Journalismus. Thomas Kuban heißt eigentlich anders. Jahrelang hat er verdeckt in der Rechtsrockszene recherchiert, nun muss er sich vor Racheakten schützen. Ein Gespräch über rechtsfreie Räume, tätowierte Skinheads und den Zusammenhang zwischen geschmackloser Musik und schwerer Körperverletzung.
Das Interview darf nur unter vier Augen an einem nichtöffentlichen Ort stattfinden. Für das Foto verkleidet er sich mit Perücke, Bart, Sonnenbrille und einem senffarbenen Sakko. 15 Jahre lang hat der Journalist Thomas Kuban verdeckt bei Neonazikonzerten recherchiert. Hieraus sind ein Dokumentarfilm und ein Buch entstanden.
Herr Kuban, Sie wollen unerkannt bleiben, aber im Internet kursiert ein Foto, das Ihr - ich zitiere - 'linkes Kotzgesicht' zeigt.
Das Bild zeigt nicht mich, sondern einen Lehrer, der wirklich Thomas Kuban heißt. Ich erwähne zwar bei jeder Gelegenheit, dass Thomas Kuban mein Pseudonym ist, aber das kapiert offenbar nicht jeder.
Liegen Ihre Gegner zumindest mit der Einschätzung richtig, dass Sie ein Linker sind?
Für jemand, der politisch ganz weit rechts steht, bin ich automatisch ein Linker. Ich selbst sehe mich als Ökologisch-Liberalen. Wenn es ums Familienbild geht, bin ich konservativer als die CDU heutzutage.
Warum haben Sie sich die rechtsextreme Szene als Erkundungsfeld ausgesucht?
Meine Undercover-Recherchen begannen vor anderthalb Jahrzehnten damit, dass mir ein Journalistenkollege von einer konspirativen Musikszene erzählte. Von Neonazis, die sich - von der Öffentlichkeit komplett abgeschirmt - zu Rechtsrockkonzerten treffen. Für mich wurde es eine berufliche Herausforderung, diese konspirativen Strukturen zu knacken. Vom Jahr 2003 an habe ich mit einer versteckten Kamera gefilmt, dadurch wurde die Arbeit besonders spannend.
Vor allem wurde Ihre Arbeit dadurch gefährlich. Warum setzt man freiwillig seine körperliche Unversehrtheit aufs Spiel?
Ich tue mich schwer, auf diese Frage eine schlüssige Antwort zu liefern. Ein Journalist lebt irgendwann in seiner Recherche. Man findet etwas heraus und merkt, dass man noch mehr herausfinden könnte. Der Ehrgeiz treibt einen dazu, ein immer größeres Risiko einzugehen. Wobei man dazu sagen muss, dass ich nicht blauäugig an die Sache rangegangen bin. Ich habe mich über Jahre hinweg an diese Szene herangetastet.
Haben Sie sich von Anfang an verkleidet?
Als ich gefilmt habe, sah ich wie ein Skinhead aus, weil ich in der Masse untergehen wollte. Ich habe mich auf jeden Konzertbesuch akribisch vorbereitet. Die technische Ausrüstung musste perfekt sein, aber auch meine Legende. Wenn ich in Gespräche verwickelt wurde, musste ich ja etwas über mich erzählen können, was mit der Realität nichts zu tun hat.
Wie geht es bei einem konspirativen Neonazikonzert zu?
Prinzipiell ist die Stimmung wie bei jedem Rockkonzert. Dazu kommt allerdings, dass die Besucher Straftaten begehen: Sie zeigen den Hitlergruß, schreien 'Sieg Heil', grölen volksverhetzende Lieder, besingen den Mord an Juden und Ausländern.
Und werden dafür nicht belangt?
Im hessischen Kirtorf habe ich erlebt, dass nach der Ausstrahlung meines Videomaterials in der Sendung 'Kontraste' die Staatsanwaltschaft ermittelt hat und Konzertorganisatoren sowie Mitglieder einer rechtsextremen Band verurteilt wurden. Aber das war ein Einzelfall, daneben ist mir nur noch ein weiterer Fall aus der Schweiz bekannt.
Warum wird nicht härter durchgegriffen?
Die Polizei redet sich häufig damit raus, dass sie die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren müsse. Oder es heißt, dass ein Neonazikonzert keine Außenwirkung entfalte. Dazu sage ich: Eine Innenwirkung hat so ein Konzert immer. Woche für Woche erleben Neonazis, dass sie sich unbehelligt in einem rechtsfreien Raum bewegen können. Das sorgt für ein ungeheures Selbstbewusstsein in der Szene, die spürt, wie schwer sich die Behörden mit ihr tun.
Würde es wirklich etwas bringen, jedes Neonazikonzert aufzulösen?
