[B] Zur anstehenden Diskussion über Militanz in Berlin

Seit einiger Zeit kursiert in Berlin eine „Einladung zur Diskussion über Sinn und Unsinn von Militanz.“

 

Die Autor_innen des Flugzettels laden doppelt ein: Zu einem Abend im Mehringhof mit Konsumbespaßung durch einen Referenten und zur Einsendung/Verfassung von eigenen Texten zum Thema. Dieser Einladung soll hiermit gefolgt werden.

 

Ich schreibe im Nachhinein, als „ich.“ Nicht weil „ich“ ein isoliertes Individuum wäre, nicht weil „ich“ meine Individualität über Alles stelle, sondern weil angesichts der sehr kurzfristigen Einladung unklar ist, ob „wir“ es schaffen einen eigenen Beitrag zu schreiben.

 

Vieles ist dabei „Alter Wein in neuen Schläuchen“

Aber irgendwie muss eine jede politische Generation für sich aufs Neue aushandeln, wo sie eigentlich steht. In diesem Lichte ist es legitim auch schon Gesagtes zu wiederholen.

 

Es erscheint zunächst sinnig, sich erst einmal bewusst zu machen, worüber hier eigentlich geredet werden soll. Denn was ist Militanz eigentlich? In der vor ein paar Jahren bereits in der Interim geführten Debatte um Militanz, schreibt eine Gruppe: „[Militanz ist] der politisch bewusste Einsatz von Gewalt als einem Mittel unter vielen in einem Kampf um herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft.“

Dieser Definition folgend würde ich sie erweitern, um die Frage der eigenen Haltung zur Gesellschaft. Salopp formuliert gehört zu einer militanten Haltung der Anspruch wo immer es im Alltag nötig ist gehörig Stunk gegen die Gesamtscheisse und ihre Ausprägungen zu machen. Dies muss und darf nicht in einer permanenten Anwendung von Gewalt münden.

 

Da ich die x-tausendste Debatte über Szene-Dresscodes, Plakatgestaltung, Verbalradikalität, etc. langweilig finde, will ich hier nicht auf die Sinnfragen einer nur vom Habitus her radikalen Subkultur eingehen.

 

Stattdessen:

 

Erste These - Militanz sollte sich nicht nach danach bemessen, welches Mittel eine Aktion benutzt, sondern welche Wirkung erzielt wird.

 

Es lässt sich über den strategischen Nutzen des Einen oder anderen diskutieren, aber ob Menschen zum Beispiel einem rechten Kader öffentlich eine Torte oder die eigene Faust ins Gesicht schmettern, sollte nicht an patriarchalen Vorstellungen von „krass“ bewertet werden, sondern nach der Effizienz der Aktion. Ebenso kann ein verklebtes Türschloss teilweise mehr Schaden anrichten und nachhaltiger stören, als eine eingeschmissene Fensterscheibe, oder ein ungünstig platziertes Feuer. Es ist verstörend mitzukriegen, wie oft bei der Bewertung von Aktionen mehr im Raum steht, welches Mittel eingesetzt und wieviel Sachschaden eingesetzt wurde, als was die Aktion genau bewirkt hat. Die voyeuristische-stumpfe Bewertung von „Bildern, die eine Aktion erzeugt“, sei der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Hang zum Spektakel überlassen.

 

Zweite These – Eine notwendige Unterscheidung von symbolischer und effektiver Militanz

 

Diese Kategorien sollen keine Wertung sein und eine Einordnung einer Aktion hierbei keine Diskreditierung derselben. Aber zu oft vermischen sich in Diskussionen diese Kategorien und damit auch die Bewertungen ihres strategischen Gehaltes. Die Übergänge sind fließend. Trotzdem möchte ich versuchen beide Bereiche abzustecken, um hieraus eine Kritik an bestehenden Praktiken abzuleiten.

