„Das Wichtige ist Glaubwürdig zu sein, den Zuschauer überzeugen“

Nostalgía de la Luz

Interview mit Patricio Guzmán von MANOLA ROMALO

Patricio Guzmán, (Santiago de Chile, 1941, heute Paris), ist der wichtigste Chronist der jüngeren Geschichte Chiles. Sein jüngsten Film „Nostalgía de la Luz“ („Nostalgie des Lichts“) gewann den François Chalais-Preis des Internationalen Film- festivals in Cannes (2010). Bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises ist er als Dokumentarfilm des Jahres ausgezeichnet.

 

Manola Romalo: In „Nostalgía de la Luz“ haben Sie mit poetischen Akzenten eine politisch-metaphysische Geschichte gewebt. Diese zentralen Aspekte Ihres Films waren gerade das „Problem“ wie Sie Ihrem Freund, dem US-Regisseur Frederick Wiseman erzählten (dessen Dok-Film „La Danse“ zurzeit bundesweit läuft), kein Geldgeber hat dieses Projekt genehmigt. Aber das Publikum versteht und mag Ihre Arbeit. Wie erklären Sie diese Dichotomie?

Patricio Guzmán: Ich denke, im Fernsehen gehen die Leiter der Dokumentarfilmabteilungen generell kein Risiko ein, sie gehen auf Nummer sicher. Und wenn ein Projekt erscheint der so unterschiedliche Elemente kombiniert, erschrecken sie. Wir sind dreieinhalb Jahre von 14 europäischen und einen nordamerikanischen Fernsehsender abgelehnt worden. Ich glaube, dass Filme mit einzigartigen Themen, das Risiko eingehen nicht genehmigt zu werden. Das bedeutet ein Widerspruch in sich. Weil der Film in Cannes gezeigt wurde und den Preis des besten Dokumentarfilms der Europäischen Filmakademie gewann. Und in Frankreich – wo 42 Kopien seit November im Umlauf sind – 48.000 Zuschauer diesen Film gesehen haben, in Deutschland gib es 14 Kopien. (Laut Real Fiction Filmverleih: 4000 Zuschauer vom 23.12.10 bis 10. 01. 2011.) Diese Tatsachen zeigen, dass die Meinung der Fernsehen-Leute nicht richtig war.

In der Atacama-Wüste, unter den größten Teleskopen der Welt, suchen Violeta Berrios und Victoria Saavera – 20 Jahre nach dem Ende der Diktatur – die „Reste“ ihrer von der Pinochet-Diktatur ermordeten Ehemänner, Söhne oder Brüder. Wie haben Sie diese Frauen kennengelernt?

Durch die Presse. In den 1980er Jahre sprach man viel über die „Frauen von Calama“ (1.570 Km Nördlich von Santiago gelegene Stadt mit 150.000 Einwohner, Anm. der Autorin). Damals haben sie die Ausgrabungen angefangen, der Ort füllte sich mit Journalisten. Die Zeit verging und diese Geschichte geriet in Vergessenheit. Die Frauen arbeiteten weiter, aber alleine…

Als ich nach Santiago kam, rief ich Victoria an. Sie vertritt den Verein der ehemaligen politischen Gefangenen und Ermordeten aus Calama. Ich filmte das erste Interview mit ihr, da ich auch während der Recherche filme. Ich merkte sofort ihre enorme Synthese-Kapazität ihre Geschichte zu erzählen. Sie führte mich zu ihrer Schwester wo ich die zwölf Frauen kennenlernte, die als Gruppe im Film erscheinen. Aber es gab eine Andere: Violeta. Sie fiel mir sofort auf durch die Klarheit ihrer Worte, ihre radikale Meinung, ihr Gesichtsausdruck, ihre Augen. Mit Violeta und Victoria sind wir verblieben, dass ich beide interviewen werde, die anderen Frauen als Gruppe filme.

Gerade das war das Schwierigste für diesen Film: Die Personen zu finden. Hätte ich sie nicht gefunden, wäre der Film so gewesen, als ob er meine persönliche Hypothese aufzeigt. Ich wollte aber mit den Menschen vor Ort verifizieren, ob das was ich dachte richtig war. Ich habe das Glück gehabt, dass Violeta und Victoria und alle anderen Personen die im Film vorkommen, die Fähigkeit hatten, Parallelen zwischen ihrer Arbeit und diese verschwiegene Vergangenheit herzustellen. Zum Beispiel, als Violeta sagt: „ Ich wünschte mir, die Teleskopen würden ihren Blick auf die Erde richten, um zu schauen was darunter liegt.“

Als ich den Film sah, dachte ich: Lautaro Nuñez, der Archäologe, ist das Alter Ego von Patricio Guzmán.

Als ich Lautaro fragte: „Wie ist es möglich, dass Astrologen millionen Lichtjahre beobachten können, dass Archäologen mehr oder weniger 10.000 Jahre erforschen aber die Chilenen trotzdem nicht imstande sind, die letzten 30 Jahren zu analysieren“, sagte er mir: „Das ist das zentrale Punkt Deines Gedankens und ich…

…teile es mit Dir.“

Da wusste ich, dass ich mit Lautaro zählen kann. Mit jeder der handelnden Personen habe ich nicht sofort den zentralen Punkt berührt, sondern das Gespräch von weitem angegangen. Es waren sehr langsame und behutsame Interviews bis wir an dem zentralen Punkt ankamen.

Was produziert in der chilenischen Gesellschaft dieses kollektive Ausblenden der Verbrechen der Diktatur?

