Der folgende Text wurde am 20. Mai 2017 vom GARE Squat in Athen veröffentlicht (Original ). Das betreffende Viertel war in den letzten Jahren Schauplatz vielfältiger staatlicher Angriffe und ebenso unterschiedlicher Initiativen zur Verteidigung. Nachrichten aus „Exarchistan“ oder die Erklärung zur Hinrichtung des Mafiosi Habibi skizzierten bereits die Zustände . Seit dem letzten Jahr hatten sich die Interessenskonflikte verschärft, nach der Hinrichtung von Habibi gingen Gruppen weiter gegen Dealer, aber auch andere Personen, vor. Die polizeiliche Belagerung nahm ständig zu und Nachrichten melden alle paar Monate eine Steigerung der Angriffe auf Bullen um 100%. Gleichzeitig wächst die sichtbare Verelendung, Obdachlose wohnen seit Jahren in den Gassen des Viertels, Geflüchtete haben zwar Häuser besetzt, hängen aber scheinbar weiter perspektivlos in der Stadt fest. Das mit EU-Krediten finanzierte Billigkonsum Angebot integriert nicht alle Jugendlichen. Es wird über Angriff nachgedacht …
Text – Einladung zur offenen Versammlung gegen die Polizeibesatzung in Exarchia, 28. und 29. Mai 2017.
vom GARE Squat
Auf den Barrikaden
„Exarchia bildete schon immer einen Brennpunkt anti-staatlicher Kultur und des Aufstands. Die obersten Kräfte trieben die Territorialisierung der Projekte in dieser Nachbarschaft voran. Kollektivierungsversuche, kulturelle/politische Veranstaltungen, Volksversammlungen, Besetzungen von Migrant*innen, antiautoritäre/anarchistische Besetzungen, Treffpunkte und soziale Räume in Kombination andauernder Zusammenstöße mit den repressiven Einheiten und weiteren/anderen angreifenden Kräften, setzen ein Mosaik kämpferischen sozialen Lebens zusammen.
Diese lebendige Bewegung zwingt den Staat seine wirklichen Absichten und Möglichkeiten zu offenbaren, welche an die Konditionen seiner Herrschaft erinnern und diese sichtbar machen, Bedingungen der Kontrolle und gewaltsamen Durchsetzung.“
(Aus dem Text, der die Nachbarschaft von Exarchia zum organisierten Schutz des Viertels am 6. Dezember 2016 gegenüber der bevorstehenden kriegerischen Intervention des Staates aufruft.)
Die Belagerung von Exarchia durch den militärischen Typus spezieller Polizeieinheiten (MAT-EAD, DELTA, OPKE) und die häufigen massiven Unternehmungen im Viertel, Interventionen (zur Ausübung von Terror und Festnahmen), das Abriegeln von Punkten (wie Schulen/Fakultäten oder durchsuchte Häuser), das verheerende Zusammenpressen ( Einkesseln um Versammlungen aufzulösen) und präventive Maßnahmen ( abgestimmte Invasionen zur Installation von Kontrollpunkten, zur Festigung der militärisch-staatlichen Herrschaft und zur Gewöhnung der Söldner an den Raum des Viertels), führte konstant weiter und entwickelte sich über Jahrzehnte. Von der Unternehmung „Areti“ Anfang der Achtziger Jahre unter der Leitung von PASOK und der Ermordung von Michalis Kaltezas am 17. November 1985, bis zur jüngsten Erklärung von Toskas, dass Exarchia ein „Viertel wie alle anderen werden wird“ und die kriegerische Bekanntmachung der Räumung aller Besetzungen bis zum Sommer, die systematisierte rohe staatliche Gewalt, überschattet den sozialen Raum.
