[RMK] Geschichtsrevisionismus entgegen treten – Pforzheim-Mobikundgebung in Waiblingen

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Am vergangenen Samstag, den 9. Februar, versammelten sich in Waiblingen im Rems-Murr-Kreis auf dem kleinen Postplatz ca. 25 Menschen, um auf das faschistische Gedenken in Pforzheim und die Gegenproteste aufmerksam zu machen.

 

Nachdem die Kundgebung um ca. 10 Uhr begonnen hatte, wurden Flyer an Passant_innen verteilt und ein Infotisch bot die Möglichkeit tiefer gehende Informationen abzugreifen. Trotz der Kälte war die Laune unter den anwesenden Demonstrant_innen erstaunlich gut und als gegen 11 Uhr die ersten Redebeiträge begannen, steigerte sie sich noch einmal.

 

Reden wurden u.a. von Rems-Murr Nazifrei!, einem Vertreter des örtlichen DGB, sowie dem Bundestagswahlkandidaten der Linken und der Antifaschistischen Jugend Rems-Murr (Rede s.u.) gehalten. Immer wieder wurde hierbei die Notwendigkeit der aktiven Störung von Naziaufmärschen begründet und darauf verwiesen, dass es neben dieser Aktivität auch um die argumentatorische, geistige Niederhaltung des Faschismus mit Hilfe präziser Analysen geht.

 

Um den hierfür notwendigen Background zu bieten, hatte es bereits im Vorfeld der Kundgebung eine Infoveranstaltung zum Nazigedenken gegeben, in welcher der faschistische Kern des sich rechtspopulistisch gebenden „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland“ offen gelegt wurde.

Nachdem die Kundgebung gegen 12 Uhr beendet wurde, zogen noch einige Antifaschist_innen los, um Transparente gegen das Gedenken in der Stadt aufzuhängen. Anschließend fuhr der Großteil der Teilnehmer­_innen nach Stuttgart, um sich an weiteren Mobilisierungsaktionen zu beteiligen.

 

10.02 Antifaschistische Jugend Rems-Murr

 

Rede der Antifaschistischen Jugend Rems-Murr auf der Kundgebung


Liebe Anwesende,

Liebe Anwohner und Anwohnerinnen,

Liebe Antifaschisten und Antifaschistinnen,

 

wir haben uns heute hier versammelt, um auf das Nazigedenken in Pforzheim am 23. Februar aufmerksam zu machen.

Dieses nunmehr seit 20 Jahren stattfindende Gedenken stellt eines der zentralsten Events der faschistischen Szene in Baden-Württemberg dar. Jedes Jahr finden sich aufs neue zwischen 100 und 200 Faschisten ein, um den Opfern des alliierten Bombenangriffes auf Pforzheim zu gedenken.

Dies erscheint zumindest auf den ersten Blick als ihr Anliegen, doch wenn man sich auch nur einen Flyer von ihnen ansieht, so wird klar:

 

Es geht nicht um das Gedenken der Opfer, sondern um eine Relativierung der Kriegsverbrechen des Faschismus.

 

Immer wieder wird versucht Guernica, Rotterdam, Warschau und Coventry als gerechtfertigte Bombardements der faschistischen Luftwaffe darzustellen. Dass diese Städte erst durch den Beginn des faschistischen Kriegs zu Zielen wurden, verschweigen die Faschisten.

Von ehrlichem, geschichtsbewußtem Gedenken sind sie meilenweit entfernt.

 

Die Toten in Pforzheim dienen ihnen nur, um die Verbrechen ihrer ideologischen Vorväter zu rechtfertigen und abzumildern.

 

Diesem Geschichtsrevisionismus gilt es entschlossen entgegen zu treten. Die Bombardierung Pforzheims muss in Folge des Kriegsbeginns durch das faschistische Deutschland gesehen werden. In diesen Sinne kann es keinesfalls Auschwitz oder den Vernichtungskrieg aufwiegen.

 

Der Faschismus war und ist ein Verbrechen!

 

Genau so wenig wie man Pforzheim als einzelnes Ereignis aus dem Krieg trennen kann, ist es unmöglich einzelne Gefechte des Faschismus als gerechtfertigt darzustellen. Wer den Belagerungszustand Warschaus als legitimen Grund für ein Bombardement begreift, muss auch die Verteidigung Warschaus als legitim betrachten.

In Folge dieser Sicht gebietet uns der Versuch einer möglichst genauen Analyse des Krieges, jedoch auch einen kritischen Blick auf die Flächenbombardements der Royal Air Force. Zu oft trafen diese Wohngebiete und zu selten die faschistische Industrie. Eine präzisere Bombardierung hätte den Krieg eventuell früher beenden können.

