Extremisten veröffentlichen im Internet Adressen von Wohnungseigentümern, Unternehmern und Politikern – und rufen zu Gewaltaktionen auf. Die Bedrohung wirkt wie ein Gift auf das freie Lebensgefühl in dieser Stadt. Die Polemik eines Betroffenen.
Von Stephan Wiehler
Ich bin ein Angriffsziel. Ein potenzielles Opfer. Das ist ein mieses Gefühl. Das Haus, in dem ich wohne, steht auf der Abschussliste, genauer: auf der „Berlinerliste – MieterInnen stressen zurück“. Eine Internetseite, die „für kreative Aktionen gegen Verdrängung“ wirbt. Darunter Dutzende Adressen: Neubauprojekte, Wohnungsbaugesellschaften, Investoren, Immobilienunternehmen, Makler, Agenturen und Verbände, Polizei- und Justizbehörden, Jobcenter, Senatsverwaltungen, Abgeordnetenhaus, Rotes Rathaus. Sogar die „Stiftung Zukunft Berlin“ steht auf der Liste.
Wie solche Aktionen aussehen könnten, zeigen sieben Piktogramme in gelben Kreisen: ein Pinsel; ein Bus, aus dem sich Fahnen schwenkende Demonstranten herauslehnen; eine Sprühdose; eine brennende Mülltonne; Farbkleckse an der Wand; ein Schraubenschlüssel gekreuzt mit einem Schraubenzieher; eine Computertastatur.
Was lässt sich damit anstellen? Alles Mögliche vermutlich, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Gesucht sind offenbar Leute, die den Mut haben, der Anstiftung Taten folgen zu lassen. Davon finden sich genug, wie unter dem Link „Aktionen“ nachzulesen ist. Eine Sammlung von Bekennerschreiben zu Anschlägen. Allein im Mai kam einiges zusammen: Die „Autonome Gruppe-Safaritour“ rühmt sich, in Kreuzberg das frisch gegossene Betonfundament für einen „Luxusneubau“ geflutet zu haben. Nächtliche „Besuche“ auf Baustellen, Brandstiftungen und Farbbeutelattacken, verhinderte Zwangsräumungen, Angriffe auf Jobcenter, die SPD-Zentrale in Wedding („verantwortlich für die ganze Hartz4-Scheiße“), eine Farbsprüherei an der Fassade des Landgerichts: „Zwangsräumung tötet!“
Auf der nach oben offenen Skala der Eskalation ist Luft für jeden Irren, der zu mehr entschlossen ist. Bei unserem Kinderarzt, der eine Neubauwohnung in einer Parallelstraße bewohnt, flogen Steine durchs Fenster – und landeten im Kinderzimmer. Die Botschaft ist angekommen: Wir sollen uns nicht sicher fühlen. Wir können die Nächsten sein.
Wir, das sind meine Frau und ich, zwei Kinder, sechs und zehn. Ich lebe seit 23 Jahren in Berlin und habe nie jemanden verdrängt. Wir haben hier eine Familie gegründet, wir arbeiten hier, wir lieben diese Stadt. Und ja, uns geht es vergleichsweise gut, wir gehören wohl zu den Besserverdienenden. Wir haben uns eine Eigentumswohnung gekauft – auf Kredit. Für den Neubau musste kein Mieter weichen. Wir fühlen uns unschuldig.
Ich habe Anzeige erstattet - gegen Unbekannt
Aber wozu soll ich mich rechtfertigen? Gegen Terror nutzen keine rationalen Argumente. Wer versucht, sich herauszureden, ist schon eingeschüchtert. Angst, das ist für Extremisten die halbe Miete.
Ich habe Anzeige erstattet – wegen Bedrohung und Anstiftung zu Straftaten. Gegen Unbekannt. Die Opfer haben Namen, die Täter nicht. Die linksradikalen Webmaster operieren im Schutzraum der Anonymität, wie ihre Mittäter, die auf der Seite neue Angriffsziele vorschlagen, sich mit bewaffneten Gruppen solidarisch erklären, zum „Kampf der Lohnarbeit als Sklaverei!“ oder zur „Sabotage der kapitalistischen Stadt“ aufrufen.
Was haben wir damit zu tun? In unserem Haus wohnen Italiener, Franzosen, Holländer, Deutschrumänen, Linksliberale und Konservative, Schwule, Atheisten und Juden. Ich glaube, es sind drei Juden. Das reicht nicht, um Polizeischutz zu beanspruchen. Sollen wir Brandwachen an den Mülltonnen aufstellen? Oder nach München umziehen?
Bloß nicht übertreiben! Ist ja nur eine kleine Minderheit, die uns bedroht, und noch kleiner ist die Gruppe militanter Extremisten. Aber es ist eine mächtige Minderheit, die längst bestimmt, wo Guggenheim kein Lab errichtet, wo Investoren bauen dürfen und Neuberliner besser nicht schwäbisch schwätzen. Sie vergiftet das Lebensgefühl in einer Stadt, die sich so gerne als weltoffen und tolerant ausgibt.
Wo immer die Drohungen Wirkung zeigen, gibt die Stadt ein Stück Freiheit preis. Das geht uns alle an. Ich höre sie schon höhnen, die autonomen Webmaster: Jetzt wird er pathetisch und ruft nach Verstärkung! Stimmt. Es ist ein mieses Gefühl, zum Opfer erklärt zu werden.
Hallo Stephan
jetzt stehst du auch persönlich drauf.