Tunesien: Die Schlacht gegen die Islamisten

Tunesien

Die Wellen rollen weiter... 

Seit über einem Jahr kommt es in Tunesien zu bisher regional begrenzten Streiks und Protesten, die teilweise in allgemeine Aufstände ganzer Orte umschlagen. Plünderungen, niedergebrannte Bullenreviere, regionale Generalstreiks, Blockaden wichtiger Überlandverbindungen. Mehrmals wurde schon das Militär in aufständische Gebiete geschickt, um die Orte im Landesinneren zu "befrieden". Nun ist der Kampf gegen die neoliberalen Islamisten und ihre sozialdemokratischen Steigbügerhalter in eine neue Phase getreten.

 
Die regierenden Islamisten der Ennahda haben mittlerweile in vielen Orten eigene Milizen gebildet, die Angst und Schrecken verbreiten. Ob der Mord an Chokri Belaid nun auf ihr Konto geht, oder andere islamistische Gruppierungen oder gar alte Seilschaften des Ben Ali Regime das Attentat begangen haben, spielt für die wütenden Massen, die derzeit landesweit Büros der Ennahda niederbrennen, keine Rolle.
Die Botschaft der Attentäter ist eindeutig, und so lautete eine der Parolen gestern während der Proteste in Tunis denn auch folgerichtig: "Terrorismus- Kugeln, die Tunesier sind furchtlos".
 
Die Islamisten, die die Aufstände gegen Mubarak und Ben Ali beerbt haben und seitdem vom Westen als Stabilisierungsfaktoren mit Waffen, Krediten, Wirtschaftshilfen und einem unerschöpflichen Vorrat an Tränengas, dass durch die Strassen von Kairo und Tunis weht, hofiert und gestützt werden, sind in kürzester Zeit am Scheitelpunkt ihrer Macht angelangt.
Es gibt keinen halluzinierten Marshallplan für den Norden Afrikas, die zugesagten Gelder sind nur Tropfen auf dem heissen Stein, die Effekte der getätigten Kredite und Investionen sind nicht einmal unter der Lupe zu verifizieren. Die Auflagen des IWF für neue Milliardenkredite werden das Elend all jener, die jetzt schon am Morgen nicht wissen, wie sie denn sich und ihren Familie durch den Tag bringen werden, noch unerträglicher machen.
 
Dazu der Angriff auf die Rechte der Frauen und Minderheiten, die vielen kleinen Mosaiksteine, die nach dem Willen der Islamisten die Freude aus dem Leben treiben sollen. Die bewaffneten Angriffe auf Bars und Kulturfestivals in Tunesien, die Anordnung zur abendlichen Schliessung der Läden in Kairo. Wo eben noch trotz aller Armut das Leben gefeiert wurde, soll nun der fromme Tod Einzug halten.
 
Die Aufstände vor zwei Jahren in Nordafrika und Nahost, die immer auch soziale Revolten waren, waren und sind keine singulären Ereignisse. Seit Jahrzehnten brachen immer wieder in Algerien, Tunesien, Ägypten, .... sogenannte Brotrevolten und spontane Streiks aus, auf die häufig sogar von den Herrschenden mit konkreten Zugeständnissen geantwortet wurde.
Die Entwicklungen der letzten zwei Jahren haben diese Revolten generalisiert, die Erfahrung, dass unangreifbare erscheinbare Diktaturen innerhalb weniger Tage zu Fall gebracht wurden, haben sich in das Gedächnis der Herrschenden und der Beherrschten eingebrannt. "Wir haben unsere Angst verloren",  ist eine der zentralen Losungen der Revolten.
Wenn der Kopf nicht mehr vor Angst gesenkt wird, wenn der Blick trotz paramilitärischer checkpoints frei durch die Strassen streift, wird jener Satz wahr, das "Macht immer auch geliehen ist".
 
