Seit 1952 findet in Wien der sogenannte „Wiener Kooperations Ball“ (WKR) statt. Seit einigen Jahren hat sich rund um den Ball, der durch nationale Burschenschaften organisiert wird eine rege Protestkultur entwickelt. An den Protesten beteiligten sich in diesem Jahr rund 4000 Menschen.
Neuer Name, gleiche Scheiße
Der WKR-Ball fand im letzten Jahr am 27. Januar, dem Tag der Auschwitzbefreiung, statt. Die Kombination aus rechter Großveranstaltung und historisch unverantwortlicher Datumswahl führten zu einer verschärften Kritik an der Veranstaltung in der Öffentlichkeit. Zwischen zwischen 8.000 und 10.000 Menschen demonstrierten 2012 gegen den Ball, rund 3000 davon als Teil der Antifa-Demo der „Autonomen Antifa Wien“ (AFA Wien) und des „Ums ganze…“- Bündnisses (UG).Die Betreiber*innengesellschaft der Wiener Hofburg, die bereits seit Jahren an der Ausrichtung des Balles gut verdient, sah sich nach der gesteigerten öffentlichen Kritik gezwungen, das Geschäftsverhältnis mit den Burschis zu kündigen. Dass die Veranstalter*innen des Balls über genug Einfluss verfügen und diesen geltend machen, um den Ball in der Hofburg durchzusetzen, zeichnete sich schon im Februar 2012 ab.
Unter dem Namen „Akademiker Ball“ und unter Schirmherrschaft der der FPÖ wurde 2013 der Ball durchgeführt, natürlich in der Hofburg - versteht sich.Hans Christian Strache jedoch, der führende Kopf der FPÖ, ließ sich wider Erwarten nicht blicken. Rund 1000 Teilnehmer*innen zählte die reaktionäre Großveranstaltung am Abend des 1. Februar. Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass es sich dabei um Österreichs größte regelmäßig stattfindende braune Veranstaltung handelt.
Was 2013 so ging…
2012 profitierten die Veranstalter_innen der Demonstration 2012 von dem Medienrummel um das unsensibel gewählte Datum, in diesem Zuge kamen auch aus Deutschland mehr Busse des UG, was sich auch in den Teilnehmer*innenzahlen der Demonstration ablesen ließ (über 3000).
An der Antifa-Demo (Org: nowkr.at, AFA Wien, UG) beteiligten sich in diesem Jahr rund 2000 Menschen.
Der vordere Block der Demonstration lief komplett maskiert. Dass lag nach subjektiver Einschätzung nicht allein daran, dass die Polizei die Deeskalationsschiene fuhr. Viel mehr wurde das Wochenende überdeutlich, dass das junge Vermummungsverbot, das in Österreich erst 2002 eingeführt wurde, noch nicht strikt umgesetzt wird. In Wien kann also nach Herzenslust vermummt und gezündelt werden. Während der Demo wurden darum reichlich Bengalos und Böller gezündet.
Neben den UG-Gruppen beteiligten sich auch Aktivist*innen des „Wir bleiben alle!“-Spektrums mit einem „KvU bleibt!“-Transparent an der Demonstration. Die Freiraum-Aktivist*innen waren zur Unterstützung der Anti-WKR-Proteste angereist und um am Folgetag gegen die „Besitzer*innen“ des alternativen Projektes „Kirche von Unten“ (KvU) zu demonstrieren.
Die Polizei hatten die von der Maria Hilfer-Straße abgehenden, Seitenstraßen in Richtung Hofburg gesperrt, um Teilnehmer_innen am Verlassen der Demo zu verhindern. Während die Demo am Abschlusskundgebungsplatz ankam und die Einsatzkräfte vor Ort mit kleineren Scharmützeln an den Absperrungen beschäftigt waren, lösten sich Gruppen aus dem Aufzug, um über die Seitenstraßen zur Rückseite der Hofburg zu gelangen. Die Demo band jedoch ein Großteil des Konfliktpotentials an der Süd-West-Seite der Hofburg. Ein Ausscheren größerer Gruppen vor Demoende wäre möglich gewesen und hätte für mehr Bewegung gesorgt.