 

Als symbolische Militanz bezeichne ich eine solche, die sowohl keinen unmittelbaren Effekt hat, als auch in ihrer materiellen Wirkung nicht geeignet ist, die betroffene Stelle ernsthaft unter Druck zu setzen. Symbolische Militanz drückt dabei hauptsächlich eine antagonistische Haltung aus und ist geeignet um eigene Inhalte in Debatten (ob im Kiez oder in den Medien) zu platzieren. Deswegen braucht symbolische Militanz auch oft irgendeine Form von Vermittlung, ob durch Parolen am Aktionsort, Flyer in der Umgebung, oder einem Schreiben auf Plattformen wie Linksunten.

 

Als Beispiel seien hier Steine oder Farbe auf ein staatliches Gebäude genannt. Auch wenn der entstehende Sachschaden uns eventuell sehr hoch vorkommt, ist aber ein Jobcenter durch seine kaputte Fassade nicht in seinem Alltag gestört und eine Behörde wird auch bei noch soviel Sachschaden an ihr nicht schließen und ihre Arbeit einstellen.

 

Zusätzlich kann symbolische Militanz durchaus auch ein Signal hin zu einer realen Drohung stellen und damit die Ebene der reinen Symbolik verlassen. Dies in den Momenten, wenn es ein glaubwürdiges Szenario einer „Vermassung“ der Aktionen gibt.

 

Als Beispiel seien hier die alte Berliner Ansage auf 1 Million Sachschaden bei Räumungen oder die bis heute bestehende Drohkulisse um die Rote Flora genannt. In solchen Fällen können auch eigentlich symbolische militante Aktionen dazu führen, dass Akteur_innen unter Druck gesetzt werden.

 

Auch wenn die Grenze hier manchmal unscharf ist, gibt es einen Unterschied zwischen rein symbolischer Militanz und derjenigen, welche einen unmittelbaren Effekt am Ziel bewirkt.

 

Ein umgeboxter Nazi wird es vielleicht nicht zur Demonstration schaffen, ebenso erschweren tiefergelegte Autos die Reise von Menschenfeinden zu ihren Aufmärschen. Im Gegensatz zu zum Beispiel staatlichen Stellen oder großen Unternehmen wie Securitas, können gerade kleinere Unternehmen oft nicht mehrere auf Sachschaden ausgerichtete Aktionen gegen sie vertragen, als positives Beispiel seien hier diverse Kampagnen gegen Naziläden genannt.

 

Weiterhin fällt in diese Kategorie jede Form von erfolgreicher Sabotage. Also dann wenn es gelingt effektiv in den Ablauf einer Institution, eines Geschäftes, einer Behörde einzugreifen. Sabotage kann hierbei vielfältige Formen haben.

 

Abseits davon - Militanz im Kontext von Versammlungen

 

Wenn über Militanz gesprochen wird, dann wird natürlich nicht nur von vorbereiteten klandestinen Aktionen kleinerer Gruppen oder Einzelpersonen gesprochen, sondern auch von einem militanten Auftreten im Zusammenhang mit Demonstrationen oder größeren Versammlungen. Ich möchte diesen Punkt nicht als unwichtig markieren, aber werde aus Platzgründen diesen nur am Rande in Überlegungen mit einbeziehen.

 

Abschließend ist zu betonen, dass all diese Formen ihre Berechtigungen haben. Militanz wird aus unterschiedlichen Motivationen heraus angewandt. Es geht nicht darum diese grundsätzlich zu diskreditieren.

 

Dennoch möchte ich mich als Beitrag zur Diskussion mit ein paar Polemiken und einer offenen Frage an der Diskussion beteiligen.

 

 

Erste Polemik - „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“ (Paul Watzlawick)

 

Wenn ich Papiere nach Aktionen lese, stolpere ich oft darüber, dass mir unklar ist, von welchen strategischen Bestimmungen die Verfasser_innen auszugehen scheinen. Gerade bei an sich symbolischen Aktionen liest sich oft eine Überhöhung der eigenen Aktion heraus und wird diesen eine Wirkmächtigkeit zugeschrieben, die mit der Realität wenig zu tun hat.