Ja. Die Nazis sind frustriert, wenn sie von sonst woher angereist sind und unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. 2006 hat der damalige baden-württembergische Innenminister Heribert Rech diese Strategie erfolgreich verfolgt: Im Verfassungsbericht ist nachzulesen, dass innerhalb eines Jahres das 'rechtsradikale Personenpotenzial' zurückgegangen sei, und zwar vor allem deshalb, weil die Polizei bei Rechtsrockkonzerten konsequent einschritt.
Sie haben rund 50 solcher Konzerte besucht. Was hat Sie dabei am meisten schockiert?
Menschenverachtende Liedtexte wie 'In Majdanek, in Majdanek, da machen wir aus Juden Speck' oder 'Es weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind'.
Wenn man Ihren Film 'Blut muss fließen' anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie über Jahre hinweg das Treiben unterbelichteter Kerle aufgezeichnet haben.
Bei so manchem voll tätowierten Nazi-Skinhead ist der Intellekt nur bedingt ausgeprägt, das stimmt. Aber es gibt auch andere Beispiele: Steffen Hammer und Alexander Heinig waren einst Sänger der Rechtsrockbands Noie Werte und Ultima Ratio, heute betreiben sie gemeinsam ein Rechtsanwaltsbüro im Stuttgarter Osten. Vor ein paar Jahren traten die beiden noch auf Konzerten in Erscheinung, bei denen das Publikum 'Sieg Heil' brüllte. Zurzeit verteidigen Hammer und Heinig vor dem Stuttgarter Landgericht Rechtsextreme, die an einer Hetzjagd auf eine Gruppe türkisch- und italienischstämmiger Männer in Winterbach beteiligt gewesen sein sollen.
Sind Sie sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen geschmackloser Musik und schwerer Körperverletzung gibt?
Und ob! Die Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund hat ein Bekennervideo mit einem Noie-Werte-Stück unterlegt. Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass Mord und Totschlag nur besungen werden, sondern dass Mord und Totschlag auch stattfinden - und zwar lange bevor der NSU aufgeflogen ist. Laut der Amadeu-Antonio-Stiftung gab es seit der Wiedervereinigung 182 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt, die Wochenzeitung 'Die Zeit' hat 149 gezählt. Die offizielle staatliche Statistik weist seltsamerweise nur 60 Todesopfer aus, aber die zehn NSU-Opfer sind ja bis vor anderthalb Jahren auch nicht in dieser Statistik aufgetaucht. Bis die Zwickauer Terrorzelle entdeckt wurde, haben unsere Sicherheitsbehörden die Neonaziszene systematisch verharmlost.
Zumindest in Baden-Württemberg gibt es durchaus Beispiele, in denen der Rechtsstaat durchgegriffen hat. So wurden im November 2006 Mitglieder der Schwäbisch Gmünder Band Race War vom Landgericht Stuttgart wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Richtig. Aber der Sänger Max Hirsch ist bis heute in der Szene aktiv. In diesem September ist er unter dem Bandnamen 'Heiliger Krieg' in March-Holzhausen bei Freiburg bei einem Benefizkonzert aufgetreten. Dort wurde für eine Nazidemo in Göppingen gesammelt. Eine Band sang, dass Kreuzberg eine türkische Stadt auf deutschem Boden sei, die dem Erdboden gleichgemacht werden müsse, von einer schwarzen Division - also eine Anspielung auf die SS. Dazu Hitlergrüße, 'Sieg Heil'-Rufe, das volle Programm. Und weit und breit keine Polizei, die diesen Spuk beendet hätte.
Ist der Staat auf dem rechten Auge blind?
Die Behörden werden dort aktiv, wo die Politik ihre Prioritäten setzt. Seit 2001 steht die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an erster Stelle. Folglich sind andere Themen vernachlässigt worden. Das Problem ist meines Erachtens die Dokumentation. Wenn staatliche Ermittler so vorgehen würden wie ich, also die Straftaten auf Video festhalten, dann könnte man die Bands und die Konzertveranstalter problemlos juristisch verfolgen. Stattdessen muss man feststellen, dass Nazis manchmal gegen die Auflösung eines Konzertes klagen und die Polizei sich mit vorgeschobenen Argumenten wie unzureichendem Brandschutz für ihr Vorgehen vor Gericht rechtfertigen muss.
Warum ändern die deutschen Sicherheitsbehörden nicht ihre Strategie?
Das ist mir ein Rätsel. Bekannt ist ja mittlerweile, dass der Verfassungsschutz viel mit V-Leuten arbeitet, also Nazis, die vom Staat dafür bezahlt werden, dass sie Informationen liefern. Ich würde es für effektiver halten, wenn ausgebildete Beamten verdeckt ermitteln würden.
Es gibt Ihr umfangreiches Film- und Tonmaterial, das müsste ja eigentlich zu zahlreichen Ermittlungsverfahren geführt haben.
Ich weiß von zwei Verurteilungen, die direkt auf meine Recherchen zurückzuführen sind. Angesichts der Fülle von Straftaten, die ich gefilmt habe, ist das eine erschreckend dürftige Bilanz.
