriarchat?
Wut im Bauch
Jaja, den Kapitalismus, das Patriarchat und die Nation gibt es immer noch. Und nun? Bei allem, was bisherige Kämpfe, ob groß oder klein, bewirkt haben, vermochten sie nicht, diese Herrschaftsformen als umfassendes Ganzes abzuschaffen. Doch nicht allein diese Verhältnisse existieren noch, sondern auch diejenigen, die sie überwinden wollen, mit all ihrer mal mehr, mal weniger klar artikulierten Wut. Und auch wir als Verfasser_innen dieses Papiers teilen diese Wut und versuchen, Wege in eine emanzipatorische und solidarische Gesellschaft zu beschreiten. Wir teilen sie jedoch nicht mit jenen, die ihre Wut lieber auf Sündenböcke richten, als die Verhältnisse als solche anzugreifen und zu kritisieren. Dies können zum Beispiel vermeintlich antikapitalistische Faschistinnen und Faschisten sein. Wir sehen uns an dieser Stelle mit dem Problem konfrontiert, all die Gründe für unsere Wut zu benennen, ohne in eine monotone Aufzählung zu verfallen, die Gefahr läuft, Hierarchien zu schaffen oder zu vermitteln. Jede_r Einzelne von uns wurde unterschiedlich politisiert und inspiriert, wie etwa durch Frauenkämpfe, Antifabewegung, Tierrechtsbewegung, widerständige Subkulturen oder autonome Politik. Die Wege zu unseren jetzigen Standpunkten waren Mal kürzer und Mal länger, Mal steinig und Mal gut gepflastert. Diese Kämpfe treiben uns nach wie vor an, doch sehen wir sie heute im Kontext von etwa Kapital, Nation und Patriarchat. Letztere begreifen wir als etwas Zusammenhängendes das uns alle angeht.
Lieber gemeinsam als einsam!
Um diesen zusammenhängenden Verhältnissen etwas entgegenzusetzen und sie angreifen zu können, halten wir es für notwendig, ja unumgänglich, dass Menschen sich miteinander organisieren. Diese Organisierung sollte dabei jedoch auf keinen Fall zum reinen Selbstzweck verkommen, sondern sich an der Erreichung formulierter Ziele orientieren. Mal kann sich das zu einem Theoriezirkel verfestigen, mal zu einem entschlossenen Mob auf der Straße. So ist immer abzuwägen, mit welchem Mittel die Ziele im entsprechenden Moment am besten erreicht werden können. Organisierung kann aber auch bedeuten, dass gemeinsam die Wunden der staatlichen Repression oder erfahrener Gewalt versorgt werden oder schlichtweg ein fester Rahmen für Auf- und Verarbeitung alltäglicher – und oft auch persönlicher - Probleme oder Ärgernisse geschaffen wird. Gleichwohl bietet sie aber auch die Möglichkeit individuelle Fähigkeiten und Stärken zusammenzuführen. Wichtig finden wir im Kontext der Organisierung auch, dass Kämpfe nicht nur aus der eigenen Perspektive angegangen werden, sondern wir diese auch kritisch reflektieren und versuchen, uns in die Position von anderen, womöglich stärker von bestimmten Unterdrückungsformen betroffenen Menschen hineinzuversetzen.
P wie privat, P wie politisch, P wie Trennung, P wie Pustekuchen
Eine strikte Trennung zwischen politischem Handeln und dem Privaten is nich drin. Die gegenseitige Unterstützung in allen Lebensbereichen stellt für uns die Basis unseres Handelns dar, da diese auch von äußeren Umständen und unseren Befindlichkeiten bestimmt und teilweise begrenzt wird. Bedeutend ist für uns auch die Kollektivierung unserer Wut sowie die gemeinsame Aufarbeitung und das Auffangen individueller Alltagsprobleme und -sorgen. Durch die Betrachtung dieser Prozesse mit dem Wissen um strukturelle Unterdrückungsverhältnisse wird deutlich, dass es sich meist nicht um Einzelschicksale handelt, sondern diese Probleme viele Menschen umtreiben. Durch diese Erkenntnis gewinnen wir, individuell sowie als Gruppe, an Stärke. So versuchen wir der Vereinzelung in der bürgerlichen Gesellschaft etwas entgegen zu setzen. Die Grundlage für unser gemeinsames Handeln liegt unseres Erachtens somit im Privaten.
