Black lives matter – Oury Jalloh ist kein Einzelfall!
“Die Arroganz und das fehlende menschliche Verständnis, vor allem gegenüber Menschen nicht-europäischer Herkunft, innerhalb der Polizei und in der Gesellschaft im Allgemeinen lassen es zu, dass Menschen wie Oury Jalloh solch grauenhafte Tode sterben müssen.” Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
Rassistische Gewalt ist nach wie vor Alltag in unserer Gesellschaft: Angriffe gegen Menschen auf der Straße und auf Flüchtlingsunterkünfte, brutale Abschottung der EU-Außengrenzen oder Gewalt durch Beamt*innen in (Abschiebe-)Gefängnissen und Polizeiwachen. Ebenso alltäglich ist das daran anschließende Leugnen, Relativieren und Verdrängen. Nur so ist es möglich, dass nach wie vor jährlich Tausende von Menschen bei dem Versuch nach Europa zu kommen sterben, dass rechte Terrorist*innen wie der NSU jahrelang unbehelligt morden und dass Oury Jalloh an Händen und Füßen gefesselt in einer Polizeizelle verbrannte — ohne ernsthafte Konsequenzen für die beteiligten Polizist*innen.
So ist es geschehen am 7. Januar 2005 in Dessau. Anders als gegenüber der Öffentlichkeit dargestellt, haben Freund*innen Oury Jallohs und antirassistische Initiativen nie daran geglaubt, dass sich der Asylbewerber aus Sierra Leone selbst angezündet hat. Im Mai 2005 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Polizisten Andreas S. und seinen Kollegen Hans-Ulrich M. Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Zwei Jahre später begann der Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau, bei dem Verwandte von Oury Jalloh als Nebenkläger auftraten. Doch nach monatelangen Verhandlungen wurden beide Polizisten aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Im Jahr 2010 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und leitete das Verfahren an das Landgericht Magdeburg weiter. Im Januar 2011 begann der neue Prozess, der im Dezember 2012 mit der Verurteilung des Dienststellenleiters Andreas S. zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung endete. Ihm wurde angelastet, die Gegensprechanlage zu der Zelle, in der Oury Jalloh verbrannte, leise gestellt zu haben. Sowohl die Strafe als auch die Gerichtskosten übernahm die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Sachsen-Anhalt.
Von Beginn an kämpfte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh für die vollständige Aufklärung der Todesumstände. Sie sammelte Geld, um auf eigene Kosten Gutachten erstellen zu lassen. Im Jahr 2013 legte die Initiative ein Gutachten vor, das nachweist, dass nur mithilfe von Brandbeschleunigern derart tödliche Brandverletzungen hervorgerufen werden konnten. Nach und nach wurden weitere Hintergründe der Ermordung Oury Jallohs bekannt, die zahlreiche Vertuschungsversuche der beteiligten Behörden sichtbar machten. Im Oktober 2015 trat ein weiteres durch die Initiative beauftragtes internationales Gutachterteam mit Untersuchungsergebnissen vor die Presse. Auch diese Expert*innen kamen zu dem Schluss, dass eine dritte Person das Feuer entzündet haben muss — entweder durch Zerstörung und unmittelbare Entzündung der Matratze an verschiedenen Stellen oder unter Verwendung von Brandbeschleuniger.
Auf der Grundlage des ersten Brandgutachtens stellte die Initiative in
Gedenken an Oury Jalloh bereits am 11. November 2013 bei
Generalbundesanwalt Harald Range Anzeige gegen Unbekannt wegen Mordes
oder Totschlags.
Die Staatsanwaltschaft Dessau sah sich gezwungen, erneut Ermittlungen
zur Klärung der eigentlichen Todesumstände aufzunehmen. Anstatt jedoch
die Ergebnisse der vorhandenen, unabhängigen Gutachten zur Kenntnis zu
nehmen, startet die Staatsanwaltschaft “bei Null”. In einem neuerlich in
Auftrag gegebenen Brandversuch im August dieses Jahres wurde, wie schon
im ersten Prozess, von der mittlerweile widerlegten Annahme
ausgegangen, dass Oury Jalloh ein Feuerzeug mit in die Zelle genommen
und sich selbst entzündet habe. Das Feuerzeug, das die extremen
Temperaturen in der Zelle angeblich so wenig beschadet überstanden haben
soll, ist zum Symbol für die Vertuschungspraxis der Ermittlungsbehörden
geworden.
