Bevor
wir tiefer einsteigen: Ein Strategiepapier, wie wir es hier
unterbreiten wollen, geht womöglich am tatsächlichen Zustand der
radikalen Linken vorbei. Die Kongresse der Autonomen, auch die Camps,
z.B. im Bereich Antifa, haben vor allem eines gezeigt: Zu
weiterreichenden und vertiefenden Diskussionen fehlen entsprechende
Strukturen. Womöglich bilden größere Städte die Ausnahmen – doch auch da
haben wir unsere Zweifel. Autonome Gruppen sind im Sinne einer sozialen
Struktur Ausnahmeerscheinungen geworden. Wir haben nicht den Anspruch,
die Gründe dafür in diesem Text zu analysieren. Es kann aber sein, dass
dieses Papier, so befürchten einige von uns, vielleicht begrüßt wird,
wie so einige andere Papiere zuvor auch schon. Vielleicht wird es für
„gut“, „interessant“ oder „kritikwürdig“ erachtet. Um dann sogleich in
der Beliebigkeit politischer Themen, den Verstricktheiten mit sich
selbst/den eigenen Strukturen, den Alltagsmühen und/oder der eigenen
Unorganisiertheit zu versanden.
Dass dem nicht so wird, soll erstens
nicht an uns liegen – darum der Beitrag. Und zweitens entscheidet auch
Ihr darüber, ob es uns gelingt, die Abwehrkämpfe gegen Mieterhöhung und
Zwangsräumungen offensiv zu wenden. Denn das sind uns die derzeitigen
Kämpfe – z.T. offensiv geführte Abwehrkämpfe, die oft neben einander zu
stehen scheinen und denen noch eine übergreifende Analyse und
gesellschaftliche Vision fehlt.
*Strategiepapier aus anarchistischer Sicht*
Eigentum verpflichtet – zum breiten Widerstand
oder
Begrüßen Sie mit uns die Sprengung von Stadtschlössern u.ä.
Tragen wir die Wut in alle Städte
1
Wir reden einer Stärkung der militanten Bewegung das Wort. Militanz ist kein Selbstzweck und meint nicht ausschließlich das Mittel der Gewalt, um politisch emanzipatorische Ziele zu erreichen. Militanz kann ebenso die Beteiligung und Durchführung, auch die Inszenierung von Aktionen und Bündnisse beinhalten, die aus politischen Gründen auf militante Aktionen im Bündnisrahmen verzichtet, aber durch unsere Beteiligung ein solidarisches Verhältnis zu militanten Aktionen herstellbar macht.
Militanz ist eine politische Haltung zu allen Formen der Herrschaft und Dominanz und sucht nach Wegen, diese zu brechen und einen Prozess der egalitären Organisierung der Menschen an sozialen Fragen zu unterstützen, zu bewerkstelligen, selber anzuschieben und die Strukturen dafür zu stellen. Militanz heißt nicht Bündnisse zu meiden, in denen Menschen mit anderen Anschauungen und Schwerpunkten sitzen, sondern im Gegenteil als militante Kraft mit anderen Kräften nach gemeinsamen Wegen zu suchen, eine Gesellschaft oder einen sozialen Konflikt im Sinne einer egalitären Gesellschaft zu unterstützen und mit anderen Kräften voranzubringen. Militanz schließt nicht unbedingt Bündnisse mit Strukturen aus, die an der Basis diverser Parteien arbeiten, strebt dies aber nicht an und versucht in erster Linie, eine Basisorganisierung, fernab institutionalisierter Organisationen, um außerparlamentarische Kräfte zu stärken und deren Erfolge abzusichern. Aber – und davon unterscheidet sich unser Vorschlag von reformorientierten, sozialdemokratisierten Linken – wir verfügen über eine größere Widerstandspalette. Militante Aktionen sind und bleiben Optionen, ihre massenhafte und gewissenhafte Anwendung und Ausweitung bietet Mittel im Ringen für eine andere Stadt und letztlich für eine von Herrschaft befreite Gesellschaft. Sie eröffnen größere Handlungsspielräume und können günstigstenfalls das Zeug dazu haben, Ohnmacht zu durchbrechen – in Situationen, wo eine öffentliche Mobilisierung Kräfteverhältnisse noch nicht mal ansatzweise in Frage stellt.
Politische Transformation des Projektes „Autonome“
2
Wir regen dringend eine Orientierung der autonomen Gruppen und vereinzelten Strukturen hin zur sozialen Frage an. Die historischen Erfahrungen der Autonomen sind für die Strukturen von Bedeutung, aber die autonomen Gruppen sind möglicherweise in ihren bisherigen politischen Koordinaten nicht mehr politisch handlungsfähig, bzw. als organisierte Kraft möglicherweise nicht mehr überlebensfähig, bzw. haben sich als politisches Projekt möglicherweise überlebt.
