Gedanken zum Türkei-Referendum

Beşiktaş sagt Hayir! Wir haben gewonnen!

Wer rechnen kann ist klar im Vorteil. Alle größeren Städte in der Türkei von Istanbul über Izmir, Ankara, Antalya, Diyarbakir usw. haben am gestrigen Ostersonntag mit einem Nein für die von der AKP gewünschten Verfassungsänderung abgestimmt. Das Nein-Lager reichte von Linksaußen bis hinein in den religiös konservativen Bereich und dem rechten Rand.

 

Auf dem türkischen Fernsehkanal FOX hatte man gestern 2 AKP-treue Moderatoren plaziert, die das Wahlspektakel kommentieren sollten und im Laufe des Tages aufgrund offensichtlicher Ungereimtheiten bzgl. der Wahlergebnisse noch reichlich ins Schwitzen kamen.

Mitunter sorgte ein Live-Anrufer für Unmut, der darauf hinwies dass es in mindestens 60% der Wahlbezirke in der Türkei zu Manipulationen und direkten Behinderungen zum Nachteil des Nein-Lagers an den Wahlurnen kam. Viele AKP-Anhänger versuchten mehrmals in verschiedenen Bezirken zu wählen. Teils mit Erfolg.

 

Auch tauchten im Laufe des Tages Videos auf, die belegen wie AKP-Anhänger im Stau stehenden Autofahrern den Urnengang erleichtern wollten, indem sie sie die Wahlzettel gleich vor Ort vom Auto aus ausfüllen ließen. Ein Schelm wer dabei böses denkt.

 

Hierzu wäre auch noch zu erwähnen dass im Vorfeld der Wahl einige türkische (Groß-) Firmen ihren Arbeitern auferlegten dass sie Fotos von sich live bei der Wahl machen sollen. Zusammen mit ihrem Personalausweis und dem ausgefülltem Wahlzettel, die sie beide dann in die Kamera zeigen sollen, und das dann der Personalabteilung schicken sollen.

Heißt also, wer hier mit einem Nein abstimmt, den Stimmzettel unausgefüllt lässt, oder gar kein Foto von sich bei der Personalabteilung abgibt, muss damit rechnen seinen Job zu verlieren...

 

Die Moderatoren vom türkischen FOX-Kanal flippten im Laufe der Wahlsendung teilweise fast aus und waren sichtlich erbost über kritische Anrufer und sämtliche Kritik diverser Gäste ihrer eigenen Show zum Wahlspektakel. Einer der beiden hielt dann irgendwann mal ein leeres DIN A4-Blatt in die Kamera und erklärte den Zuschauern dass sie sich doch auf eben so einem selbst eine Evet- und Hayir-Spalte erstellen können und gern alles nochmal nachrechnen können. Das haben einige dann auch gemacht. Wonach die oppositionelle demokratische Partei der Völker HDP dann bekannt gab dass nach mehrmaligem Nachrechnen mindestens von 56% Nein-Stimmen ausgegangen werden müsse.

 

Was gestern und heute unter anderem auf tagesschau.de für ein Bild der Lage suggeriert wird, spiegelt die Realität in der Türkei nicht wirklich wieder. Ein feiernder Erdogan vor jubelnden Massen, währenddem auf der anderen Seite nur vereinzelt  Menschen auf Töpfe schlagen um so verzweifelt ihren Protest kundzutun.

Vielmehr hatte man vor Ort den Eindruck dass die Elite irgendwo abgeschottet und isoliert versucht gute Stimmung für sich selbst zu machen und Erdogan, in seinen anschließenden Reden, wirkte nicht so ganz zufrieden mit dem Wahlergebnis.

Vermutlich hatte er da gerade auch die eigentlichen Wahlergebnisse im Kopf.

 

Unterdessen gingen zahlreiche Menschen aus dem Nein-Lager u.a. in Istanbul auf die Straße. Im Stadtteil Beşiktaş konnte man den Eindruck gewinnen dass hier das komplette Viertel auf die Straße gegangen ist um gegen das Wahlergebnis zu protestieren, wovon nachts gegen 01:30 UHR noch ein großer Demonstrationszug geschlossen vor das dortige Wahllokal zog, was vom Zentrum aus einige Kilometer entfernt liegt. In Beşiktaş lag das Wahlergebnis bei über 80% für ein Nein zur Verfassungsänderung. Andere Viertel wie Kadiköy kamen auf über 70% für ein Nein. Und selbst das als schwer konservativ-religiös geltende Viertel Üsküdar stimmte klar für ein Nein.

An diesem Bild konnten auch im Pick Up herumfahrende AKP-Anhänger mit etwa 10 Leuten auf dem Wagen nichts mehr ändern, weil sie schlicht weg zu wenige waren um noch irgendjemanden einschüchtern zu können.