 

Ganz klar: Grundsätzlich ist es erstmal gut, wenn Menschen beschließen ihre Wut nicht nur in der Kneipe oder auf Transparenten zu äußern, sondern sie auch materialisieren, dem will ich gar nicht besserwisserisch begegnen. Was mich aber stört, ist wenn eine Bewegung sich einzig durch militante Aktionen identifiziert und dann jede auch noch so symbolische Aktion zum revolutionären großen Wurf erklärt. Aus dieser Überhöhung der Wirkung militanter Aktionen heraus werden andere wichtige Konzepte des Kampfes dann oft vernachlässigt und Menschen die ihren Fokus gerade auf diese legen weniger ernst genommen. Sich der Symbolhaftigkeit eines großen Teils militanter Aktionen nicht bewusst, wird alles andere dann als „Symbolpolitik“ verschrien. In diesem Denken gefangen wird jeder noch so kleine Farbanschlag bewundernd wahrgenommen, aber (nur um Beispiele zu nennen) Kundgebungen und „Latschdemos“ und die oft mühselige Basisarbeit im besten Falle müde belächelt, im schlimmsten Falle sogar unachtsam sabotiert.

 

Hier sei als ein negatives Beispiel die Veröffentlichung eines plumpen Gewaltaufrufs im Vorfeld des Rigaer Strassenfestes 2015 genannt, der gewiss seinen Teil dazu beitrug eine nicht zu gewinnende Konfliktsituation mit den Bullen und einen die ganze Woche über andauernden Belagerungszustand zu erzeugen, der es quasi verunmöglichte die eigentliche Intention des Strassenfestes auch nur im Ansatz durchzusetzen - und dabei auch ein Bärendienst war für diejenigen, die durchaus vorhatten den Konflikt zu suchen, ohne ihn vorher anzukündigen.

 

Eine solche Logik führt nicht nur zu Avantgardedenken und Sektierei, sie schränkt uns auch selbst massiv in unseren taktischen Möglichkeiten in gesellschaftlichen Konflikten zu agieren ein. Es macht eben nicht in jedem Moment Sinn, in die militante Aktionskiste zu greifen.

 

Außerdem verlieren wir damit aus den Augen, dass zum Aufbau eines widerständigen Potentials eben sehr viel mehr gehört als einfach nur die Weitergabe von Wissen um militante Aktionen und wie sie ausgeführt werden.

 

 

Zweite Polemik - „Dat is Punk, dat raffst du nie“

 

Natürlich sollten wir uns nicht durch die bürgerliche Gesellschaft und ihre Beißreflexe kirre machen lassen und beginnen uns gegenseitig dafür zu beschimpfen, wie die Presse, Politik oder andere versuchen Aktionen in ihrem eigenen Herrschaftsdiskurs zu deuten. Wer angesichts der Geschichte und auch aktueller Entwicklungen rumheult, die Gesellschaft wäre in Gefahr wenn Faschist_innen und Rassist_innen persönlich angegangen werden, wer sich angesichts Tausender demokratisch legitimierter Ertrunkener Menschen im Mittelmeer über Sachschaden bei Abschiebehörden ereifert, hat das eigene Herz und Gewissen eh mit der eigenen Stimme zusammen in der Wahlkabine abgegeben. Und diese Form von gesellschaftlichen Reaktionen sind so vorhersehbar wie langweilig.

 

Trotzdem müssen wir auch selbstkritisch feststellen, dass es innerhalb militanter Aktionen und der sie Ausübenden eine gewisse Arroganz gibt, eigene Inhalte nicht mehr zu vermitteln. Und mit Vermittlung meine ich nicht ein aus der eigenen Blase und der ihr zugehörigen Sprache ein Pamphlet im Internet zu veröffentlichen. Stattdessen lässt sich in Gesprächen beobachten, dass Menschen die Meinung vertreten, eine Freund/Feind-Bestimmung anhand der Reaktionen auf die eigene Aktion festzumachen. Nach dem simplen Schema: „Wer sie gut fand ist mit uns, wer sie ablehnt, gegen uns.“ Das meistens noch verbunden damit, dass es Menschen wichtiger erscheint mittels Linksunten-Kurzartikeln ominöse „Rauchzeichen“ nach sonstwo zu schicken, statt die Hintergründe der eigenen Aktionen mittels Flyern und anderen Möglichkeiten in den betroffenen Kiezen zu verbreiten.