In den Straßen rund um die Hofburg fanden indes einige Taxi-Blockaden statt, um die Anreise der Burschies und anderer Gäste des Balls zu unterbinden oder zu verlangsamen. Die WKR-Teilnehmer*innen, die zu Fuß unterwegs waren wurden zu mindestens zeitweise an manchen Stellen durch Menschen aufgehalten, die sich ihnen in den Weg stellten.
Wenn Ballbesucher*innen bespuckt, beworfen oder mit Getränken überschüttet wurden, dann meist von Leuten, die nicht Teil des linksradikalen Demozuges waren. "Laut Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein wurden Dutzende Ballbesucher durch Stein- und Flaschenwürfe von Demonstranten verletzt - darunter auch der EU-Abgeordnete Andreas Mölzer [Anm.: FPÖ]. Der sei vor der Oper von einem Wurfgeschoß getroffen worden und habe eine Platzwunde am Kopf erlitten, sagte ein Parteisprecher. " / „Vereinzelte Zwischenfälle gab es abseits der Demorouten. Farbbeutel und Pfefferspray wurden gegen Ballbesucher und Beamte eingesetzt. Die Polizei sprach in einer ersten Aussendung von zwei verletzten Polizisten und zwei verletzten Ballgästen. Nicht nur Ballbesucher, auch Demonstranten wurden im Zuge der Protestkundgebung verletzt.“ schreibt die Tageszeitung „Der Standart“. Trotz allem kam es zu selten zu direkten Angriffen gegen die Ballgäste - selbst dann nicht, wenn sie deutlich als solche erkennbar waren.
Vereinzelt kam es zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei und zur Steinigung einer Polizeiwache. Blumenkübel und anderes Inventar einzelner Nobelgeschäfte und Restaurants mussten für kleinere Materialblockaden in den Seitenstraßen herhalten….
Wenn Burschis reisen
Hauptproblem, aber auch strategischer Vorteil für den Gegenprotest ist die Anreise der Burschis und ihrem Anhang per Taxi. In den Vergangenen Jahren gab es immer wieder Flyer-Aufklärungskampagnen, die sich gezielt an Taxifahrer*innen richteten. Allerdings bedeutet der Tag für viele Taxifahrer*innen höhere Einnahmen, was den politischen Kontext für viele egal werden lässt. Selbst wenn Taxifahrer*innen für das Thema sensibilisiert sind, so sind die wenigsten der WKR-Gäste in Burschen-Kluft unterwegs. So ist es nicht ungewöhnlich, dass an einem Samstag in Wien besser gekleidetes Publikum ein Taxi nimmt.
- Nachteil der vereinzelten Anreise, der Gegenseite:
Im Gegensatz zu Neonaziaufmärschen gibt es keine gemeinsamen Anreisetreffpunkte für größere Gruppen der Gegenseite. Eine zentralisierte Anreise der Gegenseite würde zu mindestens theoretisch für Massenblockaden einen guten Anknüpfungspunkt bieten. Aktuell ist dies aber nicht in Sicht.
- Vorteil der vereinzelten Anreise, der Gegenseite:
Die Anreise ist „Privatvergnügen“ der Ballgäste und unterliegt nicht bei allen Anreisenden von Anfang an dem permanenten Schutz der Staatsmacht. Kleinere Gruppen der Gegenseite (zu Fuß oder Taxi) lassen sich darum einfacher blockieren oder verjagen. Entschlossenheit wäre hierfür allerdings die Voraussetzung. Viel Trouble in den (Seiten)straßen kann zu mehr Polizeiabsperrungen führen, die für einzeln Anreisende auch eine Barriere in der freien Bewegung darstellen – so lange Gegendemonstrant*innen in der näheren Umgebung aktionistisch unterwegs sind. Dies könnte eine temporäre Lösung für dass Problem sein, dass Wiens Innenstadt zu viele und zu große Straßen hat, welche nur schwer zu blockieren sind.
Blockieren oder eskalieren?
„Beides!“ wäre die korrekte Antwort. Dies würde aber eine weniger hippieske Mentalität bei den Wiener Sitzblockierer*innen, ein Blockadekonzept und eine höhere Präsenz aktionistischer Antifas voraussetzen.
