Meiningen (Südthüringen): Sie haben mitgemordet

Verfassungsschutz: Sie haben mitgemordet - 01

Die nicht mehr zu verleugnenden Verstrickungen des Verfassungsschutz (VS) in die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) waren für die Mitglieder des Bündnis gegen Rechts in Meiningen kein Grund im VS den politischen Gegner zu erkennen, der er ist – zumindest für jene, die noch nicht jeden emanzipatorischen Anspruch aufgegeben haben. So wurde der wichtigste Helfer des NSU zum Gespräch eingeladen. Vor der Tür protestierte die Antifa.

 

Ein eifriger Polizeischüler – in Meiningen gibt es ein Bildungszentrum mit Fachhochschule der Polizei – war es, der im Bündnis auf die glorreiche Idee kam, gut ein Jahr nach Bekanntwerden der Mordserie des NSU deren wichtigsten Helfer, Unterstützer und Förderer zum Plausch einzuladen, den Verfassungsschutz. Im Bündnis regte sich zwar Widerstand gegen solch eine – vorsichtig ausgedrückt – Geschmacklosigkeit, doch am Ende entschied man sich mehrheitlich, sich auf ein Gespräch mit den Mördern einzulassen. Und so lud man sich einen Thomas Schulz – wer weiß, ob das sein richtiger Name ist – von Thüringens finanziell best-ausgestatteter Kameradschaft, dem Verfassungsschutz, ein und ließ sich beim Bündnistreffen am vergangenen Donnerstag, den 28. Februar, im Marstall einen Vortrag über „Rechtsextremismus in Thüringen“ präsentieren, um sich danach mit „kritischen Nachfragen“ das Gewissen zu beruhigen und den Ausflüchten des Schlapphuts zu lauschen. Aus guten Gründen hat sich die Antifa diese Scharade erspart und es beim Protest mit Transparent und Flyern belassen.


Ob Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Sven Dietsch, Patrick Wieschke oder ein anderer Vertreter von NPD und Kameradschaften zum nächsten Bündnistreffen eingeladen ist, um nun endlich die ganz große Versöhnung zu feiern, ist uns nicht bekannt. Ausgeschlossen ist das nicht. Schließlich fordert man in Thüringen bei jeder Gelegenheit die „Versöhnung über den Gräbern“ (http://www.agst.afaction.info/archiv/546/flyer.pdf) ein. Dass in Deutschland immer nur die Mörder und die, die bewusst und unbewusst mit ihnen gemeinsame Sache machen, nach Versöhnung schreien, ist eine Erkenntnis, die in Meiningen vergessen ist. Hier gilt das Credo der zivilgesellschaftlichen Deutschlandfreunde, das Eike Geisel einmal so beschrieben hat: man leugnet die Verbrechen nicht, akzeptiert aber ihre Voraussetzungen. Nur so bringt man es zusammen, um die Opfer der Mordserie trauern zu wollen (http://www.meiningengegenrechts.de/index.php?option=com_content&task=vie...) und die Helfer der Mörder als „Experten“ zum Plausch einzuladen, weil in dieser antagonistischen Gesellschaft die offensten Widersprüche zusammengehen, ohne dass die Zivilgesellschaft an der Legitimität einer solchen Ordnung zweifeln würde. In solcher Weise west das Tätervolk von einst in der Gegenwart weiter: in der Akzeptanz mörderischer Verhältnisse, während es sich mit der Trauer um die Opfer, die man zu verantworten hat, schadlos hält.

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Sie haben mitgemordet!

Für das heutige Treffen des Bündnis gegen Rechts in Meiningen haben sich die Bündnismitglieder den Thüringer Verfassungsschutz (VS) eingeladen. Dieser soll als eine Art Sachverständiger über den „Rechtsextremismus in Thüringen“, vor allem in Hinsicht auf die Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), Bericht erstatten. Als antifaschistische Gruppen aus Südthüringen empfinden wir ein solches Treffen, das dem VS als unbestreitbaren Mittäter ein Podium bietet, als Verhöhnung der Opfer und als Bruch mit jedem emanzipatorischen Anspruch.


Der VS ist alles andere als ein neutraler Beobachter der sogenannten rechtsextremen Szene. Kein Zweifel kann nach den jüngeren Enthüllungen, die der VS so gut es ging mit vernichteten Akten und Desinformation zu verhindern suchte, mehr darin bestehen, dass es sich bei den Verstrickungen des VS in die NSU-Mordserie um Mittäterschaft handelt. Es handelt sich nicht um Versagen, schon gar nicht um einzelne menschliche Fehlleistungen, wie die Entlassung von Spitzenfunktionären schließen lässt. Die Rolle des Verfassungsschutzes, seine Verortung in einem gesellschaftlichen Gefüge, das zur Ausgrenzung und Zerstörung neigt, lässt nur einen Schluss zu: Sie haben mitgemordet. Sie haben mitgemordet, weil sie die Nazi-Netzwerke finanziert haben, aus denen die Täter kamen, weil sie diese Leute geschützt und unterstützt haben, die aktiv den Mord an 10 Menschen vollzogen haben.

