1. Mai in Istanbul

1. Mai in Istanbul

Am 1. Mai 1977 kam es bei der Maikundgebung, zu der sich Hunderttausende versammelt hatten, zu einem Massaker, als Unbekannte, mutmaßlich Angehörige der Konterguerilla, aus einem Hotelfenster Schüsse in die Menge abfeuerten. In der dadurch entstandenen Panik wurden Menschen niedergetrampelt, die Polizei fuhr mit Panzern in die Menge. 37 Menschen starben. Der Vorfall wurde nie aufgeklärt, die Verantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen. Es wird davon ausgegangen, das die Aktion von Staat und Konterguerilla vorbereitet worden ist.

 

http://www.wsws.org/de/2003/mai2003/trk-m01.shtml

 

Seitdem sind Maikundgebungen am Taksim Platz verboten. Seitdem wird aber auch jedes Jahr aufs Neue versucht, auf den Platz zu gelangen, um der Toten zu gedenken, was mit massiver Polizeigewalt versucht wird zu verhindern. Es kommt jedes Jahr zu heftigen Straßenschlachten in den angrenzenden Vierteln.

 

Am Mittwoch verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetz, nach dem der 1. Mai wieder als offizieller Feiertag eingeführt wird. Dies hatte die Regierung während der Kommunalwahlen vor einigen Wochen im Wahlkampf versprochen. Der 1. Mai war nach dem Militärputsch von 1980 als Feiertag abgeschafft worden.

 

1. Mai 2009

 

Bereits am späten Abend des 30. April begann die Polizei damit, alle Straßen, die zum Taksim Platz und zur Konsummeile Istiklal Straße führen, abzuriegeln. Am Morgen waren die angrenzenden Viertel dann abgeriegelt.

 

Der öffentliche Personennahverkehr kam zum Erliegen, die Metro fuhr nicht mehr, der Taksim Platz, normalerweise voll gestopft mit Bussen, Minibussen, Taksis und Menschen, war komplett leer (abgesehen natürlich von den warteten Riotcop-Einheiten und deren Bussen und Panzern). Der Fährbetrieb war eingestellt, so dass niemkand vom asiatischen zum europäischen Teil der Stadt fahren konnte. So mussten die AktivistInnen die Nacht in der Nähe des Taksim Platzes verbringen, um überhaupt die Chance zu haben, am Morgen zu den Demo-Treffpunkten zu gelangen.

 

Zum ersten mal seit 31 Jahren wurde es einer "geringen Anzahl" von Gewerkschaftern der größeren Gewerkschaften DISK und KESK erlaubt, auf dem Taksim Platz eine Kundgebung abzuhalten. Die Angabe "geringe Anzahl" wurde dabei nicht näher definiert. Es strömten ca 4000 auf den Platz. Doch weiteren Zehntausenden wurde der Weg mit massiver Polizeigewalt versperrt.

 

In Mecidiyeköy versammelten sich bereits am Morgen Zehtnausende und zogen Richtung Taksim. Die Riotcops, ausgerüstet mit Gasmasken, setzten Tränengas, Wasserwerfer und Pfefferspray ein, prügelten, traten, schlugen Menschen zusammen und nahmen zahlreiche fest. Die DemonstrantInnen setzten Zwillen und Steine ein.

 

Auch in den Vierteln rund um den Taksim Paltz versuchten viele kleinere Gruppen bis in den Nachmittag hinein, immer wieder zum Taksim vorzudringen.

In Tarlabasi kam es zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Molotowcocktails flogen.

 

In Cihangir versammelten sich am Morgen ca 100 AnarchistInnen und versuchten zum Taksim zu gelangen.  Immer wieder versperrten Panzer die kleinen Straßen des Wohnviertels, die Cops chossen Tränengas, rannten hinter den Menschen her und trieben  sie zurück. Barrikaden wurden gebaut, Steine flogen, Schaufenster gingen zu Bruch, Wände wurden mit Parolen geschmückt. Mehrere Stunden lang versuchten die AktivistInnen immer wieder zur Istiklal vorzudringen, doch ein Durchkommen war unmöglich.

