Stoppt Xenios Zeus, notfalls mit Gewalt!

Ich sehe es als meine Pflicht an, über das zu sprechen, was ich gestern im Polizeirevier Drapetsona, Piräus, gesehen habe. Ich weiß mir keinen anderen Weg , meinen Mitmenschen zu helfen, und ich erhoffe mir, dass Sie alle Ihren Beitrag dazu leisten, indem Sie die folgende Aussage kundgeben. Gestern, am 27.03.2013, haben wir, aktive Bürger von Piräus, an einem Protest- und Beistandsmarsch teilgenommen. Das war unsere Reaktion auf den Hungerstreik, den die dort Gefangenen begonnen haben, nachdem sie – wie sie selbst bekannt gaben – verprügelt wurden.

 

Einer von ihnen, Ibrahim Faraz, ein 28-jähriger Flüchtling aus Palästina, hat sogar versucht, sich das Leben zu nehmen. Als wir das Polizeirevier erreicht haben, erschien der Offizier und stellte sich vor die dort bereits anwesenden MAT-Polizisten[1] . Er informierte uns und hat es uns, eine Gruppe von fünf Menschen, genehmigt, das Revier zu betreten, um mit den Gefangenen zu sprechen.

Das Bild, das sich mir bot, war schockierend. Im Inferno des Polizeireviers von Drapetsona sind seit 9 Monaten, nach dem Einsatz von „Xenios Zeus“, 100 Menschen auf 70 Quadratmetern regelrecht eingepfercht. Sie dürfen nicht auf den Hof hinausgehen, sie haben keinen Raum, um ihre Notdurft zu verrichten, denn es handelt sich um gewöhnliche Zellen in einem Polizeirevier.  Die Gefangenen leiden an verschiedenen Haut- und anderen Krankheiten, die sie sich aufgrund der beschriebenen Haftumstände eingefangen haben und sind dem Selbstmord nah. Nicht einmal Mäuse werden so gehalten, man hat einfach Mitleid mit ihnen. Das Bild lässt sich nicht beschreiben. Stellen Sie sich die schlimmsten Gefängnisse vor, die Sie je im Kino gesehen haben, vervielfachen Sie sie bis ins Unendliche und noch immer haben Sie nicht die leiseste Vorstellung von diesen Umständen dort. Ich schäme mich für die Polizisten und empöre mich darüber, dass sie die Gefangenen schlagen. Das haben uns die Gefangenen selbst bestätigt, was der Polizeioffizier natürlich abgestritten hat.

Ich konnte das, was ihre traurigen und verzweifelten Augen mir gesagt haben, aushalten, auch das Gespräch mit dem Polizeioffizier konnte ich aushalten. Letzterer hat sich versucht dadurch zu rechtfertigen, dass er gesagt hat, dass er sich bemüht, die Balance zwischen seiner Menschlichkeit und den Anordnungen von Herrn Dendias[2] zu halten. Laut dem Polizeioffizier sei Herr Dendias der einzig Verantwortliche für die Situation im Polizeirevier von Drapetsona, aber auch in sämtlichen Polizeirevieren im Lande. Ich bin aber zusammengebrochen, als ich vor meinen eigenen Augen gesehen habe, wie ein Mensch sein eigenes Fleisch zerrissen und sich von Kopf bis Fuß voller Blut gemacht hat. Das war nämlich die einzige Lösung, die ihm eingefallen ist, als er uns gesehen hat, damit er es aus dem Fegefeuer schafft, wo er schon seit neun Monaten eingesperrt und gefoltert wird.

Mir sind die Tränen gekommen, und damit es die Gefangenen nicht merken (die sind kaum als „Gefangenen“ zu bezeichnen; sollte es die Hölle geben, dann wird die von diesen Menschen schon erfahren), habe ich die Zelle verlassen, auch, damit ich sie meine Traurigkeit nicht spüren. Vor lauter Verzweiflung habe ich sowohl die Polizisten als auch die vom Ministerium wegen unserer Mobilisierung eingesetzten Psychologen angeschrien.