Hiermit müssen wir uns ebenfalls auseinandersetzen und nicht darauf versteigen, sämtliche Handlungen der Alliierten während des Krieges zu rechtfertigen.

 

Der Gegner war nicht die Bevölkerung Deutschlands, sondern der Faschismus und das deutsche Kapital.

 

Für diese Ansicht werden wir am 23. Februar gemeinsam in Pforzheim auf die Straße gehen.

Für eine ernsthafte, realistische Betrachtung des faschistischen Eroberungskrieges und der Aktionen gegen ihn. Dies sind wir allen Opfern des Faschismus schuldig – jenen im spanischen Bürgerkrieg, jenen in den attackierten Ländern, aber auch jenen in Deutschland.

 

In diesem Sinne:

 

Geschichtsrevisionismus entgegen treten – Das Nazigedenken verhindern!

No Pasaran!

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"Der Gegner war nicht die Bevölkerung Deutschlands, sondern der Faschismus und das deutsche Kapital."

 

Bei euch liest sich das so, als sei der Faschismus ein der deutschen Bevölkerung äußeres Phänomen, dass dank der Verschwörung des Großkapitals über sie gekommen ist wie ein Dieb in der Nacht. 

Wenn die Aliierten für etwas zu kritisieren sind, dann dafür dass sie eben alles andere als konsequent antifaschistische Motive hatten (was auch nach 45 deutlich wurde). Der Gegner war primär die Kriegspartei Deutschland und damit selbstredend auch die Bevölkerung, die zu großen Teilen regimetragend war. Es ist natürlich müßig, über die Individualschuld ziviler Opfer zu debattieren, die ein Krieg zwangsläufig mit sich bringt (weswegen wir hier hoffentlich alle Antimilitaristen sind). Hier allerdings eine Trennlinie zwischen "deutscher Bevölkerung" und Faschisten zu ziehen, ist ziemlich verfehlt und missachtet die tatsächlichen unmittelbaren Opfer der NS-Ideologie. 

Primär denke ich, dass der Satz einfach nur daraufhin deuten sollte, dass keinesfalls alle Einwohner Deutschland unter dem Faschismus auch Faschist/innen waren. Dass er logischerweise eine Verankerung in der Bevölkerung hatte ist ja nicht zu leugnen, allerdings sollte man auch niemals vergessen, dass die Faschisten keinesfalls die Gesamtbevölkerung hinter sich hatten.

 

Daher denke ich, dass es sich um einen richtigen und wichtigen Satz handelt, der lediglich aufgrund einer für eine Rede bedingten Kürzung missverständlich werden kann.

Also ich habe bei meinem Opa so Fascho-Jubelbände vom Zigarettenbilderdienst gesehen, mit Bildchen zum Sammeln und einkleben, das gab es keine schmale Unterstützung in der Bevölkerung. Ich denke die war erdrückend. Sonst hätte das auch kaum mit dem Krieg so lange geklappt oder der Widerstand hätte sich an irgendeiner Stelle durchsetzen können. Das lag schließlich nicht an der Polizei. Davon gibt es heute mehr in Deutschland. Ich halte etwas mehr Sorgfalt auch für angebracht, gerade wenn man auch Nicht-GenossInnen anspricht.

Gute Argumentation: Weil dein Opa Hitlerbildchen gesammelt hat, waren natürlich "alle" damals Faschisten. Von "schmaler Unterstützung" steht in dem Aufruf nichts, wäre ja auch kompletter Blödsinn, weil sie nicht "schmal" war. In deinem Posting seh ich mehr an Relativierung: Weil es heute "mehr" Polizei gibt, war der Repressionsapparat damals nicht so schlimm, oder wie?