Wir regen eine Organisierung mit sozial-revolutionärer und anarchistischer Orientierung an, auch damit versprengte Einzelpersonen und Kleingruppen ihre Kräfte neu bündeln, ihrem Verschwinden als soziale Struktur entgegen wirken und sich einen neuen politischen wie sozialen Ort geben können. Das Prinzip anarchistischer Utopie und die Form einer sozialrevolutionären Ausrichtung des Kampfes an sozialen Fragen orientiert sich für uns am Ziel einer durch und durch herrschaftsfreien Gesellschaft. In dieser sind nicht nur die Klassenwidersprüche aufgehoben, sondern auch die sozialen Hierarchien zwischen den Geschlechtern und die zwischen den Hautfarben – soweit sind dies Positionen, mit denen Autonome mitgehen. Doch führt kein Schritt dorthin über eine selbstgerechte und identitätszentrierte Lebensweise, die glaubt, schon heute im Besitz der Wahrheit zu sein und entsprechend Differenzen zu Anderen für ein Hindernis für gemeinsame Erfahrung bzw. die eigene Subkultur schon für befreites Gebiet hält.
Damit meinen wir, dass wir uns in die Mitte der Gesellschaft – und das heißt auf die abgehängten Mehrheiten an den Rändern (!) zu – bewegen müssen. Wir sollten und müssen den Kontakt mit Menschen aufnehmen, die unsere Unterstützung begrüßen würden oder die sich durch ihre Kämpfe als BündnispartnerInnen anbieten. Auch wenn deren Kämpfe von uns erst mal gar nicht als politisch definiert werden, weil sie nicht unserer Logik und unserer Vorstellung davon folgen, was wir gewohnt sind als Widerstand zu definieren, weil es sich kein politisches Etikett umhängt – in der Analyse des arabischen Frühling übrigens auch als „Nicht-Politik“ bezeichnet. Sozialrevolutionär heißt nicht nur soziale Kämpfe mit zu entwickeln, sondern auch bereits stattfindende Kämpfe wahrzunehmen. Es heißt eventuell auch Kämpfe zu stärken, die mit Kampfformen aufwarten, die sich z.B. ein Subproletariat (ausgegrenzte Bevölkerungsschichten, Migrantinnen etc.) selbst gesucht hat und daher zwar alltagsorientierten Widerstandsmöglichkeiten, nicht aber linken Traditionen entsprechen.
Spontane Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen, setzt auch tragfähige Strukturen und Orte voraus, die dies möglich machen. Wir bedauern sehr, das wir nicht in der Lage waren, dem inhaftierten Brandstifter von Luxusautos politisch zu Hilfe zu eilen, dessen Taten, obwohl sehr politisch von ihm begründet (Keine Arbeit/Hartz IV), in der Öffentlichkeit unwidersprochen entpolitisiert wurden. Dass er gleichzeitig „Mormone“ ist, wirft zwar Fragen auf, ist aber kein Hinderungsgrund zur Solidarität.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es immer Menschen geben wird, die unsere Widerstandsformen aufgreifen, weil sie sich inhaltlich mit den Zielen identifizieren, bei denen es sich aber seltenst um Menschen handelt, die unseren Szeneattitüden und -konditionierungen entsprechen. Da wünschen wir uns mehr Offenheit und Neugier (Positiv z.B. der „Fall“ von Dennis, der von den Bullen erschossen wurde, aber zu dem es bis dahin keine sozialen Verbindungen gab, oder auch bei den unterschiedlichen Leuten, die um Unterstützung bei Zwangsräumung bitten).
Militante Stadtteilgruppen – das Salz in den Suppen?
3
Wir schlagen vor, entlang der in einigen Städten bereits laufenden Kampagnen gegen Mieterhöhung, Armut, Luxusprojekten, Großprojekten,Verdrängung, als soziale Kraft präsent zu sein, in Bündnissen als organisierte Kraft aufzutreten und Bündnisse aufzubauen, die diesen Namen auch verdienen. Dabei denken wir an Strukturen, die explizit so aufgebaut sind, dass sie einen außerparlamentarischen Charakter stärken und andererseits Erfahrungen und Austausch mit anderen Strömungen erlauben, die sich einer außerparlamentarischen Perspektive von Kämpfen verbunden fühlen und einem Deal mit den Mächtigen aus aktuellen oder zurückliegenden Erfahrungen kritisch gegenüber stehen. Wir können in solchen Strukturen nicht unsere politischen Kodexe und Attitüden pflegen, sondern müssen daran arbeiten, genau diese zu überwinden, um jenseits identitärer Zuschreibungen tatsächliche Kommunikationen mit anderen Menschen zu ermöglichen. (Eine interessante Frage ist sicherlich, dass von „uns“ herrschende Bilder existieren, die in vielen Köpfen eingepflanzt sind, die wir aber auch selbst mit produziert und reproduziert haben. Gelingt es, Attitüden zu trennen und beiderseitig aufzubrechen?)
Das Aufbrechen von Vorurteilen gelingt darüber, auch als militante und anarchistische Menschen in Erscheinung zu treten, für politische Postionen einzustehen. Das ist gut, weil wir ansprechbar sind und auch Orientierungen in Bezug auf gesellschaftliche Utopien und Wege dorthin aufzeigen können. Das erfordert darüber hinaus im Austausch mit anderen Menschen, Strömungen und Gruppen – sofern sie kein funktionales Verhältnis zu der Arbeit in diesen Bündnissen oder dem politischen Ziel haben – voneinander zu lernen und die eigenen Positionen hinsichtlich Verständlichkeit und Fehlern hinterfragen zu lassen. Das hat aber auch problematische Seiten, weil die öffentlichen Strukturen auch für etwaige Fehler oder Unverständlichkeiten nicht nur ansprechbar sind, sondern auch haftbar gemacht werden können. Die politische Verteidigung der öffentlichen Militanten – im obigen Sinne – ist eine Aufgabe aller Militanten. Das gilt auch umgekehrt. Militante Aktionen können selbstbewusst verteidigt und politisch gegenüber der Öffentlichkeit vermitteln werden, wie auch Repressalien und Medienhetze gegenüber militanten Aktionen ebenso souverän zurück gewiesen werden können. (In diesem Sinne grüßen wir Sonja Suder im Knast. Ihr wird ein Anschlag auf das Heidelberg Schloss weit vor unserer Zeit als Protest gegen die damalige und dortige „Kahlschlagsanierung“ zur Last gelegt.)