[ … ] war hier
Ob auf politischen Pamphleten, Infotischen oder Cocktailkarten – oft und nahezu überall finden sich die Stempel der jeweils Verantwortlichen. Das halten wir für überflüssig. Eine Botschaft oder Aktion verliert nicht an Wirkung, wenn sie nicht mit einem Namen versehen ist. Dass die dadurch geschaffene Ansprechbarkeit der jeweiligen Gruppen durchaus von Vorteil sein kann, wollen wir nicht zur Debatte stellen. Wir wollen stattdessen unterstreichen, dass bei einer solchen Label-Politik nicht nur Aktionen oder Texte mit einem Vorurteil besetzt sind, sei es ein positives oder negatives, das eine unvoreingenommene Betrachtung verhindert, sondern durch sie auch eine Zentralisierungstendenz mitschwingt. Dem wollen wir ein dezentrales Konzept entgegensetzen, in dem sich Individuen oder Zusammenhänge von den Aktionen oder Theorien an sich inspirieren lassen und selbst Dinge initiieren, statt dauerhaft Verantwortung abzugeben und auf einen Namen zu vertrauen. Damit soll nicht gesagt werden, dass wir uns namenlos bewegen. So wird sich sicher ab und an ein Name zur Zuordnung finden, jedoch sollte er nicht wichtiger sein, als die Publikation, Aktion oder …
Eine Seifenblase platzt selten allein...
Größere Organisierungskonzepte und Kooperationen lehnen wir nicht partout ab, jedoch geht unsere Politik zunächst von uns aus. Unsere Lebenssituation beeinflusst unser Handeln. Was nicht etwa heißen soll, dass wir die aus unserer gesellschaftlichen Position resultierenden Privilegien zementieren wollen, sondern dass wir sie aus dieser Position heraus angreifen und uns gleichzeitig mit den anders und/oder stärker von Unterdrückung Betroffenen in ein solidarisches Verhältnis setzen. Das heißt für uns, dass wir nicht für und über die Betroffenen, sondern mit ihnen sprechen und handeln. Mit ihnen und mit Zusammenhängen, Gruppen und Personen, mit denen wir grundlegende Positionen teilen, wollen wir Bündnisse eingehen. Eine Bündnispolitik, die lediglich darauf abzielt, Massenbewegungen zu generieren und dabei eigene Standpunkte aufgibt oder billigend verwässert, ist nicht die unsere. Das heißt nicht, dass wir uns in unserer Nische verkriechen, sondern unsere Kritik, Vorstellungen und Perspektiven darüber hinaus tragen wollen. Zuweilen kann es notwendig sein, in Bündnissen zu wirken, deren Forderungen uns im Grunde nicht weit genug gehen. Notwendig, um größeres Leid, reaktionäre Tendenzen und direkte Gefahren in den bestehenden Verhältnissen zu verhindern. Unsere Perspektive weist jedoch weiter. Wir streben eine Gesellschaft ohne Herrschaft, Schranken und Konkurrenz an. Das heißt auch eine stetige Reflexion eigener Denkschemata sowie eine konsequente Ablehnung des Bestehenden. Zudem ist es notwendig gewohnte Szenepositionen und eigene Ansprüche sowie Privilegien in Form von Wissenshierarchien, Sprache und spezifisch linker Diskussionskultur zu hinterfragen. Wir wollen nicht immer nur mit demselben Blickwinkel in unserer Seifenblase verharren. Daher hat die Vermittlung von Wissen, Erfahrungen und Techniken für uns einen hohen Stellenwert, um auch neuen Leuten die Teilnahme an emanzipatorischen Prozessen zu ermöglichen. Im besten Fall findet dadurch - unter anderem - eine Bereicherung um neue Perspektiven statt. Wir richten uns gegen das Wiederkäuen dumpfer Parolen, Dogmen und Ideologien. So wie sich die Formen der Herrschaftsmechanismen verändern, so müssen auch wir uns stetig auf neue Umstände einstellen und unsere Kritik daran ausrichten.
Alles muss kaputt sein!