Die fehlende Motivation der Polizei- und Justizbehörden bei der Ermittlung und Verurteilung innerhalb der eigenen Reihen, steht im krassen Widerspruch zur Repression gegenüber der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Aufgrund ständiger, anlassloser Ermittlungen wegen angeblichen Drogenhandels gegen einen Mitstreiter der Initiative und alten Freund Oury Jallohs, wurde ihm die Lizenz zum Betrieb seines Internetcafés Ende 2005 vom Ordnungsamt entzogen, obwohl sich keiner der Vorwürfe erhärtete. Weitere Hausdurchsuchungen, rassistische Kontrollen und demütigende Praxen seitens der Polizei begleiteten die Aktivist*innen in den folgenden Jahren. Auf den Slogan “Oury Jalloh das war Mord” bei der jährlichen Gedenkdemonstration am 7. Januar 2012 reagierte die Polizei mit massiven Übergriffen, bei denen mehrere Demonstrant*innen teilweise schwer verletzt wurden. Die darauffolgenden Ermittlungen und Gerichtsprozesse, bei denen sich die Aktivist*innen der Initiative und von The Voice Refugee Forum selbst auf der Anklagebank wiederfanden, wurden letztlich ergebnislos eingestellt. Weitere Prozesse gegen Aktivist*innen wegen Beleidigung folgten, wobei sie teilweise zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden. Diese Gerichtsverfahren wurden jeweils von einem massiven Polizeiaufgebot und offener Überwachung seitens des Staatsschutzes begleitet. Aktuell wird einem Aktivisten vorgeworfen, bei der diesjährigen Gedenkdemonstration, wo symbolisch leere Feuerzeuge vor Staatsanwaltschaft und Polizeiwache niedergelegt wurden, gezielt mit einem Feuerzeug auf Polizeibeamt*innen geworfen zu haben. Er kassierte daraufhin eine Anzeige wegen versuchter, gefährlicher Körperverletzung.
Insbesondere in Zeiten einer rassistisch-autoritären Wende in Deutschland und Europa ist es wichtig, antirassistischen Kämpfe wie den der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zu unterstützen. Rassistische Positionen werden auch in Kreisen der sogenannten “bürgerlichen Mitte” wieder offener ausgesprochen und nicht erst die jüngsten Asylrechtsverschärfungen bringen den Gewaltapparat des Staates ganz legal in Stellung gegen Menschen, die nicht aus Europa kommen. Während der völkisch-rassistische Mob tobt wollen wir zu unseren kämpfenden Genoss*innen stehen. Kapitalistische Ausbeutung, nationale Abschottung und rassistische Unterdrückung sind untrennbar ineinander verflochten. Wir sind überzeugt, dass der Kampf um soziale Befreiung nur geführt werden kann, wenn wir rassistische Spaltungen überwinden.
Wir haben uns vor fünf Jahren mit der Selbstenttarnung des NSU versprochen, nie wieder Angehörige oder Freund*innen Opfer rassistischer Morde derart allein zu lassen! Wir rufen daher zur Demonstration am 12. Todestag von Oury Jalloh, 7. Januar 2017 in Dessau auf. Schließt Euch an – zeigt Euch solidarisch mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh!
Break the Silence! Demonstriert gemeinsam mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh gegen rassistische Polizeigewalt, Vertuschung, Manipulation und Strafvereitelung von Verbrechen durch Beamt*innen des Staates! Demonstriert gegen die Repression von zivilgesellschaftlichem antirassist*ischem Engagement zur Aufklärung und öffentlichen Skandalisierung dieser Zustände!
Wir fordern Aufklärung und Gerechtigkeit!
Wir fordern Solidarität gegen die Repression antirassistischer Politik!
Oury Jalloh – das war Mord!
weitere Informationen: keineinzelfall.net
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"Wir haben uns vor fünf Jahren mit der Selbstenttarnung des NSU versprochen, nie wieder Angehörige oder Freund*innen Opfer rassistischer Morde derart allein zu lassen!"... Muss man halt erstmal erkennen. An dieser Stelle scheint es ja wirklich sehr wahrscheinlich zu sein, aber nun an jeder Stelle gleich total sicher zu sein, dass es ein rassistischer Mord war, ist gefährlich.