"Brot, Freiheit, Würde", die regierenden Islamisten haben von all dem nichts zu geben. Eben noch ausgestattet mit dem Nimbis von Jahrzehnten im Untergrund und der islamischen Wohlfahrt für die Armen, sind sie selber fassungslos angesichts der Wut, die ihnen entgegen schlägt. Eben darum ähnelt ihre Rhetorik und ihre Antworten auf die Proteste auch so verblüffend den Methoden jener Diktatoren, die gerade erst von ihrem Thron gestürzt wurden. Das Gefassel und Gestammel von ausländischen Verschwörungen, die Verhängung des Ausnahmezustandes.
In Port Said haben Zehntausende mit völliger Selbstverständlichkeit das nächtliche Ausgehverbot missachtet, sich zu den Herren ihrer Stadt gemacht, so dass dem einmarschierten Militär garnichts anderes übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und aus den Luken der Schützenpanzer dem Treiben zuzuschauen. In Tunis waren in weniger als zwei Stunden nach der Ermordung Chokri Belaid Tausende auf den Beinen, wie selbstverständlich führte sie ihr Weg zum Innenministerium. Auf genau jener Strasse, die zum Sturz Ben Ali´s führte , trotzen sie dem Tränengas der Aufstandsbekämpfungseinheiten.
 
Der Aufstand, die soziale Revolte, kennt kein Maß mehr außer sich selbst. Keiner kann sie mehr begrenzen, niemand ihre Gezeiten kontrollieren. Sie ist wie das Meer.
 
Eine unvollständige Übersicht über die Geschehnisse in Tunesien:  
 
Das HQ der Ennahda in Siliana wird niedergebrannt. Hier kam es schon in den letzten Monaten immer wieder zu riots und Streiks.
Auf Druck der Gewerkschaftsbasis wird dort ein ein sofortiger lokaler Generalsteik ausgerufen.
 
In der südlichen Provinz Gafsa riots, Kämpfe gegen die Bullen. Das HQ der Ennahda wird getürmt.
 
In Sidi Bouzid sind Tausende auf den Strassen,  heftige Kämpfe mit den Bullen, Versuche , das HQ der Ennahda  zu stürmen.
 
In Sfax gibt es ebenso wie in Monastir Angriffe auf die HQ´s der Ennahda.
 
In Tunis setzen sich schon am Mittwochvormittag Tausende in Richtung Innenministerium in Bewegung. Auf der geschichtsträchtigen Avenue Habib Bourguiba kommt es den ganzen Tag über zu Zusammenstössen mit den Bullen, trotz massiven Tränengaseinsatz finden sich immer wieder neue Demos zusammen. Barrikadenbau und Plünderungen, ein Bulle wird nach Angaben des Innenministeriums durch Steinwürfe so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus an seinen Verletzungen stirbt. Als der Leichnam von Chokri Belaid aus dem Krankenhaus in eine Moschee überführt wird, folgt eine wütende Menschenmenge dem Ambulanzwagen. 
Nach einem Treffen der Leitung des grössten Gewerkschaftsbundes, der UGGT erfolgt am Donnerstagmittag der Aufruf zu einem landesweiten Genaralstreik für den heutigen Freitag.
Noch im Dezember hatte die Gewerkschaftsspitze einen angekündigten Generalstreik nach dem Angriff von Islamisten auf die Gewerkschaftszentrale in Tunis nach Gesprächen mit der Regierung kurzfristig abgesagt. Diesmal ist offensichtlich der Druck der Basis nach der Ermordung von Chokri Belaid zu gross. Chokri Belaid wird heute in Tunis beigesetzt werden.
 
In Siliana wird am Donnerstag das HQ der Ennahda niedergebrannt.
 
Auch im Donnerstag Kämpfe mit den Bullen in der Innenstadt von Tunis.
 
Heute werden in der Provinz Nabeul zwei HQ der Ennahda in Brand gesetzt.
 
Tausende strömen unterdessen in das Armenviertel Djebel Jelloud, in dem Chokri Belaid geboren wurde. Als sich der Trauermarsch in Bewegung setzt, folgt eine grosse Menschenmenge dem Sarg.
Die Familie, die mittlerweile an der Spitze des Trauerzuges den Friedhof erreicht hat, erklärte gestern öffentlich, sie werde keine Anwesenheit von Repräsentanten der regierenden Ennahda bei der Beisetzung dulden.  Hubschrauber kreisen über dem Trauerzug, statt den Einheiten der Aufstandsbekämpfungsbullen sind Militärs im Viertel stationiert.
 
