Tag X Mobilisierungen – Perspektiven am gesetzlosen Rand

Vietnam-end-of-war-1975, vom Dach der Wedekindwache in Friedrichshain flüchten die letzten Agenten Henkels

Seit Wochen sind linksradikale Bewegungsansätze und das Projekt Rigaer 94 in den Medien und im Wahlkampf präsent, mit unterschiedlichen Schwerpunkten nach Bedarf und Laune des offiziellen Berlin. Zunächst als Brutstätte rechtsfreier Räume, dann als Opfer eines konzeptlosen Innensenators , jetzt als Untergangszenario für Frank Henkel. Dazwischen immer wieder als Projektionsfläche für Gewalt und Terror.

 

Nach vielen Rückschlägen hatte der gesetzlose Rand der linksradikalen Bewegung in Berlin sich auf den Tag X vorbereitet und dafür kräftig die Werbetrommel gerührt. Das geschah in der Erkenntnis einer Unterlegenheit gegen den Repressionsapparat im Fall einer direkten Konfrontation und nach Auswertung der sichtbaren Schmerzgrenzen des Regimes in den letzten Jahren.

In unserer Erinnerung fand sich kein inhaltliches Argument, keine „demokratische“ Strategie, keine Verhandlungslösung und kein gesellschaftliches Druckmittel, was jemals staatliches Handeln beeinflusst hätte, außer : Sachschäden, zu denen auch verletzte Bullen subsumiert werden, die politischen Druck auf die Regierenden ausüben.

 

Als geschichtslosem Fanatiker fehlen Frank Henkel die Lehren aus dem von Heinrich Lummer verantworteten Mord an Klaus Jürgen Rattay und dem Ende der SPD-Grünen Koalition nach der Räumung der Mainzer Straße. Selbst die dezentralen Aktionen zur Liebig 14 Räumung sind seinem fliegenhaften Kurzzeitgedächtnis entfallen.

So kam es wie es kommen musste, kopflos wie wir nunmal sind wurden die sehr erfolgreichen Aktionen der letzten Monate gegen NS-Infrastrukuren und Nazis stark zurückgefahren, der theoretische Input zur Zerstörung des EU Grenzregimes dümpelt vor sich hin und Stadtpolitik ist in der reduzierten Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf Feuerschneisen und Scherben beschränkt.

 

Jedoch so schlecht ist das alles gar nicht, die 10 Millionen Marke dürfte bald erreicht sein und selten hat sich ein Innensenator so an der linksradikalen Szene zerlegt. Ob der Erhalt der Kadterschmiede nun juristisch oder militant erkämpft werden kann, spielt keine Rolle. Ob die Rigaer 94 als gemauerter Steinhaufen erhalten werden kann, darf ebenso nicht zum alleinigen Maßstab für perspektivische Entwicklungen unterschiedlicher Widerstandsebenen erklärt werden.

 

Wichtig ist vielmehr, dass bewiesen wurde: Es ist uns möglich den Funken zu zünden, der auf andere Städte übergreifen kann, weil das richtige Thema die richtigen Zusammenhänge in polymorphen Widerstandshandlungen zusammen bringt. Damit werden ganz neue Utopien denkbar. Am Ende langer Beratungen und Vorbereitungen könnten Ultimaten gestellt werden, wie – Sachschaden 100 Millionen oder Abschiebestopp. Oder es könnten langanhaltende Kampagnen gestartet werden, die Gebiete wirklich Nazi-frei oder unregierbar machen.

 

Autonome Politik hat sich in den letzten Jahren selbst zu viele Gründe auferlegt um etwas nicht zu machen, auf Utopien wurde verzichtet in dem Bedürfnis sich unter den scheinbaren Zwängen der Realität wegzuducken. Dabei gibt es Beispiele militanter Kampagnen, die ihr Ziel, in Verbindung mit anderen Widerstandsformen, erreicht haben. Der Erhalt der Hafenstraße, die Probleme Gorleben zum Atomklo zu machen, die Anti-Olympia Bewegung 1993 …

Frankreich erlebt soeben eine unglaubliche Phase von Selbstermächtigung antagonistischer Zusammenhänge aus verschiedenen Schichten, die staatliche Durchdringung der Gesellschaft ist an räumliche und psychische Grenzen gestossen.

Wir müssen das Zeitfenster nutzen, wenn eine Regierung die richtigen Fehler macht. Henkel hat uns in der Rigaer Straße den Gefallen getan. Gerne würden wir uns auf der Suche nach den Bruchstellen in dieser Gesellschaft eine aktionistische Pause gönnen, aber wenn es sein muss

 

ist Tag X die Räumung des M99!

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Wir sollten uns davor hüten, die Methode Sachschad zu überdehnen und als funktionierendes Konzept zu betrachten. Gerade im Falle der Rigaer mag das Ganze eine Zeit lang aufgehen, einen möglichen Abschiebestopp damit herbeizufabulieren, ist Quatsch. Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, und darum sollte es im Kern gehen, können nur in der Breite erzwungen werden. Wir brauchen eine Verankerung im Stadtteil, regelmäßige Anlaufpunkte und Angebote für Menschen in den Nachbarschaften, die nicht nur der subkulturellen Bespaßung dienen. Kleingruppenaktionen um gesellschaftliche Bewegungen zu flankieren und Druck erhöhen, können sinnvoll sein, aber dürfen nicht für sich allein stehen und zu ner reinen Erpressung werden...

Nicht immer gleich alles schlecht machen.

Inhalte und Aktionsformen aufgreifen. Hand in Hand.

Ob friedlich oder militant - wichtig ist der Widerstand.