Der Kontext im Kleinen ...
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Die militanten und radikalen Linken haben maßgeblich das Thema Gentrifizierung, Mieterhöhung und Verdrängung in Berlin eingebracht. Es hat sich hinsichtlich Armut inhaltlich erweitert. Nach der außerparlamentarischen Mietenstoppdemonstration mit einer Graswurzelmobilisierung in den Stadtteilen, entstand der politische Durchbruch, mit dem das Thema gegen jede Leugnung der Parteien, in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde und zum Skandalfall wurde. Das dies von sozialdemokratischen Linken eher negiert wird, ist für uns bedeutungslos – wir müssen uns die Frage stellen, wo die nächsten Akzente zu setzen sind.
Der Aufbau widerständischer Stadtteilgruppen und deren Vernetzung hat diese Vorarbeit geleistet, in dessen Windschatten einige reformorientierte, auf ihre partikularen Interessen setzende Personen und Grüppchen, segeln konnten. Es ist eine Erkenntnis der letzten Jahre, dass die selbsternannten Anführer von Bewegungen und Projekten in der Regel liberalere Positionen vertreten und Verantwortlichen der Verdrängung, wie Parteien, harmonisierender gegenüber treten, als eine wütende Basis, als die unmittelbar Betroffenen, die sich oft nur noch schwer beherrschen können oder wollen und für radikalisiertes Denken offen sind. Empörung und Zorn wird von den liberalen Anführer_innen gerne in Bahnen des „vernunftorientierten Handelns“ kanalisiert und entmündigt die Betroffenen in ihrer Wut. Sie kommen damit durch, weil wir (!) ihnen zu oft den Raum und die Initiative lassen und weil ihre Dominanz, ihr Know How, ihre Ressourcen, ihre politische Erfahrung und ihre Organisationsfähigkeit sie dazu in die Lage versetzen und sie als Wort- oder gar AnführerInnen anerkannt werden. Die liberalen Anführer einer solchen Politik handeln aus Kalkül: Die verhassten Parteien sollen wieder Etablierung in sozialen Bewegungen finden, wo die Leute eigentlich die Schnauze voll haben von den Lügen der Parteien. Die gewählten Machtvertreter_innen zahlen in Anerkennung und symbolischer Teilhabe. Auf dieser Basis können dann die Bewegungsführer_innen als geachtete Ansprechpartner der Gegenseite agieren.
...und die böse Regierung...
Wenn zu einer Demonstration mit Parteien aufgerufen wird, wie „Diese Regierung macht uns arm“, so wird spätestens hier die verkürzte, populistische und konzeptionslose Position manifest. Rot-Grün, den Konstrukteuren der Agenda 2010 mit ihrem verhassten Meisterstück Hartz IV und Rot-Rot in Berlin, die in dieser Stadt acht Jahre lang neoliberale Standort-Stadt-Politik gemacht haben, bekommen wieder politische Glaubwürdigkeit geschenkt. Eine solche taktische Vorgehensweise muss politisch scheitern, indem sie eine neue Runde der vermeintlichen parlamentarischen Alternativen einleutet und der Wut auf die entmündigende Stadtpolitik aller Parteien die Spitze nimmt.
Indem das Problem, die Situation der Mieter_Innen vor Ort, von seinem gesellschaftlichen Kontext gelöst wird, erzeugt die Perspektive eines Regierungswechsels Hoffnung auf jene, die diese Scheiße mit zu verantworten haben. Diejenigen – das garantieren wir –, die aus der Hoffnung der Betroffenen Wahlstimmen schmieden, werden auf dem Amboss der Realpolitik eine weitere Waffe für den nächsten Betrug an eben diesen Betroffenen zurecht hämmern.
Darüber hinaus sind wirkliche Erfolge nicht auf Kosten anderer Kämpfe machbar. Das macht aber den Kern reformistischer und sozialdemokratisierter Herangehensweise aus: fördere und fordere, teile und herrsche. An Oberflächenphänomenen herum zu pfuschen, statt sich einer sozialen Verbindung mit anderen Gruppen zu stellen.
Unabhängig davon wird Drittens die historische Erfahrung mit staatlicher Herrschaft völlig verdrängt. Aufgabe der staatlichen und staatsnahen Institutionen, der Parteien mit ihren inkompetenten aber machtbewußten VertreterInnen ist die Sicherung von Ruhe und Ordnung. Sie haben keine emanzipatorischen Optionen, außer wir zwingen sie ihnen auf. Es ist ja nicht erst eine Erkenntnis der letzten Jahre, dass von Oben keine emanzipatorischen Impulse kommen. Und was brav oder höflich von unten kommt, wird abgespeist: Mal wird auf den Senat verwiesen, mal auf den Bundesrat, dann auf den Bundestag, dann auf Europa, und letztlich auf den lieben Gott.