 

Dabei setzt gerade symbolische Militanz ja darauf irgendwie an einem gesellschaftlichen Diskurs teilzuhaben. Einen Diskurs, den Anarchist_innen und Linksradikale eben momentan nicht maßgeblich prägen. Auf zu erwartenden Widerwillen bei Menschen, die vielleicht sogar durch Aktionen mittelbar betroffen sind immer nur mit einer ablehnenden bis feindlichen Haltung zu reagieren, wird nicht dafür sorgen, dass sich das widerständige Potential der Gesellschaft vergrößert oder auch nur die Akzeptanz für militante Aktionen wächst.

 

 

Abschließend:

Eine Polemik in Fragenform - „völlig losgelöst von der Erde“

 

Als letztes Jahr die Kadterschmiede in Berlin geräumt wurde, folgte eine kurze Phase von militanten Aktionen in einer in Berlin seit Jahren ungekannten Intensität. Bei allem Leuchten in den Augen, dass manche in dieser Zeit überkam, die dachten militante Politik in Berlin wäre mehr oder weniger tot: Gerettet wurde die Kadterschmiede durch einen juristischen Sieg vor bürgerlichen Gerichten. Die einzige militante Aktion, die hier einen direkten Effekt hatte, dürfte der Einbruch in das Anwaltsbüro der Gegenseite im Dezember 2016 gewesen sein. Trotzdem verklären viele den „schwarzen Juli“ als einen Ausdruck von Stärke.

 

In Gesprächen und Diskussionen hierüber schlich sich bei mir das Gefühl von Unwissenheit ein. Eine Unwissenheit darüber, in welchen Momenten der jüngeren deutschen Geschichte (Massen-)militante Aktionen zu einem direkten und greifbaren Erfolg in gesellschaftlichen Kontexten führte. Ausgenommen natürlich die Akte der direkten Sabotage, deren unmittelbarer Effekt offensichtlich ist.

 

Vom hohen Roß der Polemik herabsteigend, will ich deswegen mit einer Bitte und einem Vorschlag an die Besserwissenden enden, eine gemeinsame Analyse der neueren (bundes-)deutschen Geschichte von militanten Mobilisierungen und Aktionen und ihren realen Erfolgen vorzunehmen.

 

Ich würde mich freuen, diese Lücke geschlossen zu bekommen.

 

Fragend schreiten wir voran,

 

Berlin 2017

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 das ist ein anderer artikel

Danke für diesen wohlüberlegten und tollen Textbeitrag zu einem nie enden wollenden Thema, gerade im Zuge des bevorstehenden G 20 "Events" in Hamburg.

ey, berlin sollte ma kräftig die klappe halten. militant oder nicht, ihr kriegt doch nichtmal gegen abgewrackte nazis die für horst mahler demonstrieren mehr als n dutzend menschen zam?! also warum dann die debatte?!

scheiß auf die militanzdebatte oder die sonstigen innerlinken zerwürfnisse und was weiß ich und geht auf die verschissene straße!

gilt übrigens auch für so einige andere städte. mir fallen da hamburg, nürnberg und münchen ein. der feind steht drüben auf der anderen seite der bullenkette!

warum hätte ich zu diesem traurigen haufen gehen sollen? ihre gesichter kann ich mir dank guter antifa-arbeit auch hier angucken. du schreibst selber von "abgewrackten" nazis, dennoch scheint es dir das wichtigste der welt sein dort bei absurder bullenstärke gesicht zu zeigen (mehr nicht vor ort möglich). das macht doch garkeinen sinn!

weil ungestört demonstrierende nazis, auch wenn sie abgewrackt sind, raum beanspruchen. und das geht auf gar keinen fall klar.

jede unwidersprochene nazidemo ist ein zeichen für die nazis, dass sie an diesem ort nicht unwillkommen sind!

Du hast Recht! Die Stärke und Relevanz einer radikalen Linken sollte einzig daran gemessen werden wieviele Naziaufmärsche verhindert werden.

 

Du bist das perfekte Beispiel für eine perspektivlose Bewegung in Deutschland. Arrogant und unsolidarisch haten aber null eigene Inhalte und Diskurse einbringen. Schau doch mal was in Berlin dieses Jahr schon alles passiert ist an Kongressen, Demonstrationen, theoretischen Diskursen, Kiezkämpfen etc.

