Stellungnahme der Besetzer_innen des NRW-Grünen Büros in Düsseldorf während des No Border Camps im Juli 2012
Mit einem Hungerstreik vor dem Würzburger Rathaus sorgten zunächst zehn Geflüchtete im März für Aufsehen. Der Suizid eines Gefährten hatte sie veranlasst, die Flüchtlingslager zu verlassen und in aller Öffentlichkeit auf ihre ausweglose Situation aufmerksam zu machen und für ihre Rechte zu kämpfen. "Wir Flüchtlinge sind keine Opfer mehr", erklärten sie.
"Wir verließen die Orte der Isolation, der Erniedrigung
und der Demütigung, die Orte, in denen wir zum Nichtstun und Sterben
verdammt waren. Seit dem wir auf die Straße gegangen sind, sind wir
frei." Ihr Protest weitete sich aus. Auch in Aub, Bamberg, Osnabrück,
Regensburg und Düsseldorf errichteten Asylbewerber_innen Protestcamps
und traten zeitweilig in den Hungerstreik. Sie kämpfen gegen
Abschiebungen, für die Abschaffung aller Lager und Sammelunterkünfte
sowie der Residenzpflicht, die es ihnen verbietet, den ihnen
zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Behörden versuchten von
Anfang an, den Protest ins Leere laufen zu lassen und reagierten mit
Schikanen und willkürlichen Polizeikontrollen. In Düsseldorf verbot
die Polizei den Aktivist_innen zunächst, in der Nähe der Altstadt zu
protestieren. Der Polizeipräsident erlaubte lediglich eine
Mahnwache, untersagte das Zelten und ordnete regelmäßige Razzien und
nächtliche Kontrollen an, um die Protestierenden am Schlaf zu hindern
und einzuschüchtern. Sie traten daraufhin erneut in den Hungerstreik.
Teilnehmer_innen des No Border Camps, das gleichzeitig in Köln
stattfand, versuchten mit der Besetzung der Grünen-Parteizentrale den
politischen Druck zu erhöhen, so dass zumindest die schikanösen
polizeiliche Auflagen für die Mahnwache (so hat es der
Polizeipräsident genannt, um das Wachen, nicht schlafen! zu
rechtfertigen. Eigentlich war es ja aber ein Protestcamp/-zelt) am
Rhein aufgehoben werden sollten.
Die Grünen sollten mit der Besetzung ihrer NRW-Parteizentrale an ihre
Verantwortung als Regierungspartei in Nordrhein-Westfalen erinnert
werden, damit den schönen Worten von "Flüchtlingsschutz",
Menschenrechten und Versammlungsfreiheit hier auch konkrete Taten
folgen. Das war nicht viel verlangt.
Schließlich hätte das nur bedeutet, in Verhandlungen mit der Polizei
die Rücknahme der rechtswidrigen Auflagen durchzusetzen. Die
Verhandlungsführerin der Grünen wurde in drei Verhandlungsrunden mit
den Besetzer_innen mehrfach gewarnt, dass die Verweigerung eines
regendichten Zeltes und die direkte Verhinderung des Schlafens eine
Gefahr für Leib und Leben der Hungerstreikenden bedeutet. Ihr
zynischer Kommentar: die Hungerstreikenden gefährdeten ihre Gesundheit
ja selbst, es sei ihr eigenes Risiko.
Einige Tage später bestätigte sogar das Oberverwaltungsgericht
Münster per Beschluss, dass die polizeilichen Auflagen zurückgenommen
und der Protest der Streikenden durch das Versammlungsrecht geschützt
werden müsse.
Die Minimalforderung der Besetzer_innen nach eindeutiger
Positionierung und konkreter Handlung der Grünen, um jene noch übrig
gebliebene Versammlungsfreiheit zu schützen und die Protestierenden
wirklich zu unterstützen, wurde lediglich mit einer Räumung der
Besetzer_innen und darauf folgenden Strafanzeigen beantwortet.
Anfang November brachen die Geflüchteten ihren Protest in Düsseldorf
ab und riefen zu einer Teilnahme am Protestmarsch von Würzburg nach
Berlin auf.
Damit begann eine neue Etappe ihres Widerstandes.
Nach 28 Tagen und fast 600 Kilometern Fußmarsch kamen sie in Berlin
an. Dort wurden sie bei einer Demonstration von mehr als sechs Tausend
Menschen begrüßt. Wenig später besetzten einige Geflüchtete die
nigerianische Botschaft, um auf die Kollaboration des Landes mit der
BRD hinsichtlich der Abschiebung Asylsuchender hinzuweisen. Nachdem
diese Besetzung mit massivster Polizeigewalt beendet wurde, kam es zu
einer Spontandemonstration.