Das macht ja aktuell auch das große Fragezeichen aus, das sich eine Bewegung zu stellen hat. Das ist die Stärke einer militanten Bewegung und ihre Schwäche zugleich. Die an die Wurzeln gehenden Fragen werden zwar richtig gestellt – aber die Antworten sind eher noch dürftig, mal abgesehen von der Kampagne gegen Zwangsräumungen, den eher subkulturell angelegten, aber eindrucksvollen Kämpfen wie Liebig 24, oder auch zielgerichtet zugerichteter Autos wie z.B. von Ziegert Immobilien oder verkohlte Luxuskarossen.
Die Arbeit von Stadtteilgruppen kommt genau da an ihre Grenzen, wo sie die Verhältnisse so überzeugend beschreibt,dass sogar Boulevardblätter wie Berliner Kurier und BZ zu Fürsprechern der Mieter_innen werden, dabei aber die Tatsache, dass trotzdem einfach alles so weiter läuft, völlig verschleiern und sich lediglich an den spektakulären Einzelfällen ergötzen. Insofern entspricht das, was am Kotti in seinen Qualitäten und Begrenztheiten möglich ist, der Entwicklung einer militanten Bewegung. Eine Selbstbefragung, zum Beispiel entlang von Aufgabe und Funktion radikaler Stadtteilgruppen, deren Qualität, deren Begrenztheit und des „Wie-weiter?“ scheint uns angeraten. Dabei ist uns wichtig, dass wir die Auseinandersetzung immer mit den Basisstrukturen, den direkt Betroffenen suchen, auch unter Umgehung der liberalen Anführer und Anführerinnen, die meist der Mittelschicht entstammen, weil wir wissen wollen, woran wir sind. Wir unterscheiden denn auch deshalb inzwischen beispielsweise zwischen „Kotti & Co“ und den Mieter_Innen vom Kotti.
„We love Kotti“ als Aufkleber hat eines erreicht: eine große Verbreitung. Aber der Slogan arbeitet mit dem Kotti als Label und bleibt populistisch, wie „Ein Herz für Kinder“ oder „Sei Berlin“ als Kampagne für die Touristenschwemme. Am Kotti werden und wurden die Junkies verdrängt und ein größeres Kamerasystem wurde zur Überwachung gegen Kriminalität eingesetzt – egal ob sie den Kotti lieben oder nicht. Das Verhältnis zu den MieterInnen am Kotti bleibt prinzipiell solidarisch aber auch realistisch.
...und das Recht auf Stadt...
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„Recht auf Stadt“ gefällt uns nicht. Im Gegensatz zu seiner historischen Herkunft wird der Begriff nicht als radikaler Kampfbegriff, sondern als umfassende, inklusive Parole verstanden und benutzt. Diese Bedeutungsverschiebung hierzulande geht einher mit der Favorisierung des Begriffes durch die akademisierte Mittelstandslinke – nicht ohne Grund wie wir meinen. Denn die Klassenfrage verschwindet in dieser Begrifflichkeit. Recht auf Stadt: Das beanspruchen Investoren für sich schon seit langem und neokonservativen Ökos ebenfalls. Die Eigentumsverhältnisse regeln dieses Recht auf Stadt, Investoren definieren, wie die freien Felder bestmöglich zu bebauen sind. Dabei springen bestenfalls Quoten fürs soziale Gewissen derjenigen raus, die als Gewinner in der Klassengesellschaft leben und profitieren: 1 Drittel Luxuseigentum, 1 Drittel Luxusmiete und 1 Drittel auf Berechtigungsschein oder ähnliche Zuweisungsmethoden, so der Vorschlag der schwarz-roten Regierung derzeit. So planen sie einen exklusiven Wohnungsbau mit sozialem Feigenblatt, der jedoch die breite Masse der Gesellschaft ausgrenzt und dem Wahnsinn einer rendite-orientierten Stadtplanung und Immobilienwirtschaft ausliefert.
Entscheidend für uns: Wir wollen kein Recht auf Stadt. Wir scheißen drauf. Wir nehmen uns was wir brauchen, wenn wir können und zwar entlang der Klassenfrage, die wir neu definieren. Die Ausgegrenzten dieser Zeit heißen Nurjet, Kalle, Rosemarie & Ali. Das „Recht auf Stadt“ tut so, als ob Nicht-Teilhabe ein Systemunfall und über ein entsprechendes Recht ausgeglichen werden könne. Aber das funktioniert so nicht in einer Stadt mit einem gesetzlich und politisch abgesicherten Rechtsrahmen, dessen Funktion es ja gerade ist, Menschen klein, arm, ängstlich, abhängig und fügsam zu halten, damit sie weiterhin bereit sind, sich den Anordnungen ihrer Chefs und Vorsitzenden weiterhin unterzuordnen. Es kann also nicht um weitere „Rechte“ innerhalb dieses Rahmens gehen, sondern um die Zerstörung dieses Rahmens, der die Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse je nach Epoche zwar immer mal wieder auseinandernimmt, neu sortiert und wieder zusammensetzt aber immer gewaltsam garantiert. Innerhalb dieses Rahmens ein Recht auf Stadt als Parole auszugeben, verfestigt die ja eben gerade rechtlich gesetzte Herrschaft des Privateigentums. Recht auf Stadt will den Aufstand gegen diese Herrschaft nicht mal proben, sondern breitest mögliche Anschlussfähigkeit herstellen – über Klassendifferenzen hinweg, diese so aber nicht beseitigend, sondern viel eher reproduzierend.