 

Aber das Einzige was dir einfällt ist diese Horst Mahler Kundgebung? Traurig!

bärgida ist genauso vernachlässigt unsererseits, das vernachlässigen der strassenarbeit hat in berlin system und nicht nur einzelfallcharakter.

und was tun "theoretische diskurse" und "kongresse" dagegen, dass nazis aller arten auf der straße präsent sind? richtig, gar nichts.

will nicht heißen dass ich kongresse, theorieplena und co ablehne. im gegenteil, sie sind enorm wichtig, will man sich als "szene" weiterentwickeln. nur sollte vor lauter theorie nicht die praxis vergessen werden.

denn wenn wir tagein, tagaus im plenum vor uns hinleben, merken wir nicht wie draussen die nazis die macht übernehmen. und nein, damit meine ich nicht die afd. die ist als partei am ende. aber sie haben es sehr erfolgreich geschafft, den kurs in allen parteien, von linkspartei bis csu, und in der allgemeinen öffentlichkeit massiv nach rechts zu rücken.

was ist denn das bitte für eine pauschalisierende und unsolidarische scheißhaltung?

"strassenarbeit" ist eben nicht nur auf nazi-aufmärsche/-kundgebungen zu reagieren und uns somit von denen unsere aktionsfelder und -rahmen vorschreiben lassen, sondern es ist eben auch aktiv zu agieren.

 

ob das jetzt kundgebungen/demonstration gegen nazis und ihre strukturen sind(da gabs in berlin letztes und auch dieses jahr schon einige), strukturelle kiezarbeit, anti-gentrifizierungsarbeit, das erschaffen und erhalten von solidarischen und "freien" strukturen/räumen, gewerkschaftsarbeit/kampf gegen beschissene arbeitsbedingungen, der kampf gegen den rassistischen staat und seine strukturen(weißt du eigentlich wie viele refugee-support strukturen und projekte allein in berlin aktiv sind?), der kampf gegen homo-/trans*phobie und gegen sexismus(was an sich schon ein enormes aufgabengebiet ist dass dich für jahre fast vollständig fordern kann), solidarische aktionen mit ganz vielen anderen kämpfen auf der welt, info-abende und weitergeben von (anarchistischen)wissen und ideen....na ja, nur um mal so ein paar themebereiche zu nennen mit denen sich leute aktiv beschäftigen.

 

und nur weil ihr nicht permament im internent über "politische praxis" lest(als ob jede kleingruppe bei jeder aktion das bedürfnis hat sich damit im internet zu profilieren...wenn ein nazi auf die fresse bekommt nach ner demo/kundgebung oder im alltag, braucht das nicht jedes mal ein bekenner*innenschreiben), heißt das nicht das nur theoretisch gearbeitet wird und "die praxis vergessen" wird.

 

wenn wir tagein tagaus uns auf demo von bullen auf die fresse hauen und anzeigen lassen, sind irgendwann keine aktivistas mehr übrig die sich gegen scheiße engagieren können.

ihr tut hier in der kommentarspalte so als würden alle nur noch in ihren kleinen seifenblasenwelten leben und die beschissene realität verdrängen und solche vorwürfe sind unsolidarische scheiße.

 

@"berlin soll mal die fresse halten"

wenn sich deine politische arbeit wirklich komplett nur dadurch definiert dass du auf gegenkundgebungen zu nazi-veranstaltungen läufst bewirkst du nicht gerade viel, aber mit so billigen phrasen wie:

der feind steht drüben auf der anderen seite der bullenkette!

lässt sich ja auch prima die gesamte politische arbeit von anderen leuten, egal wie viel und wichtig sie in anderen aspekten ist, schlecht reden.

deswegen mal ein kräftiges "FICK DICH!" hier an dieser stelle an dich.

Ihr könnt am 12.06.17 dem Rest vom Land zeigen was ne Harke ist :-)

Ab 8 Uhr vorm Jobcenter Pankow

Für einen Schwarz/Roten Montag...