Auch die dortige Polizei konnte bei so viel Protest nicht mehr genügend Personal aufbringen um diese wie gewohnt gleich im Keim zu ersticken.

 

Vielleicht klappt das ja dann später noch mit den aus Deutschland gelieferten Leopard-Panzern der Rheinmetall AG, oder noch bischen stylischer: Mit F-35 Kampffliegern, die die Türkei erst neulich von selbigem bestellt hat...

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Das Argument dieses Artikels ist: Wahlbetrug!

Ja, Wahlbetrug kann sein - aber selbst wenn das Erdogan-Lager gewonnen hätte - wäre diese Herrschaft nicht legitim. Das ist wie mit Trump - keine Legitimation, ohne wenn und aber. Was ist, wenn die große Mehrheit "der Türken" für einen Endkrieg gegen die Kurden stimmen würde? Eben.

In diesr Situation an den Glauben in den Wert der bürgerlichen Demokratie und ihrer Wahlen zu appellieren ist schädlich. Erodgan, Orban, Trump - alles Geburten dieses Systems. Die Radikalen sollten anfangen Kapitalimus/Imperialismus zu demaskieren und für eine andere Gesellschaft zu kämpfen, statt "den Bösen" immer nur eine "gute" Demokratie entgegenzuhalten. Es gibt keine gute bürgerliche Demokratie. Period.

Klar, die Meinung der Mehrheit kann Kackscheisse sein wie nun in der Türkei, in Ungarn, usw. Aber soll dann kommen? Die Herrschaft der schlauen Minderheit, die es besser weiß? Wäre es nicht eher Aufgabe einer Linken, anstatt gegen eine "bürgerliche" Demokratie zu kämpfen, die Menschen davon zu überzeugen, für die richtigen Antworten zu stimmen?!

Und was ist an der bisherigen Türkei gut, dass man hätte mit hayir stimmen sollen? Ist die Türkei erst seit Erdogan ein Scheißstaat?

Bürgerliche Demokratie/Kapitalismus/Imperialismus ist keine "richtige Antowrt", egal was Apo dazu sagt.

willst du etwa zum ausdruck bringen, daß, wenn etwas schon scheiße ist, es ruhig noch "scheißer" werden darf- nach deiner lesart ja eher noch "muß"? muß nach deinem erachten also folgerichtig hierzulande von uns allen die AfD gewählt werden, damit das hier auch noch "scheißer" wird?

 

oh mann, gibt das wirrschädel hier...

 

ps.: und laß öcalan da raus, um den geht das hier komplett nicht und meines wissens hat der auch keinen sermon hierzu abgesondert.

Das Argument ansich ist einleuchtend.

Doch sagst du schlicht: man sollte alles über Bord werfen und stattdessen für die eigene Utopie kämpfen. In dem Sinne "Utopie" nicht als nicht zu erreichendes Ideal, sondern als Ideal schlicht hin das es zu erreichen gilt.

 

In Grunde sagst du: geht mit den Vorschlaghammer auf die Gesellschaft los, alles andere ist vertane Liebesmüh.

Aber genau das ist eben nicht Mehrheitsfähig. Ich weiß gar nicht mehr welcher schlaue kopf das einst mal sinngemäß sagte, aber wenn man die Gesellschaft wirklich verändern will muss man die bestehenden Istitutionen nutzen und die Eliten hinter sich wissen.

 

Letztendlich bedeutet dies: Wenn man den Strom ändern will darf man keine Staudämme bauen, man muss mit den Strom schwimmen um diesen dann um zu lenken. Aus radikaler sicht ist das "falsch" (sonst wären sie nicht radikal).

 

Die Geschichte zeigt, das es nicht anders geht.

Auch wenn man es sich gerne anders wünscht. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Somit ist der Ansatz der "Überzeugung" von der "richtigen Antwort" genau der Ansatz der in der Realpolitik betrieben werden muss um langfristig Erfolge zu erzielen. Auch wenn dies bedeutet, das es die Möglichkeit gibt das es "nach hinten" los geht und die "falschen" dadurch Oberwasser gewinnen.

 

Übrigens die (neuen wie alten) Rechten machen genau das. So nutzen diese z.B. die Demokratie um diese langristig ab zu schaffen oder eben die Institutionen der EU um die EU zu beschränken. Sie haben verstanden wie es funktioniert. Und das leider mit zunehmenden Erfolg.

Wenn schon bildlich:

 

Den Strom kann ich ändern, indem ich ein neues Flussbett grabe und anfange den Strom umzuleiten. Er wird dann selbst das Flussbett immer größer machen ....

 

Mit dem Strom schwimmen bringt da gar nix ;-)

 

Konkret zur Türkei: Vielleicht war auch eine zerspaltene Linke mit ihren Streitereien mit verantwortlich, dass ein Rechtspopulist wie Erdogan als "kleineres Übel" hingenommen wird?

....wählen ihre Metzger selber.

Diesmal passts.