Ähnliches gilt auch für „Stadt für alle“. Denn was heißt das anderes als „Stadt für alle“, wenn auch wir, die Ausgegrenzten, einen Platz in der Stadt einfordern? Aber die Eigentumsverhältnisse garantieren ja gerade, dass es gar kein Recht auf irgendetwas anderes als Privateigentum geben kann, soll und darf. Und über unsere Armut sind wir von diesem Eigentum ausgeschlossen. Daher auch kein Recht auf Stadt für uns und auch keine Stadt für alle, solange das Privateigentum dominiert. „Die Schöne Stadt - Stadt ohne Eigentum“ halten wir dem entgegen. Häuser denen, die sie brauchen und Immobiliennutzung für menschengemäße Zwecke statt zur Spekulation. Vor diesem Hintergrund wird klar, wie wir in dieser Stadt wohnen wollen: Wir wollen in den Villen der Reichen unsere Konzerte veranstalten, wenn diese sich gerade in einem geilen Theaterstück über Gentrifizierzung gruseln. Wir wollen die Villengegenden dieser Stadt sozial aufmischen: Gleiche Lebensverhältnisse vom Villenkiez bis in den Wedding. Nicht weil wir reiche Menschen hassen, sondern weil wir eine andere Gesellschaft wollen, in der die gehobenen Klassen sich in eine soziale Gemeinschaft einfinden, die auf herrschaftsfreier Basis gar keine Privilegien von Menschen über Menschen mehr bereit ist zu akzeptieren. „Recht auf Stadt“, als Parole vielleicht gut gemeint, geht an den realen Umständen und Anforderungen einer radikalen und außerparlamentarischen MieterInnenbewegung vorbei.
… und der Kontext im Großen.
6
Aus dem oben genannten resultiert für uns vor allem aber auch eines: Der Kiez, der Stadtteil, der Bezirk, die Stadt, sind begrenzte Felder der Veränderung. Das Modell einer neoliberalen Stadt ist nur im Kontext einer neoliberalen Welt begreifbar, die alles zur Ware macht. In diesem Kontext müssen unsere Kämpfe eingebettet sein. Zum Teil läuft das in Bezug zu Griechenland oder auch zu Spanien am Beispiel der Zwangsräumungen.
Wir prognostizieren für die Zukunft einen Clash an sozialen Fragen. International und selbst in diesem weitestgehend als befriedet erscheinenden Land. Die Absicherung militanter Kämpfe auf internationaler Ebene muss auch in diesem Land stattfinden. Die luxuriöse Haltung vieler linker Gruppen, soziale Konflikte von außen zu beobachten und zu kommentieren, muss dringend aufgegeben werden. Wir sind aufgefordert, uns zu organisieren und nach Formen einer Organisierung zu suchen, die sich gegen Infiltration behaupten kann, indem sie auf breite Erfahrung und Weitergabe von Erfahrung setzt, indem sie militante Aktionen als Teil ihres Bewegungsselbstverständnisses etabliert und diese Strukturen selber trägt. Die Weitergabe breiter Erfahrung, die Revolutionierung sozialer Auseinandersetzungen und auch ständiges kritisches Hinterfragen eigener militanter Perspektiven hinsichtlich des Zieles herrschaftsfreier Gesellschaften sind ein wichtiger Schutz gegen Manipulation und Steuerung von sozialen Kämpfen durch die Gegenseite. Gegen die Zersetzung von Bewegungen, auch von Innen heraus, sind die Abwehr der Herausbildung hierarchischer Strukturen sowie einzelner nicht autorisierter WortführerInnen/SprecherInnen Teil eines politischen Selbstverständnisses, das wir als Selbstverständlichkeit immer wieder einfordern wollen.
Die Orientierung an den Überflüssigen ...
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Die sozialen Widersprüche, die sich für den ärmeren Teil der Bevölkerung ergeben: Den Umständen, unter denen diese dem Druck gegen Verarmung stand halten – von ausgegrenztem Subproletariat bis hin zu unterem Mittelstand und prekarisierten JoberInnen und Selbstständigen, d.h. selbständig Versklavten – muss mit einer Antwort begegnet werden, die die sozialen Konflikte revolutioniert. Mit Befriedungsangeboten ist in den Städten (und auch auf dem Land) nichts mehr zu holen, die Gegenseite befriedet gerade noch eine neue ökologisch-konservative Mittelstandelite, die ärmeren Schichten werden in zwangsförmige und gleichzeitig entgarantierte Verhältnisse gepresst (Hartz IV). Die Aufstandsbekämpfung steht für den Fall bereit, dass sich die Unzufriedenheiten nicht spalten und gegeneinander aufsplitten lassen, die Vereinzelungen plötzlichen Momenten der Solidarisierung weichen und Brücken zwischen den verschiedenen Ausgegrenzten entstehen und bestehen bleiben, die neue Kämpfe ermöglichen.
… meint uns selbst ...