Der Text macht einige wichtige Punkte, geht aber am Kern der (radikal)linken Misere in Deutschland vorbei. Da zeigt sich nämlich eine absolute Unfähigkeit oder, schlimmer noch, ein ausgeprägter Unwillen, strategisch zu denken. Aktionsformen werden danach gewählt, ob sie "cool aussehen", ob mensch sie kennt, ob sie ein tolles "Zeichen" (und sei es im Zweifel nur in die eigene Szene hinein) setzen.

 

Nur als Beispiel, zufällig auch aus Berlin: die Nicht-Anmeldung der "Revolutionären 1. Mai Demonstration" in Kreuzberg in diesem Jahr. Grundsätzlich eine gute Sache - wir nehmen unsere Rechte wahr, und stellen sie nicht unter den Genehmigungsvorbehalt von Bullen und Versammlungsbehörde. Offensichtlich fehlte aber jede Idee, was mit der Nichtanmeldung, jenseits einiger alarmistischer Presseartikel, erreicht werden sollte. Der - angesichts der realen Kräfteverhältnisse zugegebenermaßen etwas hypothetische - Vorteil, dass die Bullen sich nicht auf den Demoverlauf vorbereiten können, wurde durch die Veröffentlichung der Route zunichte gemacht. Das widerständige Moment, das die Nichtanmeldung signalisieren sollte, führten die Organisator_innen selbst ad absurdum, als sie die Demo trotz massivem Bullenspalier und Angriffen nicht selbst beendeten. Den (ich nenn's jetzt einfach mal so) Wow-Effekt, den der Sattelschlepper als Demo-Lauti in der Vergangenheit erzeugte, opferten die Organisator_innen der pseudorebellischen Geste. Im Endeffekt blieb der Eindruck einer konfusen, über weite Teile passiven Demonstration, die weit hinter den Ankündigungen zurückblieb.

 

Das wie gesagt nur als Beispiel. Das Elend geht jedoch viel tiefer. Bis vor wenigen Jahren ließen sich Nazi-Events durch Massenblockaden ziemlich effektiv mit (relativ) wenig Repressionsgefahr verhindern. Teile der radikalen Linken jammerten unterdessen nonstop rum, dass Sitzblockaden mit nicht-autonomer Unterstützung ein Rückschritt seien, dass sie den nur durch Militanz auszudrückenden antifaschistischen Elan unterdrücken und so weiter. Mittlerweile hat sich die Situation umgekehrt: Massenblockaden sind, weil ja auch die Bullen immer dazulernen, kaum noch möglich - aber jetzt sind es die vermummten Schwarzjacken, die sich wie beim AfD-Parteitag in Köln gegen die Bullenketten werfen, um den Gehweg zum Veranstaltungsort zu blockieren. Auf den - an und für sich naheliegenden - Gedanken, die eigenen Mittel flexibel anzupassen, um das längerfristige Ziel zu erreichen, kommt anscheinend kaum eine_r.

 

Wie groß diese strategische Leerstelle ist, lässt sich tatsächlich kaum beschreiben. Macht mal, wenn ihr Bock habt, den Versuch, gerade auch organisierte Genoss_innen darauf anzusprechen, wo sie selbst oder ihre Orga in 5, 10 oder 15 Jahren sein wollen. Wollen sie die Bewegungsbasis eines linken Parteiprojekts (wie die Anhänger_innen von Bernie Sanders in den USA) sein? Wollen sie weiter Plena, Jugend- und Kampagnenarbeit machen und Demos organisieren? Wollen sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen schaffen, dass wie in den 1970er Jahren der bewaffnete Kampf wieder denkbar wird?

Es geht mir nicht darum, irgendeine dieser Varianten zu werten; nach meiner Erfahrung wissen aber die wenigsten Aktivist_innen überhaupt, wie die Antwort auf eine solche Frage aussehen soll.

 

Solange die radikale Linke aber keine Aussage über ihre strategischen Ziele treffen kann und sich - größtenteils - nicht einmal darum bemüht, diese Frage zu beantworten, bleibt die Frage nach der Militanz zweitrangig und letzlich eine, in der es um persönliche Präferenzen und Fähigkeiten geht.