Ein Besuch im ungarischen Knast für Geflüchtete

Freedom / Open the Borders

Am Wochenende besuchten wir unseren aus Lybien geflüchteten Freund Abdul (aus Sicherheitsgründen anonymisiert) im „Auffanglager“ (engl. detention center) in Nyírbátor in Ungarn. Das Lager besteht aus zwei Bereichen, dem asylum detention und dem immigration detention und ist ein geschlossenes Camp. Das bedeutet, dass die Gefangenen sich nicht frei bewegen können und es keine Möglichkeit gibt, das Lager ohne Weiteres zu verlassen. Abdul ist bereits seit ungefähr drei Monaten in Nyírbátor und ist im Bereich des immigration detention Centers untergebracht. Für unseren Besuch musste er schon einige Tage vorher einen Antrag stellen.

 

Das Camp in Nyírbátor befindet sich am Bahnhof direkt auf der anderen Seite der Bahnschienen. Wer den Bahnhof verlässt, muss sich nach rechts drehen und ein kleines Stück laufen bis auf der rechten Seite eine Brücke kommt. Nachdem diese überquert wurde, sollte man sich wieder nach rechts drehen und so lange geradeaus gehen, bis auf der linken Seite ein großes weißes Gebäude mit einer EU und einer ungarischen Flagge kommt. Um das Gebäude herum befindet sich ein ca. 2 Meter hoher mit Stacheldraht besetzter Zaun. Das Gebäude wird außerdem von Securities kontrolliert und bewacht. Neben dem Camp befindet sich eine Polizeischule.


Als wir zum Haupteingang kommen, werden wir auf Ungarisch angesprochen. Auf unsere Frage hin, ob jemand Englisch spreche, wird uns mit einem unfreundlichen, aber deutlichen „Magyar!“ (dt. „Ungarisch“) eine sehr eindeutige Antwort gegeben. Wir sind etwas nervös, weil wir ihnen zutrauen, uns vielleicht doch nicht zu unserem Freund zu lassen. In dem Moment hat uns Abdul aber schon aus seinem vergitterten Fenster aus entdeckt und ruft uns zu. Nachdem die Security uns erst skeptische Blicke zuwarf und sich offensichtlich sträubte uns reinzulassen, überprüften sie jetzt die Anmeldung für unseren Besuch und ließen uns durch das Tor in das Gebäude hinein.


Der Eingangsbereich zum Treppenhaus hin ist mit dicken Gitterstäben und einer Tür getrennt. Dahinter steht unser Freund und wartet. Wir werden erst zu einem kleinen Tisch geführt und kontrolliert. Unsere Taschen müssen wir auf dem Tisch ausleeren. Die Dinge, die wir für Abdul mitgebracht haben, werden aufgeschrieben. Danach werden unsere Personalausweise und Handys eingesammelt, die wir erst am Ende unseres Besuchs wiederbekommen. Feuerzeuge sind verboten (wie im Gefängnis), diese müssten geschmuggelt werden, was mit Glück auch möglich ist, denn aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen wurde nur eine Person von uns vollständig kontrolliert. Die ganze Situation wirkte auf uns hektisch und unkoordiniert, da mehere Securitymenschen plus einer Person in Sekretär*infunktion um uns herumwuselten und sich einmischten.


Nachdem die Machtdemonstration des Sicherheitspersonals vorbei war, wurden wir in einen Raum geführt, in dem ein paar Metallschränke, ein Tisch und vier Stühle stehen. Kameras haben wir in diesem Raum keine gesehen. Endlich wurde Abdul zu uns gelassen, der die ganze Zeit hinter den Gitterstäben gewartet hat. Die Tür des Raums stand während unseres Besuchs die ganze Zeit geöffnet. Jede Minute schaute ein Security durch die Tür durch und jede 15 Minuten kam jemand herein und wollte irgendwas von uns oder von Abdul (Namen unserer Mütter, Zeitdruck machen etc.).


Wir hatten Abdul drei Monate nicht mehr gesehen, denn so lange ist er bereits hier, weshalb wir uns auch viel zu erzählen hatten. Er erklärte uns, dass er den Tag zuvor mit einem Hungerstreik angefangen hat und seitdem nichts mehr esse und nur noch ungesüßten Kaffee trinke. Dafür gibt es mehrere Gründe, die sich vielleicht kurz zusammenfassen lassen: gegen das unmenschliche und tödliche Asylsystem Europas anzukämpfen.


Wir werden hier kurz einige direkte Beweggründe aufführen, die ihn dazu veranlassten, in den Hungerstreik zu gehen:

I m not a criminal or a terroriste or soms thing juste I m one humain I need asyle“

  • Die Dokumente werden den Gefangenen fast ausschließlich auf Ungarisch, ohne jegliche Übersetzung ausgehändigt. Das hat die Folge, dass sie wichtige Dokumente nicht verstehen. Auch auf Nachfrage hin gibt es meistens keine Übersetzung. Die einzige Möglichkeit ist es, sich die Dokumente selbst zu übersetzen, z.B. mit Hilfe von Google translate, was sich als sehr zeitaufwändig und fehlerhaft erweist.