8
Die „privaten“ Lebensverhältnisse lassen sich politisch einordnen. Unsere eigenen „privaten“ Verhältnisse unterscheiden sich oft kaum von denen, die immer als die „Betroffenen“, die „normalen Leute, die wir erreichen wollen“, durch die Diskussionen geistern. Wir sollten uns überfälliger Weise von einem politischen Verhältnis lösen, das ähnlich einer akademisierten Mittelstandslinken nach Anknüpfungspunkten zu Betroffenen Ausschau hält, um ihre eigene identitäre, bzw. ideologische Politik damit abzustützen und zu rechtfertigen. Uns geht es nicht darum, Menschen für einen politischen Kampf zu instrumentalisieren und Events a la IL (Interventionistische Linke = linker Flügel der Sozialdemokratie) zu inszenieren. Eine militante Basisarbeit ist möglich – als „Betroffene“ mit anderen „Betroffenen“. Das Private ist Politisch. Es geht um Selbstorganisierung statt Instrumentalisierung von „Betroffenen“, ohne sich zu DienstleisterInnen von anderen „Betroffenen“ machen zu lassen.
Inhaltliche Einbettung
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Wir beziehen uns mit unserem Aufruf auf das „Sozialrevolutionäre Stadtumstrukturierungsprogramm – Der Zweijahresplan“ (Interim No: 707 von 2010 / http://de.indymedia.org/2010/03/277065.shtml), welches für uns in vielen Teilen explizit aktuell bleibt und woran wir mit unserer Veröffentlichung anknüpfen wollen. Unsere Differenzen sind nicht dergestalt, dass wir ihnen in diesem Papier einen nennenswerten Raum einräumen werden. Wir gehen aber davon aus, dass der Zweijahresplan einer strategischen Auffrischung bedarf. Darum wollen wir die Ansätze einer sozialrevolutionären Perspektive zusammen bringen mit einem Grundverständnis einer revolutionären Organisierung gegen die gesamten Verhältnisse, gegen die wir uns richten. Wir glauben, dass obige Grundsatzpositionen von allen politischen Fragen aus gedacht werden könnten – wie z. B. bei der Organisierung zu Antiatom, wo in der Castor-Organisierung ein Zusammengehen mit diversen Bevölkerungsschichten schon lange erprobt ist und von der Gegenseite mit einem dementsprechenden Bürgerkriegsmanöver beantwortet wird: siehe die Besetzungsszenarien anlässlich der Castortransporte. Wir können diese Organisierungsvorschläge auch an der Frage von Frontex und des kolonialen und rassistischen Verhältnisses zu Flüchtlingen und MigrantInnen anwenden.
Stadt als Kampfterrain, Eigentum und Sollbruchstellen
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Wir schlagen vor, die Städte an der Frage von Mieten, Verdrängung und Armut zu einem Kampfterrain zu machen, das die soziale Frage von der Eigentumsfrage her aufrollt. Privates Eigentum konzentriert sich in den Händen weniger, ist gesetzlich geschützt und ist Grundlage für Kapitalanhäufung, also weiterer Ausbeutung und Umverteilung von unten nach oben. Wie man derzeit bei Zwangsräumungen schön sieht, wird das auch polizeilich abgesichert. Der Versuch, die Zwangsräumung zu verhindern, war ein Angriff auf die Selbstverständlichkeit von Privateigentum und Wohnen als Ware. Das war der revolutionäre Kern des Versuches, die Zwangsräumung zu verhindern. Das hat die Gegenseite sehr wohl begriffen – 800 Bullen mitsamt Hubschrauber sollten garantieren, dass ein in diesem Fall tatsächlich recht mickriger Vermieter sein „Recht“ behält. Es ging ums Prinzip. Dieses Prinzip Privatrecht und das darin verankerte Recht des Eigentums garantiert den Ausschluss der Besitzlosen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Es gibt Menschen, die können sich entscheiden, nicht zu mieten, sondern zu kaufen. Darunter gibt es viele, die sich als links verstehen – aber anscheinend die Trennung von politisch und privat problemlos in der eigenen Person vollziehen können, ohne beim Bau/Kauf einer Eigentumswohnung an der politischen Widersprüchlichkeit zu zerbrechen. Indem sie auf Privateigentum setzen, werden sie zum Motor herrschender Verhältnisse und tragen dazu bei, die neoliberale Verwertungsmaschine am Laufen zu halten (Selbst eigengenutztes Wohneigentum hebt den Mietspiegel indirekt, indem es als „Wohnumfeldverbesserung“ eingerechnet wird). Einige haben ein schlechtes Gewissen und ziehen sich zurück. Wieder andere werden in der Mietwohnung, die sie bewohnen, vor die Wahl gestellt: kaufen oder ausziehen. Aus einer Situation der Hilflosigkeit und politischen Verzweiflung heraus versuchen sie, sich in ihrer Wohnsituation wenigstens individuell über den teuer erworbenen Eigentumstitel abzusichern. Dass diese Absicherung auf tönernen Füßen steht – siehe Spanien, die dort Zwangsgeräumten sind in der Regel Eigentümer, die aufgrund der Krise ihre Kredite nicht mehr bedienen können – steht auf einem anderen Blatt.