Die Ermordung von Alexis Grigoropoulos 2008 brachte den inhärenten Totalitarismus der Staatsmacht und die Unbegrenztheit der Repression wieder in den Vordergrund. Es war kein zufälliges Ereignis, sondern die Antwort des Staates auf die tatsächliche Anzweiflung ihres Plans zur Militarisierung dieser Nachbarschaft. Die Ermordung von Alexis entfachte einen griechenlandweiten Aufstand mit weltweitem Echo, und brachte so der Herrschaft ein gegenteiliges Ergebnis: Exarchia erstarkte als Brandherd massenhafter kämpferischer Auseinandersetzungen. Vom Herbst 2009 an und über die darauf folgenden Jahre, versuchte der Staat den verlorenen Boden wiederzuerlangen, intensivere und spezialisiertere kriegerische Methoden anzuwenden. In diesem Rahmen festigte er den massiven Einsatz von chemischen Waffen, Gummigeschossen und Folter.
Der Dezember 2016, Tag der Erinnerung und Zusammenkunft, bildete
ein Zeichen in der aufsteigenden Kurve für den territorialen
Widerstand und weist den Weg für die kollektive Verteidigung des
sozialen Raumes.
„Zur gleichen Zeit als die Demo im Zentrum von Athen begann, verschanzte sich die Nachbarschaft von Exarchia mit starken Barrikaden zur Abwendung überfallartiger Angriffe durch die Lakaien von Gesetz und Ordnung. In dem Zeitraum, in dem die Barrikaden von einer Masse von Organisierten und anderen Gefährten bewacht wurden, gewann der Staat zum ersten Mal und trotz seiner beharrlichen Versuche nicht einen Meter Boden. Als sich endlich der organisierte Schutz auflöste und die Menschen auf den Straßen weniger wurden, führten die uniformierten Folterer eine rachsüchtige Invasion durch, verletzten und nahmen Menschen aus der Menge heraus fest ...
Die Antwort des Staates kam umgehend. Schon am darauf folgenden
Tag intensivierte sich die Präsenz von Sondereinheiten
auf den Straßen von Exarchia, mit dem Ziel Anwohner und Besucher zu
terrorisieren, aber hauptsächlich diejenigen in der Gegend die
politisch wirken. Dieser Angriff darf nicht unbeantwortet bleiben.
Die Gefährten akzeptieren die militärstaatliche Enge schon
längst nicht mehr und gehen auf der Straße über zu direkten
Aktionen gegen das Regime der Angst, dass der Staat versucht zu
erschaffen.“ (Aus dem Antworttext von GARE gegenüber der
denunzierenden Bekanntmachung (einer angeblichen
„Anwohnerinitiative“), Februar 2017)
Die Fokussierung auf Exarchia dient den speziellen ökonomischen
und politischen Interessen, die die Gegend verwüsten (als Markt für
Gastronomie und Immobilien, der „Schutzmarkt“ und dessen
illegaler Gebrauch, staatliche Institutionen und Nomenklatur, die
hier wohnen, hauptsächlich Linke, usw.). Der wieder aufgetauchte
Plan zum Bau einer Metrostation auf dem Exarchia Platz, welcher die
Unterstützung all der oben erwähnten Faktoren der Ausbeutung hat,
bildet die Titelseite der kapitalistischen Kolonialisierung eines
Viertels. Wenn wir es zulassen, dass dieser Plan realisiert wird,
wird ein Baustellenabgrund den öffentlichen Brennpunkt des Viertels
für ein Jahrzehnt verschlucken, die soziale Geschichte wird durch
den chirurgischen Eingriff eines städtischen Programms übergangen.
Dennoch, das Hauptziel der allumfassenden Belagerung von Exarchia
ist die Abschaffung der Basis des Widerstandes und der
Selbstorganisation. Der Staat spitzt jeden Tag die offenen Fronten
der Kontrolle und der Ausbeutung zu. Er setzt den blutigen Krieg zur
Verdichtung der Grenzen gegenüber den Verwundeten des
zwischenstaatlichen Krieges fort, mit den vernichtenden Bedingungen
in den Sammellagern, den rassistischen Pogromen und der Räumung von
Flüchtlingsbesetzungen. Er setzt neue räuberische Gesetze durch,
neue Bedingungen unentgeltlicher Lohnsklaverei und dauerhafte
Halbarbeitslosigkeit, Verfolgungen und Verbote von Aktionen
gewerkschaftlicher Kämpfe, mit neuen Memoranden und
Strafmechanismen.