 

In Cihangir kam es auch zu einer Auseinandersetzung mit Faschisten, die  eine Gruppe von AnarchistInnen mit Messern angriffen. Mehrere Menschen wurden verletzt.

 

Die breite, mit Geschäften und Lokalen gesäumte Istiklal Straße, durch die normalerweise Tag und Nacht Menschenmassen strömen, war vergleichsweise leer. Die Lokalbesitzer hatten nichts zu tun, standen vor ihren Geschäften und warteten auf das, was da kommen möge. Alle Straßen, die in die beanchbarten Wohnviertel führen, waren gesperrt, nur Einzelen, meist Touristen, wurden durch gelassen. In der Istiklal gab es ebenfalls ein massives Polizeiaufgebot, die Passanten wurden abgetasten, ihre Taschen durchsucht.

 

Auf einmal gelang es einer kleinen Gruppe, so um die Mittagszeit, in die Istiklal zu gelangen. Parolen wurden gerufen. In Sekundenschnelle stürmten von allen Seiten Polizeieinheiten herbei und schossen sofort in die Luft. Die AktivistInnen wurden vertrieben, es gab Ingewahrsamnahmen, von denen sich einer nach wie vor in Gewahrsam befindet.

 

Kurze Zeit später war der erste Kontrollpunkt in der Istiklal noch passierbar, beim zweiten wurde niemand mehr durch gelassen. Es hatte gerade eine Auseinandersetzung in den benachbarten kleinen Straßen gegebne. Die Riotcops vertrieben alle, die in der Nähe auf der Mauer saßen oder standen, in die andere Richtung. Aus den Seitenstraßen wurden immer wieder Festgenommene herausgeführt, die Parolen riefen. Bir mayis yasasin, es lebe der erste Mai.

 

Einige Straßen weiter in Tarlabasi gab es wieder eine Straßensperre, durch die niemand durchkam, da sich dahinter ein weiterer Protestzug gebildet hatte. Erst nach längerer Diskussion durften Menschen passieren. Die Demo bestand aus ca 300 Leuten von der EHP (Arbeitervolkspartei), die mit der Polizei verhandelte. Aus einem  nahe gelegenen Cafe dröhnte Revolutionsmusik, die Stimmung war kämpferisch. Nach ca einer halben Stunde durfte die Demo passieren.  Jubelnd rannte die Menge durch die Istiklal in Richtung Taksim, wo sie jedoch ein weiteres Mal aufgehalten wurde. Parolen wurden gerufen, wieder wurde verhandelt. Letztendlich wurde die Demo auf den Platz gelassen, wo eine Kundgebung abgehalten und der Toten von 1977 gedacht wurde.

Abgesehen von einem Massenaufgebot an mit ihren Gasmasken außerirdisch anmutenden Riotcops war der Platz leer. Kein Bus, kein Auto fuhr. Der Platz konnte zum ersten Mal problemlos mit dem Fahrrad umrundet werden. Übrigens gibt es auch bald eine Critical mass in Istanbul.

 

Die Aktionern endeten am frühen Nachmittag, nachdem es der EHP gelungen war, auf den Platz zu gelangen. Nach offiziellen Angaben gab es über 100 Ingewahrsamnahmen, 30 verletzte AktivistInnen und 21 verletzte Bullen.

Von Seiten der AktivistInnen wird die Zahl der Ingewahrsamnahmen jedoch auf mehrere  100 geschätzt, die Zahl der Verletzten auf ca 100. Es befinden sich auch zwei Tage nach den Ereignissen noch AktivistInnne in Gewahrsam, deren Anzahl ist jedoch nicht bekannt, deren Namen teilweise auch nicht, da es schwierig ist, Zugang zu ihnen zu bekommen und die Bullen sie nicht offen legen.

 

http://www.dailymotion.com/video/x95wmd_yyte-o-anaryistler_news

 

 

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