Die meisten jedoch wissen genau, diese Option (der Kauf/Bau von Eigentumswohnungen) besteht für sie gar nicht. Hier verläuft die Trennlinie zwischen den Klassen. Wer sich den Bau oder Kauf einer Eigentumswohnung nicht leisten kann, wer darüber hinaus mit der Mieterhöhung nicht mithalten kann, wem das Amt, auch trotz Job oder als Alleinerziehende, die Wohnung nicht mehr garantieren will, der/die muss entweder zusammenrücken, der/die spart am Essen, der/die muss wegziehen, ohne wissen zu können, wie lange er/sie dort „sicher“ ist. Hier sehen wir eine politische Tragödie, denn ein Teil der Linken bricht weg: entlang des Privilegs, sich Wohneigentum leisten zu können. Und in vielen Fällen beobachten wir nicht nur ein Wegbrechen (das ja, wenn sich die Illusion der Sicherheit des Privateigentums offenbart hat, rückgängig machbar wäre), sondern wir sind mit einem aktiven Seitenwechsel konfrontiert: Die neuen Eigentümer wehren sich offensiv gegen eine radikale Eigentumskritik. Ein besetztes Haus ist ein Angriff auf die Ordnung des Privateigentums (auch wenn irgendwann Verträge ausgehandelt werden). Der Kauf oder Bau einer Eigentumswohnung sind die Bestätigung dieser Ordnung.
Zwangsumzüge
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Bei den Zwangsumzügen war es eindeutig vermittelbar, die Wohnung gehört doch auch dem und der, der und die darin wohnt. Die Ablehnung von Zwangsräumungen in der Bevölkerung war und ist eindeutig, den Nachteil auf der Ebene der Legitimtät hatten eindeutig der Eigentümer und die ihm behilfliche Polizei. O-Ton des Einsatzleiters: Der Einsatz sei „rechtlich einwandfrei, moralisch fragwürdig“ gewesen. Gleichzeitig machte die Gegenseite zwischenzeitlich klar, dass sie bei Eigentumsfragen wie im Zusammenhang mit Mietschulden bereit ist, über Leichen zu gehen: Mittlerweile ist eine 67jährige unmittelbar in Folge ihrer Zwangsräumung gestorben.
Der Versuch eine Zwangsräumung zu verhindern, brach auch mit der Vorstellung, das herrschende Recht anzuerkennen – nicht als Floskel, sondern praktisch und als Perspektive. Diese Eindeutigkeit ist in aller Deutlichkeit wenig heraus gestellt worden – aber das ist unsere Lernerfahrung damit. Das erklärt dann auch 800 Bullen, Hubschrauber und bewaffnete Zivis auf der Spontandemonstration. Nun geht es darum, das, was sich durch den Versuch, die Zwangsräumung zu verhindern, eröffnet hat, weiter zu denken. Was setzt das frei, in welche Richtung müssen wir denken und entsprechend handeln: Wenn es eine dauerhafte Praxis gäbe, Zwangsräumungen immer wieder zu verhindern, dann wäre doch auch der Schritt denkbar, eine juristisch korrekte Mieterhöhung/Modernisierung zu verweigern, und dann den öffentlichen Kampf aufzunehmen und durchzusetzen, in der Wohnung zu den alten Bedingungen wohnen bleiben zu können. Wer weiß, dass er/sie die Wohnung tatsächlich nicht mehr zahlen kann, der hat auch nichts mehr zu verlieren – und dieser Kampf kann dem Fall ähneln, den wir bei den Zwangsumzügen haben – dass juristisch alle Wege ausgeschöpft wurden und sowieso kein anderer Weg bliebe, als mittels einer Kampagne zu versuchen, in der Wohnung zu bleiben.
Und wenn wir schon beim Ausblick sind, wenn es mal eine/r gewagt hat, die Mieterhöhung zu verweigern, wagt es vielleicht der Nächste auch, oder gar ein komplettes Haus verweigert die Mietzahlung, um damit bewusst in einem kämpferischen Verhältnis an die Öffentlichkeit zu gehen. Soweit wäre das eine Richtung, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen und an den Eigentumsverhältnissen zu rütteln. Aber dazu müssen vor allem die sozialen Bedingungen hergestellt werden.
Wir bleiben beim Beispiel der Zwangsumzüge: Hier gab es ein Gemisch aus NachbarInnen, Szene und KiezaktivistInnen, die miteinander verschmolzen und somit eine soziale Struktur herstellen konnten, um den Versuch zu wagen die Zwangsräumung zu verhindern. Das aber stellt sich nicht von alleine her, dafür muss man was tun und auch Offenheit mitbringen, um sich mit anderen auszutauschen, die nicht immer das gleiche im Kopf haben, wie man selbst. Aktive Stadtteilarbeit wurde längerfristig vorbereitet und traf sich mit einer bestehenden Infrastruktur. Szene, die nur Szene spielt, kann gar kein Angebot an andere Betroffene machen – entscheidend ist und bleibt, ob die Linksradikalen sich mit anderen verbinden wollen, ob sie offen für andere sind. Wenn jetzt Autonome „Zwangsräumung verhindern“ als erfolgreichen Kampf sehen, übersehen sie oft die soziale „Arbeit“, die dem sichtbar gewordenen Kampf voraus ging. Es ist nach wie vor die Frage, wie sich linke Betroffene mit anderen Betroffenen organisieren. Von einander zu lernen ist eine beiderseitige Geschichte, auch wenn man selbst über einen anderen Erfahrungshintergrund in Kampagnenarbeit und militanten Projekten verfügt.