Auch in anderen Städten versammeln sich zur Stunde Tausende zu Trauerkundgebungen, so u.a. in Sfax, Gafsa, El Kef und Sidi Bouzid.
 
 
Hintergrundberichte jenseits der Massenmedienberichterstattung und aktuelle Informationen zur Entwicklung in Tunesien findet ihr u.a. auch bei labournet und der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
 
 
recherchegruppe aufstand für linksunten
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mit vielen Hintergründen gibts zum Nachhören auf Radio Dreyeckland

- 50.000 Menschen bei der Beisetzung in Tunis- Zusammenstösse mit den Bullen - Breite Beteiligung am Generalstreik - Allein in Tunis heute 200 Festnahmen wegen Plünderungen - Tausende gedenken in Kairo heute Chokri Belaid - dort kommt es wie in vielen anderen Städten Ägyptens heute zu heftigen Riots- Bericht dazu in Kürze- weitere Berichte von Schmid, Wandler, u.a., sowie Videos auf unserem blog:

 

http://uprising.blogsport.de/

Natürlich gibt es Probleme in Tunesien. Die gibt es nach jeder Revolution, was glaubt ihr Träumer eigentlich. Was mich ankotzt ist der kaum verbrämte Imperialismus und vielleicht sogar Schlimmeres gewisser sogenannter deutscher Linker. Wie die Faschisten ihren Rassismus neuerdings gerne als Antiislamismus kaschieren, scheint mir das auch ein neuer Trend bei einigen ach so aufgeklärten Linken. Und es scheint, als wenn wirklich akzeptiert eigentlich nur der Araber oder auch der Farbige ist, der sich, auch wenn man es nie so ganz klar ausspricht, eigentlich dem westlichen, womöglich sogar in Wirklichkeit deutschen (sozialdemokratischen) Wertemodell verschrieben hat. "Und es mag am deutschen Wesen, einmal noch die Welt genesen", das weisen Linke immer gerne und überzeugt von sich, weil sie ja keine Nazis sind. Aber irgendie scheint es in diesem Volk drinzustecken, mal unter diesen, dann wieder unter anderen Vorzeichen. Dass die Umma in mancher Hinsicht viele sozialistische Ideen verwirklicht, Antirassismus, Antikapitalismus, ein mehr oder weniger ausgeprägtes Zinsverbot, Pflicht zur Gemeinschaft usw. das verschweigt man gern, wie man auch verschweigt, dass das westlich sozialdemokratische Gewerkschaftsmodell bisher immer noch in Korruption und Kollboration geendet ist. Dazu passt dann allerdings die besonders bösartige Methode den Islam zu disketitieren, indem man ihn, den Islam (!) mit dem Kapitalismus identifiziert "neoliberale Islamisten". Selber nicht mal ein Revolutiönchen hinbekommen oder hinbekommen wollen, aber andere kritisieren. Typisch deutsch!

Jaja, wenns nicht deutsch ist muss es gut sein... Klar Isreals Siedlungspolitik, die Katholische Kirche und Amerikanischer Raubkapitalismus dürfen gerne kritisiert werden, aber was bilden wir uns nur ein einer so Fremden Kultur was von Wiederstand und Menschenrechten erzählen zu wollen? Schade dass der Rechtspopulismus die überauswichtige Auseinandersetzung mit dem Radikalen Islam an sich gerissen und mit ihrer wiederlichen Ideologie beschmutzt haben, so dass sich kaum noch ein linker traut da mitzumischen.

Soll die "Auseinandersetzung mit dem Radikalen Islam" die Fakten so hinbiegen, dass wir danach alle "Isreals Siedlungspolitik" ganz prima finden. Oder was willst du uns hier auftischen

Merkwürdig ist allemal was du aus meinen Text herrauszulesen scheinst. Die Auseinandersetzung soll in erster Linie mal stattfinden, und zwar ohne Beschönigung auf der einen, und Rassistischer Propaganda auf der anderen Seite