  • Misstrauen den Anwält*innen gegenüber (Pflichtverteidiger*innen vom faschistischen Staat Ungarn gestellt)

  • Es gibt den Zugang zu Internet. Dieser wird auf 40 Minuten pro Tag und Person beschränkt. In dieser Zeit hat Mensch die Möglichkeit seine Familie etc. zu kontaktieren. Telefonate als auch Facebook würden überwacht, erklärte Abdul. Außerdem käme es vor, dass ihnen als Strafmaßnahme der Zugang zum Internet für mehrere Tage gesperrt werde. Das bedeutet für sie Isolation, keinen Zugang zur Außenwelt, vor allem aber auch keinen Kontakt zu Freund*innen und zur Familie zu haben.

  • Es kam wohl mehrfach vor, dass Securities grundlos, manchmal sogar nachts, in die Zimmer der Geflüchteten kamen und auf sie einschlugen und sogar (Tränen-) Gas verwendeten. Abdul erzählt, dass sie einmal mit sechs Securities in ihr Zimmer kamen und auf seinen Zimmergenossen, welcher noch geschlafen hat, einschlugen. Er selbst sei dann dazwischen gegangen und wurde in einen Bereich des Gebäudes geführt, in dem es keine Kameras gebe. Dort gab es eine weitere Auseinandersetzung mit den Securities. Als er in einen Raum mit Kameras gebracht wurde, habe er sich aus Protest schnell die Arme aufgeritzt. Die Narben auf seinen Armen sagten mehr als Worte. Seine Arme waren übersäht mit Narben, welche das letzte Mal als wir uns gesehen haben, noch nicht da waren.

  • Von 6 Uhr bis 23 Uhr ist der kleine Hof im Außenbereich geöffnet. An einem Tag fand ein Protest im Hof statt, bei dem laut protestiert und Freiheit gefordert wurde. Anschließend wurden einige von ihnen willkürlich oder nach Abduls Vermutung nach Nationalität ausgewählt, in andere Camps deportiert, zum Beispiel nach Kiskunhalas.

  • Jede*r Gefangene hat ein Recht auf medizinische Versorgung. Aus seinen Erzählungen konnten wir heraushören, dass ihnen der Zugang zu Fachärzt*innen erschwert wird. Bei Zahnproblemen wurde er erst nach mehrfachen sinnlosen Besuchen beim Allgemeinarzt, weitervermittelt. Ein anderer Gefangener, der aus Protest Selbstmord angedroht hatte, wurde in eine Anstalt gebracht und kam als „Robot“ wieder zurück in das Camp. Er musste Tabletten schlucken, die ihn Abduls Beobachtung nach veränderten.

  • Zu Supportstrukturen von außen erzählte er, dass der UNHCR sich zwar ab und zu blicken ließe, aber nichts wirklich unternehme.

  • Auch erzählte er uns, dass es eine Person gebe, die bereits seit 10 Jahren in Ungarn lebte, sogar mit einer Ungarin verheiratet sei, ein Kind habe und jetzt abgeschoben werden soll.

  • Er erzählte noch, dass in der letzten Woche 9 bis 10 Menschen, vor allem Afghanis, nach Bulgarien in offene Camps abgeschoben wurden, weil ihre Fingerabdrücke dort genommen wurden.

    Als ungefähr 45 Minuten um waren, kam wieder eine Aufsichtsperson in den Raum und erklärte uns, dass die offizielle Besucherzeit, eine Stunde, in 15 Minuten um sei. Auf Nachfrage, ob die Besucherzeit verlängert werden könne, wurde ausdrücklich betont, dass sie selbst ja nicht die Regeln bestimme, sich aber unbedingt daran halten müsse.

Die Menschen werden ihrer Freiheit beraubt. Das ist ein Verbrechen am Individuum und somit an der gesamten Gesellschaft!

Wir fordern die Freiheit aller Gefangener dieses und aller Detention Camps!

Wir fordern die Freiheit aller Gefangenen überall!

 

[Nachtrag]

Inzwischen wurde Abdul in das Lager Kiskunhalas deportiert und befindet sich dort im Abschiebungsbereich. Zwischen zwei Optionen soll er sich jetzt entscheiden: Entweder er wird in sein Herkunftsland zurückgebracht oder er bleibt ein Jahr lang inhaftiert.

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in tiefer solidaritaet mit euch und der inhaftierten person!

es ist sehr schön zu lesen, dass es noch solch gute menschen gibt!