So theoretisch unspektakulär der*die ein oder andere die Aufrufe von „Dresden Nazifrei“ auch finden mag, in Dresden ist es gelungen Blockaden als massenhafte Aktionsform per Minimalkonsens salonfähig zu machen. Auch eine Entsolidarisierung von Antifaschist*innen, die in Dresden die Antifa-Ordnungsschelle den Blockaden als Aktionsform vorzogen, geschah nicht. In Dresden führten Solidarität, Akzeptanz von Aktionsformen und der lange Atem in der Bündnisarbeit zum gewünschten Ergebnis. Ein Umstand der die Reaktion, im Heimatland von Nussknackern und NSU, den Schaum vor den Mund trieb.
Allerdings lässt sich dieses Konzept nicht einfach auf Wien übertragen. Die Antifa-Szene in Österreich ist überschaubar und der Rest der linkspolitischen Landschaft ist stark von parteinahen Jugendverbänden und K-Gruppen geprägt, die in den seltensten Fällen zusammenkommen. Der WKR hat sich als Kristallisationspunkt für den anti-Nazi-Widerstand letzterer Spektren entwickelt.
Aber wie der Widerstand gegen den WKR zu führen ist und mit wem obliegt allerdings nicht Antifaschist*innen aus Deutschland, sondern den Leuten von vor Ort.
Was aber strategisch Sinn macht, ist ein Austausch mit den Aktivist*innen, die in den letzten Jahren Erfahrungen mit Neonazi-Massenevents gesammelt haben, wie sie in Warschau oder Dresden stattfanden.
Blut und Boden trifft politische Elite
Die Geschichte Österreichs ist auch eine andere (Bsp.: Austrofaschismus, Dollfuß, Österreich = vermeintliches „Opfer“ von Nazideutschland) und an diese ist auch die derzeitige Konstitution der österreichischen Rechten geknüpft. Das FPÖ, BZÖ usw.-Spektrum saugt das Potential auf, dass anderswo Wähler*innenklientel für neonazistische Parteien hätte sein können. Der Rassismus und Nationalismus ist in Österreich politikfähige Mitte und kann nicht so einfach, wie in Deutschland über das Nazi-Schmuddel-Image diskreditiert werden. Wer zum Jahresanfang in der Hofburg tanzt, ist Teil der Österreichischen Elite.
Hierin besteht die Schwierigkeit, aber auch der inhaltliche, wie auch praktische Reiz der Proteste gegen den WKR. Es ist nicht der Widerstand gegen eine neonazistische Strömung, die auf Grund der gesellschaftlich randständigen Position des Rekrutierungspotenzials in Deutschland wenig politische Wirkung entfaltet. Dass Burschenschafter ewiggestrige Sexisten und Rassisten sind, dass sie sich mit dem Säbel in die Backe ritzen und allerlei anderen, mittelalterlichen Blödsinn praktizieren, muss weiterhin thematisiert werden. Allerdings ist das Faktum „rechte Elitenschmiede“ weitaus interessanter. Denn es bedarf in Wirtschaft und Politik immer informeller Netzwerke, Personen und Denkrichtungen, die den reaktionären Um- und Abbau des Sozialsystems und die Krisenpolitik vorantreiben.
Die personifizierte Symbiose aus militaristischer Blut und Boden-Ideologie, sowie politischer- und ökonomischer Entscheidungsgewalt, wie sie sich beim WKR treffen, bedient genau diese Anforderungen. Dieser Umstand muss verstärkt thematisiert werden.
Denn auch ohne die antisemitischen Aussagen eines HC Strache oder die Wahl des Ausschwitzbefreiungstages als Termin für den WKR-Ball, bleibt diese Veranstaltung eine Manifestation der Pracht- und Machtentfaltung der herrschenden, wertkonservativen Elite und damit das Angriffsziel für alle, die für ein freies Leben kämpfen!
Und nächstes Jahr?
Wir würden sagen: hinfahren, dezentral agieren und STRESSEN!
Antifa heißt Angriff!
