Am 01.02.2013 fand der erste Wiener Akademikerball in der Wiener Hofburg statt. Der Akademikerball gilt als Neuauflage des Balls des Wiener Korporationsrings (WKR) und ist somit ein Stelldichein von Rechtspopulist_innen, Burschenschaftern und Neonazis. Seit 2011 wurde aber versucht den Protesten eine andere Schlagseite zu geben. Der Fokus der Kritik wurde weg von in der Hofburg feiernden Burschenschaften, hin zu einer Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche reaktionäre Ideologien erst hervorbringen, verschoben. Denn letzten Endes muss es auch darum gehen, Nazis nicht einzig in ihrem öffentlichen Auftreten anzugreifen, sondern ihre menschenverachtende Ideologie substanziell und radikal zu kritisieren und somit alle Formen von (Alltags-) Rassismus, Antisemitismus, Sexismus etc. zu bekämpfen.
Warum immer gegen Bälle demonstrieren?
Zu
aller erst lässt sich festhalten, dass der WKR-Ball eine Gelegenheit
bietet, sogar in Wien eine größere Anzahl von Menschen auf die Straße zu
bringen und linksradikale Kritik einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen. Die autonomen Proteste ab 2008 verfolgten zunächst
das Ziel Burschenschaften im Allgemeinen und den WKR-Ball im Besonderen
aus ihrem ruhigen Umfeld gesellschaftlicher Akzeptanz auf die Bühne der
medialen Öffentlichkeit zu zerren und zu skandalisieren. Das
„unpolitische“ Image des Balls und seiner rechtsextremen
Veranstalter_innen konnte nicht länger aufrecht erhalten werden. Der
Bedeutungsverlust des Balls zeichnetet sich nicht Zuletzt an den stark
sinkenden Besucher_innenzahlen (von ca. 3.000 auf 800) am diesjährigen
Akademikerball ab. Trotz der erfolgreichen antifaschistischen
Interventionen, muss linksradikale Kritik mehr sein, als die
Skandalisierung von in der Hofburg tanzenden Burschis. Um nicht nur als
militanter Arm der Zivilgesellschaft zu fungieren, wurde der Kritikfokus
in den letzten Jahren weg von den Burschis, hin zu einer allgemeinen
Kritik reaktionärer Ideologien und deren gesellschaftlichen Bedingtheit,
verschoben. In diesem Kontext wollen wir uns auch von der Vorstellung
verabschieden, das Antifaschismus, ob friedlich oder militant, ein
revolutionäres Unterfangen sei. Vielmehr verteidigt antifaschistische
Praxis die bürgerliche Gesellschaft vor ihren eigenen Kreaturen. Dennoch
ist und bleibt Antifaschismus notwendig, um überhaupt erst die
Voraussetzungen für eine radikale Gesellschaftskritik und Praxis zu
schaffen. Denn reaktionäre Ideologien verunmöglichen die Perspektive auf
eine befreite Gesellschaft. Den WKR-Ball unmöglich machen bedeutet für
uns nicht nur, ein Event von Burschenschaftern und der europäischen
Rechten zu verhindern, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse
anzugreifen, welche reaktionäre Ideologien aller Couleur erst
hervorbringen. Unser Ziel war und ist es, die Menschen von der
Unsinnigkeit des Kapitalismus zu überzeugen. Denn die Situation wäre
auch ohne Nazis schon schlimm genug. Deshalb versuchen wir bei den
Protesten gegen den WKR-Ball auf eine antinationale, kommunistische
Kritik zu drängen.
Eine, zwei, viele Demos!
In
den letzten Jahren bildeten sich neben dem linksradikalen und autonomen
NOWKR Bündnis verschiedene andere Bündnisse und Initiativen heraus, die
sich aber grundlegend von der Ausrichtung der bisherigen Proteste
unterscheiden.
