Gestern fand der erste Prozesstag im Verfahren gegen den Berliner Buchladen Oh 21 statt. Viele UnterstützerInnen sind gekommen und machten vor dem Gericht ihrem Unmut lautstark Luft. Nächster Termin ist der 8. März 2011, 11.00 Uhr.
Kurzbericht vom ersten Prozesstag am 18.02.2010
Der erste Prozesstag gegen den Geschäftsführer des Buchladens oh21 ist vorüber. Die Verhandlung dauerte nur etwa zwei Stunden und wird am 8. März 2011 fortgesetzt.
Da im Verhandlungssaal nur 24 Besucher zugelassen waren, mussten die meisten der zahlreich erschienen UnterstützerInnen draußen bleiben. Ein Antrag auf Verlegung in einen größeren Saal wurde vom Richter ohne weitere Begründung abgelehnt. Das wilhelminische Mauerwerk des Moabiter Amtsgerichts hielt die Ausgesperrten jedoch nicht davon ab, sich an der Verhandlung zu beteiligen. Auf der Straße trugen sie im Chor Passagen aus inkriminierten Werken der Weltliteratur vor. Dass ihre Rezitationen drinnen gut zu vernehmen waren, ist ein schönes Sinnbild für die durchdringende Kraft guter Literatur.
Die Verteidigung kritisierte die Anklage der Staatsanwaltschaft als politisch motiviert und „mit heißer Nadel gestrickt.“ Letztlich werde die Gesinnung seines Mandanten kriminalisiert.
Der Angeklagte nahm sein Recht wahr, keine Einlassungen zu den Vorwürfen machen zu müssen. Stattdessen gab er eine Erklärung ab, in der er den politischen Kontext der Anklagen gegen die Berliner Buchhändler skizzierte. Außerdem bedankte er sich für die Solidarität und erklärte, dass er sich dem Druck, als Buchhändler eine Art Vorzensur nach den Kriterien der Ermittlungsbehörden zu üben, nicht beugen werde.
Danach wurden zwei ZeugInnen der Anklage aufgerufen. Den Ausführungen der ersten Zeugin – einer Polizeibeamtin, die an einer der Ladendurchsuchungen beteiligt war, sich aber an kaum mehr etwas erinnern konnte – war u.a. zu entnehmen, dass in der Buchhandlung oh 21 „diverse Regale“ mit Büchern zu „historischen Hintergründen“ stehen. Der zweite Zeuge ist seit 1997 beim Staatsschutz für die Auswertung linker Publikationen zuständig und war vermutlich geladen worden, um eine Einschätzung zu der Gefährlichkeit und Bedeutung der inkriminierten Zeitschriften abzugeben. Seine Erkenntnisse zur Interim gingen jedoch nicht über das hinaus, was man diesbezüglich auch im Internet (z.B. auf Wikipedia) erfahren kann. Mit den Fragen der Verteidigung, wer oder was überhaupt „die linke Szene“ sei und was unter „linken Themen“ zu verstehen sei, schien er etwas überfordert.
Der Prozess wurde auf den 8. März (11.00 Uhr) vertagt, da sich der Richter nach eigenen Angaben im „Selbstleseverfahren“ selbst ein Bild von den Inhalten der beschlagnahmten Publikationen machen will. Auch dann ist die kritische Öffentlichkeit wieder willkommen.
Bitte mehr Inhalte
Den Beiträgen hier fehlt es an Inhalten. Die ganaue Anklageschrift ist für den Prozess und das Öffentliche Interesse von grosser Bedeutung. Da diese anscheinend schon in der "Hauptverhandlung" eingeführt wurde, kann sie auch völlig legal hier 1 zu 1 übernommen werden. Dann fehlen noch die Namen der Staatsschutzpersonen, die ausgesagt haben. Und auch ihre Dienststellen. Das ist sehr wichtig!
Wenn nur drei Zeitschriften im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollen, dann ist das sicher nicht so schlimm. Aber sollte es tatsächlich so gewesen sein, dass Akten bzw. Aktenteile im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollen, dann sollte die Verteidigung dort auf das Schärfste protestieren. Zwar werden so - für eine eventuelle Niederlage - für den Angeklagten Kosten gespart, aber für den Prozess relevante Informationen werden hingegen exklusiv und öffentlich nicht auswertbar. Auch können sich so - was relevant für andere Strafverfahren ist - Strukturen analysieren lassen (Reversal Engineering).
Sehr geringen Anspruch hat der ND-Text von Dietmar Dath, dessen Inhalt z.T. aus einer Presseerklärung von "unzensiert lesen" übernommen wurde. Was für ein plattes Wissen wird denn hier vermittelt? Das ist Bildzeitungsniveau! Es wird behauptet, dass "irre Einzeltäter" (Wo bleibt die Gesellschaftskritik?) keine Debatten bräuchten und trotzdem Wissen, wo sie ihr Bomben- und Waffenmaterial und Wissen herbekommen. Im Text von Dietmar Darth wird der Unabomber aufgezählt. Der Unabomber, Theodor Kaczinsky, ist aber gerade jemand, der an linksbürgerlichen und radikalen Debatten (vor seinen Taten) teilnahm und jetzt noch teilnimmt. Hier wäre ein bisschen Recherche angebracht gewesen.
Als zweites Beispiel werden "Amokläufer" (die auch "irre" sind) aufgezählt. Doch auch hier wissen die Autoren und Autorinnen nicht, dass sich viele Amokläufer an (linken) Debatten beteiligt haben. In Deutschland wäre da z.B. Bastian Bosse, der sich an Debatten gegen Zensur und für libertäre Arbeitswelten beteiligt hat. Und auch wenn solche Leute mit ihren Taten nur Debattenstarter und Debattenstarterinnen wären, die Argumentationslinie ist einfach nur falsch.
Völlig vergessen bleiben auch weiterhin die Zensur, die Präzensur und der Vorrauseilende Gehorsam im Internet. Auch dort bleiben "Bombenbauanleitungen" nicht unkontrolliert und auch dort gibt es (linke) Dabatten.
Wichtig ist auch, dass operative Kräfte der Polizei Prozessbeobachter bzw. Prozessbeobachterinnen und Demonstranten bzw. Demonstrantinnen observierten.
Presse:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/bombenplaene-auf-dem-buechertisch/3860990.html
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article12585181/Buchhaendler-wegen-Bombenbau-Anleitung-vor-Gericht.html
http://www.jungewelt.de/2011/02-19/041.php
http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/bauanleitung-fuer-molotovcocktails/
http://www.rbb-online.de/nachrichten/vermischtes/2011_02/buchhaendler_wegen.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/191262.wozu-das-fuehren-soll.html