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Im Herzen von Istanbul gibt es am Taksimplatz einen kleinen Park, der Gazi Park. Dieser Park, eine der letzten grünen Streifen in der Innenstadt soll nun plattgemacht werden und einem Einkaufszentrum weichen. Profiteure dieser Aktion sind AKP-nahe Geschäftsleute.

Der Taksimplatz selbst ist umkämpftes Terrain. Am 1.Mai 1977 erschoss ein unbekannter Mann dort 36 Menschen. Daraufhin wurden die 1.Mai-Demos am Platz verboten, was in regelmäßigen Straßenschlachten endete. In den letzten Jahren wurde es ruhiger, die Demos konnten auch am Taksim stattfinden, erst dieser Jahr wurde mit der Begründung Bauvorhaben die 1.Mai-Demo wieder verboten. Es kam wieder zu Straßenschlachten.

Am 28.Mai wurden die gerade eben begonnen Bauarbeiten durch eine Handvoll Aktivist_innen gestört. Dies war der Startschuss für die jetzigen Proteste. Mehr und mehr Menschen kamen, und ein kleines Camp wurde errichtet. Doch Ministerpräsident Erdogan verkündete, dass die Entscheidung gefallen sei, und das Shoppingcenter gebaut werde. Folgerichtig räumte am 30.Mai die Polizei den Park, verbrannte die Zelte und riss neugepflanzte Bäume aus.

Doch die Aktivist_innen gaben nicht auf. Noch am gleichen Tag wurde der Park erneut besetzt, diesmal schon mit tausenden Menschen. Die Aktionen waren bis dahin völlig gewaltfrei und orientierten sich stark an die Occupy-Proteste 2011.

Am nächsten Tag, der 31.Mai, um 5:00 in der Früh räumte die Polizei erneut und setzte da bei Unmengen an Tränengas und Wasserwerfer ein. Die Eingänge des Parks wurden verbarrikadiert, so dass eine Neubesetzung ausgeschlossen scheint. Aktivist_innen riefen für 12:00 zu einer Solidemo am Taksimplatz außerhalb des Platzes auf. Doch noch bevor diese starten konnte, zersprengte sie die Polizei. Menschen wurden in die umliegenden Straßen verfolgt, mit Pfefferspray eingesprüht und mit Wasserwerfer beschossen.

Doch die heftige Polizeigewalt schaffte es nicht, die Proteste mundtot zu machen – ganz im Gegenteilt. Immer mehr Menschen kamen auf die Straße und ließen ihren Unmut freiem Lauf. Aus einem lokalen Umweltprotest wurde ein generalisierter Anti-Regierung-Aufstand. Es ging nicht mehr nur um den Park, es ging gegen die islamisch inspirierten autoritären, repressiven und korrupten Regierungspolitik. Bei den Polizeiangriffen kam es zu vielen Opfern. Nicht nur Aktivist_innen waren betroffen, auch Anrainer_innen und Tourist_innen. Laut verschiedenen Gerüchten gab es bis zu 13 Toten. Bestätigt wurde bislang 1 Todesopfer, und der Zusammenhang mit den Protesten ist unklar. Wer aber die Fotos und Videos vom Taksimplatz und der Umgebung gesehen hat, hält vieles für möglich. Tränengaswolken, laut Berichten auch von Helikoptern verschossen, waren über die ganze Stadt zu sehen. Dazu passt auch die Aussage des Gesundheitsministers, der sagte: „Wer gegen die Regierung demonstriert, der braucht keine Hilfe und Rettungswagen erwarten.“

Die türkischen Medien berichteten so gut wie gar nicht über die Proteste, und infolge dessen sind auch westliche Medien langsam. Über socialmedia gibt es in der Zwischenzeit sehr viele Infos in verschiedenen Sprachen.

Die Demonstrant_innen gaben nach und nach ihre völlig gewaltfreie Haltung auf. Um den Taksimplatz wurden brennende Barrikaden errichtet, viele Überwachungskameras wurden zerstört und immer öfters kam es auch zu Steinwürfen gegen die Polizei. Viele Anrainer_innen solidarisierten sich, indem sie mit Pfannen aus ihrem Fenstern Krach machten. Auch die Fangruppen der verschiedenen Fußballvereine legten für einen Moment ihre Feindschaft beiseite und demonstrierten gemeinsam gegen die Polizei. Dabei konnten sie einem Polizeiwagen in ihren Besitz bringen. Die Auseinandersetzungen dauerten bis tief in die Nacht, mehrere Zehntausend Menschen sollen sich daran beteiligt haben.

Auch in anderen Städten kam es zu Anti-Erdogan-Kundgebungen. In Ankara und Izmir wurden sie massiv von der Polizei angegriffen. In zumindest einer Stadt konnten Auseinandersetzungen verhindert werden, da viele Polizist_innen die Befehle verweigern. Allein in Istanbul sollen 1000 Polizist_innen desertiert sein. Auch außerhalb der Türkei kam es zu spontanen Solidemos.

Heute in der Früh war kein Ende der Proteste zu sehen. Tausende Menschen zogen über die Bosporus-Brücke in Richtung Taksim. Auf der europäischen Seite, in Besiktas wurden sie von der Polizei mit Tränengas erwartet. Die Menschen ließen sich jedoch nicht aufhalten, und über Stunden wurde den Angriffen der Polizei getrotzt. Dabei wurden wieder Barrikaden gebaut und Steine geworfen.

Schlussendlich musste sich die Polizei zurückziehen, und der Gezi Park konnte erneut besetzt werden. Im Moment herrscht Volksfeststimmung. Laut Berichten sind bis zu 500 000 Menschen am Platz.

Ministerpräsident Erdogan machte in der Zwischenzeit die Opposition für die Proteste verantwortlich und kündigt weiterhin ein hartes Durchgreifen der Polizei an. Präsident Gül mahnte jedoch die Sicherheitskräfte zur Mäßigung. Wie es weitergehen wird, ist völlig unklar.

Dieser Bericht basiert auf deutsch- und englischsprachige Tweets und Blogs, auf Fotos und Videos. Er wurde zwar mit besten Gewissen geschrieben, Falschmeldungen sind jedoch nicht auszuschließen. Deswegen bitte ich um Ergänzungen, Richtigstellungen und Updates. Vielen Dank!