“Sie sind keine Menschen!”, habe ich geschrien. „Hier wird jede Art von Menschenrecht und Menschenwürde verletzt und Sie reden von der Bürokratie, die Sie daran hindert, Toiletten zu bauen (2 je 100 Personen), und von der Bemühung, Balance zu halten zwischen Ihrer ,Menschlichkeit’ und den Ihnen gegebenen Anordnungen. Von wegen Bemühung, habe ich zu ihnen gesagt, wenn sie Menschen wären und Sie bloß einen Hauch von Sensibilität hätten, dann hätten Sie selbst die Leute darüber informiert, was hier geschieht. Wenn Sie nur eine Spur davon hätten, was einen Menschen zu einem echten Menschen macht, wären Sie schon zurückgetreten, um dadurch den Weg zu ebnen, damit dieses Verbrechen ein Ende nimmt.“ Ich habe fast die Fassung verloren und musste deshalb das Revier sofort verlassen.

Wenn es noch Polizisten, Verwaltungsbeamte, Psychologen oder andere Berufstätige gibt, die über Urteilsvermögen und Menschlichkeit verfügen und gerade lesen was ich schreibe, dann müssen sie über ihre eigene Verantwortung nachdenken. Sie müssen auf all das, was sie gerade erfahren haben, reagieren. Wir sind der Staat und nicht diejenigen, die die Anordnungen erteilen. Aber wenn der Staat letztendlich schmerzunempfindlich ist, dann ist es so, weil wir, die wir den Staat bilden, unmenschlich sind.

Der Polizeioffizier des Reviers hat dem Gefangenen, der sich selbst verletzt hat, mitgeteilt, dass er bald freigelassen werde, wie beim Fall des Palästinensers, der versuchte, Selbstmord zu begehen. Was das praktisch bedeutet? Ihr werdet diesen Raum nur dann verlassen, wenn ihr Euch selbst tötet. Und falls ihr Glück habt, kommt Ihr rechtzeitig ins Krankenhaus, um gerettet zu werden.

Ich wünschte mir, dass ein jeder die Möglichkeit gehabt hätte, in die Hölle von Drapetsona und vom ganzen Land zu kommen, um den Mitmenschen, die gleich neben unseren Wohnungen diese Folter erleiden, in die Augen zu schauen und mit ihnen zu reden. Dann wäre jeder auf der Straße, und zwar jeden Tag.

Solche Vorfälle kommen überall hierzulande vor, als Ergebnis der Unternehmung des Regimes, die als „Xenios Zeus“[1] bekannt ist.

Wir müssen alles Mögliche tun, damit diese absurde Unternehmung eingestellt wird. Herr Dendias, der offensichtlich keine Ahnung von Geschichte hat, muss endlich erfahren, dass Xenios Zeus Beschützer der Gäste in Altgriechenland war, und dass die Gastfreundschaft eine heilige Pflicht für jeden Altgriechen darstellte. Dieser Gott hat niemanden in Gefängnisse geworfen, niemanden eingesperrt und niemandem die Möglichkeit entzogen, die Sonne zu sehen. Diese Unternehmung beleidigt uns als Menschen, beleidigt unsere Zivilisation und unsere Geschichte.

Wir fordern,

Dass alle im sonnenlosen Kerker von Polizeirevier in Drapetsona eingesperrte Zuwanderer, Opfer der falschbenannten Unternehmung „Xenios Zeus“, sofort freigelassen werden.

Dass diese unmenschliche Unternehmung namens „Xenios Zeus“, die die Zivilisation und die Demokratie beleidigt, sofort eingestellt wird, denn sie macht den verletzlichsten Teil unserer Gesellschaft, die Zuwanderer und die Flüchtlinge nämlich, zum Sündenbock.

Giorgos Karystinos

[1] Das bedeutet so viel wie „Einheiten zur Aufrechterhaltung der Ordnung“. Es handelt sich um eine Art Schutzpolizei, die bei Demonstrationen eingreifen.

[2] Nikos Dendias ist der Minister für Öffentliche Ordnung und Schutz der Bürger.

[3] Xenios“ steht als Bezeichnung für Zeus. Die meint den Gott, der in der altgriechischen Mythologie der Gastfreundschaft schützte.