Manchmal - leider zu selten – bricht sich die Wut in unserm Bauch Bahn und entlädt sich, mal mehr, mal weniger zielgerichtet gegen das, was uns die Luft zum Atmen nimmt. Emanzipatorische Praxis äußert sich in unseren Augen nicht nur in entschlossenem Handeln auf der Straße, sondern ebenso durch Konsequenz im Denken. Wir begreifen unsere Handlungen als direkte Folge unserer Gedanken. Das heißt, dass wir unser Handeln so ausrichten, dass es unseren Idealen entspricht. Zuweilen geht diese Konsequenz und die daraus folgende unverträgliche Haltung gegenüber dem Bestehenden mit einem gewissen Risiko einher. Und wir sind bereit, dieses auf uns zu nehmen. Zusammenfassend betrachten wir diese Haltung als militant. Militanz bedeutet derzeit allerdings auch, den Mut aufzubringen das Bestehende zu negieren und die Dinge neu und anders zu denken, um daraus konkrete Utopien zu entwickeln. Militanz bedeutet für uns auch Gegengewalt aufzubauen um die gewalttätigen Verhältnisse zu brechen und so ein Ende der Gewalt zu erreichen. Die Anwendung von Gewalt ist für uns dann ein legitimes Mittel, wenn sie darauf ausgerichtet ist eine Gesellschaft einzurichten in der alle Menschen frei von Unterdrückung, Zwang und einer Bedrohung für ihre körperliche und psychische Unversehrtheit leben und sich entfalten können. Kurz die Einrichtung einer emanzipatorischen Gesellschaft oder zumindest die Annäherung an dieses Idealbild. Die derzeitige Krise offenbart die Unfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, allen Menschen eben dieses - im besten Sinne - gute Leben zu ermöglichen. Unserer Meinung nach ist dies ein geeigneter Zeitpunkt, um die Alternativlosigkeit dieser Ordnung wieder für mehr Menschen hinterfragbar zu machen. Zum Einen indem wir unser Leben in Selbstorganisierung, soweit das eben möglich ist, in die eigenen Hände nehmen und Strukturen erproben, in denen Hierarchien - soweit eben möglich - abgebaut werden sollen. Diese Strukturen wollen wir anderen Menschen zum Beispiel geben. Und zum Anderen in dem wir versuchen dem strauchelnden Kapitalismus den nötigen Stoß zu verpassen, damit er endlich fällt. Uns ist klar, dass wir mit dem Ende des Kapitalismus noch lange nicht in der emanzipatorischen Gesellschaft angekommen sind, die wir weiter oben beschrieben haben, aber wir denken das die Gelegenheit momentan verhältnismäßig günstig ist, um zumindest einen Versuch zu starten, dieses eine von mehreren großen Übeln unserer Zeit loszuwerden.
Dieses Papier ist weder eine differenzierte Gesellschaftsanalyse, noch hat es den Anspruch, eine solche zu sein. Es legt viel mehr unsere Motivation und unserederzeitigen Standpunkte offen und stellt die Grundsteine für unsere gemeinsame Organisierung dar...
… und mit diesen Grundsteinen schmeißen wir!!
grisù,
Hannover 2013
Wenn ihr verschlüsselt mit uns kommunizieren wollt, könnt ihr unseren PGP-Schlüssel per Email bekommen. Schreibt uns dazu einfach vorab eine unverschlüsselte Mail, in der ihr nach dem Schlüssel fragt.
Viele Fragen, und jetzt? Gibt es Antworten? Und wenn ja, wer gibt sie mir? Oder kann ich sie mir selber geben? Und warum eigentlich nur mir? Gibt es nicht auch andere Menschen, die Antworten suchen? Aber Antworten kann man ja nicht essen oder drin wohnen. Und wie geht es jetzt weiter? Kann ich nur mit Antworten auf meine Fragen etwas ändern? Und kann ich allein überhaupt irgendwas ändern? Und was ist, wenn ich mich dem alleine nicht gewachsen fühle? Was ist denn mit den anderen Menschen? Haben sie vielleicht die gleichen Fragen und Probleme wie ich und könnte ich nicht auch gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen? Aber haben überhaupt alle die gleichen Probleme? Eigentlich gibt es ja genug andere, die irgendwie unzufrieden sind. Sollten wir die Veränderung nicht gemeinsam in die Hände nehmen?
Anarchist*in aus dem Südwesten
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Viel Erfolg und passt aufeinander auf!