Der zivilgesellschaftlichen Initiative „Jetzt
Zeichen setzen“ geht es in erster Linie um die Imagerettung der eigenen
Nation. Sie wollen das gute, das andere, das bessere Österreich
hochhalten. Doch selbst das beste Österreich bleibt immer noch
Österreich. Ihre Kritik richtet sich nicht einmal gegen die
Burschenschaften als solche, sondern lediglich gegen die Nutzung der
Hofburg als symbolträchtigen Ort der Nation. Antifaschismus verkommt
hier zum Versuch, das Ansehen der Nation vor denen zu bewahren, die in
ihrer Liebe zu Volk und Nation übers Ziel hinausschießen. Außerdem
bleibt bürgerlicher, an den Staat appellierender Antifaschismus ein
schizophrenes Unterfangen. Während man am Heldenplatz gegen
Rechtsextremismus auftritt und ein staatliches Vorgehen gegen diesen
fordert, stört man sich nicht an der staatlichen Abschiebepraxis oder
der militärischen Abschottung der europäischen Außengrenzen. Das
verwundert auch nicht, da „Jetzt Zeichen setzen“ nichts gegen Staat und
Nation einzuwenden hat. Vor genau 20 Jahren gab es am Heldenplatz das
„Lichtermeer gegen Ausländerfeindlichkeit“. Der konkrete Stein des
Anstoß war damals das Anti-Ausländervolksbegehren der FPÖ – auch damals
ging es dem bürgerlichen Protest großteils um die Imagerettung
Österreichs. Während die SPÖ den Protest unterstützte und Franz Löschnak
, der damals amtierende Innenminister der SPÖ, eine Kerze am Fenster
seines Büros entzündetet, übernahm die Regierung wenig später
wesentliche Punkte aus dem Anti-Ausländervolksbegehren der FPÖ für die
restriktive Asylpolitik Österreichs.
Ortswechsel. Die Offensive
gegen Rechts (OgR) mobilisierte vor die Hauptuniversität und versuchte
das Blockadekonzept von Dresden Nazifrei auf Wien umzulegen. „Burschis
raus aus der Hofburg“ war die zentrale Forderung, und reichte damit
nicht weit über den Anspruch der bürgerlichen Zivilgesellschaft hinaus.
Anders aber als von den Protestierenden am Heldenplatz waren von der OgR
Blockaden geplant um die Forderung gleich selbst in die Tat umzusetzen.
Es ist durchaus positiv wenn Menschen hierzulande und aus einer linken
Perspektive heraus auch mal etwas machen was der Herr Wachtmeister
verboten hat. Kein Grund gibt es aber sich selbst zu verarschen. Diese
Masche, die immer eine manövrierfähige (also im schlechtesten Sinne
politikfähige) Masse zum Ziel hat, führt letztendlich zur
Marginalisierung linksradikaler Inhalte. Mit der Absicht eine möglichst
große Anzahl an Menschen zu mobilisieren, wurde auf eine weitergehende
Kritik an den Verhältnissen, welche unter anderem Burschenschaften erst
hervorbringen, verzichtet. Dies wird zur Notwendigkeit, will man
Blockadematerial in Form von Demonstrierenden akkumulieren, und sieht
diese nicht zur selbständigen Aktion befähigt. Wir hingegen brauchen
kein menschliches Blockadematerial – es gibt ja auch Mülltonnen. Unsere
Kritik gilt sowohl der Inhaltsleere wie auch dem Aktionskonzept der OgR.
Ein dritter und wohl der zentralste Kritikpunkt ist jedoch der
Aktionskonsens des Bündnisses. Mit vorauseilendem Gehorsam wird von
jeglicher „Eskalation“ Abstand genommen. Als strategisches,
bündnispolitisches Mittel ist dies nachvollziehbar. Eklig sind aber die
Konsequenzen die sich hieraus ergeben können. Anstatt wie behauptet
„solidarisch mit allen“ zu sein, die das Ziel der Verhinderung des
Akademikerballs teilen, wurde so das Bild der bürgerlichen Medien von
friedlich Demonstrierenden auf der einen Seite, und gewaltbereiten
marodierenden Mitgliedern des schwarzen Blocks auf der anderen Seite,
reproduziert. Anstatt tatsächlich solidarisch zu sein, schaffte der
Aktionskonsens eine Grundlage zur Stigmatisierung und Kriminalisierung
eines Teils der Protestierenden.