Trotz der Repressalien durch die Staatsgewalt, wurde ein Protestzelt
direkt vor dem Brandenburger Tor aufgebaut. Die Streikenden wollen so
verhindern, dass der Protest von der Politik, die hoffte, die
winterliche Witterung würde das Campen bald unmöglich machen, einfach
ignoriert wird,
Die Behörden reagierten mit Härte. Polizist_innen verhinderten erneut
wochenlang den Aufbau von Zelten, die Verwendung von Isomatten und
Schlafsäcken, leuchteten abends und in der Nacht mit Taschenlampen die
Hungerstreikenden an und hinderten sie regelmäßig daran, sich zum
Schlafen niederzulassen. Und pünktlich zum Wintereinbruch entfernte
die Polizei unter einem Großaufgebot nun einen Kältebus, den einzigen
Schutz vor Kälte, Regen/Schnee und Wind. Als sich einige gegen die
Schikanen wehrten, kam es zu Festnahmen. Außerdem wurden sie daran
gehindert an der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus
ermordeten Roma und Sinti wenige hundert Meter entfernt teilzunehmen.
Tatsächlich hätten sie die politische Prominenz, die dort Festreden
hielt, damit konfrontiert, dass Politiker_innen von CDU/CSU und SPD
gleichzeitig eine rassistische Kampagne gegen Roma aus Südosteuropa
betreiben. Dies erinnert uns in fataler Weise an die Hetze, die Anfang
der neunziger Jahre den Pogromen und der faktischen Abschaffung des
Asylrechts vorausgingen.
Die Härte, mit der die Staatsorgane auf die aktuelle Protestwelle der
Geflüchteten reagieren, soll ihnen die Vergeblichkeit ihres
Aufbegehrens vor Augen führen und Solidarität verhindern. Es zeigen
sich Parallelen zu der Occupy- Bewegung, sowohl in der Form des
Protestes, als auch im Umgang des Staates damit und den damit
einhergehenden Repressionen.
Als mit dem Schwung des arabischen Frühlings in den USA, Griechenland,
Spanien, Israel und vielen anderen Ländern, Menschen Plätze besetzten,
wurden ihre Zelte zu Symbolen der Selbstermächtigung. Solange dies
durch breite bürgerliche Kreise unterstützt wurde, waren die
Occupy-Camps geschützt. Doch nach Monaten kippte das Bild: mit Verweis
auf unhygienische Zustände und Kriminalität erreichten Polizei und
Ordnungsbehörden die Räumung der für sie unliebsamen weil
unkontrollierbaren Orte und es kam zu teils brutalen
Polizeiübergriffen. Während der Bloccupy-Aktionstage im Mai in
Frankfurt wurden Zelte gleich präventiv verboten. Inzwischen ist das
Verbot von Zelten gängige Praxis.
All dies verweist uns auf den großen Zusammenhang, in dem sich unsere
Auseinandersetzungen bewegen und ihren Sinn finden. Eine
transnationale Bewegung stellt in ihren Kampfformen der
Selbstorganisation und Selbstermächtigung Zusammenhänge her, zwischen
Geflüchteten aus anderen Ländern - und deren nicht zuletzt auch
(neo)kolonial bedingten Fluchtgründen - und den Menschen, die hier
gegen ihre Entwertung und Entrechtung kämpfen. Die europäische
Krisenpolitik zielt darauf ab, den sozialen Krieg innerhalb und
außerhalb Europas zu stärken und zu verschärfen. Der Einsatz von
Frontex in der Todeszone im Mittelmeer wird an die Veränderungen in
Nordafrika und im Nahen Osten angepasst. Mit großer Härte werden die
Existenzbedingungen und Lebenschancen in Griechenland systematisch
zerstört und das Aufflackern der faschistischen Bewegung gegen
Migrant_innen und Menschen am Rande der Gesellschaft gefördert. In
Spanien wird die Jugend systematisch ihrer Lebensperspektiven
beraubt. Einige sind als billige Arbeitskräfte in den globalen
Wachstumszonen vorgesehen, andere werden ins soziale Abseits gedrängt.
Ähnliches gilt für ganz Europa, auch wenn dies in Deutschland bisher
nur wenig sichtbar ist.
Wir verstehen die Aktionen von Würzburg bis Berlin als Teil einer
weitreichenden Auseinandersetzung mit der Barbarei, nicht nur als
Abwehr, sondern als Selbstorganisation einer anderen Welt.
Die rassistischen Sondergesetze zu kippen und gemeinsam die
Abschaffung von Lagern, Residenzpflicht und Abschiebungen
durchzusetzen, erschien bisher als fast unmöglich. Trotzdem haben sich
die Geflüchteten mit Mut und Beharrlichkeit erfolgreich Gehör
verschafft und gezeigt, dass Widerstand möglich ist.
Solidarität mit den protestierenden Geflüchteten!
Das temporäre Besetzer_innen-Kollektiv der NRW Grünen-Parteizentrale
Dezember 2012