'Blut muss fließen' feierte im Frühjahr auf der Berlinale eine viel beachtete Premiere. Dennoch will den Dokumentarfilm bis heute kein Fernsehsender zeigen.
Peter Ohlendorf, der Produzent und Regisseur, führt zurzeit Gespräche mit dem NDR und dem Bayerischen Rundfunk, aber wir haben noch immer keinen Vertrag. Ich hätte in meinen schlimmsten Albträumen nicht erwartet, dass wir ein Dreivierteljahr nach der Berlinale noch in der Luft hängen.
Durch die NSU müsste das Interesse an dem Thema doch deutlich zugenommen haben.
Mein Eindruck ist, dass sich die Medien in der Regel auf die Zwickauer Terrorzelle fokussieren. Ich habe Anfragen von Fernsehredaktionen bekommen, ob ich NSU-Mitglieder bei einem Neonazikonzert gefilmt habe. Das kann gut sein, aber ich habe 250 Stunden Videomaterial, soll ich das nun durchforsten, um Bilder von zwei inzwischen toten mutmaßlichen Terroristen und einer gefangenen mutmaßlichen Terroristin zu finden? Weder habe ich dafür die Zeit, noch sehe ich darin aus journalistischer Sicht einen tieferen Sinn. Man hätte die Bilder zeigen müssen, als sie aktuell waren. Aber bereits zu Beginn meiner Recherchen haben sich viele Fernsehredaktionen nicht dafür interessiert.
Immerhin wurde Ihr Material in Magazinsendungen wie 'Kontraste', 'Panorama', 'Stern TV' und 'Spiegel TV' gezeigt.
Hin und wieder fand ich Abnehmer. Aber viel häufiger sagten die Redakteure beispielsweise, sie wollten nicht 'mehr vom Gleichen'. Aus meiner Sicht ist das so, als würde man nicht mehr über die Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 berichten, weil man bereits über die vorherigen Kostensteigerungen berichtet hatte. Es gibt immer mehr Nazis, und folglich ist es die Aufgabe der Medien, diese gefährliche Entwicklung darzustellen.
Wie haben Sie Ihre Recherchen finanziert?
Allein zwischen 2003 und 2010 habe ich mehr als 130 000 Euro dafür ausgegeben. Ein Großteil dieser Summe konnte ich durch den Verkauf von Videomaterial reinholen, aber verdient habe ich mit meiner Arbeit überhaupt nichts. Ich stand wiederholt vor der Privatinsolvenz. Heute verdiene ich mein Geld mit einem normalen Job und wohne mietfrei bei meinen Eltern, weil ich noch hohe Schulden begleichen muss.
Bereuen Sie, dass Sie sich voll in eine investigative Recherche gestürzt haben?
Inzwischen ja. Finanziell betrachtet war das eine riesige Dummheit. Es geht dabei aber um viel mehr als um meine persönliche Lage. Der Knackpunkt ist: wo Recherche wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, wird zwangsläufig weniger recherchiert. In der Folge bleiben Missstände unentdeckt und damit erhalten. Das wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus. So gab es vor der Pleite der US-Bank Lehman Brothers keine Berichterstattung, die in großem Stil vor der internationalen Finanzkrise gewarnt hätte. Der Medienapparat ist als Frühwarnsystem ausgefallen. Sarkastisch könnte man sagen, dass sich die vierte Gewalt zunehmend durch Gewaltlosigkeit auszeichnet.
Das sehe ich nicht so dramatisch wie Sie. Beispielsweise wird intensiv über das geplante NPD-Verbot berichtet.
Natürlich gibt es auch gute Berichterstattung! Wo es an Recherche mangelt, fehlt es aber tendenziell an Tiefgang.
Dann haben Sie jetzt und hier die Gelegenheit, Hintergründe zur NPD zu liefern.
Die NPD spielt für die Nazibewegung insgesamt eine entscheidende Rolle, was die Nachwuchsrekrutierung betrifft. Die Partei hat beispielsweise sogenannte Schulhof-CDs herausgebracht, die sie an Jugendliche verteilt. Die Lieder gibt's auch kostenlos zum Download im Internet. Darunter sind Stücke wie 'Fuck the USA' von der bereits erwähnten baden-württembergischen Band Noie Werte. 'Fuck the USA' ist ein Lied gegen den Irakkrieg, das keine rechtsextremen Inhalte aufweist. Da denkt mancher Jugendliche: Vielleicht sind die Nazis nicht so böse, wie unsere Geschichtslehrer erzählen - und schon kann eine gewisse Neugier geweckt sein. Wenn man solche Zusammenhänge kennt, weiß man, wie wirkungsvoll ein NPD-Verbot die gesamte rechtsextreme Szene schwächen würde.
Das Gespräch führte Frank Buchmeier.
March???
In March??? Wieso kommt das erst durch T.K. ans Licht??? Ich kann als Holzhausener nicht glauben das solche Nazikonzerte bei mir in der nähe stattfanden. Sowas muss verhindert werden!!! Aber wie???