Euer Protest lässt uns kalt – uns interessiert nur Gewalt!
Bereits
im Vorfeld des 1. Februars gab es von Seiten der Polizei und Teilen der
bürgerlichen Medien Stimmungsmache und Kriminalisierungsversuche gegen
die antifaschistischen Proteste. Die „größtmögliche Eskalation“ wurde
herbei phantasiert und vor den anarchistischen Horden aus Deutschland
gewarnt. Nach den Demonstrationen stellte die FPÖ ein Video online, in
dem zu sehen ist wie Ballgäste beschimpft und bespuckt werden.
Erschreckender als das Video war die Reaktion darauf – auch von Teilen
der Linken. Gleichzeitig verlor niemand ein Wort über die Übergriffe von
Neonazis, die in der selben Nacht 2 Aktivist_innen krankenhausreif
schlugen. Ziel der radikalen Linken kann aber nicht sein, die
Gewaltdiskussion überhaupt auf diese Weise zu führen, sondern den
Diskurs über Gewalt an sich als Moment bürgerlicher Ideologie zu
dechiffrieren.
Gewalt wird nicht als diese Gesellschaft
grundlegend strukturierendes Moment wahrgenommen, sonder immer nur als
der ihr äußerliche Skandal. Strukturelle Gewalt in Form von
rassistischer Asylpolitik, vom Zwang zur Lohnarbeit und von der
gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau*, bildet den blinden Fleck des
bürgerlichen Gewaltbegriffs. In der bürgerlichen Ideologie wird
lediglich diejenige Gewalt als solche benannt, die die Verkehrsformen
kapitalistischer Vergesellschaftung beeinträchtigt, während sie sich
notwendigerweise auf andere stützt. Das Gewaltmonopol des Staates
garantiert nicht das Ende der Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren
Grenzen und sanktioniert disfunktionales und destruktives Verhalten.
Gewaltfreiheit gibt es in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft
nicht, und so ist die Forderung nach Gewaltfreiheit eher als Drohung zu
verstehen, diesen „gewaltfreien“ Zustand der Verwertung und Zurichtung
mit aller Gewalt herzustellen.
In dieser Logik verfangen, empfindet
der bürgerliche Staat und dessen zivilgesellschaftliche Ausläufer jede
Form von Gewalt die nicht von den staatlichen Institutionen ausgeht, als
unterschiedslos gleich und ebnet diese in einem einzelnen
Extremismusbegriff ein. Ob rassistischer Übergriff, islamistischer
Terroranschlag oder antifaschistische Militanz gegen Gegenstände, alles
wird als gleichermaßen fremd und ablehnenswert dargestellt.
Der
Erfolg von antifaschistischen Interventionen richtet sich aber nicht
nach dem Strafgesetzbuch. Das einzig gute an Nazis ist schließlich, dass
gegen sie alles erlaubt ist. Militanz ist aber auch immer nur so gut
wie die Gesellschaftskritik die dahinter aufscheint. Der Weg zu einem
Ende der Gewalt führt nach wie vor nur über die Abschaffung des
Kapitalismus.
The future is unwritten!
Die
diesjährige Mobilisierung gegen den Wiener Akademikerball startete
bereits Ende November mit einer fünfteiligen Vortragsreihe unter dem
Motto „Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht!“ und war
durchwegs gut besucht. Es folgte ein umfassender Aufruftext um im Zuge
der diesjährigen …umsGanze! Kampagne rassistische und antifeministische
(Krisen-) Ideologien theoretisch aufzuschlüsseln und anzugreifen.