Wer soziale Kämpfe hin zu einer sozialen Revolte will, muss sich die Frage stellen, wieweit er/sie sich sozial auch anderen Menschen öffnet. Es geht nicht um irgendwelche Menschen sondern schlicht und einfach um die Besitzlosen als soziale Klasse, die sich aber in sehr unterschiedlichen Milieus und Zusammenhängen bewegen. Das können die NachbarInnen sein, das können Flüchtlinge sein, das können Menschen auf den Ämtern sein, die gegängelt werden – je nach politischer Schwerpunktsetzung und vor allem auch eigener Betroffenheit. Es wird nicht die „Szene“ sein, die die Eigentumsverhältnisse kippt. Das ist nur als ein sozialer Kampf möglich, mit anderen zusammen.
Militante Aktion als ein Baustein sozialer Kämpfe
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An den sozialen Kämpfen können neue militante Initiativen entstehen und sich verankern, die – kontinuierlich angewendet – auch zu einer Ausweitung und zu einem Allgemeingut einer politisch militanten Bewegung werden können. Kleingruppen können mit niedrigschwelligen Aktionen Erfahrungen sammeln und wachsen. Ziel dabei wäre, militante Aktionsformen zu entwickeln, die auf Verständnis in der Bevölkerung treffen, weil sie versteh- und nachvollziehbar sind und an die eigenen Lebensrealität anzuknüpfen verstehen. Sprühen, eingebettet in einer Kampagne wie z.B. „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern!“, ist verständlich. „Miete verweigern, Kündigung ins Klo, Hausbesetzung sowieso!“ entspricht einem subkulturellen, und auch vor sich selbst nicht eingelösten Anspruch und Hintergrund, der nicht mal mehr die eigene Szene mobilisiert. Die Codes der eigenen Identitätspflege stehen der sozialen Organisierung mit anderen Menschen im Wege.
Begleitend zu diesen sozialen Kämpfen kann es auch Formen der Aktion geben, die der Wut einen Ausdruck verleihen, und womit sich viele Menschen identifizieren können. Militanz kann auch die Funktion haben, zum Ausdruck zu bringen, dass wir uns den Verhältnissen unversöhnlich gegenüber stellen, und kann als akzeptierter, respektierter und integrierter Teil einer Bewegung dafür sorgen, dass diese nicht so leicht reformistisch vereinnahmbar ist. Das kann z.B. heißen, Investoren zu besuchen und/oder sie mit Adressen und allem Drum und Dran öffentlich anzugehen, ihre Büros oder ihre Reproduktionsorte zu verwüsten, Baumaschinen und Neubauten von Eigentumswohnungen und Geschäftsgebäuden vor ihrer Inbetriebnahme schwer zu beschädigen oder zu zerstören, an der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen beteiligte Firmen in den Ruin zu treiben, Luxusautos, Zwangsumzugsspeditionen, Baukonzerne und ihre Sicherheitsfirmen abzufackeln und und und ...
Unsere Städte verlören dann den Charakter risikofreier Investitions- und Wirtschaftsstandorte, den sie durch die Imagepolitik der neoliberalen Stadtentwicklung verliehen bekommen haben. Neben dem Sachschaden ist auch der Imageschaden durch massive militante Kampagnen nicht zu verachten, wenn sich über die Stadtgrenzen hinaus herumspricht: Es ist zu riskant, dort zu investieren. Und der Schaden ist um so größer, wenn Prestigeprojekte angegriffen werden. Berlin hat ein idiotisches Stadtschloss zu bieten, Hamburg die Elbphilharmonie – überall gibt es derartige unsoziale Prestigeprojekte, deren Beseitigung auf mehr als nur klammheimliche Sympathie stoßen würde. Diese Prestigeprojekte werden auf Kosten von Jugend, Sozialem, Bildung etc. durchgesetzt. Solche Prestigeprojekte sind auf den Knochen der Armen gebaut. Die Blockade solcher Prestigeteile kommt z.B. den Armen zu gute. So bewirkten die kontinuierlichen Angriffe durch militante Aktionen auf das Carloft, dass nicht nur dessen Image geschädigt wurde, sondern die ganze Geschäftsidee in dieser Stadt ihre Attraktivität verlor.
Sehen wir den Tatsachen in die Augen: Wenn wir verhindern wollen, dass wir weiter aus der Stadt vertrieben, dass unsere sozialen Netze weiter zerrissen werden, dass immer mehr hungern, weil wir oder FreundInnen oder NachbarInnen beim Essen sparen müssen, um die Miete zu bezahlen, wenn wir eine solidarische Welt wollen - dann kommen wir um Aufstand und Revolution nicht herum. Breit organisiert und verankert, mit allen uns zur Verfügung stehenden Optionen an Widerstandsmöglichkeiten.
Sorry Leute, aber so sieht's aus. Darum wird es die nächsten Jahre gehen. Wenn nicht, dann wird es nicht schöner.
Referat für verhinderte Aufstandsbekämpfung
pünktlich zur Walpurgisnacht und dem 1. Mai 2013
P.S.: Wir freuen uns auf Reaktionen auf allen Kanälen, aber Kontroversen werden wir nicht im Netz führen.
schöner text
bin letztens hierrauf gestoßen:
www.berlinerliste.noblogs.org
das scheint mir als ob es schon in eure richtung geht.
schön das es noch gruppen gibt, die sich zeit für solch große texte nehmen.danke
(A)
"Rauschen"- Die umkämpfe Stadt
Lesenswert in diesem Zusammenhang auch die Broschüre von "Les Camarades Imaginaires", erschienen im August letzten Jahres: https://linksunten.indymedia.org/de/node/65828
Als PDF: https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2012/08/1296638998.pdf