Antifa „Osten bleibt stabil!“ / Bundesweite Organisation
[AOBS / BO]
Ergänzungen
1. Es muss Heinz-Christian, nicht Hans-Christian heißen. So viel Genauigkeit muss sein.
2. Wieso "wider Erwarten"? Die FPÖ ist seit langem intern gespalten. Strache steht - wie auch Kickl - auf Seiten des Karrieristenflügels innerhalb der F. Der deutschnationale Flügel um Graf, Mölzer, Jung etc. hat schon lange einen tiefsitzenden Disput mit Strache und co. Strache hätte sich selbst keinen Gefallen getan auf dem Akademikerball aufzutanzen. Zuletzt zu sehen war dieser innerparteiliche Riss am 8. Mai 2012, als Strache dem "Totengedenken" des rechtsextremen Flügels fern blieb.
Das hat wohl eher damit zu tun, dass Vermummung im Gegensatz zu Deutschland in Österreich im Rang einer Verwaltungsübertretung steht und üblicherweise nur im Zusammenhang mit weiteren nicht gesetzteskonformen Handlungen angezeigt wird. Außerhalb Wiens wird Vermummung übrigens konsequenter verfolgt.
Welchen Sinn hätte das gehabt? Der gleiche Weg in die Innenstadt wurde 5 Minuten später durch das Einsickern von Bezugsgruppen ohne Polizeitkontakt erfolgreich bewerkstelligt. Ein Durchbruch wäre eine reine Selbstzweckaktion gewesen und wäre spätestens bei der Oper zum Erliegen gekommen - noch bevor die Innenstadt erreicht wurde.
Wer sowas unbedingt haben muss, wende sich bitte an die "Offensive gegen rechts". Die kopierten das Dresden-Konzept heuer 1 zu 1.
Und genau das ist die Frage für das nächste Jahr:
sollte es im Herbst wieder zu einer schwarz-blauen Koalition kommen (was durchaus realistischt ist), ist das deutschnationale Spektrum wieder in der Regierung. Dann stellt dieses rechtsextreme Milieu mehrere Ministerien. Von den Staatssekretären, Beamten, etc ganz zu schweigen. Dann tanzen dort nicht nur die Elite und die Mitte, sondern teilweise der rechtsextreme Teil der österreichischen Regierung. Das stellt inhaltlich eine weitere Herausforderung dar und wird sich natürlich auf Polizeipräsenz und -vorgehen vor Ort auswirken. Das gilt es zu bedenken.
Zu Bild 17:
Das ist nicht die Kundgebung der OGR, sondern die Kundgebung des bürgerlichen "Jetzt Zeichen setzen"-Bündnisses.
Fazit:
Was bislang zu wenig Beachtung fand, ist die Tatsache, dass die Besucher_innenzahlen des Balls von ehemals etwa 2.-3.000 auf 780 (Zählung der Polizei) zurückgingen. Dieser Rückgang um bis zu 75% ist ein markanter Erfolg der Proteste der letzten Jahre.
Der weitere Verlauf des Balls wird von der kommenden Regierung abhängen:
1. Bleiben die Blauen in der Opposition, wird der Ball weiter an Relevanz verlieren und evtl. irgendwann gänzlich aus der Hofburg verschwinden.
2. Kommt die FPÖ in die Regierung, werden sie den Ball wieder in WKR-Ball umbenennen (wie von Jung angekündigt), die europäische Rechte wird auf Staatskosten eingeladen und die FPÖ-Regierungsmitglieder und Ballgäste werden durch Maximaleinsatz der Polizei bequem in die Hofburg gebracht, während der Protest konsequent niedergeprügelt wird.
So die zwei Szenarien aus heutiger Sicht...
Kosten für den Bulleneinsatz
für den bulleneinsatz muss der staat wohl etwa 500.000 € blechen... :)
(quelle: http://kurier.at/chronik/wien/polizei-einsatz-kostete-500-000-euro/3.247... )
bitte einfügen
Kann mensch einfügen, dass Verhaftete und von Repression Betroffene usw sich beim Rechtshilfekollektiv melden können:
http://at.rechtsinfokollektiv.org/kontakt/