In Chile übernehmen die Leute generell keine Verantwortung für diesen Teil der Vergangenheit. Wenn einer über Dinge dieser Art fragt, ist die Antwort: „Ich war es nicht, ich bin nicht dabei gewesen, ich habe nichts gesehen.“ Es ist eine Gesellschaft die so tut, als ob diese Vergangenheit nie existiert hätte, über sie zu sprechen ist unbequem. Weder die Presse, noch das Radio oder die großen TV-Sender berichten darüber. Über die Vergangenheit zu sprechen heißt eine „altmodische Position“ anzunehmen.

Aber, wie Lautaro sagt: „Kann es sein, dass gerade dieser Teil der Geschichte anklägerisch ist?“ Haben die demokratischen Regierungen wirklich den politischen Willen gehabt, sich mit dieser Vergangenheit zu befassen?

In der Tat. Es gab keinen wirklichen politischen Willen in Chile. Kein Präsident der Concertación (Politische Allianz der Regierungsparteien, die seit den freien Wahlen von 1990 bis zu der Präsidentschaftswahl von Sebastian Piñera, im Dezember 2010, Chile führten, Anm. der Autorin), weder Alwyn, Frei, Lagos oder Bachelet hat ein echtes Interesse daran, die Vergangenheit zu analysieren und aufzuklären. Alle humanitären Organisationen in Chile sagen, dass man jeden Tag das Gedächtnis auf ein bestimmtes Gebiet aufarbeiten und, vor allem, in die Unterrichtsbücher einfügen muss.

nostalgiadelaluzIch habe ca. 40-50 Schultexte überprüft: Der Staatsstreich und die Repression kommen sehr kurz vor, die offiziellen Texte geben den Schülern nicht genügend Informationen. Und wenn der Lehrer einen Exkurs außerhalb des offiziellen Texts macht und die Vergangenheit erklärt, kommen am nächsten Tag die Eltern der Schüler und beschweren sich: „Der Lehrer macht Politik!“ Nicht der Lehrer „ macht Politik “ sondern die Texte, indem sie Unerlässliches ausblenden. Weil das Unterrichtswesen in Chile enorm privatisiert wurde, bezahlen die großen Verlage Historiker die das offizielle Geschichtsprogramm manövrieren.

Ich fragte auch: Welche Texte werden in Militärakademien studiert? Hat das Parlament, die Exekutive oder die Judikative einen Einfluss auf den Lehrstoff der jungen Offiziere? Man sagte mir: „Nein, der Unterricht ist komplett autonom.“ Dreißig Jahre in denen die Streitkräfte sehr viel Geld vom Kupferabbau erhielten, besteht die Möglichkeit, dass diese frühere Putsch-Armee sich nicht genügend entwickelt hat. Sie hätte eine moderne, republikanische Armee werden können. War dies der Fall? Ich denke nicht.

In der Tiefe dieses Komplexes befindet sich, wie Sie sagen, der Wille einer politischen Koalition, das historische Gedächtnis auf dem letzten Platz zu stellen.

Sie haben politisch brisante Filme wie die Trilogie „La Batalla de Chile“, („Die Schlacht um Chile“, (190-1973), „El Caso Pinochet“ („Der Fall Pinochet“, 2002), „Salvador Allende“ (2004) gedreht, die wichtige internationale Preise gewonnen haben, aber in Deutschland nie gezeigt wurden. Weshalb?

In Deutschland enden im Allgemeinen Dokumentarfilme im Fernsehen, sie kommen nicht häufig im Kino. In Frankreich ist glücklicherweise die Situation genau umgekehrt: Jeden Tag zeigt man in den Kinos zwischen 20 und 30 Dokumentar-Filme. Hier existiert die Tradition der Autorenfilme: Über 1.000 Kinosäle mit der Bezeichnung „Art et Essai“, die 30 Prozent des französischen Film-Marktes ausmachen. Meine Filme kamen nicht nach Deutschland weil es niemanden gab, der interessiert war sie zu kaufen.

Was ist ein guter Dokumentarfilm?

Der Dokumentarfilm der mir am meisten gefällt, ist der subjektive in dem der Autor seine Meinung gibt. Wo er nicht nur die Realität zeigt sondern seine Meinung kundtut, wo er selbst in dem Filmsubjekt reingeht. Ich glaube, dass diese Art subjektiver Dokumentarfilm, an der sozialen Realität teilnehmend, interessantere, begeisterndere Standpunkten bringt. Es gibt eine andere Art Dokumentarfilm der eine Kontemplation von Außen ist: Er schaut auf die Realität wie aus einem Turm. Ich glaube, dass der Filmemacher seine Meinung geben, in dem Subjekt eintreten soll. Das Wichtige ist nicht objektiv zu sein. Das Wichtige ist Glaubwürdig zu sein, den Zuschauer überzeugen.

 

[ © Manola Romalo /womblog.de ]

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In seiner dreiteiligen Dokumentation zeichnet Patricio Guzmán die Endphase der Regierungszeit von Salvador Allende nach. Der Film besteht nicht aus Archivmaterial, Guzmán und sein Team drehten kontinuierlich zwischen 1972 und 1979. Chiles bedeutendstem Dokumentarfilmer gelang es, das Rohmaterial ins kubanische Exil zu retten und dort sein monumentales Zeugnis des „Kampfes eines unbewaffneten Volkes" -- so der Untertitel des Films -- zu gestalten. In Chile unterliegt Die Schlacht um Chile der Zensur und wurde nie vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt.

 

Teil I: Aufstand der Bourgeoisie

http://www.youtube.com/watch?v=cmzlq0GigXA

Teil II: Der Putsch

http://www.youtube.com/watch?v=gvBjCPoxgLI

Teil III: Die Macht des Volkes

http://www.youtube.com/watch?v=wEDmNSU5sFw