Mindestens 2000 Personen beteiligten sich am kraftvollen und
entschlossenen Demonstrationszug vom Europaplatz zum Heldentor, wo die
Versammlung aufgelöst wurde. Das anschließend verfolgte Kleingruppen und
Blockadekonzept war ebenfalls erfolgreich. Obwohl die Polizei versuchte
die Demoteilnehmer_innen daran zu hindern auf die Zufahrtswege bei der
Albertina zu gelangen, schaffte es eine Vielzahl die Absperrungen zu
umgehen oder zu durchbrechen. Taxis wurden abgefangen, Materialblockaden
errichtet und Farbbeutel flogen. Unter anderem konnte der
farbentragende, kulturdeutsche Andreas Mölzer den Ball nur verspätet und
mit hochrotem Kopf erreichen. Dass „der Tag den anständigen
Österreichern ein einschneidendes Erlebnis bleiben wird“ (FPÖ TV) werten
wir als vollen Erfolg. Sowohl vor als auch nach der Demo waren Teile
der öffentlichen Reaktionen von Panikmache und Verurteilungen dominiert.
Die Aktionsform des blackblock stellte sich aber nicht nur aus
repressionstechnischen Gründen als sinnvoll heraus, sondern erschien den
meisten Journalist_innen auch als die attraktivere Fotovorlage. Unsere
inhaltliche Kritik hingegen konnte leider nur punktuell in den Medien
untergebracht werden. Positiv sticht hier unser Interview im Standard
hervor. Dass man sich mit linksradikaler Politik aber nicht viele
Freund_innen macht, hat uns letzten Endes kaum verwundert. Schließlich
geht es ihr nicht um ein konstruktives mitmachen, sondern um die
Negation des falschen Ganzen. Eine vernünftige Veränderung der
bestehenden Verhältnisse steht momentan zwar nicht auf der Tagesordnung
und auch der Weg dahin ist bekanntlich keineswegs klar. Die Suche nach
dem Notausgang kann aber nur in antikapitalistischer Kritik und Praxis
liegen. Der Ausbruch braucht nicht nur Eventhopping, sondern vor allem
Kontinuität und Organisierung.
In diesem Sinne:
Seien wir unrealistisch, versuchen wir das Mögliche!
Für den Kommunismus!
autonome antifa [w]
Den Text auf issuu lesen: http://issuu.com/lililibertad/docs/es-gibt-immer-noch-redebedarf
Dresden Wien
Ich finde die Lösung in Dresden gar nicht so ungelungen! Inhaltliches wird in die Öffentlichkeit getragen (z.B. der Täterspurenrundgang, der sich in den letzten Jahren etabliert hat), und das hat sich durchaus auch in der öffentlichen Debatte und Wahrnehmung wiedergespiegelt, zumindest Stückchenweise scheint sich durch diese Debatte selbst das stockkonservative offizielle Dresden zu verändern.
Gleichzeitig die spektrenübergreifenden, überregionalen Proteste & Blockaden, die bewußt solidarisch mit ALLEN Gegenaktionen sind. 2010 und besonders 2011 wurden die Naziaufmärsche durch das Zusammenspiel aus friedlicher Grenzüberschreitung und Militanz verhindert (2010 kamen ein paar Hundert Nazis ohne Polizeibegleitung von der Autobahn zu Fuß in Richtung Blockaden. Ich war sehr froh darüber, daß ein paar Mutigere sich effektvoll dazwischengestellt haben! Oder 2011, als massive Militanz der Polizei die Ressourcen geraubt hat, sich um die Blockaden zu kümmern!). Daher gibt es auch Solidarität mit allen Repressionsbetroffenen, die Prozesse zu 2011 laufen ja gerade...
Davon kann Wien schon noch was lernen. Gemeinsam auch inhaltlich was rüberbringen, gemeinsam die Scheiße verhindern, solidarisch sein und Platz für verschiedene Protestformen lassen, ohne Gruppen mit anderer Stragtegie unnötig zu gefährden. Ich fand es sehr skurril dieses Jahr in Wien zu sehen wie ein paar Leute die umgeworfenen Blumenkübel wieder von der Strasse trugen und selbst die Erde von der Strasse kehrten, während 3m weiter mit der Polizei gerangelt wurde (ob das in dem Moment und zu dem Zeitpunkt gerade nötig oder sinnvoll war bleibt dahingestellt....). Und die Entsolidarisierungen anschließend von einigen Gruppen sind natürlich völlig daneben...