Der Staat versucht, mit den neuen Zugangssystemen im öffentlichen
Nahverkehr, die vollständige Kontrolle der Mobilität der Passagiere
und die Ausschließung der Unterschichten zu erreichen, zwingt den
größten Teil der Bevölkerung, welcher sowieso schon arm und
ausgeschlossen ist,in ein Regime der Beschränkung, (arme Teufel die
betteln um zu überleben, Migranten ohne Papiere und Arbeitslose).
Die Menge der Eingesperrten in den Gefängnissen wird maximiert durch
die zahlreichen Verurteilten basierend auf Klassenkriterien und die
Verlängerung der Gefangenschaft ( das Verschärfen von Strafen und
Beschränkung von Hafturlauben und Einstellungen), während der Staat
gleichzeitig die extremen Bedingungen des Überlebens, der
persönlichen und gesellschaftlichen Dekonstruktion und Abhängigkeit
verschärft. Sie verlängern die Gefangenschaft der eingesperrten
Kämpfer und zügellos werden die Sicherheitsmaßnahmen im gesamten
gesellschaftlichen Feld ausgebaut. Wegen all diesen Gründen verfolgt
der Staat die Ausgrenzung der revolutionären Projekte, um den Funken
des generellen Aufstands zu löschen und wenn
unweigerlich das verdichtete soziale Potential ausbricht, damit
es nicht bestehen kann um sich zu organisieren und daraus
hervor zustürmen, um kein Beispiel einer Perspektive zu haben,
kollektive Erlebnisse oder ein historisches Gedächtnis.
Die Kontrolle jeder Ecke der Stadt,
die Fähigkeit direkter bewaffneter Invasion wo auch immer im
städtischen Raum, die Fähigkeit der Isolation und Ausrottung
derjenigen, die nicht gehorchen, der diffuse alltägliche Terror
durch die Präsenz der Polizeieinheiten, die Assimilation des
öffentlichen Raums in die Regeln und die Kultur der Herrschaft,
bilden inhärente und miteinander verknüpfte Bedürfnisse des
Staates. Ziel der pausenlosen Polizeiherrschaft ist die Isolation,
das Zurückstoßen und schließlich die Selbstzerstörung jeglicher
Auflehnung gegen das Regime. Die Viertel werden belagert um den
zukünftigen Aufstand zu zerstückeln, schon bevor er sich zeigt, um
jedes Potenzial der Aufständischen zu zerstückeln, in dem man die
staatliche Gewalt assimiliert. Sie greifen die Brennpunkte
kämpferischer Auseinandersetzungen an, um den zukünftigen Aufstand
seiner revolutionären Grundlage zu berauben.
„Das Projekt der gesellschaftlichen Selbstorganisation, des Kampfes gegen Staat und Kapital nimmt Gestalt an, wenn er sich territorialisiert hier und jetzt und an jeder Stelle wo wir uns befinden und als Kämpfende leben und bewegen... , versuchen wir das Projekt der Enteignung von der Herrschaft zu betreiben und den gesamten Boden den die Herrschaft besetzt hält, müssen wir als unseren eigenen Lebensraum festhalten und befestigen. Die Interaktion der pausenlosen Mobilität und der fortlaufenden tatsächlichen Verweigerung der staatlichen Kontrolle und der polizeistaatlichen Belagerung innerhalb des Viertels, bildet bis heute dessen Verteidigung gegenüber den Plänen des kapitalistischen Staates für eine tiefere Ausbeutung und dessen „Veredelung“. Pläne welche die praktische Verwüstung des Viertels voraussetzen und bezwecken, sozusagen die Ausrottung der sozialen Bewegung... Jeder der einen Platz im Klassenkampf einnimmt: […] oder im Kampf. Die soziale Pflicht jedes Bewohners jedes Viertels ist die Selbstorganisation gegenüber der Ausbeutung und ihrer Institutionen, die Sozialisierung des gesamten Raumes, öffentlich und privat, und dessen Verteidigung gegenüber der Repression. Um Gemeinschaften des Widerstandes in jedem Viertel zu schaffen.“ (Aus dem Text einer Gefährtin, die festgenommen wurde und für die Verteidigung von Exarchia am 6.12.2016 angeklagt ist.)
