Spiegel: G8 Wasserwerferopfer - 30.000 euro für ein Auge

Erstveröffentlicht: 
11.06.2009

Der Strahl eines Wasserwerfers schoss Steffen Berger beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 ins Gesicht. Seitdem ist der zweifache Vater auf dem linken Auge blind. Jetzt verklagt er die Polizei auf Schmerzensgeld - auch, weil die Staatsanwaltschaft noch immer keine Anklage erhoben hat.

Rostock - Der Schlag kommt aus dem Nichts. Ein plötzlicher Schmerz, er sackt zu Boden. Von den lauten Schreien "Aufhören, aufhören" um ihn herum nimmt Steffen Berger nichts mehr wahr. Dann stoppt der Strahl aus der Wasserwerferkanone.

 

"Das kam so unvermittelt, ich habe den Strahl überhaupt nicht gesehen", sagt Steffen Berger zwei Jahre später. Der Wasserdruck war so hoch, dass er Bergers Jochbein zerschmetterte und sein linkes Auge stark verletzte. Die Netzhaut löste sich, Ärzte konnten sie auch in zwei Notoperationen nicht mehr retten. Berger wird auf dem linken Auge für immer blind sein.

 

Am Donnerstag, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Vorfall beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, will sein Anwalt eine Schmerzensgeldklage gegen die Rostocker Polizei einreichen.

 

Rückblick: Es ist der 7. Juni 2007, der zweite Tag des G-8-Gipfels. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die sieben anderen Staats- und Regierungschefs reden über den Klimaschutz und mögliche Regeln für die Finanzmärkte - die am Ende nicht beschlossen werden. Es ist ein Gipfel, von dem das Bild der Welt-Führer in einem XXL-Strandkorb in Erinnerung bleiben wird. Und das Spektakel: 18.000 Polizisten, 1100 Soldaten, 14 Tornados und vier Eurofighter sind im Einsatz oder stehen in Bereitschaft. Sämtliche Brücken, Parkplätze und Auffahrten der Autobahnen um Rostock sind durch Polizisten gesichert. Auf vielen Brücken stehen Schützenpanzer der Bundeswehr in ihren Tarnanstrichen.

 

Chaos an der Ostsee

 

Doch die zentrale Auftaktdemonstration in Rostock kippt in gewalttätige Randale. Zu Beginn des Gipfeltreffens bringen G-8-Gegner mit Blockaden zudem den politischen Ablauf des Gipfels durcheinander. An den folgenden Tagen ist der Tagungsort in Heiligendamm zeitweise nicht mehr zu erreichen. Chaos an der Ostsee. Polizisten sind 33 Stunden am Stück im Einsatz und werden in der prallen Sonne oft stundenlang nicht mit Essen und Trinken versorgt. Demonstranten sperrt man in Käfige, einen Anwalt dürfen sie nicht anrufen.

Beide Seiten verbreiten Horrormeldungen über die Untaten der anderen.

 

Steffen Berger ist mit Freunden nach Heiligendamm gekommen. Der Potsdamer hat Geoökologie studiert, er ist Heilpraktiker und Vater zweier, kleiner Kinder. Berger fährt spontan zum G-8-Gipfel, er will gegen eine Politik protestieren, die ihm nicht passt. "Viel mehr als wählen und demonstrieren gehen kann ich als einfacher Bürger ja nicht tun. Wie soll ich Protest gegen Neoliberalismus, Kriege, Militarismus, Hartz IV ausdrücken, ohne diese Rechte auszuüben?", sagt Berger.

 

Als ihn der Wasserstrahl am Nachmittag des 7. Juni ausknockt, steht er auf der Wiese vor dem Westtor des Gipfel-Areals. Berger erinnert sich: "Nichts deutete auf eine Eskalation hin." Manche sonnten sich, andere hatten Picknickkörbe dabei. "Ich stand hinten auf der Wiese mit ein paar Freunden, vorne war die Polizeikette. Kein Mensch versuchte auch nur, dagegen anzurennen."

 

Berger spaziert ein bisschen umher. In der Nähe der Polizeilinie entdeckt er eine Gruppe von Blockierern, die sich unter einer Plane verkrochen haben, um sich vor den etwa zehn Meter entfernt wartenden drei Wasserwerferwagen zu schützen. Berger beobachtet die Szenerie. Dann, so erinnert er sich, deutet ein Polizist mit dem Schlagstock in verschiedene Richtungen, gibt offenbar Anweisungen. Berger sieht noch, wie der Wasserstrahler rotiert und ausgerichtet wird. Da trifft ihn der Schlag.

 

Strafanzeige gegen unbekannt

 

Einen Monat später, kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, stellte Berger über seinen Anwalt Strafanzeige gegen unbekannt. Das war im Juli 2007. Knapp zwei Jahre später will die zuständige Staatsanwaltschaft Rostock nun entscheiden, ob gegen die Polizisten ein Strafverfahren eingeleitet wird - wegen bewusster oder fahrlässiger Körperverletzung. Bergers Rechtsanwalt Steffen Sauer wirft den Behörden vor, die Aufklärung des Falls "nur sehr schleppend zu betreiben". Die meisten Ermittlungen im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel seien längst abgeschlossen. "Wenn das Verfahren sich nicht gegen Polizisten richten würde, wäre es längst vorbei", sagt der Anwalt.

 

Die Staatsanwaltschaft dementiert das. "Die ungewöhnlich lange Dauer des Verfahrens hat damit zu tun, dass die Polizisten aus einem anderen Bundesland kommen", sagt der Rostocker Oberstaatsanwalt Peter Lückemann. Die Wasserwerfermannschaft, die damals im Einsatz war, ist in Nordrhein-Westfalen stationiert. "Die Kommunikation mit dem Innenministerium in NRW verlief sehr langsam", sagt Lückemann. Zudem habe es Unklarheiten darüber gegeben, welche Verordnung für den Einsatz von Wasserwerfern denn für die Polizisten gegolten habe - die aus NRW oder die aus Mecklenburg-Vorpommern, wo der Einsatz stattfand.

 

Auch wegen der zögerlichen Aufarbeitung des Falles verklagt Berger, der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, die Polizei nun auf 30.000 Euro Schmerzensgeld. "Die Polizei hat damals alles gefilmt. Ich will, dass die die Bänder herausrücken. Das würde die Sache schnell aufklären." Berger glaubt, dass der Polizist in voller Absicht auf seinen Kopf gezielt habe, obwohl das gegen alle Regeln verstößt. Ein Augenzeuge unterstützt diese Version. "Als die Menge dem Polizisten, der geschossen hatte, 'Du bist schuld' zurief, da lächelte er nur selbstzufrieden und winkte abfällig in Richtung Demonstranten", berichtet der Berliner Student Mario Schenk, der damals in der Nähe stand.

 

Berger selbst würde eine Einstellung des Verfahrens gegen die Polizisten nicht verstehen: "Das wäre der nächste Volltreffer, der mich umhauen würde."

 

Von Felix Wadewitz

 

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