Was auch immer der Verfassungsschutz schützt: die Menschen, die Schutz vor dieser Gesellschaft und ihren Auswüchsen bedürfen, sind es nicht. Historisch ist der Verfassungsschutz 1950 im Westen als staatliche Organisation gegründet worden, die zwar zunächst unter der Aufsicht der Alliierten stand und nur verdeckt ehemalige Gestapo-Funktionäre aufnahm, sich später aber ganz offen zu einer Nachfolgeorganisation des NS-Geheimdienstes entwickelte, mit enormen personellen Kontinuitäten. Primäres Ziel des Verfassungsschutzes war schon seit Anbeginn die Verfolgung und Überwachung von Kommunist_innen und anderen linken Subversivbewegungen. Das Nachleben des Nationalsozialismus im Geheimdienst machte sich nicht nur personell geltend, seine Aktivitäten ließen nie daran zweifeln, dass die Überwachung des Rechtsextremismus nur ein Alibi für dessen Unterstützung ist. Millionen flossen vom VS über die V-Männer in Naziorganisationen. Geschadet hat denen der VS damit sicher nicht, ebenso wenig wie dabei brauchbare Informationen gesammelt worden wären, die die Mordserie hätten verhindern können. Sein eigentliches Ziel hatte der VS mit den Nazis gemeinsam. So wurde im Zuge der NSU-Aufklärungen beispielsweise bekannt, dass der VS in Thüringen dem V-Mann Kai-Uwe Trinkaus eine Liste mit Namen und Adressen von Antifaschist_innen für deren Verfolgung durch die Nazis auslieferte. Um es kurz zu machen: Wer heute noch bestreitet, dass der VS mit seinem Tun Naziorganisationen bis hin zur NSU-Mörderbande unterstützt hat, dem ist jedes Sensorium, das auf Vernunft schließen lassen könnte, abhanden gekommen. Deswegen sparen wir uns an dieser Stelle eine endlose Liste mit Beweisen, sie ist spätestens mit den andauernden Aufklärungen über den NSU erbracht worden.

Der Verfassungsschutz ist Teil menschenfeindlicher gesellschaftlicher Verhältnisse. Wir leben in einer Gesellschaft in der die Bedingungen für die faschistische Barbarei fortdauern; einer Gesellschaft, die Fremde ausgrenzt und verfolgt, weil sich ihre Verfolger vor der Einsicht in die eigene Überflüssigkeit schützen wollen. Einer Überflüssigkeit, die daraus resultiert, dass die kapitalistische Produktionsweise sich nicht um die Bedürfnisse von Menschen kümmert, sondern um die Vermehrung von Tauschwerten, die Maximierung von Profiten bei der die Menschen notwendig auf der Strecke bleiben. Solche Verhältnisse, die jeder Einzelne täglich reproduziert, während sie ihn entfremden, verdinglichen, zerstören gilt es aufzuheben und so eine Entwicklung voranzutreiben, die Mörder und Verfolger, wie Nazis und den Verfassungsschutz unmöglich macht. Solange diese Verhältnisse nicht abgeschafft werden, ist der Verfassungsschutz Teil eines Täterkollektivs, mit dem es nichts zu diskutieren gibt.

Man kann also über den Verfassungsschutz diskutieren, über seine Rolle als Akteur in einem mörderischen gesellschaftlichen Verhältnis, man kann über seine Zerschlagung diskutieren. Wer aber meint mit diesen Leuten diskutieren zu müssen, der hat jeden emanzipatorischen Anspruch über Bord geworfen und wird sich fragen lassen müssen, warum man demnächst nicht Beate Zschäpe oder die NPD zur Diskussion einlädt.

Wir wollen keine Ausflüchte, Entschuldigungen oder Rechtfertigungen hören, weil es nichts zu rechtfertigen gäbe, als den Gedanken an Rache für 10 ermordete Menschen. Es gilt also keine Rechtfertigungen von den Verfolgern einzuholen, sondern zu verhindern, dass sie es wieder tun. Die Mittäter zum Gespräch einzuladen ist der unschlagbare Beweis für das Fortleben der Bedingungen, die den Naziterror erst ermöglicht haben. 1940 schrieb Walter Benjamin, der sich kurz darauf, verfolgt von den Deutschen in den Tod flüchtete: „auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“ Eine Diskussionen mit dem Verfassungsschutz statt über ihn, statt über seine Zerschlagung, statt über mörderische Verhältnisse in denen wir leben, bedeutet daher nicht nur die Stärkung der gesellschaftlichen Akzeptanz für die Mörderbande, sondern sie bedeutet, dass man die Toten ihren Mördern überlässt.

Deshalb gibt es für Antifaschist_innen hier nichts zu diskutieren, sondern nur zu verhindern.

Faschistische Mörderbanden unmöglich machen!
Mörderische Verhältnisse abschaffen!