„Die Organisierung eines Schutzes des Viertels zur Zerstörung der staatlichen Belagerung ist weder ein Werk einiger Experten, noch ein Vorrecht der Männer, der Jungen, usw. Es ist eine Angelegenheit und Möglichkeit aller Anwohner und Besucher des Viertels, die von Unterdrückung und Ausbeutung betroffen sind. Ihre Teilnahme erhöht die Perspektive der gesamten Selbstorganisierung des sozialen Raums.“ ( Aufruf zum Schutz des Viertels am 6.12.2016)
Organisieren wir den fortlaufenden Widerstand auf unserem belagerten Boden. Wir werden jeden Versuch sozialer Selbstorganisation und Solidarität und den freien öffentlichen Raum verteidigen, als die Zellen einer Welt ohne Tyrannei, in jedem Viertel. Indem wir eine kollektive Barrikade erschaffen, öffnen wir die Tore für die soziale weltweite Revolution.
Kein Schwein, niemals und nirgendwo!
Κατάληψη GARE (Καλλιδρομίου 74 – gare74@espiv.net)
An einem regnerischen und für Athen ungewöhnlich kühlen Abend versammelten sich am Sonntag, 28. Mai auf der Platia Exarchion einige Leute, nicht übermässig viele aber das Thema stieß schon auf Interesse. Zunächst wurde ein Film über die von Bullen während der Metapolitephsi ermordeten Menschen gezeigt. Darin kamen auch Interviews mit Leuten auf der Platia aus den 80er Jahren vor. Offensichtlich sollte der Zusammenhang zwischen Widerstand und Repression in diesem Quartier in seiner Kontinuität vermittelt werden.
Es folgte ein längerer Vortrag der veranstaltenden Gruppe zu geschichtlichen Entwicklung der verschiedenen Polizeieinheiten, die in Athen zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt wurden und werden. Auch die Ereignisse um den 6. Dezember 2016 wurden analysiert; eine Person sitzt in diesem Zusammenhang noch in Untersuchungshaft.
Flankiert wurde die Veranstaltung von Foto Wänden zur Geschichte,
wobei auch ganze Anschlagserklärungen bewaffneter Gruppen auf
Texttafeln ausgehängt waren.
Am folgenden Abend wurde das Thema bei einer Diskussionsveranstaltung in der nahe gelegenen Polytechnio Universität vertieft. Als zentrale These dieser Struktur wurde vermittelt, dass eine Selbstorganisierung nur in Abwesenheit des Staates möglich ist und deshalb die Polizei aus dem Viertel rausgeworfen werden muss. Auch die ständige Belagerung wird als Angriff angesehen.
Dazu gehen die Positionen im anarchistischen Raum auseinander. Die New York Times berichtet über weitere Organisierungsansätze, die vom Staat auch als feindlicher Akt angesehen werden, wenn sie auch weniger konfrontativ sind.
Blog einer nicht-griechischen Gruppe in Athen.
Typisches Nachrichtenvideo zu typischem Wochenende in Exarchia, laut dem vor allem Ausländer im Staat von Exarchistan für die Steigerung der Angriffe verantwortlich sein sollen.
Video:
AnarchistInnen greifen Studentenwahl in der Chemischen Universität
in Exarchia an, Ordner „demokratischer“ Studentenorganisationen der Parteien gehen gemeinsam
mit MAT vor.
Die später hierbei entstandenen Spannungen mit Mafia Strukturen
fanden sogar ein Echo in Berlin Friedrichshain.
In Galizien auch Randale wegen Squat
In Santiago (Galizien) gabs Räumung und Straßenschlacht, https://www.youtube.com/watch?v=rn31H07nZgc . Weiß jemand mehr? Dort wurde anscheinend auch ein Viertel verteidigt.
danke