"Blicken wir zunächst ein paar Jahrzehnte zurück: Seit dem 18. Jahrhundert ist Pforzheim wirtschaftlich maßgeblich durch seine Schmuck- und Uhrenindustrie geprägt und schmückt sich daher mit dem Titel „Goldstadt“. Bis hierhin stimmen wir dem Kurzportrait der Stadt auf ihrer Internetpräsenz zu, die dann aber einen Sprung macht und mit der Zerstörung am 23. Februar 1945 wieder einsetzt.5 Zu den unerwähnt gebliebenen Ereignissen gehört, dass am Morgen des 10. November 1938 die Pforzheimer Synagoge entweiht und zerstört wurde; für die Kosten des Abrisses musste die jüdische Gemeinde aufkommen.6 Am 22. Oktober 1940 wurden schließlich die knapp 200 verbliebenen Juden und Jüdinnen deportiert. Von ihnen überlebte fast niemand die Shoah.7 Im selben Jahr wurde die Industrie nach und nach auf einen anderen Industriezweig umgestellt, die Rüstungsindustrie. Diese beschäftigte gegen Ende des Krieges laut nicht ganz gesicherten Zahlen mehr als die Hälfte der knapp 19.000 in Pforzheim arbeitenden Menschen, unter ihnen viele zwangsdeportierte Arbeiter_innen und Kriegsgefangene. Auch KZ-Häftlinge wurden angefordert.8 Produziert wurden Bauteilen für Flakgranaten und Bordfunkgeräte sowie Teile für Hitlers „Vergeltungswaffen“, die V1- und V2-Raketen die bis Ende März 1945 auf London und Südengland niedergingen.9 Im Februar 1945 folgte schließlich die im bisherigen Kriegsverlauf folgenschwerste Bombardierung Pforzheims, bei der rund 17.000 Menschen starben und zwei Drittel der Stadtfläche zerstört wurde.

Dass dem bis 2001 amtierenden Pforzheimer Bürgermeister Joachim Becker nur „Wolken über dem Primärziel Ruhrgebiet“ als Ursache für den Luftangriff auf Pforzheim einfallen, passt zu den Erinnerungsgewohnheiten der Stadt Pforzheim.10 Im Stadtbild finden sich Tafeln, auf denen die zerstörte Stadt nach dem Luftangriff abgebildet ist. Mit der spanischen Stadt Guernica – im Spanischen Bürgerkrieg von der deutschen Luftwaffe bombardiert – pflegt die Stadt Pforzheim eine Städtepartnerschaft. Aussage: Im Grunde sind wir alle nur Opfer. Diesen Eindruck vermittelt auch das bürgerliche Gedenken an die Bombardierung, das seit 1946 kontinuierlich und unter Teilnahme von mehreren hundert Menschen stattfindet.11 Seit 2003 ist der 23. Februar offizieller Gedenktag der Stadt, geboten wird ein tagesfüllendes Programm. Begonnen wird mit kollektivem Trauern auf dem Friedhof, im Anschluss gibt es Gottesdienste und Lesungen. „Den siebzehntausend Opfern des 23. Februar“ steht auf dem Denkmal auf dem Hauptfriedhof und um nichts anderes geht es hier.12 Fakten, wie zum Beispiel das Wahlergebnis von 1933, bei dem 57,5% der Pforzheimer Wahlberechtigten die NSDAP wählten13, zählen hier nicht.14 Stattdessen wird der Weltkrieg weitestgehend als unpolitisches Ereignis dargestellt und die Tränendrüsen sollen mit packenden Geschichten von überlebenden Opfern stimuliert werden. Äußerst gerne wird die Versöhnung mit den von der deutschen Luftwaffe zerstörten Städten Coventry und Guernica betont, ebenso werden die Opfer des Nationalsozialismus mit den Opfern der Bombardierung Pforzheims in einen großen Opfertopf geworfen. Abstrakt verantwortlich gemacht werden zum Beispiel „Gewaltherrschaft“, „das Böse“, „Willkür“ oder „Menschenverachtung“. Wer damit gemeint ist, bleibt meist unklar. So können sich alle selbst aussuchen ob sie das lieber auf die Alliierten beziehen wollen, „die Nazis“, oder ganz besonders einfach, auf den damaligen Zeitgeist. Die Pforzheimer Opfermythen, deren Ursprünge auf die NS-Propaganda zurückgehen, wurden bis heute aufrecht erhalten. In ihrem Kern berufen sich alle auf die vermeintliche „militärische Sinnlosigkeit“ der Bombardierung und als vermeintlich sinnlos bombardierte Stadt steht Pforzheim nicht alleine da."  www.dreinull.org/node/56

Interessanter Beitrag, aber eigentlich ist genau das was in deinem Text steht ja der Punkt...

 

Es gibt ganz viele Punkte an der Stadt Pforzheim zu kritisieren. Sei es die Art der Erinnerung oder eben auch der Umgang mit dem Nazigedenken. Diese können uns müssen wir anbringen.

Dazu dürfen wir aber nicht einfach sagen "das waren Nazis und die Bombardierung war notwendig", sondern ins Detail gehen und den Opfermythos der Stadt und auch der Nazis zerlegen. Diesen Gedankengang sehe ich in der Rede auch...